Sonntag, 7. August 2011

Sachkatalogisierung im Antiquariat - und der Amazon-Abebooks-ZVAB-Verbund


"Sklavenerziehung am Amazonas" (authentisches koloriertes Litho)

1.

Die mit Abstand klarste, übersichtlichste Darstellung der Erschließungstechniken von Buchinhalten - brauchbar vor allem auch für die Erfassung älterer Bücher - verbirgt sich im Netz als lokales PDF:

Gantert, Paul
Verbale Sacherschließung
2. Fachstudienabschnitt
(Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern, Fachbereich Archiv- und Bibliothekswesen)

Hier findet sich auf gerade einmal 58 Seiten ein Kompromiß zwischen den unendlich komplizierten Facharbeiten zu diesem Thema und den allzu knappen, lexikonartigen Wiki- und Handbuchübersichten.

Der Zugang zur Arbeit kann auch netzdidaktisch zweitverwertet werden:

Geben Sie in Google ein "retrospektive sacherschließung bücher". An dritter Stelle erscheint der Link zu unserem Text. Öffnen Sie ihn zunächst mit ADOBE - und schon ärgern Sie sich mit diesem überfrachteten Quälinstrument herum. Dann aber gehen Sie zum Link zurück und öffnen ihn mit dem darunter angebotenen "Quick View". Nun erhalten Sie über GOOGLE DOCS eine weitaus pfiffigere, blitzschnelle PDF-Ansicht. - Ende des Exkurses

Wir haben es im Antiquariat in der Regel mit älteren Titeln zu tun. Zwar variieren die Erscheinungsjahre der Bücher je nach Betriebsform - ein umtriebiges Ladengeschäft in der Universitätsstadt weist andere Buch-Altersstrukturen auf als ein Versand-Fachantiquariat für Wald und Forst, aber wenn wir die im Lauf der Jahre dazu (spärlich) veröffentlichten Angaben kumulieren, dann dürften die Bestände aller Antiquariate mit Druckdatum vor 1945 pauschal etwa 30-60 Prozent ausmachen.

Also tun wir gut daran, bei den Erschließungsformen auch unter älteren, "veralteten" Methoden Umschau zu halten. Mir ist seit Schülerzeiten vertraut eine Erschließungsmethode von Buchinhalten, die Sie im oben erwähnten Aufsatz ab S. 10 als "Eppelsheimer-Methode" bzw. "Mainzer Methode" erwähnt finden. Sie stellt einen Kompromiß dar zwischen älteren, freieren und moderneren, gebundeneren Erschließungsweisen, der in der praktischen Anwendung uns Antiquaren in der Tagesarbeit gerade noch zuzumuten wäre.

Während die Übersicht über die Vielfalt der Erschließungsmöglichkeiten im Gantert-Aufsatz nicht einfach aufzufinden ist im Netz, können Sie sich über Eppelsheimers Weg zur Sacherschließung via Google in jeder gewünschten Ausführlichkeit kundig machen. Es geht uns heute nicht um eine Diskussion, ob und wie "Eppelsheimer" den Bedürfnissen der Antiquare angepaßt werden kann und soll.

Ich habe vor Jahrzehnten praktisch miterlebt, wie schnell und gut Hilfsbibliothekare in größeren Volksbüchereien mit Eppelsheimer ihre Bücher sachkatalogisiert hatten, das geht tatsächlich wies Bretzelbacken. Was angelernte Volksbibliothekare können, das ist auch den Antiquaren zuzumuten: Bei jeder Titelaufnahme liegt in Zukunft, eines Tages, "unser" Eppelsheimer neben der Tastatur.

2.

Wir wissen nicht, ob das Kartellamt der drohenden Versklavung der deutschen Antiquare durch den Amazon-Verbund noch Einhalt gebieten kann.

