Donnerstag, 8. September 2011

Wir basteln uns ein Momox!


Bauanleitung mit mehreren Modellbögen

Man nehme eine Silberschüssel - pardon, das Thema ist zu ernst für Scherze.

Es gibt notwendige Mitwirkende, ohne die alles gar nicht funktionieren kann. Sortieren wir die mal auseinander.

A.
Zunächst benötigen wir eine perfekte, preiswerte und allgemein akzeptierte Buch-Verteilstruktur. Was bis vor wenigen Jahren noch umständlich, recht teuer im Verhältnis und nicht allgemein akzeptiert war, ist der schnelle, preiswerte, problemlos zu ordernde und einfach zu bezahlende  V e r s a n d.  Nur wir alten Semester können uns überhaupt noch vorstellen, was es bedeutet, Bestellpostkarten zu schreiben, Waren per Nachnahme oder auf Rechnung zu erhalten, diese Rechnung zu bezahlen, indem man "Überweisungsscheine" in der Bank auszufüllen oder in Postscheckumschlägen zum Briefkasten zu tragen hatte. Alles das geht heute elektronisch und ziemlich reibungslos über die Bühne. Der Aufwand, ein Taschenbuch in meiner Buchhandlung zu holen, ist größer als der einer Amazon-Bestellung.

Hier verstehe ich übrigens die Neubuchhandlungen nicht - es fällt ihnen, soweit ich das hier am Ort sehe, absolut nichts ein, um die Kunden durch "Erlebnisse" oder Zusatznutzen welcher Art auch immer an ihren Laden zu  b i n d e n, sie anzulocken. Die Ideenlosigkeit, die Tranigkeit der meisten Buchhandlungen führt sie direkt in den Untergang. Aber das ist ein anderes Kapitel.

B.
Als zweite Zutat zur Bastelanleitung benötigen wir eine gute, schnell zu erhaltende, ausreichende bibliographische Information - natürlich im Internet. Sie wird ganz hervorragend geleistet bei Amazon und Abebooks - auch deshalb steht das ZVAB auf dem Aussterbeetat - und wer höhere Ansprüche stellt, kann über Google-Snippets und einen Rattenschwanz von Rezensionsdiensten, Perlentaucher wir grüßen dich, fast immer präzise bibliographische Einschätzungen gewinnen im Netz. Aber Amazon und Abebooks reichen sehr oft schon aus.

Ohne diese Internet-Bücherkunde würde man wieder in die Steinzeit zurückkehren. Wie liebe- und mühevoll hatten wir doch die Literaturteile von FAZ, Welt, Zeit und Süddeutscher Zeitung, vor allem aber von Tante NZZ gesammelt, ausgewertet, als bibliographischen Schatz gehortet! Die heute fast ausgestorbenen Hallen der "bibliographischen Handbibliothek" in der nahen UB sahen uns täglich bei der Durchsicht der neuesten Frankfurter und Leipziger bibliographischen  Hefte, Literaturdienste jeglicher Couleur waren unentbehrlich. Fast alles ist nun verweht und eigentlich überflüssig.

C.
Drittes Werkzeug für unsere Bastelstunde ist die Preistransparenz in den Verkaufsdatenbanken der Neu- und vor allem der Altbücher. Erst jetzt, wo der Kunde Herr der Preisübersicht geworden ist, funktioniert der Fernabsatz wirklich. Daß er dort wiederum vielfältig manipuliert werden kann, spielt jetzt keine Rolle. Es reicht aus, daß der Kunde an seine "Durchsicht" im Preisgegfüge glaubt.

Einfaches Bezahl- und Liefersystem, bibliographische Information im Internet (vor allem auch wertende) und das Bewußtsein einer für den Käufer durchschaubaren Preisgestaltung im Gesamtmarkt, diese drei Merkmale müssen da sein.

Dann können wir weitermachen.

D.
Zunächst will ich den Ankaufsmarkt in die Hand bekommen. Gründe dafür habe ich drei, zum einen will ich Ware bekommen, zum anderen sollen der Konkurrenz, uns Antiquaren nämlich, Nachschub und Kundenkontakte weggenommen werden und zum dritten will ich das Publikum  s ü c h t i g machen, ich will es eingewöhnen dazu, daß das gelesene Buch zu einer wiederverwertbaren Ware wird, im Gefühl des Kunden.

Ich nenne dieses Prinzip "das Buch als  P f a n d f l a s c h e".

