Mittwoch, 10. August 2011

Wo bleibt die Berufspresse für das Antiquariat?





Die Antiquare, gleichgültig in welcher Schicht des Gewerbes sie arbeiten, erwarten von ihrer Berufspresse keine Hofberichterstattung. Sie sind, trotz bekannter Klatschsucht, nicht sehr interessiert an "Veränderungen im Gewerbe", vor allem dann nicht, wenn solche Gewerbeberichte nicht zum Anlaß zu Problemanalysen genommen werden, sondern dümmlich-naiv abschildern, was wo wie eröffnet oder geschlossen worden ist, welche Messe wie stattfindet, welche Datenbank von wem gekauft wurde.

Was die Antiquare brauchen und wollen, sind Problemanalysen, möglichst solche, die für sie im Beruf unmittelbar umsetzbar sind. Mit theoretischem oder polemischem, womöglich noch langhin ausgebreiteten Gedankenspielen langweilt und ärgert man sie nur. Noch tödlicher wirken auf sie Fremdwortkaskaden und Übernahmen aus für sie ganz fremden Fachgebieten.

So gesehen sind weder Biesters Leistungen (erster Absatz) zur Zeit besonders hilfreich, noch können Mulzer und Pardun (zweiter Absatz) die Antiquare erfreuen.

Vor zwei Holzwegen sei gewarnt: Interviews in jeder Form liest man zunächst mit Interesse, nicht nur in der leider wieder verschwundenen Video-Form, sondern auch als längeres Tiefeninterview. Aber ein Ersatz für das, was die Berufspresse wirklich leisten sollte, sind sie nicht. Ein Kollegeninterview ist in der Regel nicht viel mehr als die Plauderei am Messestand, in der  e i n  Standpunkt herübergebracht wird, aber keine Probleme gelöst werden.

Zum anderen, das geht nun an Parduns und meine Adresse, hat die Unlust der Antiquare, Theorie zu betreiben, nichts zu tun mit Dummheit oder mangelnder Bildung. Wenn ich mitunter mangelnde "Geistigkeit" bei den Kollegen beklage, dann ist das in der Regel reine Zweckpolemik, um jene fürchterliche Zeitvernutzung anzuprangern, in die die Antiquare so lang eingebunden sind - bis sie modernere, bessere Titelaufnahme- und Absatzstrategien ersinnen und einführen.

Weil sich Antiquare aller Schichten im sozialen Feld bemerkenswert unklug und fast immer äußerst ungeschickt bewegen, sind sie noch lang nicht zu unterschätzen. Es handelt sich, das gilt für alle Schichten des Gewerbes, eben oft um Außenseiter, um Sonderlinge, um Randfiguren der Gesellschaft. Bei näherem Hinsehen sind fast alle abgebrochene Existenzen. Die es nicht sind, die mit Stolz auf geradlinige kaufmännische Ausbildungsgänge zu verweisen pflegen - das sind nach meinem vielleicht etwas schiefen Eindruck die einzigen wirklich unerfreulichen Gestalten in unserem Gewerbe.

Wir erinnern uns mit Rührung, wie Stormchen mit seinem Antiquariatsanzeiger brav und treu "Berichterstattung" durchexerziert hatte, auch haben wir noch das reihenweise "Schütteln der Köpfe" vor Augen, als uns Pardun in den ersten Schritten mit (jedenfalls mir) völlig unbegreiflichen Oberseminarsitzungen zu quälen gedachte im Soloantiquar.

Mit tiefem Bedauern verfolgen wir heute im Archiv des Börsenblatts den Niedergang der Biesterschen Diskussionskultur, der seinen Netzdienst innerhalb von zwei Jahren von einer hochinteressanten, offenen Problemdiskussionszentrale zu einem unsäglich öden und zahmen Berichtsblättchen niederführen mußte, wohl auf höhere Anweisung, denn freiwillig kann niemand solche Grausamkeiten begehen wollen.

Wir kommen nun zur Nutzanwendung und stellen fest, daß Pardun trotz all seiner Ungeschicklichkeiten, von der Titelwahl über die graphische Darstellung bis zur unsäglichen Terminologie dem rechten Weg am nächsten ist:

Antiquare wollen - in allen ihren Schichten - eine Berufspresse, die ihre  P r o b l e m e  schlicht und ergreifend gesagt  l ö s t.

Das ist natürlich nur in Häppchen zu machen, man muß stellvertretend für die Kollegen die Sachverhalte mit sich selber durchdiskutieren und mehrere Wege bedenken, ausprobieren, in Rechnung stellen. Im Kopf des Redakteurs muß die Diskussion stattfinden und er soll, kein leichtes Unterfangen, seine unfertigen Gedankengänge auch jeweils ehrlich darstellen.

Ich stimme inzwischen, leidgeprüft, Biesters Ansicht bei, daß es wenig Sinn macht, ein neues Forum aufzumachen, das der Diskussion der Antiquare dienlich sein würde. Wenn Antiquare diskutieren, kommt zunächst zwischen ausführlicher Selbstdarstellung und rauhbauziger Flegelei wenig heraus. Als mich Weinbrenner noch nicht aus seinem Forum expediert hatte, erinnere ich mich an Auseinandersetzungen auf hohem Niveau (etwa die Beiträge von Kretzer), die sich ebenso totgelaufen hatten wie die stellenweisen Erkenntnisschübe kluger Kolleginnen in den Amazon- und anderen Kistenschieberforen. Beides verlief im Sande, war vergeudet, weil die Strukturierung, die Führung, die Leitung fehlt in solchen Foren.

Das hat, alles in seinem Kopf, der Redakteur der Berufspresse zu leisten.

Interessant ist eine Beobachtung, die im Zusammenhang mit der Amazon-Abebooks-ZVAB-Monopolfrage wieder aktuell werden könnte: In dem Jahr vor der Gründung der Genossenschaft hatten wir eine gute, fruchtbare, konstruktive Auseinandersetzung im Hess-Forum, die wohl kein Kollege seither vergessen hat. Daraus ergibt sich für mich, daß w e n n  einmal eine aktuelle Frage einen bestimmten Ausgestaltungsgrad, eine gewisse Dringlichkeit erreicht hat,  d a n n  auch die seltsamen Existenzen im Antiquariat gut, fruchtbar, interessiert miteinander diskutieren können.

Wenn also eine Berufspresse die Sachdiskussion der  P r o b l e m e  des Berufs bis zu einem bestimmten Punkt redaktionell hat gut führen können - das Börsenblatt war vor zwei, drei Jahren unter Biester soweit gekommen - , dann ist auch ein Diskussionsmedium für Antiquare nützlich und möglich. Vorher aber nicht.

Fazit: Die Berufspresse für die Antiquare muß jetzt und hier eine Problemerörterungs- und Problemlösungspresse sein.