Freitag, 9. September 2011

Jagdszenen aus dem Antiquariat



Werte Kollegen!

Wir begeben uns heute auf eine mittlere Parforcetour.

Die Ausgangslage ist bekannt. Unser Buchabsatz im unteren und mittleren Bereich geht beständig zurück, die besseren Segmente stagnieren auf hohem Niveau. Zwei völlig berufsfremde Kräfte werden von Tag zu Tag mächtiger und bedrohen uns. Amazon-Abebooks-ZVAB kontrollieren, vom Sonderfall Ebay abgesehen, gut 90 % des Internetabsatzes der Antiquare in Deutschland, von daher sind Gebührenerhöhungen, fortschreitende Verluste an Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit zwangsläufig vorprogrammiert. Momox und die Nachahmer haben bereits weit über 10 %  des Antiquariats in Deutschland verdrängt und vernichtet, mit extrem galoppierender Zuwachserwartung in der allernächsten Zeit.

Dazu kommt die bekannte Verlagerung des Leseinteresses zum Internet hin und nicht zuletzt auch die Problematik der Fraktur bei unseren älteren Titeln. Was die Google-Scans der Bücher vor 1900 betrifft, haben wir noch eine Gnadenfrist, weil die Benutzung und vor allem das Ausdrucken gescannter Bücher noch kompliziert erscheint. Das wird sich in wenigen Jahren, vielleicht schon in Monaten ändern.

Ich sage nicht, daß man gegen die vielen negativen Faktoren nichts unternehmen könne - dieser Blog ist angefüllt mit mehr oder minder untauglichen Vorschlägen und Ideen dazu. Am weitaus dringendsten aber ist das Doppelproblem der Monopolisierung unseres Internetabsatzes durch Amazon-Abebooks-ZVAB und des Wegbrechens der Titel, die Momox schon zu Millionen Stück kauft und über Tarnfirmen, wie ich das persönlich werten möchte, ins deutsche Verkaufsnetz schiebt.

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Wenn die halbe Stadt anfängt zu brennen, dann wird man dort löschen, wo es am dringlichsten erscheint, im Kern der Innenstadt vielleicht und im Petroleumhafen. Wenn wir uns darauf einigen, daß Amazon und Momox zur Stunde die Hauptfeinde des deutschen Antiquariats sind, dann haben wir schon viel gewonnen. Amazon durch Monopolisierung und drohende Franchise-Unfreiheit, Momox durch Wegziehen des Teppichs unter unseren Füßen.  Um es deutlich, aber unzulässig verkürzt zu sagen: V e r s k l a v u n g  durch Amazon und  B e r a u b u n g  durch Momox -  natürlich nicht so ungeschützt zu formulieren, sondern immer nur unter der Voraussetzung, daß man die "wenn" und "aber" kennt, die hinter diesen harschen Worten stehen.

Beides ist ein Vernichtungskampf. Ich bin wegen meiner militärischen Dramatik getadelt worden - aber ist nicht das Geschehen am Markt ein Kampf? Die Vernichtung ergibt sich aus den Mechanismen, es geht alles ganz logisch zu. Gegen Momox' exponentielles Wachstum ist gar nichts zu machen, Momox  m u ß  wachsen, ob es will oder nicht, wie überhaupt die Kräfte im Wirtschaftsmarkt selten Böses  w o l l e n. Sie sind wie naive Kinder, die im Sand spielen. Ihre Kunden müssen sie am Leben lassen, sonst kaufen und verbrauchen die ja nichts - wir Antiquare aber als  M i t b e w e r b e r  am Markt "müssen" nach den Regeln vernichtet werden.

Ist es den Setzern, den Stenotypistinnen, den Lokomotivheizern, den Tankwarten etwa anders ergangen?

Es geht also nicht um Feindbilder, auch nicht um unzulässige Dramatisierung - ich stelle ganz einfach fest, daß wir mit Amazon ein langsam wachsendes, mit Momox ein agressiv schnelles Krebsgeschwür in unserem Körper haben. Amazon muß uns langsam ersticken durch Anonymisierung und andere Unfreiheits- und Gebührenschrauben; Momox muß uns austrocknen und ganz eliminieren. Beide sind im Wirtschaftsgefüge so positioniert, sie funktionieren nach diesen Regeln.

Wir haben uns nun die Frage zu stellen, wie wir diese beiden Krebse in unserem Körper bekämpfen können.

