Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Donnerstag, 8. September 2011
Momox - Totengräber des Deutschen Antiquariats?
http://www.boersenblatt.net/455044/template/bb_tpl_antiquariat/
Sie haben sich ja inzwischen daran gewöhnt, daß der plaudersüchtige alte Mulzer nicht gleich zum Thema kommt, sondern erst einmal allerlei Nebensächliches von sich zu geben pflegt, genuschelt zwischen verschiedenen Zahnlücken, halbverständlich, nach Greisenart spuckend, mit den Nudeln vom gestrigen Abendessen im Bart. Da die dann folgenden Überlegungen zum Hauptthema auch unverstehbar sind, ergibt sich jene schöne Einheit von Form und Inhalt, nach der wir doch alle streben, streben wir nicht?
Ich werde aus den Statistiken zu dem Blog, in dem Sie hier lesen, nicht klug. Google listet für die erste Septemberwoche neben 646 Seitenaufrufen aus der Republik noch 35 aus den USA, je 23 aus Frankreich und Rußland, je 10 aus Österreich und aus der Schweiz auf, unter den ferner Laufenden auch China... Kurios ist das alles. Bei den knapp zweistelligen Zugriffszahlen etwa aus China oder Brasilien dürfte es sich um irgendwelche Suchmaschinenspinnlein handeln, die ihr automatisches Wesen ohn' Ansehn der Person treiben, die USA dürften auf meine beständige Erwähnung von Tomfolio zurückzuführen sein, aber was machen die Franzosen bei mir, die ja notorisch kein Deutsch können, und, man staune, die Russen?
Vor Monaten habe ich angeprangert (und tue es wieder), daß wir Antiquare die Kollegen der eroberten Ostvölker ganz im Stich lassen und ausgeführt, welche Möglichkeiten es da geben könnte, aktiv zu werden, schlicht und ergreifend erst einmal zu h e l f e n. Aber das wurde mit allgemeinem Schütteln des Kopfes (nicht) zur Kenntnis genommen - woher also meine russischen Leser? Daß sich nur jeweils ein gelegentlicher Leser aus Österreich und der Schweiz hierher verirrt (nicht anderes bedeuten 10 Seitenaufrufe), bedauere ich aufrichtig, es zeigt, wieviel Vernetzungs- und Nachholbedarf in Sachen Zusammenarbeit da noch besteht.
Meine Portalfrage ist noch nicht ausgestanden, sie hängt erstens mit unserem geschätzten Kollegen Pardun zusammen, zweitens mit der Genossenschaft, drittens mit Björn Biester. Ich meine nicht "Beispiele", aus denen man hat lernen können, hier reicht die Ahnenreihe eines Antiquariatsportals von Leander Wattig (ein Phänomen in jeder Hinsicht, wenn auch aus meiner Sicht nicht durchwegs erfreulich) über den Kollegen Paulitz / Stormchen, dessen persönliches Schicksal im Zusammenhang mit seiner Antiquariatszeitung mich menschlich berührt, bis hin zu "Aus dem Antiquariat", der höchst seltsamen buchwissenschaftlichen Historikerzeitschrift von hohen Graden, die meint, eine "Antiquariatszeitschrift" zu sein. Sie ist einerseits viel mehr - andererseits leider auch viel weniger.
Es ist klar, daß zunächst das unübersichtliche Feld zwischen Bibliotheks- und Archivwesen, Neubuchhandel, Internet und Google, Urheberrecht, Nachdruck, Scans, Netarchive, ILAB und Altbuchverkaufsportalen in A b s t r a c t s berichtet werden muß. Das ist einfach nur journalistische Klein- und Fleißarbeit, die Spaß macht, auch weil sich aus schnell nachgeführten und gut erschlossenen Mosaiken dieser Art "selbsttätig" neue, eigene Erkenntnisse ergeben, einfach durch das Zusammentragen. Aber, lieber Herr Wattig, eben nicht durch pfiffig-freches automatisches Akkumulieren - da will gedacht, persönlich recherchiert sein. "Händisch" nennen das die Österreicher.
