Freitag, 5. August 2011

bookfarm.de - Freud und Leid der Dublettenverwertung

bookfarm.de - Freud und Leid der Dublettenverwertung

Werter Kollege von der Bücherfarm,

1.
da ich das Netz nicht systematisch mit Google danach absuche, was es Neues im Bereich des Antiquariats gibt, nehme ich immer wieder mit Dank die Hinweise des Börsenblatts auf. Heute komme ich zu Besuch auf Ihrer Bücherfarm.

Kein Zweifel, der Bauernhof der Bücher erfreut uns mit seiner Eingangsseite. Formen und Farben sind in ihrer Bescheidenheit, Ausgewogenheit und Harmonie perfekt, leise Anklänge an mehrere Kunstrichtungen in den USA 1930-1950 im Eingangsbild, eine (noch) kleinen Farm im mittleren Westen, die wegretuschierten Wirtschaftsgebäude nimmt man als Stilmittel wahr, der im Rand sichtbare Vordergrund könnte an eines der klassischen Fotos zur Land-Erosion in der großen Krise 1930 erinnern. Hübsch die Idee der hell erleuchteten Fenster: Hier wird emsig gearbeitet, das Licht des Geistes leuchtet.

Die bewußt altmodischen großen Klickfelder links - nach Fusion 4-Standard, mindestens 10 Jahre alt - sind heute schon wieder originell und klar und vernünftig. Ich würde meiner Seite, so ich eine hätte, im Zeitalter unserer vollgemüllten und durchgetricksten Superportale eine ähnlich einfache Gestaltung geben und die Entsetzensschreie moderner Webseitenbauer über die zugrundeliegenden HTML-Sünden geduldig ertragen.

Ein betrüblicher Fehler: 3 verschiedene Schriften, die etwas sehr künstlerische der Firmenbezeichnung, das vielleicht doch abgegriffene Standard-Arial und dann links in den Registern, das stört nun wirklich, eine zu keiner der beiden passende unschöne und zu groß geratene dritte Schrift.

Die Texte erfreuen uns inhaltlich nicht so ganz. Ich bin selber ein Ritter von den Doppelpunkten und übertreibe es gern damit. Aber wenn wie hier nach "die Lösung" im nächsten Satz gleich noch einer folgt, vier Zeilen tiefer noch einer, und immer an einer nicht unbedingt passenden Stelle, stört das ein wenig. Auch muß die Groß- und Kleinschreibung nach Doppelpunkten gelernt werden, bitte.

Die "Philosophie" eines Antiquariats soll der Verfasser bitte nicht bemühen. Der Mißbrauch des edlen Begriffs "Philosophie" für höchst alltägliche Sachverhalte ist unsinnig.

"Die ausgeschiedenen Buchmassen" klingt zynisch und erinnert an "ausgeschiedene Kotmassen" (tatsächlich ein medizinischer terminus technicus). Merke - auch die abgehärtetsten Bibliothekare lieben ihre Bücher und möchten die Objekte ihrer Sorge und Mühe nicht so bezeichnet wissen.

"Informations- und Wissenspotential" und "wissenschaftlicher Diskurs" sind in diesem trivialen Sachzusammenhang sinnloses Wortgeklingele. Sag es schlicht und klar! Es muß nicht wissenschaftlich anmuten, wenn du mit abgelegten Büchern hökern willst.

Nun gehts ans Eingemachte. "Auch die ältere Ausgabe eines wissenschaftlichen Buches kann für den Forschenden und Studierenden ein wertvolles Arbeitsinstrument darstellen.". Das stimmt für neuere Bücher, spätestens ab 1950, und für die allermeisten Sachgebiete eindeutig n i c h t. Nichts wird heute so mißachtet und beiseite geschoben wie überholte, ältere Auflagen - auch dort, wo es dafür kaum eine sachliche Rechtfertigung gibt. Als Buchantiquare können wir die Lese- und Kaufgewohnheiten unserer Kunden auf die Schnelle nicht ändern.

"die Bibliotheken können Ihren Bildungsauftrag effektiver erfüllen". Wir verstehen ja in etwa, was du damit sagen willst, aber einsam im Raum stehend ist dieser Satz purer Unfug.

"vom Stigma der „Buch-Entsorgung“ befreit". Fragen Sie mal Dr.Graf, wie niedrig das Schamgefühl der meisten Bibliotheken bezüglich der "Entsorgung" ihrer Bestände anzusetzen ist. Meine eigenen Erfahrungen und nicht zuletzt der skandalöse Eichstätter Fall, die schauerlichen Einzelheiten liefere auch ich Ihnen auf Anfrage seitenweise, deuten da auf eine sehr hohe Stigmatisierungsschwelle hin...

"wir als Unternehmer bringen „Buchfarmer“ in Lohn und Brot. So beschäftigen wir z.Z. 3 ehemalige arbeitslose Akademiker, davon 2 in der Umschulung. ". Würde ich so nicht schreiben. "in Lohn und Brot bringen" klingt heute reaktionär und erinnert an ostelbische Rittergüter. Auch muß man nicht auf die Personal-Erbarmungstour gehen, das hatte schon Wölki falsch gemacht.

Nun kommts knüppeldick. Sie erschrecken die meist sehr klugen Bibliotheksreferenten bis ins Mark, wenn Sie von der "Wideraufbereitungsanlage" sprechen. Zwischen welchen älteren Handbuchauflagen haben Sie das "e" versteckt?

