Dienstag, 6. September 2011

Die neuen Kompetenzzentren der Antiquare - wie fangen wirs an?


http://www.boersenblatt.net/454811/template/bb_tpl_antiquariat/

Björn Biester, der verehrte Redakteur unseres Leitmediums im Antiquariat, nomine Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, sollte hin und wieder etwas näher hinsehen. Wenn es Ärger gibt, der telepathisch übertragen und empfunden werden kann - wovon ich überzeugt bin -, dann muß Biester gestern Nachmittag meinen Zornausbruch gespürt haben. Ich spreche von "DieBuchSuche", jenem seltsamen Gebilde, dem er einen eigenen Kurzaufsatz gewidmet hat.

Frohgemut machte ich mich daraufhin an eine Neuauflage meiner beliebten Webseitenkritik. Ich habe übrigens festgestellt, daß die Kollegen mir da etwas Fachkompetenz zutrauen, die letzten Ergebnisse (nahezu eine 1 für Abebooks und fast eine 4 für das ZVAB) wurden diskutiert und zur Kenntnis genommen.

Diesmal aber stellte ich meine Arbeit nach wenigen Minuten entsetzt ein. Unser aller Redakteur in Frankfurt, hast du das denn nicht gemerkt: Wir sehen hier eine linkisch dahingestoppelte, abgrundhäßliche, mit Anfängerfehlern noch und noch behaftete  - ganz unbrauchbare Metadatenbank. Dergleichen übergeht man, ich bitte darum, mit Schweigen. Es wird ja viel Unfug ins Netz gestellt, auch von mir, nimmt es aber ganz peinliche Ausmaße an, dann übergeht man solche Ausrutscher taktvoll und diskret.

Hier wurde uns aus Österreich, nach meiner persönlichen Einschätzung, eine peinliche Kalberei, ein Dummerjungenstreich präsentiert. Wenn man mir widersprechen sollte, dann nehme ich die Angelegenheit auseinander, aber ich denke, den Generalverriß kann man sich ersparen. Schwamm drüber. A l l e s  ist falsch gemacht worden. Diese Meta-Datenbank kann nur halbblinde Masochisten der strengen Observanz erfreuen - hach ja, bitte quäl mich, tu mir weh, jaaa...

Schnell weiter.

*

Die Brieftaube vom Dienst, genauer gesagt ein Täuberich, der vom Niederrhein, mit einem Abstecher nach Westfalen, nächtens zu mir fliegt und in seinem Schnabel allerlei Geheimzuhaltendes trägt, läßt mich nicht im Stich. Er bekommt von mir auch gutes Futter, wird übers Köpfchen gestreichelt und ich habe, was das Entscheidende sein dürfte, eine anmutige Täubin für ihn auf dem Dachboden verwahrt. Zum Weibe drängt, am Weibe hängt  ...

Ich will deshalb auf den Einwand antworten, es handle sich bei meinem Vorschlag von heute Mittag, Kompetenzzentren einzurichten und sie mit der genossenschaftlichen Datenbank zu verknüpfen, um sozialistische Gleichmacherei oder Schlimmeres.

Eigentlich gibt es alles schon, wir müssen nur dies und das umbenennen und organisieren. Die Kunden wie auch wir Händler wußten schon immer, welcher Antiquar was für Fachgebiete hat, wen man in einfachen und komplizierten Dingen fragen konnte. Es gibt freilich Blumen, die im Verborgenen blühen, und solche, deren Bekanntheitsgrad unverdient zurückgegangen ist.

