Freitag, 5. August 2011

Berufsschule im Antiquariat? Ein Lehrplan muß her!






Es ist keine Schande, Anleihen bei allgemeinen Schulwesen zu machen und sich zu erinnern, wie das geordnete Unterrichten in einem Kulturstaat organisiert ist. Das preußische System, das wir aus der "Feuerzangenbowle", aus "Professor Unrat" und Ecksteins "Besuch im Karzer" nur als Karikatur kennen, ist ein gutes Arbeitsvorbild.

Zunächst muß der Lehrstoff festgelegt werden. Das ist nicht ein nebuloses Gebilde aus Grundsätzen und Thesen, sondern eine überraschend präzise ausgeführte riesenhafte Tabelle, in der für alle Fächer der ganz konkrete Inhalt aufgelistet und in einen zeitlichen Ablauf gebracht wird. Womit fangen wir an? Welche Schritte sind unverzichtbar, welche nur am Rande wichtig?

Wir finden solche Ausarbeitungen in alten Schulprogrammen bis um die Jahrhundertwende 1900 oft als als Falttabellen. Es lohnt sich, da näher hinzusehen! Die Lehrer diskutierten in lange vorbereiteten Tagungen ernsthaft darüber, zum Teil sind auch gedruckte Protokolle veröffentlicht worden.

Erst dann wurden, nachdem das Kultusministerium (das schon in den Tagungen beteiligt gewesen war) seine Zustimmung gegeben und die Endfassung redigiert hatte, die Lehrpläne veröffentlicht.

So muß das natürlich auch bei berufsbezogenen Kursen gehen.

Ich habe den frischen Mut bewundert, mit dem vor zwei Jahren seitens eines - wie üblich recht intransparenten - Kreises rund um Dr. Biester, das ZVAB und einige interessierte Kollegen ein Kurs- bzw. Lehrprogramm zusammengestoppelt oder besser "hingemauschelt" worden ist. Das war aller Ehren wert in der Sache, in der Methode aber von kindlicher Naivität getragen - und in der Durchführung schauerlich.

Wie kommt man nun zu einem Lehrplan? Indem man sich klarmacht, daß es in unserem Gewerbe besonders wenig Standards gibt, die für alle Betriebsarten gelten. Bei welcher Gelegenheit gleich mit der irrigen Annahme aufgeräumt werden muß, der "Wendt" sei als Lehrbuch geeignet, oder gar das Plauderbuch meines alten Bekannten Bender-Freiburg. Auch sind Anleihen beim Neubuchhandel völlig unsinnig, zu unterschiedlich sind die Arbeitsmethoden.

Es mag lehrreich und sinnvoll sein im Einzelfall, wenn sich (wie in den ZVAB-Kursen) alte Hasen des Gewerbes einer kleinen Gruppe Lernwilliger annehmen und die Tricks und Erfahrungen ihrer eigenen Berufspraxis "lehren". Da haben wir in etwa auch das Prinzip der AG im Börsenverein - einige Tage hineinzuschnuppern in den Betrieb von Fachkollegen, Bibliotheken, Archiven, unter sehr sachkundiger Führung, das bringt eine ganze Menge - - aber durch das Fehlen einer methodischen Grundlage bleibt das Ganze

* beschränkt auf einen kleinen Kreis, wärend es der größeren Allgemeinheit nutzen könnte,
* subjektiv und willkürlich, nicht ausdiskutiert, notwendigerweise einseitig.

Die Erarbeitung eines Lehrstoff-Übersichtsplans mit Gewichtung der einzelnen Teile (beides gehört dazu, sonst entsteht nur eine Art lexikalischer Stoffübersicht) ist immer die Sache eines gewählten oder aus nachvollziehbaren Gründen ernannten Gremiums, eines  A u s s c h u s s e s.  Das sind 5-10 Fachleute des Gewerbes, möglichst aus verschiedenen Arten und Schichten des Berufs.

Sie tauschen sich meist schon im Vorfeld aus oder aber sie kommen mit ausgearbeiteten eigenen Entwürfen und diskutieren sie an einer Wochenendtagung in Frankfurt mit dem Ziel, einen

*gemeinsamen Kompromißentwurf mit dem gewichteten Gesamtstoff eines Lehrprogramms "Antiquariat"

zu erstellen, der dann auch gedruckt bzw. ins Internet gestellt wird. Es ist das wie in den alten Schulprogrammen eine große Tabelle, in den senkrechten Spalten die Hauptgattungen des Lehrstoffs, in jeder Spalte fettgedruckt die unverzichtbaren Wissens- bzw. Lehrstoffe, kleiner gedruckt das Ergänzende, weniger Wichtige, möglichst von oben nach unten in eine zeitliche Abfolge des Lehrkurses gebracht.

Für jeden Lehrer sind das Selbstverständlichkeiten, aber wir Hobbypädagogen müssen lernen, wie man sowas macht. Es spart viel Zeit und Mühe.

Ein weiterer Grundsatz, im Unterrichtswesen früher leider nur im Volksschulbereich durchgeführt, ist die allgemeine Zugänglichkeit für  j e d e r m a n n. Es geht nicht an, Lehrmaterial nicht zu veröffentlichen oder Kurse so teuer zu machen, daß sich lernwillige Kollegen ausgeschlossen fühlen.

Vor allem aber: Ich kann nicht von den Kollegen erwarten, daß sie Zeit und Grips aufwenden, um ein Lehrprogramm durchzudiskutieren und zu verabschieden, wenn die Früchte ihrer Arbeit dann nicht allgemein zugänglich gemacht werden. Die Verhehlung von Fachwissen, wie sie auf dem Campus mancher "Privatuniversitäten" und noch mehr im gehobenen Privat-Fachschulwesen zur Zeit immer ärgere Sumpfblüten treibt, ist ein himmelschreiender Blödsinn in der Sache und zugleich eine Sünde des Herzens. Der öffentliche Diskurs wird dadurch behindert, den jeder Fortschritt braucht wie die Pflanze Licht und Luft, das Gift der Kommerzialisierung schleicht sich ein und zerstört Goodwill und Idealismus.

Zur praktischen Durchführung der Kurse wollen wir uns hier demnächst Gedanken machen. Für heute bitte ich Sie, die großen Faltpläne der preußischen Lehrer im Kopf zu behalten und sich auch sonst in der weiteren Planung nicht zu schade zu sein, Anleihen beim Schulunterricht früherer Zeiten zu machen. Zur Erinnerung - es gibt auch ein Berufsschulwesen in Deutschland, das als weltweit führend gilt. Seitenblicke dorthin sind keine Schande.

Wir lernen: Ohne einen verabschiedeten, anerkannten L e h r p l a n  läuft schon gar nichts im beruflichen Unterricht. Und den müssen wir nun diskutieren.