Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Mittwoch, 7. September 2011
Antiquariatsportale der neuen Generation - von der Datenbank zum H e i m des Kunden
Wer Feldzüge plant, muß seinen Kopf freihalten für die großen Linien. Dies gilt auch für jenes Absurdistan, in dessen Namen ich hier schreibe - ein Reich eigenbrödlerischer mißtrauischer Waldkauze, gewöhnlich Antiquare genannt, mit einer Armee, die nur in meiner Vorstellung besteht, mit einem Konzerngegner, der in der dritten Zigarettenpause, süffisant grinsend, die neuesten Spinnereien des Mulzer zur Kenntnis nimmt und sich ab und zu vergewissert, daß die Überweisungen an seine Vertrauensmänner im Gewerbe herausgegangen sind.
Den Kopf freihalten bedeutet: Ich schaue nicht in jedem Einzelfall nach, welche meiner Ideen wo und wie schon punktuell verwirklicht worden ist. Es gibt Ansätze allenthalben. Wie auch immer, ich tue so, als müßte ich das Rad neu erfinden. So geht es am Einfachsten, das sagt auch Ihr Architekt, der in der Regel lieber abreißt und dann neu baut, als sich mit Umbauten herumzuplagen.
Sollte dem Gegner heute die dritte Zigarettenpause nicht so gut bekommen und ihm das Grinsen vergehen - es wäre in meinem Sinn.
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Die größte Stärke bei Amazon-Abebooks ist nach meiner Einschätzung die Kunden-Vernetzung im Bereich der Kommentare und der Assoziationen, der selbsttätigen Erforschung und Neukombination der bereits punktuell ermittelten Interessen des Käufers/ Anfragers /Besuchers. Für Theoretiker wie den Kollegen Pardun ist das selbstverständlich - nur tut kaum jemand außer Amazon den letzten Schritt und setzt die Theorie des Web2 in die Praxis der Bücher-Verkaufsdatenbanken um.
Dabei verwirklicht Amazon-Abebooks die neuen Möglichkeiten nur in einem Mindestmaß. Dennoch gilt für mich schon jetzt, daß es für jedes Buchverkaufsportal, ob im Neu- oder im Altbuchsektor, ein Ding der Unmöglichkeit ist, hinter dem Amazon-Abebooks-Standard zurückzubleiben.
Der Großteil unserer Bücherdatenbanken wirkt tot, unlebendig, öde, dröge und mit dem Kunden "nicht in Berührung", weil die elementaren Bestandteile - Ideensammlung, Assoziation und Kundenkommentar - nicht eingebunden, nicht verwirklicht worden sind. Separat, irgendwo anders - ja, als integrierter Teil der Datenbank aber nicht.
Ich sage nochmals und rufe unseren Hl. Pardun als Zeugen an: Das sind keine Amazon-Großtaten, sondern es ist die längst fällige, sich logisch ergebende Folge aus dem Web2. Also muß sich keiner schämen, wenn er die Amazon-Abebooksmethoden direkt übernimmt und in sein eigenes Portal einbaut, er kupfert nicht ab, er holt Selbstverständliches nach.
Bis hierhin ist der Gedankengang ziemlich trivial. Spannend wirds erst jetzt, denn wir wenden unsere Erkenntnis von vorgestern auf das Modell an: Die gewinnorientierte Datenbank kann und darf die H ä n d l e r, also die Antiquare, nicht einbinden als selbständige Teilnehmer in das Gewebe der Meinungsäußerungen, Stellungnahmen, Buchbeurteilungen, bibliographischen Arbeiten usw., da sie sonst nicht Herrin über die provisionspflichtigen Güter bleibt und, horribile dictu, der direkte Weg Kunde-Händler eröffnet würde. Dagegen kann die genossenschaftliche Datenbank das ohne weiteres tun, ist doch der teilnehmende Händler am Gesamterfolg interessiert, er zahlt für den Gesamterfolg. .
Hier kann der Händler in ein viel ausgedehnteres Netz mit eingebunden werden, das mit der Titeldatenbank in engster Verbindung steht. Wir sehen die genossenschaftliche Datenbank als ein gewaltiges System von F o r e n jeglicher Art, in denen Kunden und Antiquare, immer in engster Verbindung mit den angebotenen Titeln, miteinander plaudern, raten, urteilen, Hinweise erfragen und geben.
Daß Amazon-Abebooks die Hände gebunden sind im Bereich des Antiquariats, was die Händlerteilnahme angeht, ist für den Konzern lähmend, denn im Altbuchbereich ist der Händler ja immer auch E x p e r t e oder sollte es doch sein. Der N e u - Buchhändler ist meist nur Buchvermittler, oft ist er austauschbar, ohne weiteres ersetzbar - im Antiquariat gilt der Händler als begehrte Fach- und Auskunftsinstanz vor allem bei den Kunden. Vielleicht zu Unrecht, aber darauf kommt es nicht an.
Erst durch die Vernetzung A n t i q u a r - K u n d e wird das Web2-Modell im Datenbankbereich sinnvoll. Diese Vernetzung kann und darf Amazon-Abebooks-ZVAB von seiner Grundstruktur her nicht leisten - unser genossenschaftliches Portal darf es!
Hier nun weiterzudenken macht Spaß. Wir haben überlagert mit der Web2-Datenbankstruktur seit gestern Abend nun ja auch das Gitter der Kompenenzzentren, die bekanntlich nicht als starre Zentren, sondern als Informations-Sterne aller jeweils tangierten Kollegen geplant sind. Die Bücherdatenbank wird so zum gigantischen Informationsmedium, zum Ansprechpartner, zur ersten Ressource überhaupt für jeden, der alte Bücher sammelt.
Exkurs: Wer hat sich nicht schon über jene verlogene, roßtäuscherische Unsitte geärgert, mit der einige bedeutende Altbuchportale auf Google-Anfragen mitteilen, der und der Titel sei nicht lieferbar. N i c h t! Und dann wird das seltene Altbuch in getürkter "Titelaufnahme" trotzdem dargestellt, dem Nutzer wird Zeit gestohlen. Vermutlich macht Google solche Tricks nicht mehr lang mit, aber noch grassiert das Ärgernis im Netz und zum Teil sogar in den Datenbanken selbst. Ich nenne hier aus juristischen Gründen keine Namen - probieren Sie es aus, die Übeltäter sind schnell entlarvt.
Diese Unsitte wird das genossenschaftliche Portal in dann positiv abgewandelter Form übernehmen müssen: Der kommentierte Titel "verschwindet" ja nach erfolgrem Verkauf, in den Diskussionen, Fragen, Beurteilungen usw. aber taucht er weiterhin auf bzw. steht noch dort. Also wird die Datenbank neuen Stils in deutlicher Unterscheidung, kleinerer Schrift, farblicher Abgrenzung solche Bücher, die zwar jetzt verkauft sind, die aber in der Diskussion waren, weiterhin aufführen müssen.
Das ist nur eine der vielen Detailfragen, die nicht übersehen werden dürfen.
Fazit: Die genossenschaftliche Datenbank kann, anders als die gewinnorientierte, die H ä n d l e r in die Diskussion miteinbeziehen. Da Antiquare von den Kunden als F a c h l e u t e respektiert werden, empfinden sie die Diskussion mit ihnen als wertvoll. Die neue Datenbank wird, eng vernetzt und auf mehreren Ebenen korreliert, ein ganz dichtes Gewebe der Sekundärkommentare, Urteile, Meinungen, Fragen, Stellungnahmen enthalten.
Sie wird auf diese Weise zum H e i m des Kunden.
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