Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 5. August 2011
Der Antiquar als Versteigerer - und in der Lounge
Gedanken zur Reform unseres Messewesens
Wir gehen bei unseren Überlegungen von der durchaus typischen Messe-Katalogseite meines verehrten Kollegen Nonnenmacher aus, mittleres Angebot mit sehr sorgfältigen Titelbeschreibungen. Thematisch handelt es sich um ein anregendes Durcheinander im besten Sinn. Rufen Sie die PDF-Seite einmal auf, damit Sie sehen, von welcher Art Ware wir sprechen. Ich halte das für gute Messeware mit einer Textdarstellung, die kaum zu verbessern ist, will man den Leser nicht durch lange Kommentierungen plagen.
Aus der aufgerufenen Seite habe ich einige Thesen entwickelt, die Sie bitte prüfen wollen.
1)
Die B e s c h r e i b u n g mit Buchstaben, das "Schriftliche" steckt hier ja schon im Wort, stößt auf enge Grenzen in unserem Kopf - der ist nämlich schon ganz ausgerichtet auf das Sehen, auf die Sprache der Bilder. Wir können die Bildsprache des Internet nicht mehr zurückschrauben, auch dann nicht, wenn wir wie die meisten Sammler und Händler Jahrzehnte hindurch mit schriftlichen Titelaufnahmen zu arbeiten gelernt haben.
Mir ist noch nie so klar geworden wie heute, daß ich mich beim Überfliegen einer guten Liste anspruchsvoller Bücher vorkomme wie in einem G e f ä n g n i s. Vorstellungskraft, Seele, Auge, alles fordert hier Bilder. Das wird besonders deutlich, wenn uns Nonnenmacher Textkupfer beschreibt, Einbände schildert - eine absurde Welt. In uns ruft alles: "Bilder her".
2)
Nun kann man argumentieren, das sei ja so gedacht, denn der Wunsch, die Ware zu sehen, soll den Bücherliebhaber dazu bringen, ihn dazu anstoßen, die Messe zu besuchen.
Er kommt, weil er sehen will. Sehen darf er nur, wenn er sich herbemüht.
Warum stimmt diese Gebrauchsanweisuing nicht mehr? Da haben wir es wieder zu tun mit einer Gegenkraft, die das Internet in uns längst eingepflanzt hat und die, so meine These, die alten Mechanismen "ich will sehen, also komme ich herbei" zerstört und unwirksam macht. Ich spreche von der Selbstverständlichkeit, mit der das Internet uns viele Wünsche, besonders aber den Hunger nach Bildern, erfüllt. Schnell, möglichst s o f o r t, gratis, komfortabel (und mit ein wenig Werbung vielleicht, das nehmen wir in Kauf). Wichtig ist für uns nur, daß uns das Bild , die Bilderstrecke geliefert wird, subito, hopp, ein Klick, notfalls auch zwei, aber bitte nicht noch mühsamer.
Diese selbstverständliche Erwartungshaltung ist, so meine ich, gut und richtig. Sie erinnert mich in ihrem positiven Erwartungshunger an jene neue Selbstverständlichkeit, mit der wir kostenlosen Schulbesuch, gute Volksbüchereien, offene Seminarbibliotheken erwartet haben vor 50 Jahren, eine der guten Seiten der jungen Adenauerrepublik.
So ähnlich wird jetzt wieder das Recht auf schnelle, vor allem auch visuelle Bedienung und Versorgung im Internet postuliert. Wer dagegen verstößt, die Erwartung enttäuscht, der verärgert massiv (siehe auch die Verhehlung der Autkionsergebnisse - aber lassen wir das), denn wir spüren sehr genau, wenn gegen unsere Bilder-Erwartung, unseren Informationshunger im Netz kleinlich verstoßen wird.
3)
Da sind wir an einem wichtigen Punkt angekommen. Die Vorenthaltung des Visuellen, die Bilder-Deprivation des Lesers wirkt auf den Nutzer der Liste nicht nur enttäuschend, sie ist nicht nur unzweckmäßig, nein - sie wirkt kleinlich, geizig, zuletzt s c h ä b i g.
Die Antiquare, die ihre Messen nach herkömmlicher Art durch schriftliche Listen ankündigen, die den Leser visuell auf später vertrösten, erscheinen im Internet heute als lächerlich-peinliche Außenseiter, nicht nur verschroben, sondern k l ä g l i c h und geizig.
Das sind Imagefragen, über die wir nicht leichtfüßig hinweggehen sollten. Ich sage: Das Messewesen in seiner jetzigen Form ist schädlich für unser Gewerbe, es ist unendlich verstaubt, rührend-lächerlich altmodisch und es wirkt auch, und das ist das Schlimmste, tückisch-arrogant.
4)
Diese letzte Einschätzung führt uns direkt zur Frage, wie es denn sonst zu machen wäre?
Ganz einfach ist die Antwort, sie setzt nur voraus, daß wir die Bild- und Videoentwicklung der letzten zwei, drei Jahre im weltweiten Netz im Kopf haben und in unsere Überlegungen einbeziehen. Dann wissen wir nämlich, daß Bilder anders als noch vor drei Jahren heute in exzellenter Qualität sekundenschnell aufzunehmen sind, daß ihre Abspeicherung und Darstellung im Netz, in bester Auflösung und buchstäblich unbegrenzt zu Tausenden, fast gratis möglich ist. Arbeitszeit und Kosten sind bei minimaler Schulung (die freilich notwendig ist) fast zu vernachlässigen.
