Freitag, 5. August 2011

Antrag an die deutsche Kartellbehörde, den Markt der Absatzmedien im deutschen Antiquariatsverkauf zu untersuchen



Antrag an die deutsche Kartellbehörde, den Markt der Absatzmedien im deutschen Antiquariatsverkauf zu untersuchen

Begründung:

Der deutsche Antiquariatsmarkt umfaßt - bei sehr umstrittenen Definitionskriterien in Bezug auf Qualifikation, Hauptberuflichkeit usw. - mindestens 500, vermutlich rd. 800, nach anderen Schätzungen bis 1000 Antiquare. In der Regel handelt es sich um Firmen mit 1-2 Arbeitskräften.

Weitere Merkmale sind chronische Unterkapitalisierung, sehr geringe Kreditwürdigkeit und nicht selten Armut im Sinn von Hartz 4. Es gibt starke schichten- bzw. pyramidenartige Abstufungen in der Art der Ware und ihrer Vermarktung. Eine mit 50-100 Kollegen zu beziffernde Führungsschicht - im Gewerbejargon "Edelantiquare" genannt - verfügt über gute bis sehr gute Fachkenntnisse, oft auch spezialisiert auf ein Fachgebiet.

Die Mittelschicht der Antiquare, geschätzte 200-300 Firmen,  hat teilweise (Tendenz stark abnehmend) ein Ladengeschäft, betreibt aber fast immer auch Internetabsatz. Heute ist es die Regel, daß sich der mittlere Antiquar ganz oder weitgehend auf den Vertrieb im Internet verläßt. - Fließend ist dann der Übergang zum "kleinen Antiquar", der neben Internetabsatz öfter auch Flohmärkte beliefert und modernes Antiquariat anbietet.

Allen drei Schichten ist recht konstant gemeinsam, daß der Internetabsatz in aller Regel das Rückgrat ihres Geschäfts  bildet. Das war noch vor 10 Jahren anders, als Ladengeschäft und Katalogverkauf dominierten.

Zwar stimmt dies dann nicht mit der Selbstdarstellung der Antiquare überein, aber es ist festzustellen, daß ihre eigenen Webseiten in aller Regel kümmerlich und wenig brauchbar sind, entsprechend ist der Verkauf über eigene Seiten erstaunlich gering, es werden Durchschnittszahlen von 1-5 Prozent genannt. Da alle Versuche der Antiquare, ihre eigenen Firmenwebseiten durch Linklisten und andere Zusammenschlüsse bekannter zu machen, im Ansatz gescheitert sind, ist auch mittelfristig ein Ausweichen der bedrängten Kollegen auf Absatz über ihre eigene Webseite völlig illusorisch bzw. würde lange Anlaufzeiten erfordern.

Gesicherte Zahlen über Absatzwege und Größenverhältnisse liegen nicht vor, weil die einzige Firma, die solches leisten könnte (w+h Wiesler), sie versorgt rd. 300-500 Antiquare mit Software, selbst verstrickt war oder ist mit ZVAB und anderen großen Datenbanken. Von ihr und einigen anderen Stellen sind aber immer wieder Schätzungen bzw. konkrete Teilzahlen durchgesickert bzw. veröffentlicht worden, sodaß mit aller Vorsicht eingegrenzt werden kann:

Anteil des Umsatzes
- durch Katalogverkauf (meist Fachkataloge) 0 - 40 %, im Schnitt aller Antiquare aber nur rd. 5-10 %
- durch Ladenverkauf (eigener Laden, aber auch Verkaufsmärkte) 0 - 50 %, im Schnitt aller Antiquare rd. 15 %
- über Ebay (wird im oberen und mittleren Bereich nur ausnahmsweise genutzt) 0 - 50 %, im Schnitt aller Antiquare 5-10 %
- über die großen Bücherdatenbanken insgesamt rd. 5-100 %, im Schnitt aller Antiquare 70-80 %

Bei den großen Bücherdatenbanken liegen die Zahlen etwas *exakter* vor, wenn es um deren einzelne Anteile am Markt geht:
- Abebooks wie auch ZVAB jeweils rd. 30-40 %,
- Amazon rd. 5-10 %,
- a l l e  anderen Datenbanken zusammen rd. 5-10 %
(die Metadatenbanken werden hier den ursprünglichen Datenbanken, auf die sie ja stets zurückverweisen, zugerechnet).

Während das ZVAB, seit vielen Jahren Marktführerin, inzwischen technisch und strategisch altbacken wirkt, ist Abebooks in jeder Hinsicht auf höchstem Weltstandard und wird in nächster Zeit das ZVAB überrunden, falls das nicht schon gesehen ist. Amazon dagegen nimmt als Datenbank zunächst für verlagsneue Bücher eine merkwürdige Zwitterstellung am Markt ein, spielt aber vor allem für die Unterschicht des Antiquariats eine zunehmend große Rolle.

