Montag, 10. Oktober 2011

Freitag in Frankfurt - schöne Aussichten





1.
Die Gefesselten oder: Sie könnten so vieles bewirken, aber man läßt sie nicht...

Soll ich mir das antun? Am Freitag lädt die AG Antiquariat im Börsenverein zu ihrer Jahresversammlung ein, 12 bis 14 Uhr. Wie sowas läuft, das haben wir noch unter dem leutseligen Kollegen Hohmann kennengelernt, in Karlsruhe. Zunächst werden mit ernstaunlicher Ernsthaftigkeit die unbedeutenden Geschäftsordnungspunkte abgearbeitet, während welcher Kaninchenvereinsroutine die Kollegen je nach Temperament gähnen oder Interesse heucheln.

Irgendwann beginnt es zu knistern, ein Thema fesselt das schüttere Häuflein der Antiquare, auch Mulzer wacht auf und freut sich auf eine angeregte Diskussion. Zwei Kollegen spinnen lange Monologe aus, der Faden geht verloren, die Zeit drängt, eine Regelung der Redezeit, eine Planung der Traktanden wurde im Vorfeld nicht ausgearbeitet, das Grüppchen setzt sich ungeschickter ins Benehmen als eine Unterprima, alles versandet, nichts wird beschlossen, geklärt ist auch nichts, die Zeit drängt, freundliche Verabschiedung.

Nun sind Dr. Biester und die Kollegen Mewes und Thursch Leute, denen man einiges zutrauen kann. Vielleicht haben sie diesmal ein Arbeitsprogramm ausgearbeitet, ein  T h e s e n p a p i e r  aufgestellt, über das man aus dem Stand sachlich diskutieren wird?

Die Ausgangslage ist nicht einfach. Wir wissen alle, welche faszinierenden Möglichkeiten die Antiquare unter dem Dach des Börsenvereins haben könnten, wie gut gerade dem Antiquariat, diesem disparaten Zweig des Buchhandels, ein Nacheifern des Vorbilds der Neubuchhändler bekommen würde. Vor einer Reihe von Jahren zeichneten sich in der Diskussion Horizonte ab, von denen wir heute nur noch wehmütig träumen können -

- gemeinnützige Führung des Verkaufsportals der Antiquare durch eine Dienstleistungsgesellschaft beim Börsenverein,
- Schaffung eines radikal ermäßigten Mitglied-Sondertarifs für Buchantiquare, quasi als "kleiner Börsenverein",
- Imagetransfer, Organisationshilfe, Beratung bei Ausschüssen und Ausbildungsgängen durch den großen Börsenverein.

Vor gut zehn Jahren hatte Hohmann lange  zu leiden unter meinem Spott, warf ich ihm doch beständig sein eisernes Schweigen, seine Tatenlosigkeit vor. Heute wissen wir, daß er gar nicht anders handeln konnte - weil die Unlust der Neubuchhändler, die Blockierung durch den Börsenverein uns antiquarischen  C h a o t e n  gegenüber schon damals allzu offenkundig war. Unübersteigbare Hindernisse! Man hat uns nie getraut von den Höhen des Vereins herab, nur wurde das nicht öffentlich gesagt. Jenes vorsorgliche Hausverbot, mit dem man mich in Karlsruhe bedacht hatte, war nur die Spitze eines Eisbergs an Unlust und Unbehagen der Neubuchhändler, sich mehr als unbedingt notwendig mit den Antiquaren zu befassen oder gar einzulassen.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern...

Wenn aber doch, dann säuberlich eingegrenzt auf die Antiquare, denen die immens hohen Mitgliedsbeiträge beim Börsenverein erträglich erschienen. Mit dieser Hürde stellte man mühelos 800 der 1000 deutschen Buchantiquare vor die Tür, konnte sich noch den Bauch halten mit der jovialen Ausruf: Was wollt Ihr denn, jeder darf in den Börsenverein, wenn er nur zahlt...

Dieses Hindernis besteht immer noch, es hat an Dramatik nichts verloren. Die Herren beim Börsenverein haben doch ihre Syndici, die nur beim Institut der deutschen Wirtschaft oder bei den Kreditschutzvereinen anzufragen bräuchten, um das zu hören, was jeder Kollege weiß: Die Antiquare gehören mit gut 80 % ihrer Betriebe zu den kapitalmäßig ganz unterversorgten, chronisch ertragsschwachen, meist von Anfang an gefährdeten Berufsgruppen. Gute Kenntnisse, schöne Kataloge, saubere Läden ändern daran gar nichts.

Ich fasse meine Thesen für die AG zusammen:


Die AG im Börsenverein ist nach wie vor jene Organisationsform, die für das deutsche Antiquariat bei weitem den größten Nutzen bringen könnte, ihm zum Segen sein würde gerade angesichts der aktuellen Nöte der Branche, wenn die heillose  F e s s e l u n g  der AG an die Bedingung der hohen Mitgliedsbeiträge wegfallen könnte und Sondertarife für einen "kleinen Börsenverein" der Antiquare eingeführt würden. Solang das nicht geschieht, ist die AG zur Alibi-Übung degradiert und zur Unwirksamkeit verurteilt.