Soweit, so einsichtig. Auch ist es klar, daß wir heute die allgemeine Informationslage, den Informationsbedarf, ebensowenig ausgrenzen oder abtrennen dürfen vom Antiquariat wie das Sammelwesen, das Liebhaber- und Vollständigkeitssammeln. Es kann dem Antiquariat blühen, nach quälenden Rückzugsgefechten am Ende nur noch Lieferant für Sammlerinteressen eher mechanischer Art zu sein, Nachfolger des Briefmarken- und Bierdeckelsammelns. Solche Entwicklungen, die keine Deklassierung bedeuten müssen, kündigen sich schon an, wie auch der Niedergang des "moderneren" Antiquariats zur Momox-Fabrik (davon werden wir gleich sprechen).
In einer Zeit des Umbruchs für ein ganzes Gewerbe ist es unumgänglich, über alle Randbereiche zu berichten. Hier liegt ein Grundfehler nicht nur der Antiquariatssparte des Börsenblatts, sondern des gesamten Frankfurter Netzdienstes vor. Denn auch der Neubuchhandel steht vor gigantischen Umbrüchen, die viel umfassender vorbereitet und diskutiert werden sollten. Das Börsenblatt ist von daher insgesamt ein altes, archaisch solide gebautes, für moderne Container aber völlig ungeeignetes Segelschiff.
Ein Portal, jedenfalls wenn es mit meinem Namen verbunden sein soll, darf nicht über Leichen gehen. Ich hasse Menschen, die sich als Sozialisten bezeichnen, in der Praxis dann aber egozentrisch und egoistisch vorgehen und ihre Mitbewerber rücksichtslos niedertreten. Daher frage ich mich, wie ein Netzportal meiner geplanten Art sich auswirken wird, wer darunter leiden könnte. Denn dann ist es aus mit der jetzigen Blog-Idylle, schon weil dann die Kundenseite massiv ins Spiel kommt - und ihre Kunden sind auch den brutalsten Antiquaren nicht egal, da werden sie hellhörig.
Ein Netzportal für Kunden und Händler im gesamten Antiquariat - wer mag mir Ratschläge geben? Mein Briefkasten ist immer offen, ich antworte meistens rasch: mulzerbooks@t-online.de. Mitarbeiter willkommen!
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Verdienstvollerweise unterrichtet uns Björn Biester heute (siehe den Link ganz oben) über neue Entwicklungen beim besonderen Freund und Liebling aller Antiquare, bei M o m o x. Hier können wir uns eigentlich kurz fassen und feststellen, daß das Momox-Prinzip mitsamt seinen Klonen, etwa der neuen Abebooks-Amazon-Variante, nichts anderes bedeutet als das E n d e des Buchantiquariats in Deutschland, soweit es sich mit Titeln nach etwa 1960 beschäftigt.
Für jene Kollegen, die sich eher mit älterer Fachliteratur oder mit deutlich bibliophilen Titeln befassen, bedeutet das Momox-Prinzip immer noch eine schwere, oft auch für sie tödliche Bedrohung.
Ich hasse es, Recht zu behalten (das ist eine Lüge, ich liebe es...). Wer unter den Antiquaren ein gutes Gedächtnis hat, der weiß noch, wie ich mich beim Vorgänger des Momox-Prinzips, bei W ö l k i literarisch aufgehalten hatte in langen Ausarbeitungen in der Hess-Runde.
Wölki war äußerst unbeliebt, hatte das auch verdient, angefangen vom systematischen Ausbeuten staatlicher Unterstützungstöpfe bis hin zu windigen MA-Kettenläden, deren Scheitern dann die Angestellten auszubaden hatten. Alles recht unerfreulich!
Und doch: Wölki hatte g e n i a l erfaßt, wie das Antiquariat der Zukunft aussehen mußte. Er rationalisierte, senkte die Kosten, steuerte - mit wenig Glück freilich - die Bücher-Verkaufsdatenbanken in seinem Sinn, er hatte als erster dutzende Hamburger, dann Dresdner Hausfrauen an der Titelaufnahme sitzen, baute riesenhafte, durchorganisierte Läger auf.
Das Beispiel Wölki lehrt uns eine ganze Menge, und ich sehe beim Blättern in den uralten Hess-Papieren, daß ich die Grundlinien damals schon herausgearbeitet hatte, zuhanden aller Kollegen, denn in ihrer Weise war die Hess-Runde das effektivste Medium, das die Antiquare je hatten.
