Freitag, 5. August 2011

Webseitentest : Cassel & Lampe / Paulitz


Webseitentest deutscher Antiquariate :
 Cassel & Lampe / Paulitz



Heute lade ich Sie zu einem Sonntagsspaziergang durch die deutschen Antiquariate ein. Eine Stunde Zeit - mal sehen, wie weit wir kommen.
Jede Webseite, die sich an Kunden im Netz wendet, muß sich öffentlicher Kritik stellen. Als Webseitenbauer beanspruche, ja benutze ich die Geduld, die Zeit, die Aufmerksamkeit meiner Leser. Der Verfasser sieht sich in diesem Sinn mit seinen - in der Regel äußerst unbeliebten - Webseitentests gegenüber den Antiquariaten als Anwalt einer größeren Öffentlichkeit. Seine Urteile sind stets subjektiver Natur, werden aber nach bestem Wissen abgegeben.


1.
Das Antiquariat Cassel & Lampe in Berlin erfreut uns mit einer Eingangsseite
wie sie sich schöner und stimmungsvoller kaum denken läßt. Ich habe sie mir sofort ausgedruckt und als lobenswertes Beispiel an die Pinnwand geheftet. Hier erwartet uns nun, da war ich mir sicher, ein gutes Beispiel eines "betretbaren Ladens" im Internet, dessen Besuch uns fesseln und zum Wiederkommen ermuntern würde - ideal zum Vernetzen geeignet .

Die Enttäuschung beim schüchternen Hineinwandern in die Webseite ist herb. Ohne jeden Kommentar sehen wir eine Suchmaske von äußerst nüchternem Zuschnitt - das ist nicht anders als in einem Cafe, das uns von außen mit hübschen Vorhängen und Kuchenattrappen einlädt, innen aber knallt man uns eine Automatenwand mit Münzeinwurf vor die Nase.

Die Kollegen haben - unglücklicherweise - die optisch und taktisch höchst mittelmäßigen Titeldarstellungen der Genossenschaft für ihre Webseite ausgewählt, sodaß man sich  mit den fehlenden Querlesequalitäten bei Antiquariat.de herumschlagen muß. Wieviel schöner und lesbarer das mit einer Abebooks-Maske zu machen gewesen wäre, sehen wir beim direkten Vergleich der Cassel & Lampe-Titel dort, denn sie listen sowohl bei Abebooks.de als auch bei Antiquariat.de.

Nun bestünde noch die Chance, das kommentarlose Einsetzen des Antiquariat.de-Katalogausschnitts auszugleichen mit einer zauberhaft schönen oder doch wenigstens einfallsreichen, nett formulierten restlichen Seite. Wie sieht es da aus?

Nicht einmal die - erkennbar automatisch generierte - Liste der Sachgebiete, die zu Erläuterungen und Selbstvorstellungen - vulgo zur Individualisierung - nun wirklich einlädt, wird auch nur mit einem Wörtchen ergänzt.

Die werten Kollegen scheinen ihr Antiquariat für ein Trappistenkloster zu halten und ihre Kunden für taub und lesefeindlich.

Dazu paßt dann auch "Wir über uns". Es ist  u n f r e u n d l i c h, wenn ich auch unter dieser Rubrik erst einmal in extenso die administrativen Pflichtangaben bringe und mir dann , am Fuß der Seite fast verborgen, einige persönliche Sätze abquäle. Es ist den Verfassern, das am Rande, gelungen, in drei Sätzen einen Grammatik- und zwei Zeichenfehler unterzubringen.

Fazit: Das  e i n z i g e  Persönliche in dieser ganzen Webseite ist die wirklich hübsche Formulierung: "Öffnungszeiten: Mo.-Fr.: 13-18:30 Uhr, nach telefonischer Vereinbarung und wenn wir da sind. "

Aber das ist ihnen wohl eher aus Versehen unterlaufen - etwas Persönliches, igitt, wie konnten wir nur.

Fazit meiner persönlichen Einschätzung: Diese Webseite ist eiskalt, unsympathisch, wirkt auf den Besucher wie eine Ohrfeige.

Und das nach diesem schönen Eingangsfoto...



2.
Theodor-Storm-Antiquariat Paulitz

A.
Die Eingangsseite ist überraschend in einer Art Blogform gehalten - gar nicht ungeschickt, im Gegenteil, das lädt zum Verweilen und Lesen ein, macht neugierig. Dem Quelltext entnehmen wir, daß es sich um ein Wordpress-Derivat handelt.

