Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 5. August 2011
Das Freiburger Modell als sachgebietsorientierte, kundenaktive Bücherdatenbank
1)
Im Abwehrkampf um die Freiheit der deutschen Antiquare gegen die 90 % -Monopolkrake Amazon-Abebooks-ZVAB darf uns kein Weg zu mühsam, keine Überlegung zu umständlich sein. Die Lage wird sich nach Ablauf der Einlullungsphase bald verschlechtern, denn Amazon wird, so müssen wir vermuten, nach altem Konzernbrauch anfangen, seine Büttel und Agenten einzukaufen.
Der Tag wird kommen, an dem Amazon M e s s e n und T a g u n g e n sponsert, Bibliophilenvereinigungen neu gründet, Literaturpreise auslobt und auf der ganzen Klaviatur der Heuchelei und Schönfärberei spielt, die unser Kulturbetrieb dem Monopolisten mit prall gespicktem Geldbeutel ermöglicht.
Einige Fragezeichen bleiben. So wissen wir noch nicht, ob Redakteur Biester das Börsenblatt, Abteilung Antiquariat, an die Amazon-Abebooks-ZVAB-Krake publizistisch verraten wird. Wir tun uns schwer damit, abzuschätzen, inwieweit das unglückliche Gebilde einer selbständigen Dienstleistungsgesellschaft, das sich der Börsenverein vor einigen Jahren hat einfallen lassen, gegen die Insertionsmacht der Krake frei, freimütig, freigeistig wird bleiben können. Geld schafft an, sagt man in Baden, auf preußisch: Wer zahlt, befiehlt. Dr. Biester, dessen redaktionelle Sätze ohnehin immer spärlicher werden und der so gut wie gar keine Meinungen mehr hat, wird uns da nicht aufklären.
Ähnlich nebulös, aber womöglich von noch größerer Bedeutung ist die Frage, wie sich Wiesler und w+h verhalten werden. Sie sind nolens volens mit dem ZVAB an Amazon-Abebooks verraten worden (welche Formulierung nur meine persönliche Wertung darstellt) und haben vielleicht gar keine Wahl: Wes Brot ich eß, deß Lied ich sing. Aber ehe ich Wiesler / w+h den Lakaien des 90 % - Monopolkraken zurechne, möchte ich eine Alternative aufzeigen.
2)
Das Freiburger Modell, Teil 2
Wir sprachen gestern von der Wünschbarkeit eines aktiven Desideratenkatalogs der Bibliotheken, Archive, Museen und anderer institututioneller Bücherkäufer im Antiquariatsbereich.
Denken wir das Modell weiter, dann kommen wir recht bald zur Frage: Könnten wir nicht auch private Sammler in das System einbauen? Noch einen Schritt weiter entwerfen wir dann noch ein Modell des Bücheranbietens, das ich neudeutsch geschwurbelt mit "just-in-time" bezeichnen darf.
Stellen wir uns zunächst vor, daß neben den öffentlich-rechtlichen Einrichtungen auch bedeutendere Sammler, oberhalb eines festzulegenden Mindestgrads an Ernsthaftigkeit, Stetigkeit und Kaufkraft, in ein
*elektronisches automatisiertes, täglich weitergeführtes Anbietemodell
einbezogen würden. In Ansätzen gibt es Vergleichbares natürlich längst, aber alle mir bekannten Systeme sind mehr als unvollkommen. Deshalb denken wir am besten neu.
In einer Feingliederung und Gewichtung, die über den gestern vorgestellten Ansatz einer 100-Sachgruppen-Gliederung weit hinausgeht, werden die S u c h p r o f i l e von etwa 500 bücherkaufenden Institutionen und 500 privaten Büchersammlern gespeichert. Denken wir uns diese Speicherung als die rechte Seite des Modells.
Auf der linken Seite treffen nun unsere Titelaufnahmen ein. Sie entsprechen der Gliederung auf der rechten Seite. Jeder Titel wird sofort nach Eintreffen im Datenbanksystem den (einen, mehreren, vielfachen) Sammelprofilen zugeordnet. In Abständen, über die zu reden sein wird, gelangt die Angebotsliste p u n k t g e n a u zu jenen instuitutionellen und privaten Interessenten, die sich für eines oder mehrere Suchprofile eingetragen haben.
Das gibt es schon beim ZVAB und anderswo, bei Amazon seit olims Zeiten? Ja - und nein. Im Antiquariat hat das Verfahren nur dann einen praktischen Sinn, wenn wirklich punktgenaue Zielangebote übermittelt werden können. Alles andere wäre S p a m oder Augenwischerei als sogenannte Zusatzleistung zum Portalbetrieb und würde fast wirkungslos verpuffen.
