Freitag, 5. August 2011

Kann eine Ladenpartnerschaft zwischen Neubuchhandel und Antiquariat gelingen?



Kann eine Ladenpartnerschaft zwischen Neubuchhandel und Antiquariat gelingen?





Es lohnt sich, aus der Antiquariatsabteilung des Börsenblatts zu den Neubuchhändlern hinüberzuschauen, wo noch lebendig diskutiert werden darf.

Das Interwiew mit Tchibo-Chef Markus Conrad habe ich mit Vergnügen studiert und schließe mich dem Leserkommentar von Michael Dreusicke an, der schreibt: "Auf so dichtem Raum so viele treffende Informationen unterzubringen, ist für mich sowohl sprachlich wie inhaltlich ein Hochgenuss. Ein großartiges Interview!"

Noch interessanter finde ich die Gedanken des Kollegen Markus Groß im gleichen Kommentarteil.

Schade, daß Dr. Biester solche für das Antiquariat hochwichtigen Überlegungen nicht in seine Sparte hinüberzieht. -  Ich darf zitieren:

"Es gibt ein flächendeckendes Sterben von Ladenantiquariaten. Neu-Buchhändler sehen zu selten, dass das sie betrifft oder betreffen könnte. Die Kunden von Antiquariaten sind Leser, sind zumindest buchaffin. Warum also nicht Neubuch und Gebrauchtbuch/antiquarisches Buch unter einem Dach. Wie auch immer das im Einzelfall aussieht. Ich habe 2 Buchhandlungen. In beiden gibt es auch (unterschiedlich in der Menge) gebrauchte und antiquarische Bücher. Gleichzeitig (demnächst aber räumlich getrennt) kaufen wir Altbücher an und bestücken diverse online-Plattformen. D.h. angekaufte Bücher können entweder online oder stationär angeboten werden - das verbessert die Margen und bringt mehr Kunden in den Laden. Aber: Jeder muß seine eigene Startegie finden. Übrigens: Warum ermöglichen es Antiquariate ihren Kunden nicht, auch mal ein Neubuch dort zu bestellen?"

"Kleiner Einschub: Warum gibt es eigentlich keinen kleinen 'Verlag der Antiquare', in dem (als Gegengewicht zu googlebook) vergiffene interessante Bücher neu aufgelegt werden. Für die, die sie lesen wollen ... und zB als BoD Titel weil preiswert. Das Naserümpfen der Edelantiquare ignoriere ich ... irgendwer Interesse?? Und: Ja, das bringt auch finanziell etwas und das Risiko ist begrenzt. Versuchen??"

Beide Punkte bergen in sich ausreichend Stoff für Wochenend-Tagungen (Buchhändlerschule Frankfurt, wir kommen), denn sie könnten wichtige Bausteine für einen Ausbau, ja für den N e u b a u  des Antiquariats werden und zugleich den krebsenden kleineren Buchhandlungen Anregungen bieten.

Sehen wir mal näher hin.

A.
Wie so oft müssen wir etwas Methodik in die Diskussion einbringen, sonst wird gar nichts klar. Es gibt, sagen wir ungeschützt, zwei Grundformen des Ladenantiquariats. Die eine nähert sich dem Flohmarkt an oder sie tut wenigstens so. Es gibt die Bücher, womöglich vor dem Laden, die in Bananenkartons oder, noch schlimmer, in Plastikcontainer gebiegt, zum "Grabbeln", auf rohen Atelier- oder Tapetezierbeinen. Auch gute, mittlere Kollegen meinen, auf solche Attribute nicht verzichten zu sollen, da sie Kunden anziehen würden. Das ist ein schädliches Ammenmärchen! Mittlere Antiquariate versauen sich das ganze Image, wenn sie sich dergestalt der Flohmarktebene anbiedern.

Ähnlich widerlich und schädlich ist das entgegengesetzte Extrem, in das peinlicherweise geade Billigantiquariate mit höchst fragwürdiger Ware verfallen - nämlich in Sauberkeit, Pingeligkeit und sonstiger Darbietung die Neubuchhandlung zu imitieren. Das hasse ich, weil es verlogen wirkt.

Wir sehen also im Laden-Antiquariat eine *Anbiederung nach unten (Flohmarktstil) und eine *Anschmusung nach oben (Neubuchhandlungsstil). Beides ist von Übel. Es muß vielmehr eine  m i t t l e r e  S c h i e n e  im Ladenantiquariat gefahren werden. Musterbeispiel für eine gute mittlere Schiene im Ladengeschäft des Antiquars ist das uns allen visuell ja bestens bekannte Wilsberg-Antiquariat in Münster. So - und nicht anders.

Wenn wir uns da einig sind, würde ich Thesen aufstellen, über die man streiten sollte.