Meine Einschätzung, daß Kollegen gekauft worden sind, beruht auf Hörensagen, ich kann und will das nicht belegen. Sollten solche Antiquare sich als "Auskunftspersonen" dem Kartellamt andienen, dann entstünde ein mehr als nur schiefes Bild. - Björn Biester wird fair genug sein, die Rücksichtnahme auf potentielle Anzeigenkunden für einmal beiseite zu lassen und dem Kartellamt alle seine Daten, auch die informellen,  zur Verfügung zu stellen. - Die große Unbekannte ist wiesler w+h und der dortige Verbund, nicht mehr und nicht weniger  die  S c h a l t z e n t r a l e  zwischen 300-500 Antiquaren und den Bücherdatenbanken. Dort liegen alle Daten und Umsatzzahlen vor. - Daß ich den Verband für allzu wurstig und nur auf die Interessen der Führungsriege im Antiquariat bezogen halte, ist ja kein Geheimnis. - Womöglich noch selektiver sind die Auskünfte, die die AG geben könnte, ähnlich selektiv übrigens wie die der GIAQ. Wenn wir also  a l l e i n  Wiesler und Co. als Auskunftsperson fürs Kartellamt haben, der mit den ganzen Zahlen aufwarten  k ö n n t e, dann steht die Kartellsache auf tönernen Füßen. Wenig Aussichten - vermutlich bleibt Amazon-Abebooks-ZVAB strahlender Sieger.

Es ist also an der Zeit, sich jetzt schon Gegenmaßnahmen gegen einen Konzern zu überlegen, dessen Marktbeherrschung im Internet-Buchabsatz, Sparte Antiquariat, in Deutschland zwischen 80 und 90 % beträgt ist, vom in fast jeder Hinsicht anders gearteten Ebay einmal abgesehen.

Was können die Antiquare tun, wozu der Amazon/ ZVAB /Abebooks-Verband nicht in der Lage ist?

Wer kein Geld und keine Macht hat, um sich im Netz durchzusetzen, der braucht eine Idee. Im Antiquariat ist das die gute, wirkungsvolle, praktisch brauchbare und wissenschaftlich (halbwegs) gesicherte S a c h e r s c h l i e ß u n g  der Titel.

Ich habe das Abebooks-Modell der aufeinander bezüglichen Buch v e r n e t z u n g, das in etwa auch dem Amazon-Procedere entspricht, gelobt und der Abebooks-Datenbank nicht zuletzt deshalb die mit Abstand beste Spitzennote gegeben. Dieses Modell fußt nicht nur, aber vor allem auf

- "wer dieses Buch gekauft hat, interessierte sich auch für ..."
- den Zusammenhänge bei den freiwilligen Kundenrezensionen,
- der Auswertung der Suchbegriffe der Kunden, soweit sie erfaßbar waren,

und auf weiteren Größen, die darzustellen hier zu langwierig wäre, natürlich auch das traditionelle Auswerten von Stich-/ Schlagwörtern in Titeln und Titelbeschreibungen sowie den zusätzlichen Stichwortangaben der Antiquare.

Alle diese Vorgehensweisen, so nützlich sie auch sein mögen (sie sind bei Amazon und Abebooks schon  s e h r  nützlich), ersetzen in gar keiner Weise die  d e n k e n d e  Vergabe von Sachgebietszuordnungen durch den Antiquar, der das Buch in  A u t o p s i e  durchblättern kann, sich das Inhaltsverzeichnis ansieht und, wofern er ein guter Antiquar ist, auch ein "Gefühl" dafür entwickelt und als Sachgruppenzuordnung niederschreibt, welche Sammler durch gerade dieses Buch angesprochen werden könnten.

In Klammern: Zu dem Zukunftsszenarium, das ich den Antiquaren ausmale, wenn sie, warte nur balde, unter dem Amazon-Joch seufzen und Amazon die Garrotte anzieht, gehört auch ein Z w a n g  der Antiquare, zu ihrem älteren Büchern neben der üblichen Titelbeschreibung eine solche "autopsierte" eigene Inhaltszuordnung zu liefern.

"Sonst können wir, im Interesse der Antiquare und ihrer Kunden, in Zukunft keine Titelaufnahmen mehr entgegennehmen". Solche an sich sehr heilsamen Zwangsmethoden wird Amazon den Antiquaren auferlegen - - wenn und weil sie sich nicht vorher freiwillig, dazu durchringen konnten.

Es versteht sich, daß die Antiquare, solang sie noch in Freiheit sind, selber darüber entscheiden können, welcher Datenbank sie ihre selbsterstellten Sachgebietserschließungen zuweisen - und welchen nicht. Wieder spielt hier übrigens Wiesler w+h eine Schlüsselrolle, ich sagte ja, diese schweigsame Firma wird uns in nächster Zeit noch öfter begegnen...

Einen Schritt weiter gedacht ist eine Sachgruppenzuordnung nach gemeinsam verabschiedetem Standard auch die Voraussetzung dafür, den  W e b s e i t e n v e r b u n d  voranzutreiben. Daß Kollege RFMeyer sein Kind verhungern läßt, heißt ja nicht, daß sich nicht großherzigere Nachbarn der Waise annehmen und sie ernähren werden.