Man muß sich das nicht zu kurzzeitig im Umlauf denken, es gibt da mehrere Möglichkeiten zeitlicher Zyklen, im längsten Fall kommt das Buch erst nach dem Tod des Lesers zurück, im kürzest denkbaren schon Stunden nach dem Erwerb, wenn es nämlich ein Fehlkauf war und ich zu faul bin zum Umtausch im Laden (von gestohlenen Neubüchern lasset uns schweigen, obgleich - ein reizvolles Thema...).

Genial daran ist die Umkehr des Prinzips des einfachen Versands, diesmal nicht vom Händler zum Kunden, sondern vom Kunden zum Händler. Wie schon beim Versand in der anderen Richtung will das gut durchkalkuliert sein, Transportrabatte sind bis auf Cents herab eisern auszuhandeln, ein sehr strenges Controlling muß jedes Ausufern der Versandkosten unterbinden.

E.
Habe ich den Kunden erst einmal an dieses Kreislaufmodell gewöhnt, dann wird er schnell handzahm und treu wie ein Schäferhund. Es wäre das ideale Modell einer Käuferbindung, würde da nicht ein fast unüberwindliches Hindernis bestehen:

Das neuere gebrauchte Buch hat, weit mehr noch als das ältere antiquarische , einen fatalen  S c h m u d d e l c h a r a k t e r.

Ich halte das imagemäßig für eine fast unüberwindliche Hürde. Amazon, bei näherem Hinsehen aber auch Abebooks, würden sich bei vollem Einsteigen in die Momox-Kreisläufe ein peinliches Schmuddelimage zulegen, das sich tödlich lähmend auswirken müßte auf jene so ersehnten Neuwaren-, Elektronik- und anderen Edelwarenverkäufe, die in der Auseinandersetzung mit  E b a y  jetzt zentral wichtig sind.

Ich halte dieses Dilemma für unübersteigbar und möchte vorhersagen, daß Amazon und auch Abebooks nur zögerlich und sozusagen aus einem "wir aber auch"- Prinzip heraus h a l b h e r z i g  mit Momox gleichziehen. Es ist sicher, daß Momox und Amazon-Abebooks zwar feindliche Brüder bleiben und sich quasi Konkurrenz machen, daß sie aber in Wahrheit auf Dauer separate Geschäftsfelder beackern werden. Momox wird den Schmuddelsektor, so gut es geht, besetzen, Amazon-Abebooks wird kulturell oder sonst etwas "edlere" Ware haben (wollen).

Wenn Momox gescheit vorgeht, dann lagert es den Vertrieb seiner Titel in solche Firmen und Kanäle aus, die nicht sofort erkennbar sind als Momox-Betriebsteile. Die qua Momox-Prinzip erworbenen Titel erhält der Käufer dann durch Einrichtungen des Momox-Firmennetzes, die im Grund nichts anderes sind als Versandantiquariate. Es würde mich auch nicht wundern, wenn es bald Momox-Verkaufs-Ladengeschäfte geben wird oder sie, heimlich still und leise, längst existieren.

Durch die Trennung von Erwerb und Betrieb, durch die Verhehlung der Vertriebsfirmen, wird

*die psychologisch schmuddelige  Gebrauchtbuchware reingewaschen.

F.
Der anfangs eher bescheidene Werbeetat im Momox-Ankauf wird bald gigantische Ausmaße annehmen. Es ist dann für jeden Konkurrenten, insbesondere den einzelnen Antiquar, ganz unmöglich, ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen gegen Momox. Wohl aber gibt es noch, wenn auch in letzter Stunde, die Chance der Gegenwehr eines genossenschaftlich organisierten gemeinsamen "Momox der Antiquare."

Die psychologischen und wirtschaftlichen Mechanismen des Momox-Prinzips sind damit erst angedeutet. Für ein gutes "Momox-Basteln" muß das Verhältnis zu den Bücherdatenbanken ebenso geklärt werden wie die Technik, mit der die Verdrängung der Antiquare aus dem ihnen ja eigentlich zustehenden Markt camoufliert, weggelogen, vertuscht werden kann.

Ich verwette meinen Winterhut, daß das Mittel der Wahl bei Momox ein sorgsam bemänteltes F r a n c h i s e - System sein wird.

Der Antiquar demnach als abhängiger Lohnsklave, als brave nützliche Kuh im Stall?

Derzeit stehen die Antiquare von zwei Fronten her in Gefahr, ihre Freiheit zu verlieren: Amazon-Abebooks-ZVAB von links, Momox von rechts, das Antiquarskind in der Mitten...

Goethe, steig vom Denkmal herab und hilf uns!




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