Freitag, 5. August 2011

Vom Büchermichel zur Referenzkatalogisierung

Umbau der Bücherdatenbanken im Antiquariat :
Vom Büchermichel zur Referenzkatalogisierung





Kollege Wiedenroth hat uns mit seinem herzerfrischenden Beitrag im Börsenblatt-Netzdienst einen vergnüglichen Sonntagmorgen bereitet. Er lächelt auf dem Foto menschlich und sympathisch - bestes Beispiel für ein nicht aufbereitetes, nicht aufdringliches, sondern ehrliches Portrait. Nur die saubere Arbeitsstube läßt mich erblassen vor Neid. Ach wie gut daß niemand weiß, wie es bei mir aussieht. - Antiquar Wiedenroth läßt uns gelegentlich im Unklaren, wo bei ihm der Ernst aufhört und die Persiflage anfängt, das macht den Text amüsant in einem tieferen Sinn.

Sie haben sich gestern hoffentlich nicht aufs Glatteis führen lassen - ich hatte mich geärgert über den Irrsinn der "Büchermichel"-Seite beim ZVAB und wollte jene 8,5 Leser, die mein Blog im statistischen Mittel hat, ein wenig quälen. Wofür ich mich entschuldige.

Denn es ist völliger Unsinn, die Titel eines Sachgebiets "in chronologischer Reihenfolge des Erscheinungsdatums" aufführen zu wollen. Stellen Sie sich das Ergebnis vor - tausende von Titeln ausgerechnet nach Jahreszahlen untereinander zu listen. Wer sollte sich denn da zurecht finden, und dann auch noch mit schnellem Querlesen, wie ich das ja gefordert hatte?

Um sich die Dimensionen, um die es dabei geht, klarzumachen, bitte ich Sie, einen der 5-Jahres-Bände des "Deutschen Bücherverzeichnisses" etwa um 1925  zur Hand zu nehmen, die meisten Antiquare haben sowas ja leicht angestaubt in der zweiten Reihe der Handbibliothek stehen. Der überschwere Teilband läßt uns einfühlen, wie die Titelmasse, in etwa mit Hundert multipliziert, aussieht, wie mit ihr umzugehen wäre. Bei einer geschickten Aufteilung der 80 Sammelgebiete, wie wir sie ja beabsichtigen, entspricht die T e i l - Titelmenge eines Sachgebiets "von den Anfängen des Buchdrucks bis zur Einführung der ISBN-Benummerungen" in etwa der Titelmenge in dieser 5-Jahres-Kumulation.

Kurz gesagt - dieser unsägliche Wälzer umfaßt die durchschnittliche Titelmenge eines unserer 80 Sammelgebiete.

Das müssen wir festhalten, denn nur der *gedruckte* Band, nicht irgendeine Internetübersicht ermöglicht uns die  V o r s t e l l u n g  von unserer Aufgabe. Wobei die Sachgliederung, die sich als dritter Band an die beiden Teilbände des 5-Jahres-Verzeichnisses anschließt, einige gute (und sehr viele schlechte) Beispiele einer Sacherschließung enthält.

An dieser Stelle der Überlegungen wird uns eine weitere boshafte Irreführung im gestrigen Text klar: Es kann natürlich nicht darum gehen,  z u f ä l l i g  in einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich verkaufte Titel aufzuführen. Von daher läßt sich keine gescheite Übersicht zu einem Sachgebiet erstellen, schon gar nicht dann, wenn wir uns eher um seltenere, teurere Titel kümmern wollen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, uns bei der Darstellung und Auswahl der Titel diesem skurrilen Zufallsaspekt zu überlassen.

Warum es so nicht geht, dazu kann gerade der (übrigens zu Unrecht mißachtete) rote Aachener Radtke (Taschenbuch der Auktionspreise) einiges sagen. Wir haben dort eine recht zuverlässige Gesamtschau der erzielten Bücherpreise von etwa 30 Euro aufwärts für den Zeitraum von rd. 20 Jahren - und zwar auch hier, wie beim 5-Jahres-Verzeichnis, graphisch-typographisch vorstellbar, sozusagen in der Hand zu halten. Das Auge kann daran maßnehmen!

Zurück wieder zum einzelnen Sammelgebiet. Es ist ungeheuer wichtig, daß wir den (für die Fachgebietsantiquare unter uns ohnehin selbstverständlichen) Gesichtspunkt der Darstellung der Sammelgebiete in einer Grob- und Feingliederung in Zukunft stärker betonen.