1)
Das Antiquariat muß sauber und deutlich erkennbar abgetrennt werden vom Neubuchsortiment. Die mir bekannten, sehr wenigen Beispiele, in denen beide Sortimente vermischt wurden, waren völlig chaotisch und in jeder Hinsicht unbefriedigend. Das "Sauberkeitsimage" des Neubuchs kann nicht gewahrt werden, wenn daneben oder gleich darunter ein staubiges Gebrauchtbuch steht. Und auch das antiquarische Buch wirkt plötzlich schäbig und "alt" neben seinem verlagsneuen Bruder. Das geht nicht!

2)
Von den Preisen her sehe ich kein Problem. Der Kunde, auch der buchferne, hat es im Gefühl, daß gebrauchte Ware etwa die Hälfte, sehr benutzte nur ein Drittel der gleichen Neuware kostet. Solche Differenzen und Abstufungen werden als organisch empfunden - null Schwierigkeit.

3)
Ich muß die beiden Grundbereiche Neubuchhandlung und Antiquariat, sogar dann, wenn nur ein gemeinsamer größerer Raum zur Verfügung steht, auch einrichtungsmäßig abschotten, so gut es geht. Die Buchhandlung ist eher ein "Steh"-Bereich, das war sie schon immer und die Lesesessel und Leseecken sind zwar erfreulich und wünschbar, gehören aber nicht zwingend zur Neubuchhandlung vom Image her. - Anders beim Antiquariat. Hier ist die Leseecke, sind die Lesesessel fast die Seele des Ladens, hier lesen die Kunden viel länger und konzentrierter als in der Neubuchhandlung. Hat der Antiquar dafür keine Vorsorge getroffen, rächt sich solche Versäumnis bitter.

Es ist nun ein Ding der Unmöglichkeit, den Neubuchkunden neben einem Antiquariatskunden in der Sitzgruppe zu haben, denn auch und gerade beim Lesen in der Hand des Kunden stört sich die "alte" mit der "neuen" Ware. Ich muß also jedenfalls  z w e i  Erlebnisbereiche schaffen. Wenn mir das gelingt, und sei es nur durch zwei Lesebereiche in den entgegengesetzten Ecken des Ladens, dann kanns was werden.

4)
Nun ist aber das Geschäft des Antiquars ein völlig anderes als das des Neubuchhändlers. Dem verbreiteten Irrtum, es sei irgendeine Gemeinsamkeit zwischen dem Abarbeiten von Grosso-Neubestellungen und dem Ankaufen und Einordnen antiquarischer Literatur, muß man entgegentreten. In Wahrheit sind auch das zwei verschiedene Welten.

Das führt uns zu der Überlegung, ob die Kooperation zwischen Neubuchhandlung und Antiquariat nicht überhaupt besser als Zusammenarbeit zwischen zwei verschiedenen, durchaus getrennten Betrieben zu planen wäre. Dabei kommt uns ein wichtiges, ja ein - entscheidendes Merkmal zu Hilfe:

Der Neubuchhandel braucht zwingend Schaufenster und ebenerdige Lauflage. Im Antiquariat konnte man seit jeher, wenn - dies freilich als Bedingung - kleinere Schaukästen und Schaufensterteile zur Verfügung standen, auf großartige Schaufensterdekoration und Präsentation verzichten. Noch wichtiger ist die alte, inzwischen etwas vergessene Erfahrung, daß Ladenantiquariate in einem bequem zu erreichenden  e r s t e n  S t o c k  recht gut unterzubringen sind. Eine Treppe, falls sie nicht zu verwinkelt und gut ausgeschildert ist, wird akzeptiert.

Der Regelfall einer guten Kooperation des Neubuchhandels mit dem Antiquariat wird also darin bestehen, daß sich ein Neubuchhändler mit einem Antiquar in eine lockere, in jeder Hinsicht abgetrennte Art Betriebsgemeinschaft begibt, wobei der Antiquar die billigere Miete im ersten Stock (und natürlich eine Ecke des Neubuchladens zum "Appetitmachen") bezahlt, während die Neubuchhandlung unten wie bisher weitermacht.

Daß sich daraus eine neue gemeinsame Stärke, eine vielfältige Synergie ergibt, versteht sich von selbst. Auch in der Werbung wird man beide Betriebsformen immer säuberlich getrennt - bei gemeinsamem Auftritt - halten, um die schädliche Auswirkung des Antiquariats auf die Neubuchhandlung zu vermeiden.

Der Kunde will eine klare, saubere Neubuchhandlung, er darf nicht vermuten müssen, Neubücher mit Schmuddelcharakter zu erwerben. - Für das Antiquariat ist ein solches Abfärben nicht zu befürchten.

Vorteile also für beide!



Das Buchdeckelbild gehört dem Ökotopia-Verlag