Der Kunde weiß das auch, und da liegt der Hase begraben. Er fragt sich nämlich, ganz zurecht, weshalb die Antiquare, zumal die Messeleute, die doch zu den agileren Kollegen gehören, sich diese Mühe nicht machen wollen. Die Antwort läuft leider vom Image des Verschrobenen, Verstaubten schnell zu Arroganz und Kundenverachtung hinüber. Das ist nicht gut, würde Dr. Biester sagen.
5)
Wie jeder, der über Internetfragen schreibt, bin ich nun in einer schwierigen Lage - fasse ich mich zu kurz, dann versteht die eine Hälfte der Kollegen nicht, wie ich mir die Sache vorstelle - werde ich aber zu ausführlich, gähnt die andere Hälfte der Antiquare, weil sie das alles doch schon weiß, besser als ich.
Ich werde für diesmal auf meine übliche Pädagogik verzichten und mich kurz fassen. Mobilisieren Sie einfach Ihre Vorstellungskraft!
Zurück zur PDF-Liste des Kollegen Nonnenmacher. Sie bleibt bei dem Modell, das ich Ihnen nun vorstelle, die kaum veränderte Voraussetzung. Ich will für den Messeantiquar also keineswegs eine Vereinfachung oder Zeitersparnis vorsehen, im Gegenteil. Denn zur Titelaufnahme treten nun je Objekt 3 - 10 - 20 Scans oder Fotos hinzu.
Randbemerkung: Auch wohledle Antiquare haben sich zum Teil der Mühe nicht unterzogen, mit den (nicht ganz billigen) großen Scanmaschinen Bekanntschaft zu machen. Sie sind inzwischen auch recht preiswert gebraucht zu bekommen. Allemal A3 soll sein, eine gute Markenmaschine, Epsons GT-Serie zum Beispiel. Und/oder eine gute Pixelkamera, die ihrerseits auch bei 500 Euro anfängt, im Unterschied zum Scanner aber nicht gebraucht erworben werden sollte und, leider, eine längere Einübung erfordert.
Wie das nun technisch-optisch eingebunden wird, dazu gibt es viele Wege und wenn man will, ist auch diese Bilderflut fast gratis ins Netz zu stellen.
6)
Dieses Material muß nun versteigert werden. Ich halte das Erlebnis der Versteigerung im großen Saal für so stimmungsvoll, exzellent und der Sammler-Seele derart auf den Leib geschrieben, daß ich mich frage, warum das noch nicht zur Regel geworden ist. Der Kunde hat, neben der Titelbeschreibung ja im Vorhinein, zuhause schon seit Wochen, zum Detailstudium seine - je Artikel - 3 bis 20 Scans in höchster Auflösung am Bildschirm. Er sieht sie zudem im Messebereich auf riesigen Bildschirmen.
Wie würde die Versteigerung, die an die Stelle der Messe alten Typs tritt, organisiert werden?
Jeder Händler erhält eine ungefähr festgelegte Zeit, eine viertel bis halbe Stunde wird es schon sein dürfen, in der er seine Ware versteigert. Seinem Taktgefühl und Naturell ist es überlassen, ob er eine Einführungsrede hält, sich nur kurz vorstellt oder den Kontakt zum Saal ganz der Präsentation der Objekte überläßt - nicht der schlechteste Weg. Wenn ich über die Ware plaudere, lernt mich der Kunde am besten kennen. Das alles natürlich mit modernen visuellen Mitteln, man kennt das ja vom Ärztekongreß bis zur politischen Veranstaltung - wobei ich ganz bewußt etwas altmodisch bleiben würde, um der Messe den intimen Charakter nicht zu nehmen, jene einzigartige Saalatmosphäre, die eben nur eine echte V e r s t e i g e r u n g mit sich bringt.
7)
Nun ein unverzichtbarer zweiter Teil meines Plans zur Reformierung des Messewesens im Antiquariat. Als Gegengewicht zur etwas einseitigen Grundstimmung der Versteigerung - alle schauen nach vorn, Kontakte untereinander gibt es kaum - wird die L o u n g e eingerichtet. Ich fürchte, daß wir hier um das Lehnwort nicht herumkommen. Die Lounge ist ein gemütlicher, locker mit bequemen Polstersesseln möblierter Raum in Art einer großen Hotelhalle mit guter Schallisolierung, tiefen Teppichen usw., in der man sich gut in kleinen Einheiten unterhalten kann, abgeschottet natürlich auch vom Getöse der Versteigerung.
Hier sitzen nun die Antiquare zwanglos herum, mit dezenten Namensschildchen - am Revers und vor sich auf niedrigen Tischchen. Sie dürfen, sollen und wollen hier angesprochen werden von den Kunden. Der Kunde ist ja nur an bestimmten Teilen der Versteigerung interessiert, hier - und nur hier - in der Lounge bekommt er Kaffee und Wein serviert. Locker und freundlich sitzen die Antiquare "in der Gegend herum", ausreichend Listen und Kataloge zur Hand, einige zusätzliche Titel (auch unverkauftes Versteigerungsgut usw.) neben dem Sessel.
Leider muß ich hier abbrechen, die Latein-Nachhilfe steht an, Schüler sind ungeduldige Klienten. Ich würde mir wünschen, daß Sie mein Modell überdenken und sich fragen, ob die - dringend notwendige - Reformierung unseres Messewesens im Antiquariat nicht so oder ähnlich in Gang gebracht werden könnte.
Den Scan vom Alptraum einer Lounge verdanken wir akpool.de, die Bildrechte gehören ihnen