Zwei Beispiele, willkürlich herausgegriffen. Ich bin davon überzeugt, daß Kollege Feucht in Allmendingen nach wie vor auf allen Gebieten der weitverzweigten Sittengeschichte der ideale Ansprechpartner und der gegebene Leiter des entsprechenden Kompetenzzentrums ist. Aus mir rätselhaften Gründen aber ist er im Netz nicht recht präsent und langsam wird er auf sein Fachgebiet bezogen "internetmäßig" ins Halbdunkel gerückt. - Es gibt eine Handvoll jüngerer Antiquare, die sich teils in Grenzgebieten mit Sittengeschichte und Erotika befassen, ob von der Fotografie oder von der Literatur her, und es gibt Häuser z.B. in Wien, die lagermäßig über große ältere Erotica-Bestände verfügen. Es ist nun aber Kollege Feucht, der am besten die Verästelungen und Relationen aller anderen Mitbewerber in seinem Kernfach kennt, sie einzuschätzen und zu rubrizieren vermag.

Also wird man Konsensus darin herstellen können, daß er der Leiter des Kompetenzzentrums "Sittengeschichte" wird. Er baut dann den weiteren Informationsstern auf, das geht immer auch ins  A r c h  v a l i s c h e  hinüber. Kollege Feucht kann Anfragende zur FKK-Bibliothek bei Kassel verweisen, er kennt die Zugangsbedingungen zur "Hölle" in der Pariser NB, ist informiert über das Schwule Archiv in Berlin und kann berichten, welche Flagellantica wo nachgedruckt worden sind.

Ich bin mir sicher, daß die Leiter des jeweiligen Kompetenzzentrums fair genug sind, alle Fachkollegen mit zu erwähnen, zu verzeichnen und Anfragen auch an sie zu delegieren.

Zweites Beispiel: Die deutschsprachigen Alsatica sind dabei, bis auf lächerliche Reste zu verschwinden vom Neubuchmarkt und die Altbestände sind heillos zersplittert in dutzenden deutscher Antiquariate zu finden. Größere Bestände gibt es bei jeweils einem Kollegen in Mülhausen und Colmar und bei zweien in Straßburg.

Den weitaus größten Bestand an deutschsprachigen Alsatica habe ich auf Lager, was kein Grund zum Angeben ist, denn sie sind inzwischen fast unverkäuflich und wertlos. Trotzdem sind diese 150 laufenden Meter mitsamt den zugehörigen bibliographischen Arbeitsmitteln gute Grundlage, ein "Kompetenzzentrum" für Alsatica bei mir anzusiedeln. Ich kenne die meisten erwähnten Kollegenbestände recht gut und würde sie natürlich als Mit-Kompetenzen anführen, wo ich sie nicht kenne (z.B. Saarbrücken und Baden-Baden), würde ich mit den betreffenden Kollegen in Kontakt treten. Nachfragende müssen über die - sehr gute - Recherchenlage bei den betreffenden Bibliotheken und Archiven aufgeklärt werden.

Ich schätze von mir her übrigens den Arbeitsaufwand für Auskunftserteilung auf täglich eine halbe Stunde. Das ist schon machbar, bringt ja auch neue Kontakte.

Es muß nun gewährleistet sein, daß das ganze System der Kompetenzzentren

*transparent, demokratisch und gemeinsam kontrolliert

entwickelt wird. So wie Kollege Feucht "seinen" Fachkollegen nichts vormachen kann, würde auch ich mich unter beständiger Kontrolle der mit Alsatica handelnden Kollegen befinden (vor welcher Spezialisierung ich übrigens dringend abrate - sterbende Sprachgebiete zu beackern ist eine grausame Sache, die Papiermühle wartet schon...). Das ist eben das Gute an der Netzarbeit - alles ist transparent und nachprüfbar.

Deshalb erzürne ich mich ja so über die (noch) gebräuchliche Verhehlungs- und Dunkelmännerpolitik der Antiquare im Netz. Das ist nicht gut, begreift es doch endlich!

Fazit: Es handelt sich bei meinem Projekt nicht um "Sozialismus", sondern um ein Transparentmachen, ein demokratisches Offenlegen und Festzurren von Sachverhalten, die bereits existieren.


Das aktuelle Foto von der letzten Generalversammlung der Kompetenzzentren-Leiter gehört  der Grundschule Heimstetten bei München. Dank für die Ausleihe!