Freitag, 2. September 2011

Was erwarten die Antiquare von ihrer Genossenschaft?




http://www.boersenblatt.net/454306/template/bb_tpl_antiquariat/

1.
Vorbemerkung in eigener Sache: Meine jahrelange Kritik an der Genossenschaft war die eines enttäuschten Liebhabers, und der sieht bekanntlich besonders scharf hin. Die Anerkennung dessen, was dort gegen alle Widerstände geleistet worden ist, kam dagegen in meinen Texten zu kurz. Ich bin gnadenlos umgesprungen mit der GIAQ auch dort, wo eher unglückliche juristische Zwänge Ursache für taktische Fehler waren, während die jeweiligen Leitungsorgane kaum anders hatten handeln können.

2.
Deshalb gleich in medias res. Ich habe das Genossenschaftsmodell in der Hess-Runde einst eingeführt (Plurabelle sei mein Zeuge) und ohne meine Idee einer Übernahme in den deutschen Sprachbereich wäre Tomfolio für die deutschen Antiquare vermutlich eine exotische Randerscheinung geblieben. Wenn nun gerade ich heute dieses Modell in Teilbereichen relativieren möchte, dann kann man schon hinhören.

Wir müssen lernen, daß die juristische Unbeweglichkeit der deutschen Genossenschaft unterfüttert, ergänzt, abgefedert werden sollte durch eine beweglichere, schneller reagierende und, notabene, die Kollegen weniger verpflichtende Organisationsform - den  V e r e i n. Viele Antiquare, denen ein Genossenschaftsanteil zu bindend erscheint, könnten sich ohne weiteres zur weniger festen Bindung in einem Verein durchringen.

Wie Verein und Genossenschaft juristisch zu verschränken seien, wie sie aufeinander einwirken, welche Übergänge und Gemeinsamkeiten da sinnvoll und möglich sind, das lasse man getrost die Fachjuristen entscheiden (die sich übrigens, wenn man sie professionell anspricht, in solchen Fällen preiswert und mit Hingabe engagieren, bis zur Universitätsebene hinauf).

Der Verein wird dort  s c h n e l l  beraten und entscheiden, wo die Genossenschaft, gebunden durch die Fesseln ihres Rechtes, nur mit quälender  L a n g s a m k e i t  reagieren kann.

3.
Mit der zusätzlichen Vereinsebene wird auch die Einbeziehung derjenigen Schicht unseres Gewerbes angesprochen, die der Genossenschaft bisher fernsteht. Ich meine die knappe Hälfte der vollberuflichen Antiquare, die sich in den Amazon- und Ebayforen tummeln, die wir als reisende Kollegen auf guten Flohmärkten finden, als stupide Preisunterbieter und Titelei-Schmierer im ZVAB, in zweifelhaften Ladenantiquariaten oder als rührend-beschränkte Fachantiquare der skurrilen Sorte.

Hier sitze ich lustigerweise mit dem Verband und der Genossenschaft im gleichen Boot - wir werden von diesen unteren Kollegen buchstäblich gehaßt und verachtet, verunglimpft, gescheut. Daß dahinter Minderwertigkeitsgefühle stecken, ist gut möglich. Beide Seiten leiden unter solcher Fremdelei - wir sehen seufzend ihren Datenmüll in den Datenbanken, wir haben ihre Preisunterbietung auszuhalten, während sie sich betrogen und übers Ohr gehauen fühlen durch uns, angeblich oder tatsächlich arrogant wirken auf sie.

Die Unterschicht des Antiquariats ist übrigens akut bedroht von drei Seiten her (weiß das aber nicht) : Sie sind die ersten Opfer der Billig-Schleuderladenketten nach Schweizer Modell, sie werden ausgetrocknet durch Momox und seinen Amazon/Abebooks-Klon, und sie sind auch die willigsten und hilflosesten Opfer der großen Maschinen von Ebay bis ZVAB. In ihren Foren meckern sie rüde - pflegen aber brav wie das Hündlein zu folgen, weil sie ohne die großen Verkaufskanäle zum Sozialamt gehen müßten.

Der  V e r e i n  umfaßt also einmal die  Zaudernden, die Unsicheren und Vorsichtigen unter den Antiquaren und ist für sie das Sammelbecken, zugleich aber, das ist der Kern meiner Idee, sind automatisch auch alle Genossenschaftsmitglieder Mitglieder im Verein. Es gibt zwei Zirkel, den Verein und die Genossenschaft. J e d e s  Genossenschaftsmitglied ist auch Mitglied im Verein, aber keineswegs ist jedes Vereinsmitglied in der Genossenschaft organisiert. Die Vorteile, juristisch und psychologisch, sind vielfältig.

4.
Natürlich geht es zur Zeit im Kern um den Betrieb einer monopolunabhängigen Datenbank.

Ich hoffe immer noch auf eine Anzeige von Amazon /Abebooks /ZVAB wegen Rufschädigung oder Beleidigung gegen mich, damit die Gefahr, in der alle Antiquare im deutschen Sprachraum schweben, endlich öffentlich gemacht werden kann. Dieser Prozeß muß kommen, und er soll die Öffentlichkeit, vor allem die der kulturellen Medien, aufrütteln.

