Freitag, 5. August 2011

Kleiner Katechismus der Absatz- und Imagewerbung im Antiquariat (1)






Allenthalben werden zur Zeit "Werbestrategien" entwickelt für das Antiquariat. Daran möchte ich mich nun auch beteiligen. Weiteres folgt bei Gelegenheit. Ich verstehe diesen Text als eine Art Merkzettel. Die numerierten Abschnitte kann sich der Kollege ausschneiden, an die Wand pinnen und dann hin- und herschieben. Ich mache es auch so.


1.
Für ältere Titel vor etwa 1950 besteht eine Konkurrenzsituation mit anderen Antiquaren nur bei relativ wenigen Häufigkeitstiteln. Auch bei neueren Büchern ist die Preiskonkurrenz in der Praxis nicht so wichtig, als dies normalerweise angenommen wird. Mindestens 3/4 aller Titel, die der Antiquar anbietet, sind konkurrenzfrei.

Der Preisverfall bei Büchern, die regelmäßig häufiger als 3-4 mal im Netz angeboten werden, kann vermutlich nicht gestoppt werden. Die Markttransparenz ist auch wegen der Preissuchportale außerhalb des Gewerbes nicht zu verhindern. Dies gilt auch für Häufigkeitstitel im mittleren bis oberen Wertbereich.

Eine gewisse Hysterie in der Frage "Konkurrenzpreis / Konkurrenzunterbietung" unter den Antiquaren ist seit Jahren zu beobachten. Äußerst ungute, geradezu gehässige Preisunterbietungsmodule werden angewendet. Sie wirken sich im Einzelfall ärgerlich aus, spielen aber im mittleren und oberen Bereich des Antiquariats keine Rolle.

Werbekonzepte, die Regeln von außen ins Antiquariat übertragen wollen, verkennen regelmäßig die Seltenheit von 3/4 der besseren Titel, die der Antiquar anbietet. Regeln, die in anderen Warengattungen ihre Berechtigung haben, gelten im Antiquariat nicht immer.

Es ist nützlich, im Antiquariat in allen Zusammenhängen den Konkurrenzgedanken in Zukunft niedriger zu hängen. Dort, wo er eine bedeutsame Rolle spielen sollte, im Ankauf nämlich, wird er gemeinhin sträflich unterschätzt.


2.
Nicht nur das Durchschnittsalter der Antiquare ist sehr hoch - auch ihre Kunden sind typischerweise zwischen 40 und 80 Jahre alt. Es ist daher ein völliges Unding, die "modernen" elektronischen Mittel in die Absatzwerbung - oder in die Verkehrsformen überhaupt - im Antiquariat einbringen zu wollen.

Alle Werbefachleute, die von außen zum Antiquariat gestoßen sind ( so z.B. Weinbrenner, Wattig, Pardun, auch der bewährte Insider Biester, jetzt Voigt) haben dem Antiquariat die Anwendung modernster Kommunikationsformen angeraten. Das ging mehr oder minder erbärmlich schief, die Beispiele kennt jeder Kollege, der die Diskussion verfolgt hat.

Zugrunde liegt ein logischer Fehlschluß: Natürlich bräuchte das Antiquariat dringendst jüngere Kunden. Aber die bekommt man nicht, indem man sich in ihre Netze einwählt, sich an ihren Medien beteiligt. Das ändert nämlich nichts daran, daß den jüngeren Leuten die Materie "Antiquariat" fremd ist und fremd bleibt.

Die klassischen Antiquariatskunden haben sich, inzwischen darf man feststellen nahezu restlos, an die Nutzung des Internets für ihre antiquarischen Such- und Kaufvorgänge gewöhnt.  Das war teilweise eine Entwicklung erst der letzten zwei, drei Jahre. Heute erreicht man mit elektronischen *konventionellen* Angeboten rd. 95 % aller Kunden. Alle *unkonventionellen* Netzmethoden sind aber in schöner Eindeutigkeit völlig wirkungslos geblieben im Antiquariat. Dabei darf nicht vergessen werden, daß dies auch eine Frage des T a k t e s  ist - Leander Wattigs aufdringliche Netzpräsenz führte unlängst zum Aufbau einer Haßseite, in der eine klare Sprache geführt wird: Buchkunden, noch mehr Antiquariatskunden wollen im Netz nicht "beworben" werden. Schon gar nicht taktlos, aber auch taktvoll - eher nicht.


3.
Das mittlere und obere Antiquariat, etwas unpräzise gleichzusetzen mit den Mitgliedern des "Verbands", hat traditionell wenig bis gar keinen Kontakt mit der Unterschicht des Gewerbes. Man kann das verstehen, gibt es doch kaum einen größeren Gegensatz als den des armseligen Kistenschiebers vor der Mensa irgendeiner Fachschule, kein Deodorant, Hemd zwei Wochen alt, Bücher abgegriffen oder MA-Schund übelster Sorte - und einem Antiquariat auf der Kö in Düsseldorf.

Diese Kontaktscheu besteht von unten nach oben in noch größerem Ausmaß - bei Besuchen in Foren dieser Schicht unseres Gewerbes wird ein Kollege, der ihrem Kreis nicht angehört, im Zweifelsfall negiert oder übel beschimpft. Selbst meine Nerven haben das nicht ausgehalten, die Schlichtheit und Einfalt, die erkennbare Armseligkeit - Ausnahmen bestätigen die Regel - geistig wie materiell machen den Dialog fast unmöglich. Es hilft nun aber nichts, wenn wir diesen Gegensatz übertünchen, höfliche Distanz wahren, das Problem für nicht existent erklären.