Schon auf den ersten Blick werden einige Geschmacksfehler deutlich, über die man aber streiten kann. Jene unselige, ganz verwerfliche Unsitte, aus Jux und Dollerei lange Textpassagen in blassblauer oder blassgrauer Schrift abzuschwächen, sie quasi optisch zu verhehlen, ärgert mich als schnellen Querleser sehr. Aber vielleicht lieben ja jüngere Augen diese heillose typographische Afferei... Sei's drum.

Inhaltlich stört es mich, wenn nach meinem Gefühl eher "zufällig" ausgewählte Kulturereignisse, hier mit dem Begriff "Kulturnachrichten" gespitzmarkt, im rechten Begleitfeld gebracht werden. Das sieht verzweifelt nach "Content"-Füllerei auf Teufel komm raus aus, eine Sünde, die uns Wattig und leider mitunter auch Pardun immer wieder vormachen. Kollege Paulitz mag sich ja durchaus etwas gedacht haben bei der Auswahl seiner "Kulturnachrichten", aber ich sehe weder eine rote Linie darin noch irgendeinen Zusammenhang mit dem Antiquariat.

Gretchenfrage: Wie halten wir es mit dem Portrait gleich zu Anfang der Antiquariatsseite? Wenn es so sympathisch-zurückhaltend, ernst und in Schwarzweiß gebracht wird wie hier, geht es durchaus an. Kommt es aber so, wie es zu Zeiten auch im Börsenblatt die Mode war, nänmlich "erfolgreich" den Betrachter in aufgehübschten Knallfarben direkt angrinsend oder mit Feldherrnblick "erfolgreich" strahlend, dann ist es ein Greuel und psychologische Vergewaltigung. Nochmals - so wie hier ist das angängig. Aber anders bitte im Zweifelsfall eher nicht.

Der Einführungstext (und das ist nun keine Geschmackssache mehr) muß mit "Thema verfehlt" benotet werden. Er ist kein Eingangstext für eine Antiquariatsseite. Urteilen Sie selbst:

"Herzlich willkommen im Theodor-Storm-Antiquariat. Hier bei uns im Herzen Schleswig-Holsteins, in der schönen Gemeinde Hanerau-Hademarschen, verbrachte Theodor Storm seinen Lebensabend: von 1880 bis zu seinem Tode am 4. Juli 1888
lebte er in unserer Gemeinde.

Hier entsprang der “Schimmelreiter” seiner Feder, und auch die “zwei Königskinder” erblickten
hier das Licht der Welt.

Wenn Sie in einer hellen Mittsommernacht oder an einem herbstlichen Nebelmorgen
über die hiesigen Felder und Weiden schauen, so glauben Sie, Hauke Haien,
hinter dem sich wahrscheinlich Hans Momsen aus dem unweiten Fahretoft verbirgt,
am Horizont dahineilen zu sehen.

Doch natürlich halten wir nicht nur die Werke Theodor Storms für Sie bereit. Unsere Kataloge umfassen eine Vielzahl von Sachgebieten und werden ständig erweitert."

Lieber Kollege Paulitz, das ist Fremdenverkehrsschmus und Ihres guten Antiquariats unwürdig.

Die Registerkarten im Band oben wollen mir nicht gefallen. Das wichtigste, die Startseite, ist zu eng gehalten und mit dem netten Häuschen nicht eindeutig markiert, die anderen Karten verunsichern den klickwilligen Leser mit ihren unmotivierten Pfeilen nach rechts - was soll das?

Die "Neueingänge" derart lieblos, in ganz fürchterlich schlechter, grotesk unklar gesetzter Typographie ungeordnet auf die Startseite zu setzen, "das ist nicht gut" (Biester).

Irgendwie müssen Sie es fertigbringen, das stupide "keine Kommentare" aus Ihrer Wordpress-Seite herauszubekommen. Wenigstens nach den jeweiligen Titeleinträgen der "Neuzugänge".

Mit Verlaub, werter Kollege, Ihre Startseite ist nicht gut und ein Neubau ist dringend erforderlich. Nicht Herumbessern - Neukonstruktion!.

B.
Klicken wir neugierig auf "Online-Antiquariat", gelangen wir auf eine Zwischenseite. Weiterverweise mit der Formulierung "Lust auf gute Bücher ? –> Hier lang bitte" sind fast so nervtötend wie die berühmte "Baustelle".

