Langsam kommen wir in die Gänge mit der Reorganisation des Datenbankwesens im Antiquariat. Gerade wenn man den Kopf tief in der Materie hat und sein Projekt betüttelt wie ein Autoliebhaber seinen Bretzelkäfer, tun einem Zuschriften wohl, die auf einer anderen Schiene laufen und auf die man zunächst verärgert reagiert: Muß der Kollege mich ausgerechnet jetzt stören?
Aber nicht die Tücke des Objekts, sondern ein freundliches Geschick greift da oft ein, so zum Beispiel erreicht mich eine Email, die sich danach erkundigt, ob ich es nicht gewesen sei, der in der Hess-Runde jene Datenbank vorgeschlagen hatte, die auf dem Gedanken einer
*betretbaren Bibliothek
visuell aufgebaut gewesen sei und wozu ich dann später einmal bunte Bilder gemalt hätte, die fand er so hübsch und ob ich die ihm zur Verfügung stellen könnte?
Die bunten Bilder sind längst im Papierkorb gelandet, meine Zeichenkünste sind bescheiden
Aber die Anfrage brachte mir den ersten Artikel, vor über zehn Jahren, wieder zur Erinnerung, und richtig fand ich die Unterlagen gleich neben meinen Studien zur Nacktkultur rund um Berlin in den 20er Jahren unter Berücksichtigung der Fichte-Sparte, beide staubbedeckt. Den konnte man aber wegpusten.
Sie haben hier vor einigen Tagen den Plan des "Freiburger Modells" kennengelernt. Der Antiquar hat in Zukunft vor allem für eine Sacherschließung des alten Buchs zu sorgen. Da die Klassifizierungen, die er vorfindet - wenn überhaupt welche vorgegeben sind - in aller Regel töricht, weltfremd, zu grob- oder zu feinmaschig sind, notiert er bei jeder Titelaufnahme unsere gemeinsam auf jener denkwürdigen Arbeitstagung in der Frankfurter Buchhändlerschule demokratisch verabschiedete Standardklassifizierung der Antiquare.
Sie wissen ja:
Haustiere > Katzen
Antiquariat > regional > Oldenburg / Ostfriesland
Literaturgeschichte > deutschsprachig > Romantik > Jean Paul
Deutsche Landeskunde > Oldenburg/ Ostfriesland
Bedeutende Persönlichkeiten > Plocher
wobei letzterer Eintrag eher in die Zukunft weist.
Ebenfalls zum Modell gehören die drei, vier Normscans, die in Zukunft mit jeder Titelaufnahme hergestellt werden.
Nun zum Kern, der b e t r e t b a r e n Datenbank.
Stellen Sie sich zunächst eines der alten Bibliotheksbilder vor, die den Betrachter fast nach Guckkastenmanier in eine Bibliotheksraum hineinschauen lassen. Der Aspekt des "Hineingehens" ins Bild wird noch unterstützt durch eine leicht überzogene Perspektive nach Art der bekannten Dürer-Modelle.
Nun gehen wir, virtuell, vom G e s a m t - Bild der Bibliothek
Auf diesem Regalbrett stehen nun etwa 30-40 einzelne Bücher, die natürlich nur schematisch dargestellt sind. Klicken wir auf eines der Bücher, dann eröffnen sich uns, so vorhanden, die Scan-Bilder, wir erhalten ferner auch die Titelaufnahme.
Das "Hineingehen" in die virtuelle Bibliothek entspricht dem Feingliedern unserer Sachindizierung bei der Titelaufnahme. Sie sehen nun, daß das "Freiburger Modell" der verbesserten Sachindizierung genau seine Entsprechung hat in meinem Projekt der "betretbaren Bücherei".
Der Teufel steckt im Detail, und ich rechne es zu meinen wenigen guten Eigenschaften, daß ich selten beim allgemeinen Schwafeln bleibe, sondern immer bereit bin, mich in die konkreten Einzelheiten hineinzuknien.
Da die betretbare Bibliothek an die Stelle der bisher üblichen Verkaufsportale treten soll, sind praktische Lösungen anzustreben. Ich würde anregen:
- auf dem Rücken des virtuellen Buchs wird der Verfasser (Nachname) und, standardisiert im Abstand davon, ein Stichwort des Haupttitels notiert. Legen wir die Bücher in Gedanken quer (statt hoch, wie sie in der betretbaren Bibliothek natürlich stehen werden), wäre das etwa so:
Goethe Gespräche Eckermann
Schultze-Aurich Einführung Weimar
Biester Fröhliche Auswanderung
Mulzer Elend Genossenschaft
Hitler Mein Kampf
Dies nur als Beispiel für eine ganz übersichtliche Rückenbeschriftungsnorm, damit die ja in der "Betretbaren Bibliothek" h o c h kant stehenden Titel lesbar bleiben. Am Fuß des Buchrückens würde ich Seitenumfang (schräggestellt) und Preis (nur als Ziffer) eintragen, also etwa
250 34
für ein Buch von 250 Seiten, das 34 Euro kosten soll.
Die Buchrücken sind auch in Farben gehalten. Darüber wird zu diskutieren sein. Man könnte Norm-Monographien (was ist das?) weiß lassen, Einführungen in das (Gesamt-/ Unter-) Gebiet gelb, Bildbände blau, Bibliographien und Lexika grün, Zeitschriften grau, usw.
Spannend wird es - wir sind wieder beim virtuellen Gang durch die "Betretbare Bibliothek" - bei den Übergängen aus einem g r ö ß e r e n, umfassenderen Sachgebiet in das kleinere, und von dort in ein noch kleineres. Lassen wir die besuchten Räume dann "verschwinden" oder bleiben sie im Hintergrund sicht- und anklickbar? Wie halten wir es mit der Miniaturisierung, mit der Vergrößerung schon beim Darüberfahren mit dem Cursor oder erst beim Anklicken - des Feldes - des Buchs?
Da ist Kreativität gefragt. Ganz ideal wäre die Möglichkeit, vom angeklickten Einzelbuch zum Ladenraum des Antiquars, in dem das Buch steht, zu wechseln und wieder zurück in den Bibliotheksraum - RFMeyers schmählich verlassener Webseitenverbund auf ganz neue Weise zum Leben erweckt?
Die technische Seite macht mir weniger Sorgen. Vor 10 Jahren, als ich das Modell erstmals vorstellte, mag es noch schwierig umzusetzen gewesen sein - heute ist das für jeden Spieldesigner ein Vergnügen!
Die Idee hatte ich seinerzeit im Emmendinger alten Park am Bahnhof, wo alte Buchen und Eichen ein Idyll besonderer Art bilden, mit einem düsteren Gefängnis im Hintergrund und einem guten italienischen Eiscafé in der Nähe. Goethe besuchte dort seine unglücklich verheiratete Schwester Cornelia, Hermann und Dorothea spielt in Emmendingen.
Bleiben wir also bei ursprünglichen Namen, den ich vor zehn Jahren vergeben hatte: Das E m m e n d i n g e r Modell der betretbaren Bibliothek als Verkaufsportal für antiquarische Bücher.