Sonntagsspaziergang quer durch Google: 

 Mitteilung der Mediantis AG vom 7.2.03:
Mit dem Wegfall der zwei bestehenden Premium-Gebührenmodelle, und der damit verbundenen Exklusivitätsvergabe für den europäischen Raum, wird den Bedenken des Bundeskartellamtes gegen die bisherige Preisgestaltung Rechnung getragen, welches mit Einführung der neuen Gebührenmodelle zum 01.04.2003 das Verfahren gegen das ZVAB ohne Auflagen einstellen wird. Dadurch wird für die mediantis AG i.L., die auf der kommenden HV am 28.02.2003 die Fortführung der Gesellschaft beschließen soll, weitere Rechtssicherheit gegeben sein. Einer Expansion, auch international, der ZVAB-Plattform steht dann nichts mehr im Wege. 

Wenn Heinisch fürs Ausland schreibt:
(Press Release Abebooks 2.3.2011)
“With its great selection of rare and antiquarian books, ZVAB.com is an excellent complement to AbeBooks’ German used and antiquarian books offering,” said Hannes Blum, CEO of AbeBooks. “We are looking forward to working with ZVAB.com to make sure our customers can find and buy any book provided by ZVAB.com and AbeBooks sellers fast and conveniently.”
“The combination of ZVAB and Abebooks creates broader opportunity and faster functionality enhancements for our company,” said Bernd Heinisch, founder and a senior member of the management team at ZVAB.com. “Our goals remain the same: more orders, more functionality and outstanding customer service.”

Vom Ausland aus gesehen zeigt der Tiger Abebooks schon seine Krällchen:
http://www.theartofbooks.com/forum/YaBB.pl?num=1306962201

Selbst Soloantiquar Pardun geht der Taktik , in der laufenden ZVAB-Diskussion zu v e r h e h l e n, daß Abebooks seinerseits AMAZON gehört, voll auf den Leim:
http://der-solo-antiquar.de/markt-medien-marketing/89-markt-marketing-marken/435-zvab-fusion-folgen-und-chancen-13

Im Ausland verfangen solche plumpen Roßtäuschereien nicht:
Guy Weller in "The world book market":
What we are seeing here is something I first started writing about on this Forum some 5 years ago.
Guy Weller in "The world book market"
It is a consolidation of the LARGER players in our marketplace.

Although ZVAB/Choose is not exactly of mega-proportions, it has the twin virtues of longevity and a reasonably firmly-rusted-on customer set (particularly in Germany via ZVAB, less so with Choosebooks).

I was under the impression that ABE has long held a minority shareholding in ZVAB in any event, but could be mistaken there. And of course, that no longer is of significance.

This is an Amazon-based purchase, incidentally, not an "ABE" one. Azon is on a bit of a buying spree at present, and is seeking to complete as much market hegemony as it can simply purchase, before the "real" battle unfolds in a three-way fight for available market share between Amazon, eBay and Google. (Hervorhebung durch mich)

Claire schreibt ebendort u.a.:
It's crucial, I suspect, to keep pounding home the fact that Abe is just Amazon now.

Gretchenstreats läßt das alles ziemlich kalt. Sie frägt in 
www.amazonsellercommunity.com
(Juni 2011)
ganz ungerührt: Really, you need to start yet another thread regard Amazon's continuing efforts to monopolize the media markets on the internet?

RazorOlli im Medienhändlerforum hat Sinn für Humor (mag aber nicht weiter über den Sachverhalt nachdenken):
ZVAB kauft eurobuch, abebooks kauft zvab, amazon kauft abebooks....

Das erinnert ja schon bald an diese Geschichten aus der Bibel, von wegen "Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte...." u.s.w.

Am Ende gehört eh alles der Tyrell Corporation...

Die zum Teil himmelschreiend naiven Stellungnahmen im "Buchreport" muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - (den Matadoren der Branche wie Köstler, Schäfer und Mewes fällt weißgott auch nichts Neues ein):
http://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2011/03/03/mehr-zulauf-fuer-die-nischen.htm?no_cache=1&cHash=609ea9c3b8

Ich breche die - ins Uferlose zu erweiternde - Medienschau hier ab. Fazit: Viele Einzelstandpunkte (von denen manche sehr naiv erscheinen) - aber  k e i n  P l a n.