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Nun ein kurzes Wort zur Frage des Genossenschaftsgedankens im Antiquariat. Ich hatte ihn vor mehr als zehn Jahren eingeführt für den Altbuchhandel, weil er juristisch wie auch soziologisch genau das abdeckt, was getan werden muß - wir haben Geld in die Hand zu nehmen und mit diesem Geld eine Leistung für alle zu erbringen. Wobei "für alle" auf unser Gewerbe beschränkt bleibt, auch wenn die Dienstleistung der größeren Allgemeinheit zu gute kommt.

Lange Zeit waren Kräfte in der Genossenschaft am Werk, die sich wacker geschlagen hatten, aber durch  e i n e  strategische Fehlentscheidung von Anfang an gelähmt waren. Ich hatte das in jenen wenigen Minuten Redezeit, die mir damals in Berlin eingeräumt worden war, klar gesagt: Nur wenn sich die Genossenschaft als weit offene, allgemeine Berufsorganisation für  a l l e  versteht, kann sie die richtigen Weg gehen.

Warum mußte ich Recht behalten mit meiner stotternd vorgetragenen, völlig unbeachteten Einwendung? Weil  der  W e r b e w e r t  einer Genossenschaft verloren geht, wenn sie sich nicht als allgemein und weit offen versteht. Genossenschaften, die nur kleine Grüppchen des Gewerbes oder gar - schrecklich zu denken - nur bestimmte Schichten umfassen, können am Markt nicht frei und wirksam mit dem speziellen Genossenschafts - I m a g e  auftreten. Sie können dann nicht sagen " W i r  A n t i q u a r e".

Genau da liegt aber jene Zauberformel, mit deren Hilfe sich die Datenbank gegen alle Widerstände werbetechnisch, in Sachen Kredit und imagemäßig hätte durchsetzen lassen. Ich sage das, weil ich weniger vom "gehobenen Antiquariatsbereich" als vielmehr vom allgemeinen Kulturbetrieb in den Medien eine gute Kenntnis habe. Die ticken so - das Goodwill für eine echte, allgemeine Genossenschaft im Kulturwesen ist unschätzbar - die Verachtung für Grüppchenbildung dagegen grenzenlos.

Der andere einzigartige Vorteil einer allgemeinen Genossenschaft ist eher interner Natur: Die Genossenschaftler werden fast nie eine Entscheidung gegen die Interessen ihrer Kollegen treffen. Wenn nur die richtigen demokratischen Regeln durchexerziert werden - sie wurden und werden schmählich vernachlässigt -, dann geht es in einer breiten Berufsgenossenschaft zu wie in einem Parlament - Anträge, Motionen,. Diskussionen, Vor- und Endabstimmungen begleiten den Alltag der genossenschaftlichen Arbeit. Dann, aber nur dann wird die Genossenschaft zu einem heilsamen demokratischen Instrument zum Wohl aller, auch gerade der schwachen Kollegen.

Diese beiden Punkte gilt es im Sinn zu behalten. Es geht primär also nicht darum, daß wir eine Wirtschaftsgemeinschaft zum Betrieb der Datenbank bildern, sondern es geht um einen unvergleichlichen, unbezahlbaren Imagewert im Kulturbetrieb - und um gerechte, demokratische Entscheidungen in der stürmischen See der Gegenwart, mit zwei Haifischen darin, durch die unserem Gewerbe heil hindurchkommen soll.

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Ich setze voraus, daß eine umgegründete Genossenschaft und ihre Vorstufe, ein allgemeiner Berufs v e r e i n  ohne jede Verpflichtung, virtuell von Anfang an bestehen sollen. Es hat nämlich keinen Sinn, die folgenden Pläne als Werk einer Schicht, eines Grüppchens interessierter Kollegen oder gar als Gemisch aus drei verunglückten Berufsvereinigungen herzustellen.

Der Werbewert, die Imagestrategie geht weitgehend verloren, wenn die Planung nicht von Anfang an auf ganz breiter Grundlage stattfindet. Es darf keinen Antiquar welcher Art auch immer geben in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, der nicht von unserer Planung weiß, regelmäßig darüber unterrichtet ist und zu den Abstimmungen eingeladen wird.

Erste Vorbedingung ist also ein allgemeines Berufsregister. Das muß man auf Ortsebene recherchieren, Björn Biesters Listen sind eine Hilfe, aber ohne gründliche Adreßbuch- und Telefonlistenrecherche geht das nicht. Ich erlebe regelmäßig bei Stichproben, etwa in Basel oder in Hamburg, ein wahres Chaos an Veränderungen. Man muß da die babylonische - aus dem Amerikanischen kommende - Sprachverwirrung zwischen "Antiquitätenhändler" und "Buchantiquar" ebenso in Rechnung stellen wie die Scheu mancher, durchaus bedeutender, Internethändler, sich adressenmäßig zu offenbaren.

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Das Verkaufsportal, die Datenbank ist im Augenblick unsere einzige Waffe.