Das geht deshalb nicht, weil unser Image als Antiquar durch die Unterschicht unseres Gewerbes (womit auch Bettel- und Billigketten nach Schweizer Art gemeint sind) schwer beschädigt wird. Auch hier haben wir bisher ein falsches Feindbild - nicht die "Privatanbieter" schaden uns, die sind als solche meist auch für den Laien erkennbar. Wer uns schadet, das sind die Antiquare der schäbigen, dummen, armseligen Sorte.

Ich darf das als alter Sozialist (daran wird nun kein Kollege mehr zweifeln) so deutlich sagen. Und weil ich sozialistisch eingestellt bin, fordere ich mich und alle Kollegen im gleichen Atemzug auf, diesen unglücklichen Kollegen von unten zu  h e l f e n. Sie müssen beschult, eingegliedert, irgendwie organisiert und einem Ehrenkodex verpflichtet werden.

Nicht nur, aber auch weil sie sonst das Image des Antiquariats weiterhin fortfahren zu beschädigen.


4.
In Voigts kreuzunglücklicher Formulierung von "neutralen" Daten als Grundlage für die Öffentlichkeitsarbeit  des einzelnen Antiquars steckt eine tiefe Wahrheit, wenn wir sie in etwas anderer Form anwenden, als er sie gemeint hat:

Wir müssen unsere Kataloge, Listen, Angebote, Datenbanken, Portale, Webverbünde für den  Außenseiter, den (Noch-) Nichtkunden, transparenter, verständlicher gestalten. Was immer wir auch an neuen Kundenschichten gewinnen wollen, wir haben es dann mit Leuten zu tun, die bisher ungeübt sind im Lesen von Bibliographien, die Mühe haben mit Katalogen, die viele Bilder und wenig Text fordern. Ich weiß bis heute nicht, ob es Kollege Wimbauer ernst oder ironisch gemeint hatte, als er auf meine Kurzmail, viele Antiquare verstünden nicht, was "englische Broschur" sei, geschweige denn seine Kunden, meinen Einwand flapsig abgewehrt hatte.

Wir müssen, als eine (von mehreren) Vorbedingungen für die Gewinnung neuer Käuferschichten also unsere Standards verständlicher gestalten, uns hie und da etwas zurücknehmen, auch wenn wir so gern schreiben ADB Bd. 12, Sp. 875 oder Thieme-Becker 3.A. R(k)213. - In diesen Zusammenhang gehören auch neue Titelaufnahme-Standardisierungen. Die alten Regeln sind zum Teil töricht, sie gehören auf dem Müll. So ist es endlich notwendig, die historischen (auch in sich leicht absurden, aber lassen wir das) Druckbogen-Formate zu verlassen und zu Zentimetermaßen zu kommen. - Wer weiß wirklich, was "Halbfranz" ist?

Wenn wir neue Käuferschichten wollen, müssen wir auf manche liebgewonnene Berufsattitude verzichten.


5.
Es kann nur  e i n  Portal geben, und das muß sich - als technisches Berufsinstrument - im Besitz der Antiquare befinden. Wir sind, begleitet von meinen Kassandrarufen seit über einem Jahrzehnt, nun dermaßen auf den Hund gekommen, daß auch der letzte Kollege begreifen muß: So wie bisher geht es nicht weiter.

Da wir hier nur von Werbetechnik sprechen wollen: Es gilt, das unverantwortliche Gerede von den "vielen netten Portalen" endlich als das zu entlarven, was es ist - lächerliches, peinliches, dummes und vor allem unverantwortliches Gerede. Die Klickmechanismen, der Bekanntheitsgrad im Netz ist von einer bestimmten Stufe ab kaum mehr zu beeinflussen, zu korrigieren, man kann nicht angehen gegen  90 % Internetabsatz der Amazon-Abebooks-ZVAB-Krake im deutschen Sprachraum (von Ebay abgesehen).

Nun könnte das ja egal sein, Hauptsache unsere Bücher werden dort verkauft. Die Werbeinteressen des Amazon-Megaportals sind aber andere als die der einzelnen teilnehmenden Antiquare. Das  W e r b e z i e l  der Amezon-Krake ist nicht deckungsgleich mit dem der Antiquare. Wir Antiquare sind, von Momox abgesehen, ganz überwiegend Kleinunternehmer. Unsere Werbeinteressen münden "eigentlich" in einen Webseitenverband, ein Webseitenbündnis, bei dem jeder Kollege seine eigene Firma (be-)wahrt und bewirbt.

Mit jedem Verkauf über den Amazon-Abebooks-ZVAB-Verbund stärken wir auch die Werbemacht dieses Megaportals und schwächen zugleich unsere Chance, jemals wieder auf eigenen Absatz-Füßen zu stehen. Denn es ist die Klickbereitschaft, die Kaufgewohnheit, die Kundenzufriedenheit, die wir als Werbewert der Megakrake zuschustern. Wir verschenken unseren Werbewert an die Krake, Tag für Tag.

Gibt es werbestrategisch gesehen etwas Teuflischeres, ist ein blöderes Dilemma denkbar als das eben geschilderte?