Klicken wir uns durch, sind wir auf einmal in einer ganz anderen Webseitenlandschaft
Leider begrüßt uns dort der gleiche, eben schon kritisch beäugte Schmuse-Text des örtlichen Touristikbüros. Aber dann beginnt Dada in Reinkultur. Denn wir sollen gleich weiterklicken, hier bitte: "Um das Zielland für Ihre Bestellung auszuwählen klicken Sie bitte hier!"

Hoppla, kommen wir zur Geographie? Bitte sehr, wir klicken weiter, schon mit etwas müdem Finger.

Ach so, jetzt wissen wir, was gemeint war: "Ihr derzeitiges Auslieferungsland ist [DE] Deutschland um Ihr Auslieferungsland zu ändern wählen Sie es aus der Liste aus und klicken Sie auf "Weiter"."

Hier sind zwei Zeichen- ein Grammatik- und ein Sinnfehler in einem Satz versammelt. Auch eine Leistung.

Zurück zur vorherigen Seite.

Registerkarte "Ankauf" : Paulitz hat hier um die Ecke gedacht. Er setzt auf Übersendung von Büchern, getrennt nach größeren und kleineren Angeboten. Das ist brav und offenbar eine (leider ganz und gar mißglückte) Abart des Momox-Verfahrens. Lieber Kollege, ich fürchte, das geht so in der Praxis nicht.

Registerkarte "Autoren": In jeder, aber auch jeder Hinsicht völlig abstrus, was soll das? Wir sind im Wiki-Zeitalter; Ihre Kunden lachen -zurecht- schallend über solche Sekundaner-Ideen. Daß der Leser hier denkt, er dürfe unter dieser Karte gesuchte Autoren Ihres Bestands eingeben, steht noch auf einem anderen Blatt. Nicht den Besucher ärgern, nein, tun Sie es nicht...

Unter "Links" kommen nur drei Kollegen, unkommentiert. Nanu?

Die juristischen Texte zur Verlinkung sind rechtlich ebenso unwirksam wie unnötig. Was Sie zum Urheberrecht sagen, ist eine Luftnummer - es gilt das geltende Recht, und sonst gar nix. Löschen  Sie am besten die ganze Registerkarte.

Die "Neueingänge" sind so unleserlich wie auf der Startseite. Zu groß gesetzt, ohne Abstände, Semi-Schreibmaschinentype, keine Bilder - Unfug.

"Hier klicken: Produkte und Sachgebiete" - um Gotteswillen, was für "Produkte" bieten Sie denn sonst noch an? Dz, dz.

Gehen wir von dieser Sachgebietsliste aus,  d a n n  erst kommen wir in die besondere Listenform von "Biblioman". Die ist sehr originell und mit dem Farben- und Linienstrukturen gar nicht dumm. Darüber müßte man gelegentlich diskutieren. Aber das hat nit Ihrer Webseite im engeren Sinn nichts zu tun. Trotzdem, ich bin positiv überrascht - so schlecht ist "Biblioman" gar nicht!

Zurück zur ersten Wordpress-Startseite, es gibt übrigens keinen direkten Weg zurück aus dem zweiten Seitengewirr ins erste, da haben wir den sympathischen Traktor-Fachmann und finden diesmal nun auch eine gescheite Ankaufs-Anmutung zuhanden verkaufswilliger Kunden; ganz am Ende auch die "Zeitsplitter".

Wir ahnen schon - da geht der Kollege wieder unter die schreibende Zunft. So ist es dann auch.

"Hatten verschiedene Kollegen zunächst auf ein Durchstarten von antiquariat.de ( ehemals prolibri.de ) gehofft, scheint dies an der Sprödheit der dortigen Protagonisten ein weiteres mal zu scheitern." -  S p r ö d i g k e i t ? So nett hat das noch niemand gesagt.

"...erreicht uns heute die Nachricht, dass das ZVAB von Abebooks übernommen wird". - Das ist die halbe Wahrheit. Der springende Punkt ist doch, daß Abebooks seinerseits AMAZON gehört. Wann, o sage mir wann lernen die Antiquare, strategisch zu denken?


Fazit: Hier haben wir keine Antiquariats-Webseite, sondern die gutgemeinte Ruinenlandschaft einer solchen.

Da uns Kollege Paulitz in der Vergangenheit bewiesen hat ("Antiquariatsanzeiger"), daß er Projekte durchaus  m u t i g  planen und durchziehen kann, möchte ich ihm zu einem Abriß mit schönem, gut geplantem Neubau seiner Webseite raten.


Die Rechte an der dargestellten Webseite oben gehören dem Antiquariat Cassel & Lampe in Berlin