Die Verführung zum Büchersammeln auf einer unteren und mittleren Ebene kann (fast) nur über Sachgebiete, über einzelne Sammelsektoren laufen.

Stellen Sie sich dabei nicht nur bestehende, sondern auch mögliche zukünftige Sammelgebiete vor, etwa Schulbücher querbeet oder Unterhaltungsromane für Frauen, oder praktische Jugendliteratur (im weitesten Sinn) vom Anstandsbuch für Jünglinge bis zur Anleitung zur Weißzeugnäherei für höhere Töchter, oder französische Literatur in den (durchwegs schlechten) Übersetzungen vor 1945, oder Kirchengesangbücher. Vor allem aber natürlich die klassischen bekannten Sammelgebiete, ihrer etwa 80 an der Zahl.

Was sehen wir, wenn wir den 5-Jahres-Band und einen Radtke nebeneinander aufschlagen und darüber meditieren?

Nach meiner Einschätzung führt kein Weg daran vorbei, für jedes Sammelgebiet einen Referenzkatalog zu erstellen. Referenzkatalog heißt er, weil er die Titelaufnahme des Antiquares ersetzt durch eine Referenz.

Die Bezifferung im Referenzkatalog entspricht dem Michel-Nummernsystem beim Briefmarkensammeln. Ich habe im Netz stehen folgene Titelreferenz:

Lieberenz, Paul ; Berger, Arthur
Mit Sven Hedin durch Asiens Wüsten, nach dem Tagebuch des Filmoperateurs der Expedition Paul Lieberenz
Berlin: Wegweiser-Verl.: 1932: 383 S. : Ill.
bearb. von Arthur Berger, Volksverband der Bücherfreunde: Jahresreihe ; 13,4
74-KR-85

Hierbei ist 74-KR-85 die Schlüsselnummer des Referenz-Katalogs (74 das Sachgebietskürzel für "Reisen/ Geographie: Übersee")

Der Antiquar gibt bei der Titelaufnahme nur noch ein "74-KR-85" und fügt hinzu den Zustand, die Einbandart, die Widmungsfrage usw. und seinen Preis. Es ist also Schluß mit dem blödsinnigen "Titelei-Kopieren", auch mit den Titelübernahmen nach System w+h, vor allem auch mit dem gut gemeinten, vom Zeitaufwand aber irrsinnigen "Selberschreiben" der Titel.

Wir sehen nun, daß die Frage des Bücher-Michel unlösbar verbunden ist mit einer Generalrevision unserer bisherigen Form der Titelaufnahme. Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, den Nutzer mit dem Ablesen endloser Reihen fast identischer Titelaufnahmen zu  q u ä l e n - während er doch nach dem Referenzsystem in Sekundenschnelle eine Übersicht erhält:

- Halbleder, Widmung Goebbels an Olga Tschechova, benutzt  90,00 (Tautenhain, Stalinstadt)
- Broschiert, unsauber 9,80 (Heine, Empel-Rees)
- Bibliotheks-Ln. erfreulich  14,00  (Oxmox, St.Pauli)

Soweit zum Verkaufskatalog. Der Bücher-Michel aber leistet mehr: Er enthält in Schwarz alle feststellbaren Titel überhaupt, Wertangabe in blau für die jemals zu dem und dem Preis in welchem Zustand verkauften Titel, Wertangabe in rot für die derzeit tatsächlich zum Verkauf angebotenen Titel.

Zum  D r u c k  der Sachgebietskataloge muß auf die aktuellen (roten) Verkaufsangebote verzichtet werden, durch ein raffiniert ausgeklügeltes System muß Zustand und Mittelpreis eingearbeitet werden - hier dürfen wir uns den (echten Briefmarken-) Schwaneberger ruhig zum Vorbild nehmen - in einer von-bis-Preismarge, und vor allem muß innerhalb des Sachgebiets eine geschickte, teilweise standardisierte Sachgebietsuntergliederung stattfinden.

Das ist kein Hexenwerk. Schon die Zeitersparnis für die Kollegen und, vor allem, der  W e r b e w e r t  für das retrospektive Büchersammeln wären immens. Der "Büchermichel" muß mit einer Revolutionierung unseres Datenbanksystems verbunden sein.