Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 5. August 2011
Google-Scan - Grabstein oder Hoffnung für das Antiquariat ?
Google-Scan - Grabstein oder Hoffnung für das Antiquariat ?
Der brave Antiquar - nur ein hilfloses Opfer von Fremdentscheidungen?
B u c h s c a n n e n... Das Terrain ist vermint, Fußangeln und Selbstschüsse allerorten, hinter Schießscharten und in Laufgräben ducken sich die verschiedensten Interessengruppen, dort drüben auf dem Hügel steht die Gilde um Dr. Graf, reißt sich das Hemd über der Heldenbrust auf und fordert absolute Freiheit, am träge dahinfließenden Main verschanzen sich die Verleger, hinter sich riesige Rollen Natodraht, mit denen sie das Gelände zum Ausmelken der Kunden abteilen wollen, die Bibliotheken öffnen ihre Tore und Hintertürchen jeder Interessengruppe, über den Wolken schwebt Allmutter Google und Gespenster wie das Webarchiv huschen über die Szene. Die grünen Giftgasschwaden rechts im Bild haben die Juristen in das Terrain geschickt, verloren sitzt ein Richter aus New York auf seinem Stühlchen und schwingt den Hammer, von links fliegen die Mollis der Hacker und Netzaktivisten. Auf der Kanzel im Berliner Dom predigt Kollege RFMeyer vom Bleibenden und Unersetzbaren des körperlichen Buches, in Freiburg hinterm schwarzen Wald fertigt Mulzer die ersten Lastzüge mit Büchern nach Polen ab, während 500 Kilometer rheinabwärts Kollege Heuberger Container damit befüllt zuhanden der Müllverbrennungsanlage.
Wovon sprechen wir? Von der retrospektiven Bücher-Digitalisierung, vom Urheberrecht und den damit verbundenen Fragen.
Es ist hier nicht der Ort, um ins Detail zu gehen. Das Risiko sollten wir schon aushalten, daß jeder von uns sein bruchstückhaftes Wissen in die Materie einbringt und sich erst kundig machen müßte, um mitdiskutieren zu können. Ich denke aber, daß wir uns trotzdem auf einige Grundthesen einigen können.
A.
Die universelle Verbreitung der Lesegeräte und, in gleitendem Übergang, der Taschen-, Klein- und Mittel-Computer, ist nicht mehr aufzuhalten, sie wird den klassischen stationären EDV-Apparat bald zu drei Vierteln oder noch weiter ablösen. Der Bedienungskomfort wird steigen, Ausdrucksmöglichkeit und Netzverbindung werden auch im Kleincomputerbereich selbstverständlich werden.
Ich hätte diese rasante Entwicklung nicht erwartet, mir sind bis zur Stunde Lesegeräte unsympathisch, Kleincomputer halte ich für unpraktisch und ich möchte meinen schweren, universell ausbaubaren EDV-Kasten nicht missen. Aber die Entwicklung hat mich überrollt.
B.
Ich habe das Ausmaß und die Schnelligkeit des Einscannens der alten Bücherbestände verschlafen. Gerade hechele ich noch durch die extrem unübersichtliche Landschaft der Informationen über eingescannte Bücher, um etwa herauszufinden, was Google nun in München gescannt hat, was der Europarat oder die Grande Nation in der Nationalbibliothek einliest und - wichtiger - was beide wie, wo und wann zur Verfügung stellen, wie es sich verhält mit den (weghören, Unwort:) Digitalisaten, die das Alexa-Webarchiv verwaltet und welches die - bewährten - Tricks sind, mit denen der gegängelte Europäer die törichten, gehässigen Juristensperren umgeht, die ihm die Nutzung aller Titel nach 1900 verunmöglichen sollen, Amerika, Du hast es besser - da stelle ich fest, daß mein Informationsstand längst von gestern und alles schon viel schneller und umfassender im Fluß ist.
C.
Wir haben die Idylle unserer Sammler alten Stils. Die Freunde schöner Einbände, exquisiter Typographie, historischer Exlibris, die Liebhaber alter Kupferstichbücher und Atlanten, die Kinderbuch- und Karl-May-Kenner, die Inkunabelsammler, sie alle scharen sich um Dr.Biester und den Verband wie die Küchlein um die Henne und bevölkern Antiquariatsmessen und Büchertage, so sie denn noch stattfinden. Um diese Kundschaft muß sich das Antiquariat keine Sorgen machen. Muß es nicht? Ich bin mir da nicht so sicher, aber davon wollen wir heute nicht sprechen.
Die ganze restliche Bevölkerung im Antiquariat steht mitten im oben geschilderten Kampfgetümmel, ob sie es nun weiß oder nicht. Besonders gefährlich wird es immer dann, wenn Leute eine komplizierte Situation überhaupt nicht abschätzen können und statt eigenen Entscheidungen dem großen Trend der Lemminge folgen. Das dürfte angesichts der komplexen Lage, die wir Antiquare selber nur mit Mühe überblicken, der Regelfall sein. Und das ist nicht gut...