Ich sage das nicht gern, denn nach wie vor ist jenes "Haus der alten Bücher" in der Version, die  e i n  zental gelegenes Mietshaus für alle Antiquare einer Stadt vorsieht, das genossenschaftliche Instrumentarium par excellence. Nur durch solche vom Keller bis unters Dach durch indivuduelle Antiquariate besetzte Innenstadtanwesen können die Kollegen ihren bescheidenen Werbeetat bündeln. "Wo sind die Antiquare? - In ihrem Haus auf der Kaiserstraße".

Auf mittlere Sicht wäre so auch ein geregelter Sofortankauf im Momox-Abwehrkampf möglich - denn die Bücher unter den Arm zu nehmen und direkt gutes Geld zu bekommen, in einem weithin örtlich bekannten "Haus der Antiquare" in der Innenstadt, wo mehrere Möglichkeiten des Verkaufs bestehen, das wäre einer der Stiche, die Momox ins Herz treffen könnten.

Aber solche Genossenschaftsprojekte brauchen Zeit - wenn auch fast kein Geld, was sie sympathisch macht. Es muß "nur" organisiert werden.

Zeit ist aber nicht da. Die Kartellbehörde läßt uns im Regen stehen, Momox vernichtet allmonatlich rechnerisch einen weiteren Antiquar - es darf nur schnell Wirksames geplant werden. Alles andere wäre Luxus in der Stunde der Gefahr.

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Die genossenschaftliche Datenbank läuft eigentlich ganz gut. Es gibt dort Schönheitsfehler, die schnell ausgebügelt sind. Vor allem sollten alle Features, die Amazon und Abebooks bieten, übernommen werden, insbesondere eine gute Verlinkung vieler Titel ins Netz, zu Bibliographien, zu Google. Hier muß gnadenlos abgekupfert werden, soweit es das Wettbewerbsrecht zuläßt - nur keine falsche Scham!

Die wichtigsten Hausaufgaben liegen auf einem anderen Feld, wohin uns Amazon-Abebooks nicht folgen kann (von dem armen schlichten ZVAB sprechen wir nicht - das gibts bald nicht mehr) - einer ganz engen, konsequenten Vernetzung der genossenschaftlichen Datenbank mit den Webseiten - mit  a l l e n - Webseiten aller Kollegen (nicht etwa nur denen der Genossenschaftsmitglieder). Wir müssen in Windeseile und in echter Gemeinschaftsarbeit ein Gehäuse errichten, vor dem Amazon-Abebooks neidvoll stehen wird und in das es uns  n i c h t folgen kann, weil sie nicht die goldene Freiheit eines genossenschaftlichen Portals genießen.

Webseitenverbund - aber ja, bitte!
Und möglichst von Anfang an auch einen breitgefächerten Auskunfts- und Kompetenzdienst. Und natürlich billigere Preise von dem Tag an, an dem... Kurzum:  Das ganze Instrumentarium an Folterwerkzeugen, die Amazon-Abebooks-ZVAB wehtun können.

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Am wirksamsten dabei ist aber unser Einbruch in Gewissen und  S y m p a t h i e  der Kulturwelt. Sie kauft unsere Bücher oder könnte sie doch kaufen. Die Schiene, auf der der Sympathiezug läuft, hat in goldenen Lettern eingraviert: DIES IST DIE DATENBANK DER ANTIQUARE. Sie "gehört" nicht nur ihnen (das wäre nicht einmal notwendig), nein - IN IHR ARBEITEN DIE ANTIQUARE, in ihr kannst Du alle Geschäfte, alle Fachleute, alle Kollegen ansprechen, im Foto direkt verlinkt sehen.

Das ist kein Wunderwerk. Wenn es richtig geplant wird, läuft es fast selbsttätig, denn es macht Spaß, sich als Firma, im Portrait, mit seinen Interessen und Lagerräumen, seinen Listen und Katalogen wiederzufinden in jenem großen Gehäus aller Antiquare...

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Nun noch was zur Namensfrage - ach je. Einfach ist das nicht, zumal nach dem Sündenfall, der uns "Antiquariat" als Bezeichnung geschenkt hat. Mir sollte da was einfallen, sollte es nicht? Ich braue mir inzwischen einen Kaffee, und dann wird nachgedacht.

Der Name muß die neuen Grundideen im Abwehrkampf gegen das Amazon-Monopol verdeutlichen und möglichst gleich auch noch das Momox-Thema rüberbringen.

Hoppla, eben fällt mir ein, daß dies so ziemlich das einzige Geheimnis ist, das man bewahren muß bei der Planung.

Ansonsten, frisch ans Werk!