Freitag, 5. August 2011

Warum wir eine neue Genossenschaft im Antiquariat brauchen




900 Antiquare mit kleinen bis mittleren Betriebsgrößen - durchschnittlich etwa 1,7 Mitarbeiter und 50.000 Euro Umsatz - stehen folgenden Marktriesen gegenüber:

1)
Amazon > Abebooks > ZVAB (derzeit nur Dienstleister. Geschätzte 90 % des Internetabsatzesweges der Antiquare sind damit bereits in der Hand von Amazon. In naher Zukunft auch "Vertriebspartner" mit schleichender Übernahme weiterer Geschäftsbereiche der Antiquare, schon eingeleitet: Rechnungs- und Zahlungswesen, Bankabwicklung),

2)
Ebay (Plattform für Privatanbieter, aber auch zunehmend Absatzschiene für Antiquare mit starker Tendenz in den gehobenen Antiquariatsbereich hinein. Zahlungsabwicklung, Bankbindung ähnlich wie bei Amazon/Abebooks/ZVAB),

3)
Wohlfahrts- und Billigstanbieter nach Schweizer Muster, heimlich vernetzt oder in Franchise organisiert, Expansion in deutsche Städte bevorstehend, damit Ausweitung des Oxfam-Modells mit Zerstörung der Altbuchpreise und Verdrängung echter Antiquariatsläden in den Innenstädten,

4)
Momox, dem es gelungen ist, in wenigen Monaten, vom Umsatz her gerechnet, weit über 100 Antiquare zu verdrängen, sie brotlos zu machen.

Nachdem nun auch angesehene Bibliotheken beginnen, völlig schamlos die Strukturen der Antiquare zu mißachten und zu umgehen, steht das untere und mittlere Buchantiquariat vor dem Ende. Es ist ein Wettlauf zwischen Hase und Igel, nur daß es mehrere Igel gibt. Kaum haben wir uns darauf eingestellt, daß uns die Vertriebswege zu gut 90 % durch gut verdienende Dienstleister aus der Hand genommen worden sind, wird uns nun durch neue Modelle das ganze Geschäft vom Ankauf über Lagerhaltung bis zum Vertrieb weggezaubert.

In Klammern: Wir brauchen noch gar nicht daran zu denken, was Momox und die wohltätigen Preisvernichtungsketten demnächst anrichten können, wenn es ihnen einfällt, mit ihrer Marktmacht in das

*Preisgefüge

einzugreifen. Diese Frage tauchte, leider mit gutem Grund, schon vor Jahren bei Wölki auf - wieviel bedrückender wird sich diese Möglichkeit bei Momox auswirken. Ein in kleine Segmente aufgesplitterter Einzelhandel steht nämlich Großhändlern völlig schutzlos gegenüber, er ist ihnen hilflos ausgeliefert.

Vor diesem Hintergrund muß nun der Genossenschaftsgedanke im Antiquariat neu diskutiert werden.

Es ist gut ein Jahrzehnt her, daß Tomfolio in den USA und ich in Deutschland gleichzeitig und zunächst ohne gegenseitiges Wissen voneinander einige rudimentäre Genossenschaftsgedanken im englischen Altbuchhandel aufgegriffen hatten und sie mit Energie für das Antiquariat weiterentwickeln konnten.

Während in den USA die Tomfolio-Gruppe in über 2000 Yahoo-Gruppenpostings ein bewundernswürdiges demokratisches Konzept durchdiskutierte, das ich heute noch für nahezu perfekt halte, ging die deutsche Genossenschaftsbewegung der Antiquare andere Wege. Sie blieb daher auf eine relativ kleine Gruppe interessierter Kollegen beschränkt, ihr Markteinfluß war und ist gering. Nichts weiter hierzu.

Es liegt auf der Hand, daß sich eine Vielzahl kleiner und kleinster Betriebe nur dann gegen große Gegner wehren kann, wenn sie sich organisiert. Die sehr umständliche, gleichwohl aber geschickteste und machtvollste Organisationsform der kleinen Marktteilnehmer ist - besonders im deutschen Rechtsraum - die Genossenschaft.

Angesichts der kleingegliederten Struktur der allermeisten Antiquariate muß eine wirkungsmächtige Genossenschaft äußerst niedrige Eintrittsbedingungen und ganz offene Mitgliedsmöglichkeiten bieten. Wir haben es in unserem Gewerbe oft mit klugen, wirtschaftlich aber sehr hilf- und ratlosen Kollegen zu tun, die nur dann zu einer Mitarbeit fähig und willens sind, wenn man ihren Bindungsängsten und Zweifeln durch o f f e n e Strukturen der Genossenschaft entgegenkommt. Es muß sich de facto um ein Mittelding zwischen Genossenschaft und allgemeiner Berufsorganisation handeln.

In diesem Sinn rufe ich dazu auf, die Genossenschaftsidee im Buchantiquariat neu zu diskutieren und das Ergebnis schnellstmöglich in die Praxis umzusetzen. Es gibt bereits vier mächtige Gegner, wir sollten nicht warten, bis noch weitere hinzukommen.

Die Genossenschaft soll nach innen möglichst wenig reglementieren, sie soll aber nach außen hin handlungsfähig sein. Nicht nur, aber auch durch eine starke Öffentlichkeitsarbeit.



Die Seite www.genossenschaftsgruendung.de sei für das historische Plakat bedankt