D.
Ob die Möglichkeit, die ich nun schildere, heute schon oder erst nächstes Jahr besteht, ob sie als Arbeitstechnik jetzt noch Exotencharakter hat oder ob Gebildete sie durchaus schon beherrschen, ob Suchmedien wie KvK oder WorldCat gescannte Titel heute noch selektiv erfassen und erst morgen umfassend bereitstellen, ob das universelle Ausdruckprogramm für Google-Scans diesen Herbst kommt oder erst nächsten Sommer - aufzuhalten ist das alles nicht, es kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.
Tatsache ist oder wird sein, daß ich - mit oder ohne Tricks - jedes Buch der Welt vor etwa 1930 in Sekundenschnelle auf dem Bildschirm lesen und es mir, teilautomatisiert, in klarem Laserdruck mit höchster Pixelqualität sekundenschnell in Loseblattweise ausdrucken kann, wenn ich mag. Will ich das nicht tun, lese ich den Scan im Computer - trotz aller Anfangsmängel - heute oft schon *weitaus* besser und klarer als das Original auf dem Tisch, wenn ich es in der Bibliothek vorgelegt bekomme.
Tatsache ist auch, daß die in diesem Punkt heute noch lächerlich, peinlich, absurd und verschnarcht organisierten Bücherverzeichnisse hier demnächst blitzschnell nachziehen werden. Was heute in grotesken Anfangsversuchen gestümpert wird, sollte sich in einer nur nach Monaten zu berechnenden Frist perfekt und allgemein zum Standard mausern - daß nämlich jedes Bücherverzeichnis den direkten Link zum eingescannten Titel enthält, und zwar u b i q u e t e r r a r u m.
E.
Nun kommt die Gretchenfrage - was bedeutet das für uns Antiquare, insonderheit angesichts der abgeschotteten deutschen Sprachsituation?
Dies ist die Ausgangslage, auf die wir uns heute einzustellen, von der aus wir zu planen haben. Es darf nicht erst r e a g i e r t werden, die Situation muß in alle Planungen eingezogen und b e r e c h n e t werden.
Ich bin dafür, daß wir ab sofort in unseren Listen und - aufgemerkt denn also - in unserer kommenden trust-unabhängigen Verkaufsdatenbank einen direkten Link zum jeweiligen "Digitalisat" anbringen sollten, als selbstverständlichen Teil jeder Titelaufnahme.
Dann kann der Kunde besonders dort, wo ihm das hilft, nämlich bei unseren älteren Titeln, unser angebotenes Buch l e s e n. Wir geben ihm mit dem Link die einfachste Inhaltsbeschreibung, die denkbar ist. Ich halte es für nützlich, diesen Link sogar bei neueren und neuesten Titel anzubringen, um der (an sich sonst nervenden) "Einblicke" nach Googlesystem teilhaftig zu werden, falls sich übelwollende Verlags-Pfennigfuchser bei Google nicht sogar kleine Lesepröbchen verbeten haben. Wie auch immer, für unsere älteren Titel ist Verlinkung ab sofort P f l i c h t (Ich bitte den Kollegen in der schönen Eifel sich nicht gleich wieder aufzuregen. Ich formuliere das eben preußisch).
Das verlangt uns bei der Titelaufnahme bestimmte Abfragetechniken ab, denn noch ist es ein komplexes Unterfangen, die Scans - vor allem die der deutschen Bücher - überhaupt ausfindig und verlinkbar zu machen.
F.
Bleibt noch ein Rattenschwanz spannender Fragen, die wir auf jenen Antiquariats-Fachtagungen in der Frankfurter Buchhändlerschule, auf die sich alle Antiquare zwischen Maas und Memel jetzt schon freuen, diskutieren und zu denen wir dann Empfehlungen verabschieden werden:
Wie wird sich das Preisgefüge in welchen Fällen durch die Digitalisierung ändern und wie könnte man dagegensteuern? Wie könnte die Verlinkung mit Google abgeklärt und verbessert werden - direkte Zusammenarbeit mit Google scheint mir da unerläßlich, ähnlich auch mit der Bayerischen Staatsbibliothek und Göttingen-Wolchenbüttel usw.. Könnte man daraus eine Art "Alleinstellungsmerkmal" für unsere kommende unabhängige Datenbank im Kampf gegen die Amazon-Abebooks-ZVAB-Krake machen?
14.30 Uhr, es ruft der Sonntagskuchen, ich wittere guten Kaffee... Bis zum nächsten Mal.
Das brave Schaf fanden wir auf http://michaelibach.wordpress.com