Ich kann da nicht genug warnen! Machen wir uns nicht die Mühe einer zielgenauen Angebotstechnik, wird bald ein Heer genervter Bibliotheksreferenten und hilflos zugemüllter Sammler die Einstellung des Angebotsdienstes einfordern. Es ist hier gar nix zu machen mit den ach so geliebten "Stichworten" und anderen Verblödungstechniken, die sich immer nur EDV-Fachleute einfallen lassen, die vom Antiquariat wenig verstehen. Es geht das nur mit sauberen, präzisen Sachgebiets r u b r i z i e r u n g e n.
Das erfordert einiges Nachdenken bei den Einrichtungen und Sammlern, die ihre Profile nach unseren Vorgaben ja einreichen müssen - und noch mehr Arbeit bei uns Antiquaren. Wir müssen endlich, endlich lernen, mit feingegliederten s t a n d a r d i s i e r t e n Sachgruppen zu arbeiten. Ich fordere das seit 10 Jahren, und immer noch lachen die Kollegen schallend über die Dummheit dieser meiner fixen Idee... ich weiß.
Ein fester Sachgebietskatalog hat mit "Sozialismus" oder "militärischem Kommandoton" wenig zu tun, um so mehr mit gesundem Geschäftssinn.
Wie sieht das "just-in-time"-Modell aus?
Kollege Plocher gibt um 18 Uhr, interessiert beäugt von seinem Antiquariatsbüsi, hinter dem Nordseedamm diesen Titel ein:
"Erfahrungen eines nordelbischen Geistlichen unter Napoleon I. . Seine Haft in der Oldenburger Zitadelle und die Verbrennung seiner Schriften. Aurich 1832"
Plocher fügt nun aus jenem Sachgebietsschlüssel, der auf dem Schreibtisch jedes Antiquars liegt und der offiziell beschlossen und verabschiedet worden ist, die Rubriken an für
"protestantische Kirche > Erinnerungen einzelner Geistlicher (Pfarrermemoiren)"
"Geschichte > Napoleonische Zeit (Befreiungskriege)"
"Zensur, Bücherverbot, Bücherverbrennung"
"Kriminologie > Gefängniswesen"
"Deutsche Landeskunde > Oldenburg und Ostfriesland"
"Buchwesen > regionale Drucke > Ostfriesland"
Auf diese Weise e r s c h l i e ß t Plocher das Buch, und das sollte in Zukunft die Hauptleistung des Antiquars sein. Natürlich kommt jede Indizierung, die nach dem neuen allgemeinen Schlüssel erfolgt ist, in die entsprechende Datenbank, aus der jeder Kollege die bereits erfaßten Titel mit Indizierung entnehmen und für sich wiederverwenden kann.
Soweit, so einleuchtend. Spannend wird es dann, wenn nun auf der anderen Seite, wie Schlüssel und Schloß, der neue Titel automatisch und zielgenau in den Angebotskorb der Nutzer gelangt.
Wie die Übermittlung und Präsentation der Titel stattfinden soll, das wird sehr gut zu überlegen sein. Ich tendiere dazu, eine Art
S c h l i e ß f a c h - System einzurichten,
wo jeder Nutzer "seine" neuen Titel "seiner" Interessensgebiete abholen, will sagen einsehen und bei Interesse auch gleich bestellen kann.
Da es auf Schnelligkeit ankommt und bei halbwegs besseren Titeln der Ärger jener Kunden, die zu spät gekommen sind, beträchtlich sein kann, wird ein allgemeines Gerenne stattfinden. Die Öffnungszeit der "Schließfächer" wird man täglich auf zwei Termine, etwa 12 Uhr und 18 Uhr, festlegen. Bis dahin angesammelte neue Titel werden zu genau dieser Zeit für alle eingetragenen Interessenten minutengenau gleichzeitig sicht- und bestellbar.
Für den Antiquar ist das Grundgefühl recht reizvoll - während er den Titel einträgt, weiß er, daß wenige Stunden später alle im Sachgebiet eingetragenen Interessenten seine Arbeit sehen werden.
Ich muß im übrigen warnen: Das System läßt sich n i c h t abspecken, auch nicht vereinfachen. Ohne die Feinmgliederung im obigen Beispiel funktioniert mein System überhaupt gar nicht, vor allem nicht von Seiten der institutionellen Kunden her.
Das hängt mit den Bibliotheksstrukturen der größeren Häuser zusammen. Ich verhehle nicht, daß ich vor allem dem Sachbearbeiter der größeren UB, des größeren MPI-Instituts usw. ein p u n k t g e n a u e s Angebot, das ganz tagesaktuell ist, unterbreiten möchte. Das ist die Seele, ohne die mein Modell nicht funktionieren kann.
Es würde ein weiterer Laufgraben sein im Abwehrkampf gegen die drohende Monopolisierung unserer Absatzwegen, ein Beitrag zur Demokratisierung unseres Berufes und auch sonst ganz nützlich, wäre es nicht?
Für das nette Bild der Sau “Andalusia” nebst fürsorglicher Antiquarin danken wir http://www.trocknung-ostrach.de