Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 5. August 2011
MOMOX 2 oder: Vom schnellen Untergang der Edelantiquare
Geht man von dem Umsatzzahlen aus, hat Momox bereits 250 mittlere Kollegen verdrängt und damit, zurückhaltend gerechnet, ein gutes Viertel des gesamten deutschsprachigen Antiquariats erobert. Nach den Regeln des Marktes setzt sich dieser Prozeß nicht linear, sondern zunehmend progressiv fort.
Mit Sorge erfüllt mich, daß Momox dieser Einbruch in unser Gewerbe trotz schwerwiegender taktischer und psychgologischer Fehler gelungen ist. Denn Irrwege lassen sich korrigieren.
Im Fall von Momox prophezeie ich eine Parallellösung. Momox wird nicht einfach von der alte Erfolgsschiene abweichen, die ich gestern als das bezeichnet habe, was sie ist: Primitive Anbiederung, aufgesetzte Jugendlichkeit, dreiste Anschmusung. Diese Begriffe verwende ich wertfrei, nicht ohne Anerkennung für die Chuzpe des Schöpfers dieser Schrecklichkeiten.
Das bleibt so. Momox wird uns vielmehr mit einer Zweitfassung beglücken. Das bisherige Modell läuft unverdrossen weiter, mitsamt Babyblau und unzumutbarer Einlieferungsprozedur. Warum Bewährtes abschaffen?
Der große Einbruch wird auf dem Gebiet der Versteigerungen und Messen geschehen, er wird jene Kundenschichten im Fluge erobern, die sich durch das bisherige Momox-Modell eher abgestoßen fühlen.
Die Welt der gehobenen Antiquariatsware, mit Kunst- und Anlageobjekten im Randbereich des Buchs, mit Graphik und Pressendrucken, Inkunabeln und Erstausgaben ist noch weitaus l e i c h t e r und schneller zu erobern als die volksnahen, eher primitiven Sektoren des Antiquariats. Ein Momox 2 hat leichtes Spiel.
Trotzdem schätze ich auch die Leistung von Momox, aus der Flohmarkt- und Ladenebene heraus zu starten, sehr hoch ein. Das war und ist genial!
In der letzten Zeit, ehe die Kommentarfunktion des Börsenblatts, Abteilung Antiquariat, geschlossen wurde, hatte ich unter der Spitzmarke "Zukunft des Messewesens" angedeutet, wie naheliegend und elegant moderne elektronische Mittel den Messebesuch virtuell gestalten, ihn in Grenzen sogar ersetzen, jedenfalls aber erleichtern können. Ich zeigte auf, wie belämmernd altmodisch die Struktur der Messekojen ist, wie demütigend-blödsinnig das Herumstehen, Feilbieten und Hofieren der Aussteller gesehen werden kann. Meine Idee der Rundgangsfilme, strukturiert ins Netz gestellt, war sehr naheliegend.
Noch nicht aber sprachen wir von jener Absurdität, die in der fast gänzlichen Verleugnung der elektronischen Möglichkeiten durch Edelantiquariate und Versteigerungshäuser besteht. Während jede kleine Bibliothek inzwischen die unbedeutenden Handschriften nebensächlicher Bettelmönche aus Hinterbetkirchlein als Farbbilder mit unendlicher Auflösung ins Netz stellt - - scheinen die Edelkollegen und Versteigerungshäuser ihre oft weit bedeutenderen Objekte ängstlich einer modernen Netz-Ausstellung zu entziehen. Das ist peinlich und schrecklich, unangemessen und ganz hinterwäldlerisch.
Nun wird ein Momox für Gebildete, oder wie sonst es sich nennen wird (ich tippe auf einen sehr edlen Namen, der nicht an Momox erinnert), natürlich solche naheliegenden, neuen elektronischen Gestaltungsformen massiv übernehmen. Durch modernste Präsentation wird das Momox-für-Gebildete den Arbeitsbereich der Edelkollegen und Versteigerer weitaus s c h n e l l e r und radikaler erobern, als es dem bisherigen Momox-Modell im unteren und mittleren Antiquariatsbereich möglich war.
Während das klassische Momox in einen Markt eindringen mußte, in dem alte Flohmarkt-Hasen und knauserige Studienräte a. D. ein strenges Regiment führen - man liest die Foren dort nur mit Grausen über Umgangston und Härte der Argumentation, Fischweiber an den Landungsbrücken sind nix dagegen - , ist die hehre Welt der Edelantiquare
*vollkommen hilflos
einem konsequenten, hochmodern und akademisch organisierten Angriff im Momox-Stil preisgegeben. Nichts wird so rasch zusammenbrechen als die vermeintlich konservativen Strukturen dort, das gilt für den Käufer- noch mehr aber für den Verkäuferbereich.
Die meisten Regeln im unteren und mittleren Antiquariat sind solide abgeklopft auf ihre Haltbarkeit hin, es wird an- und verkauft, mehr oder minder trocken und vernünftig. Dagegen fußt der Edel- und Versteigerungsbereich über weite Strecken auf uneingestandenen M y t h e n und auf fragilen I m a g e - Werten.
Die Zahl der Fachleute, die sich im Edel- und Versteigerungsbereich wirklich auskennen, ist nicht groß. Vermutlich ringt sich daher auch niemand zu so frechen und erschreckenden Voraussagen durch, wie ich sie hier ausbreite. Meist kommen - man lese etwa den Kulturteil der FAZ - verzerrte Bilder und schiefe Parallelen aus dem benachbarten Universum des Kunsthandels herüber, es wird versucht, vom einen aufs andere zu schließen - was jämmerlich in die Irre führen muß. Oder es wird, weil die oberen Schichten des Antiquariats, von den Versteigerern abgesehen, oft streng segmentiert, spezialisiert sein müssen, das Ganze des Bereichs gar nicht gesehen.
Das obere, das Edelantiquariat ist mithin das
*ideale Opfer
für ein Parallel-Momox, das sorgfältig auf die Kundschaft in diesem Bereich abgestellt und eingestimmt wird.
Es steht schon in den Startlöchern, dieses Momox 2. Und dann gnade uns Gott.
Mein Dank für das Foto mit den 2 Geiern gilt kapstadt.org, die die Rechte daran besitzen