Unter den kleinen Altbuchportalen mit sehr geringem Umsatz nimmt Antiquariat.de (vormals Prolibri) eine Sonderstellung ein, da sie genossenschaftlich organisiert ist. Suboptimal verwaltet leidet sie aber seit vielen Jahren an weitgehender Erfolglosigkeit. Die anderen Datenbanken sind völlig marginalisiert.


Zwei technische Hinweise: Fast alle Titelaufnahmen erfolgen mit der Software des Hauses w+h, das auch die Verteilung an die verschiedenen Datenbanken übernimmt. Nur wenige Antiquare können oder wollen Titel ohne die w+h-Software aufnehmen und einstellen. W+h gilt strategisch als undurchsichtig und muß bei jeder Marktbeobachtung mitberücksichtigt werden. Es war lange locker finanziell mit ZVAB verbunden. - Ebay wäre eine vernünftige Alternative zum Verkauf alter Bücher im Netz. Es gilt jedoch - zurecht - bei Antiquaren als unzumutbar und zeitlich unrentabel, dort Bücher einzustellen. Einem Zeitaufwand mit w+h-Software von 1-2 Minuten steht bei Ebay je Titel eine Arbeitszeit von 6-10 Minuten gegenüber. Ebay kann auch auf mittlere Sicht wegen teils deutlich zu niedriger Preise in keiner Weise eine Alternative sein für die Antiquare, das ist nicht denkbar.

Vielen Außenseitern des Gewerbes nicht klar ist die erstaunlich rigorose Abschottung des deutschsprachigen Altbuchmarktes. Abgesehen von hochpreisiger, international gefragter bibliophiler Ware über etwa 200 Euro sind die Außenverkäufe ins fremdsprachige Ausland seit Jahren gedeckelt bei 2-5 %, mit rücklaufender Tendenz, da Deutsch keine Lesesprache mehr ist im Ausland. Es ist deshalb nicht möglich, wie im englischsprachigen Bereich auf Datenbanken des Weltmarkts auszuweichen.

Die Bedingungen für Wettbewerber wären technisch gesehen auf den ersten Blick recht günstig. Über w+h kann grundsätzlich jede auch kleine Datenbank mit dem gleichen Titelmaterial versorgt werden, das auch die 3 großen Portale erhalten. Ferner sind auch die "Meta-Datenbanken" Träger von allen Portalen. Leider liegt aber die praktische Nutzung der Meta-Portale seit langem im niedrigen einstelligen Bereich, sodaß sich dadurch keine Milderung der Situation ergeben kann.

Das Wettbewerbshindernis besteht darin, daß sich Abebooks im Besitz von Amazon befindet, das ZVAB seinerseits befindet sich seit Frühjahr 2011 im Besitz von Abebooks.

Demnach besitzt Amazon ZVAB und Abebooks. Punkt.

In Zahlen ausgedrückt besitzt somit Amazon 60 - 90 % der Internet-Absatzmedien für rd. 60-80 % der deutschen Buchantiquare.

Diese Marktmacht ist erschreckend, erstaunlicher ist nur noch, daß sich die deutschen Kartellbehörden dafür bisher nicht interessiert haben.

Es ist nicht anzunehmen, daß der Weltkonzern Amazon ein besonderes Interesse per se daran hat, die Absatzwege der deutschen Antiquare zu monopolisieren um des daraus zu erlösenden direkten Gewinns halber. Vielmehr dürfte es ihm um die weitaus lohnendere Eroberung des deutschen N e u buchmarkts gehen.  Auf dem Weg zur N e u bucheroberung ist die Beherrschung des Antiquariatsabsatzes im deutschen Sprachraum eine Wegemarke. Es geht um die psychologischen Rückwirkungen auf den anspruchsvolleren Neubuchkäufer.

Sind die Antiquare also für Amazon in Deutschland vermutlich auch nur ein Bauernopfer, so tröstet sie das nicht darüber hinweg, daß sie mit Haut und Haaren an den Konzern verkauft worden sind und von einem freien Markt im deutschen Antiquariats-Internetabsatz zur Zeit wenig, in nächster Zukunft aber - ohne Gegensteuern - fast gar nicht mehr gesprochen werden kann.

Ich bitte die Kartellbehörde, diesen Sachverhalt zu untersuchen.


Das Bundeskartellamt unter blauem Himmel hat die Wirtschaftswoche fotografiert, der die Bildrechte gehören. Wir danken für die Ausleihe.