An eine Reform der Genossenschaft ist ebensowenig zu denken wie an ein Erwachen des Verbands aus seinem Tiefschlaf. Das wagt kein Kollege öffentlich auszusprechen, aber alle denken es. Die jüngsten Urteile über die Genossenschaft, die mir zugetragen worden sind, fallen derart vernichtend aus, daß ich in die kuriose Lage gekommen bin, die Genossenschaft zu verteidigen. Ihr Image unter den Kollegen ist derzeit im Tiefkeller. Ich sehe da durchaus noch Chancen und Potential, aber erst auf längere Zeit hin. Diese Zeit haben wir aber nicht! Deshalb sollte sich die AG nun auf breiter Ebene neu auftstellen. Was sagt Dr. Biester dazu? Mewes, der alte Kämpfer, muß halt mal den Mund aufmachen, von Thursch als Praktiker vom Dienst erwarten wir Taten.

Daß im zweiten Teil der Veranstaltung das ZVAB und der Schwaneberger-Verlag seine retrospektive Preisdatenbank vorstellen dürfen, entbehrt nicht einer leisen Komik - dieses Thema hätte ich eher bei der Häppchen-Veranstaltung, siehe unten, eingeordnet.

Meine Kritik an diversen kleineren Ungeschicklichkeiten dieses Gebildes sollte man eher tiefer hängen - wichtig war und ist mir immer nur die verpaßte Chance, anstatt isolierten Preishäppchen die große, übersichtlich gestaltete umfassende Altbuch-Datenbank ins Netz zu stellen. Es entbehrt nicht der Tragikomik, wenn ausgerechnet Schwaneberger, nach Senf der Urvater der Idee des  G e s a m t k a t a l o g s, mein Grundkonzept verrät und stattdessen einzeln aufrufbare Titel- und Preishäppchen serviert.

Was soll ich tun - mir ein Schild umhängen und mich in Frankfurt vor den Stand postieren mit dem Nachweis, daß ich vor einigen Jahren die Idee des "Bücher-Michel" entwickelt hatte, viel umfassender und geschickter als die Schwaneberger es nun hingestümpert haben, mir zum Hohn... Ach, lassen wir das.

2.
Die Verkauften oder: Es ist so schön am Amazonas

Die Formulierung las sich bei Dr. Biester etwas doppeldeutig. Da ich ihm noch nie begegnet bin - und also in Frankfurt hübsch anonym bleiben kann - , weiß ich nicht, ob er nicht doch gegrinst hat, als er schrieb, ich zitiere "...stehen für Gespräche zur Verfügung und beantworten, wie es in einer Mitteilung aus Düsseldorf heißt, "Fragen zu den nächsten Schritten der beiden Plattformen".... Die Veranstaltung "mit Wein und Häppchen"..."

Soll also diskutiert werden, darf man debattieren, wird offiziell oder wenigstens sub rosa etwas mitgeteilt - oder werden einzelne Kollegen in vertraulichen Gesprächen aufgeklärt, ihrer Sorgen enthoben, mit Häppchen gefüttert?

Von der Sache her ist das Abendunternehmen in der Buchmesse mutig. In der Tür steht Amazon wie die boshafte Ehefrau mit den Nudelholz in der Hand, bereit, jeden Abweichler unter den fünf Herren über den Kopf zu hauen. Amazon wagt man dort nicht zu benennen, ist es doch der Ur- und Erzfeind aller Buchhändler, das drohende Gespenst, das über der ganzen Buchmesse schwebt. Keine beneidenswerte Ausgangslage für die tapferen Schwaben aus dem Rheinland. Heinisch dürfte sich nicht glücklich fühlen, denn gegenüber Abebooks ist das ZVAB von der Optik und der Taktik her inzwischen schier unerträglich, man kann das ja unten in meinem Blog irgendwo nachlesen.

Wie das Kartellamt eingewickelt worden ist, das möchte man gern hören, mit oder ohne Häppchen. Und wenn zum Thema "Amazon" wieder nicht mehr zu hören ist, als daß dort autonom entschieden werde und man nix genaues nicht wisse, dann bleiben dem Besucher die Häppchen im Halse stecken.

Ich sags ganz deutlich, habe dafür von Kollegen auch schon Prügel einstecken müssen: Abebooks ist zur Zeit die mit großem Abstand  b e s t e  Verkaufsdatenbank für deutsche Bücher. Mein diesbezüglicher Test zur Optik und Usability war nur eine Teilbetrachtung, denn die Querverbindungen, die angeschlossenen Beurteilungsforen usw. bei Abebooks sind womöglich noch genialer. Abebooks ist ein regelrechtes Netzwerk bei näherem Hinsehen - ganz ausgezeichnet bis hin zu vielen guten Kleinigkeiten.

Nun kommen die Häppchenspender aber gerade dadurch vom Regen in die Traufe. Weil sie so gut sind bei Abebooks, und beim ZVAB so  schlecht - eben deshalb glaubnt keiner die Märchen vom parallelen Weiterbestehen. Ganz zu schweigen von der nicht geplanten Zusammenlegung mit Amazon.

Das Würgemonopol im deutschen Altbuchmarkt ist ausweglos, alternativlos. Weil sie  g u t  sind, unsere Erdrossler. Daran bitte ich zu denken beim Verzehr der Häppchen. Keine Häppchen der Welt werden so teuer bezahlt sein wie diese, denn die Freiheit unserer Absatzwege ist nur noch ein schöner Traum.


Soll ich nach Frankfurt fahren? Es kostet Eintritt, der Intercity von Zürich fährt auch nicht gerade gratis, freundlich geht sowieso niemand mit mir um, weil ich jedem auf den Schlips getreten bin, spätestens beim dritten Häppchen sehe ich mich des Saales verwiesen. Schöne Aussichten!

Das Foto zeigt den Verfasser am Portal der Buchmesse, oder auch nicht.