Freitag, 5. August 2011

Buchpreisbindung im Antiquariat?



Antiquariat, Buchpreisbindung, Titelaufnahme, Momox und die Folgen

Ein bisher wenig beachteter, strategisch interessanter Gesichtspunkt im weiteren Zusammenhang Antiqariat vs.Neubuchhandel ist der automatische Verlust der Buchpreisbindung beim Übergang neuerer Titel ins Antiquariat. Ich spreche hier nicht von Modernem Antiquariat, auch nicht von gestempelten Retourenbüchern und anderen Prozeduren, die der Neubuchhandel seit jeher intern durchführt, ohne daß wir Antiquare viel damit zu tun bekämen - bis auf die leidige Frage, inwieweit die Stempelung mit ihren teils widerwärtigen und gehässigen Zwangsformulierungen ein Buch dauerhaft entwertet.

Ich weigere mich hartnäckig, schnippisch durch Gummistempel "Preisreduziertes Mängelexemplar" zerstörte Titel auch nur anzufassen, und jedesmal neu hasse ich die Täter. Es hätte längst ein anderer, schonenderer Weg gefunden werden müssen, um unberechtigte Umtauschrückgaben und andere Manipulationen reduzierter Neubücher zu unterbinden. Wer neuwertige Titel mit Filzschreiberlinien oder Stempeln im Schnitt verunziert, dem gehört der Umgang mit Büchern verboten.

Das ist aber nicht unser Regiebereich. Wir Antiquare erhalten bei der Titelaufnahme immer häufiger quasi die originale Titelei des Neubuchhandels vorgeführt, durch ISBN-Nummerneingabe oder - weitaus klüger - das automatisierte Einscannen der Buchnummern. Damit haben wir - oder könnten wir doch haben - immer auch den seinerzeitigen oder, falls noch lieferbar, den aktuellen  N e u p r e i s.

Zwei Anmerkungen gleich hier: Wenn es zur Reform der Titelaufnahme nach System Mulzer im Antiquariat kommt ("Freiburger Modell"), dann besorgen die Antiquare das, was der Neubuchhandel töricht und dümmlich versäumt hat und weiterhin versäumt - die echte, eingehende und  n o r m i e r t e  F e i n - Gliederung nach den Sachgebieten des Inhalts. Wir werden also in einer Übergangszeit wieder vom schematischen Einkopieren  der Titeleien des Neubuchhandels abkommen müssen, bis die neuen Sachgruppen-Standardtiteleien vorliegen und alle Antiquare - außer Momox und der Amazon-Abebooks-ZVAB-Krake - die neuen normierten Titeleien wieder durch Mausklick einkopieren können /dürfen.

Und, Punkt zwei, die Antiquare kennen natürlich (hoffentlich) die Markttendenzen, sie unterscheiden zwischen Büchern, die 20 Mark gekostet hatten im Buchhandel und heute nur noch einen Euro wert sind - und anderen mit einstmals gleichem Buchhandlungsneupreis, die heute 20 Euro bringen im Antiquariat. Zwar helfen uns da automatisierte "Preisfindungstools" für Antiquare weiter, aber die sind immer auch ein Stück weit des Teufels, hochgefährliche und zerstörerische Netz-Tändeleien, wir müssen ihnen demnächst einmal auf die Finger schauen - und hauen -, aber das ist ein anderes Thema.

Zurück zum Grundgedanken: Wäre es möglich, auch im Antiquariat zu einer Art Semi-Preisbindung zu kommen? Wer sagt eigentlich, daß die Antiquare nicht unter veränderten Bedingungen in irgendeiner ähnlichen Form "ihre" Preisbindung einführen sollten und könnten? Dabei würde man als wichtigste formale Variable, die das Neubuch vom antiquarischen unterscheidet, den unterschiedlichen Erhaltungszustand haben, der ist aber sehr gut definierbar und dann durch alle Kollegen standardisiert nachzuvollziehen.

Das kann gravierende Rückwirkungen haben auf den Ankauf, zum einen. Aber müssten die Rückwirkungen zum Beispiel auf unsere Kundschaft unbedingt nur negativ sein? Wir kommen ohnehin noch mehr als bisher - hoffentlich - vom Einzelankauf gewöhnlicher neuerer Titel weg und forcieren den Ankauf ganzer Lose und Nachlässe, was eine Neubelebung des flächendeckenden Ankaufs und rege Fahr-Bereitschaft erfordert. Lohnt sich fast immer! Dann rechnet der Kunde nicht penibel nach, was er ohnehin nicht darf, auch nicht nach den neuen System - die Absetzbarkeit der Titel ist ja weiterhin ganz unterschiedlich, unabhängig von freiem oder gebundenem Preis.

Die Auswirkungen auf Momox und Nachahmer sind dabei zu diskutieren, auch auf die von der Schweiz herüberschwappenden Billigst-Schuppen, und natürlich redet der heimliche Herrscher von 90 % unserer Internetantiquare, Amazon, hier ein bestimmendes Wort mit. Oder könnten wir das als Waffe der unabhängigen Antiquare gegen Amazon verwenden?

Ich würde mir wünschen, daß diese Grundfrage, die vor allzulanger Zeit unter den Antiquaren diskutiert worden ist, einmal gründlich untersucht würde. Wo bleiben unsere Wochenendseminare zu solchen und anderen Fragen in Frankfurt, in der Buchhändlerschule, mit gutem Kaffee, spendiert vom Börsenverein des Neubuchhandels für die Antiquare, seine ungeliebten Schmuddelkinder?

Die muntere Kuh gehört scout-logic. Wir danken für die Ausleihe.