"Die in unserem Sortierlager eintreffenden Bücher, werden in Sach- und Zustandsgruppen vorsortiert, dies ist die Zustandsprüfung." Erstens haben wir hier ein ganz falsches Komma, und dann scheint der Satz in sich völliger Unfug zu sein. Denn die Sortierung in Sachgruppen ist nun gerade nicht die "Zustandsprüfung".

die besseren Titel wandern in die „Relevanzprüfung“... Sie meinen "die besser erhaltenen", dann sagen Sie das auch. Im tieferen Sinn suchen Sie die "besseren" Titel ja erst in der "Relevanzprüfung" aus. Ein törichtes Fremdwort, das Sie jedenfalls erläutern müssen - "relevant" für wen, für was, in welcher Hinsicht? Merke: Wer sich an Bibliotheken wendet, den Bibliothekaren in ihr Geschäft hineinredet, der darf sie nicht durch böse Denk- und Methodenfehler vergrämen.

Der Text unter der Registerkarte "das Problem" ist rundum gescheit und auch sachlich richtig.

Ihr Ton im Bereich "Referenzen" ist zu neudeutsch-angeberisch, zu kess. Das mögen Bibliothekare gar nicht. "...unsere Kunden mit der Abwicklung sehr zufrieden sind" . Guter, zurückhaltender Ton ist es, die Referenzen "auf Anfrage" zur Verfügung zu stellen. Auch sieht sich nicht jede Bibliothek gern als Werbemittel verwendet.

Immer dort, wo auf Ihrer Webseite die Praxis durchkommt, erkenne ich eine vernünftige Grundhaltung und klaren Blick. Vermeiden Sie doch besser alle Ausflüge ins Reich der bibliothekarischen Theorie.

Fazit: Eine sehr sympathisch gestaltete Webseite, die formal positiv absticht von den oft allzu aufgemotzten Antiquariatswebseiten.

2.
Und nun die Frage, ob sich das denn wohl lohnen kann.

Im Blick haben Sie ja veraltete Handbuch-Auflagen. Das sollten Sie vergessen und sich stattdessen auf Dublettenbestände konzentrieren, zu denen im weiteren Sinn auch abgewählte ganze Sachgebiete gehören.

Ich habe seit Jahren immer wieder mit Bibliotheksdoubletten zu tun, in meinem Fall ausschließlich mit älteren aus der Zeit 1800-1945. Da kann ich Ihnen aus der Praxis sagen, daß das Geschäft mit den Doubletten und mit ausgeschiedenen Bibliotheksbeständen überhaupt zwar sehr mühsam und umständlich läuft, äußerst zeitaufwendig ist, sich über "Zimelien" in aller Regel leider nicht refinanzieren läßt - aber es lohnt sich durchaus. Mir fällt da immer ein "kleine Brötchen auf lange Sicht hin backen".

Radikale Vereinfachung aller Arbeitsvorgänge ist aber angesagt. Nicht zuletzt die Bearbeitung von ausgeschiedenen Bibliotheksbeständen brachte mich zur Rationalisierungsidee des Bücherhauses, siehe meinen Text von vorgestern. Wird sowas nicht zentral und nicht teilautomatisiert bearbeitet, dann ist das Resultat aus der Dublettenverwertung deutlich unter dem besserer Privatankäufe, nährt aber trotzdem noch seinen Mann, wenn es ältere Bestände sind.

Sie gedenken nun aber mit neueren Beständen zu arbeiten. Ich sehe da sehr viele Fragen offen bezüglich der Rentabilität. Sie sollten sich bemühen, auch und vor allem ä l t e r e Bestände und kleinere, speziellere M o n o g r a p h i e n zu erhalten. Ältere Auflagen von Handbüchern und Standardwerken gehen nur sehr schwer und müssen im Netz dann so billig abgegeben werden, daß ich ohne Zentralisierung der Bearbeitung und des Versands kein gutes Ende sehen kann für Ihr Vorhaben.

Sie können versuchen, notfalls auch über den dornigen (Um-)Weg der Büchertisch-Übernahme veralteter Auflagen, zu einem S p e z i a l i s t e n für D u b l e t t e n -Übernahme zu werden. Das kann durchaus klappen, erfordert aber sehr wendige und schnelle Fahrbereitschaft, am besten ein älterer technisch gepflegter VW-Bus und sehr viel Zeiteinsatz, in ganz Deutschland. Und dann einen langen Atem - auf vier Dublettenposten, die sich nicht lohnen, kommt einer, an dem wirklich was zu verdienen ist.

Mein Rat: Vergessen Sie die Schnapsidee mit den "Altauflagen". Verwerten Sie stattdessen generell Altbestände, Bestandsabgaben von Bibliotheken, vor allem auch von Universitätsinstituten wegen thematischer Umwidmung usw. - Daß das in kürzester Zeit zu einem riesigen Lager führt, das wissen Sie! Es gilt also, die Personalkosten im Auge zu behalten, unendlich fleißig einzuliefern, dann geht das schon. War nicht Liebing in Würzburg im Grunde so ein Dublettenmann?

Ich wünsche Ihnen alles Gute, und behalten Sie das hübsche Startbild bei. Eine Farm mit vielen, vielen Bücher-Hühnern, die aufgeregt gackern und ab und zu ein Ei legen... und immer mehr... und ganz viele...



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