Ich habe das ja in meinem Blog, der laut Google-Statistik jetzt wieder 7 (sieben) regelmäßige Leser hat, ausführlich dargestellt und in diesem Punkt bin ich mir sicher: Kein Antiquar, der sich auf dem Laufenden gehalten hat, wird meinen Ausführungen in diesem Punkt wiedersprechen: Wenn wir den Sonderfall Ebay ausklammern, dann sitzt der Amazon-Verbund zur Zeit auf rund 90 % des Internetabsatzes der deutschen Antiquare.

In der Perspektive bedeutet das die akute Gefahr eines  F r a n c h i s e - Systems für die Antiquare, einer teilweisen Entmündigung, einer verkappten Gebührenschraube, auch durch Bankbindung, bis zu gut 30 % vom Verkaufspreis.

Von der Seite her droht dann noch Momox, das weit über 50 mittlere Antiquare bereits verdrängt hat, geht man nach den Angestelltenzahlen, vereint mit dem Amazon-Klon; von unten her kündigen sich Schleuderpreisketten an.

Unglücklicherweise fällt das zusammen mit einer allgemeinen Krise im Altbuchabsatz, weite Bereiche wie etwa die schöne Literatur beginnen wegzubrechen, und durch Google- und Europa-Scans weicht langsam die bisher sichere Bastion unserer Titel vor 1880 auf.

Es gilt also zu handeln.

5.
Leider ist es dem Börsenblatt des deutschen Buchhandels offenbar nicht möglich, jene vermittelnde und aufklärende Position wieder einzunehmen, die es einst im Antiquariat recht gut ausgefüllt hatte. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, dürfte merken, daß ich vom zuständigen Redakteur Biester eigentlich viel halte und daß hinter meiner beständigen Kritik an seinem Wirken die lebendige, nie erlahmende Hoffnung steckt, daß wir in der Antiquariatssparte des Börsenvereinsnetzdienstes wieder ein Leitmedium für unseren Beruf erhalten könnten. Biester an die Front!

Solang das aber nicht möglich ist, sollte die Genossenschaft - und der ihr verbundene Verein - das Leitmedium unseres Berufs verwirklichen. Weil das  notwendig ist, bin ich ein Kritiker der Schäferschen Geheimhaltungstaktik. Wie sollen wir denn die unteren Schichten des Antiquariats aufklären, aufrütteln und zu gemeinsamem Handeln veranlassen, wenn wir ihnen kein allgemein zugängliches Berufsmedium bieten?

Übrigens habe ich noch keinen Antiquar angetroffen, der den Verband nicht als mühsam vor sich hintrudelnde Gemeinschaft fauler Kompromisse und undeutlicher Halbheiten eingeschätzt hätte. Es wäre verfehlt, schon von seiner Zusammensetzung her, diesen Verband als Mitwirkenden an irgendwelchen Taten oder Entscheidungen zu sehen. Was mich anbetrifft, so nehme ich den Verband über Gebühr auf die Schippe, das sei zugestanden, aber daß mit ihm wirklich etwas zu bewirken sei, das wird auch sonst niemand glauben.

Über die Höfs-Runde, Dr.Biesters AG und andere Zusammenschlüsse des Gewerbes breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Da beißt keine Maus einen Faden ab: Die  G e n o s s e n s c h a f t  und der neue, mit ihr verbundene Verein allein sind zur Tat aufgerufen.

6.
Wie es, ob es noch gelingen kann, eine wirksame Gegendatenbank zu gründen, dazu habe ich, wie man weiß, alte und neue Ideen auf der Pfanne. Es liegt jedenfalls nicht an jenen unglücklichen Zusätzen zur GIAQ-Datenbank, vulgo "Antiquariatskunde", die Kollege Pardun zurecht karikiert hat; die graphische Darstellung bei "Antiquariat"  ist deutlich besser geworden, das törichte Gestammel in den Begleit- und Erklärungsseiten zeigt sich nach Jahren endlich korrigiert.

Ja bitte - worum geht es denn dann? Es geht um  S t r a t e g i e.

Vorbedingung hierzu ist eine Art parlamentarischer Vertretung der Antiquare. Hier kann und muß vom Gründungsforum Tomfolios gelernt werden: Wir benötigen ein genau geregeltes System von Anträgen, Zulassung zur Diskussion, Abschluß der Diskussion, Abstimmung - alles elektronisch.

Auf dieser Grundlage erst können wir zu strategischen Maßnahmen kommen. Brauchen wir eine Geheimhaltung vor dem Gegner, dem Amazonmonopol? Ganz gewiß nicht, denn dort zittern sie vom ersten Tag unserer neuen Genossenschaft mit angeschlossenem Verein. Noch aufmerksamere Leser wird das Forum nicht haben...


Dank für das Bild an geocaching.com. Die Rechte gehören uns nicht.