Halten wir fest: M o m o x und sein Amazon-Abebooks-Klon i s t das Ende des Antiquariats im deutschen Sprachraum. Derzeit vernichtet Momox, gemessen am Umsatz und der Zahl der Mitarbeiter, bereits etwa 100 (einhundert) kleinere Kollegen, und das nach erstaunlich kurzer Anlaufzeit.
Gibt es ein Gegenmittel, ein Rettungsmittel gegen Momox? N e i n.
Exkurs: Auch die älteren Titel vor der ISBN-Zeit sind durch die großen Verkaufsdatenbanken schon weitgehend "transparent" geworden. Händler wie auch Kunden können Anzahl und Preisniveau des gesuchten Titels mit wenig Mühe ermitteln, dazu sind die - nach wie vor erstaunlich unbekannten - Metasuchmaschinen gar nicht mehr notwendig. ZVAB und/oder Abebooks reichen aus. Der Kunde erlebt, wertet, berechnet also auch alte Standardtitel vor der Benummerungszeit bereits schematisch, als Stücke mit bekanntem, mit anerkanntem Preis. Die Zustandsfrage, bei älterem Material etwas wichtiger als bei neueren Titeln, ist leicht in den Griff zu bekommen.
Sind schon die älteren Titel wenigstens teilweise zum S c h e m a geworden, zu Artikeln mit mehr oder minder "bekanntem, anerkanntem" Preis, so gilt das noch weit mehr für neuere Bücher nach Beginn er ISBN-Benummerung..
Für beide Gebiete gilt übrigens, daß es in verstärktem Maß - ich sage das bewußt so hart - halbirre Antiquare gibt, einzuschätzen als Spinner oder Verbrecher an ihren Kollegen, die mitten in ein stabilisiertes Preisfeld eines Titels hineinknallen mit ein, zwei absurden "Kampfpreisen", die das Feld nach unten hin aufreißen, da wird die Hälfte, oft sogar nur ein Drittel angesetzt. D i e s e s Problem macht aber auch Momox zu schaffen, es betrifft alle, insoweit ist es für die unsere Diskussion hier neutral.
Wenn ich eine teilstandardisierte Ware habe und als G r o ß b e w e r b e r in einen Markt gehe, dann verfüge ich bei geschickter Planung über
- einen Kapitalhintergrund, der kleineren Händlern unerreichbar bleibt (die Banken geben mir die Kredite), dann kann ich
- gnadenlos rationalisieren, erziele weitaus größeren Gewinn, ich kann auch
- eine größere Auswahl bieten als der kleinere Mitbewerber, ich werde
- ausgedehnter und besser werben (gerade auch im Netz)
und so beginnt die bekannte Spirale des fast zwangsläufigen, automatischen Machtzuwachses.
Was ich persönlich geradezu pervers finde, ist das Faktum, daß sich alle Bemühungen, alles Herumzappeln meiner kleineren Mitbewerber auf Messen, mit Sympathiewerbung, mit Büchersammelportalen usw. für mich als den großen Gegenspieler auch noch fördernd auswirkt. Der kleine Antiquar, den ich zu erdrosseln mich anschicke, leitet mit seinen verzweifelten Überlebensbermühungen Wasser auf m e i n e Mühle. Das ist pervers.
Die Antiquare hätten eine einzige Möglichkeit, sich zu wehren, ihrem Ende zu entkommen - wenn sie sich zusammenschließen würden. Gegen Momox hilft nur ein noch größeres, genossenschaftlich organisiertes, von allen Antiquaren getragenes Anti-Momox.
Wir sind hier an einem spannenden Kreuzungspunkt angekommen: Die Amazon-Abebooks-ZVAB-Frage, aus der nur genossenschaftliches Miteinander noch heraushelfen kann, da das Kartellamt die Antiquare nach meiner persönlichen Einschätzung im Regen hat stehen lassen, trifft auf die Momox-Frage. Das Abwürgen durch Amazon wird naturgemäß langsam erfolgen, die Antiquare müssen sich - hübsche Aussichten - noch weitaus stärker als bisher an Amazon-Abebooks-ZVAB klammern, um gegenüber Momox bestehen zu können.
Der Momox-Mechanismus aber wird weitaus schneller wirksam. Wenn Momox jetzt keine Fehler macht, wenn es die Kartellbehörde in einem späteren Stadium ähnlich geschickt "behandelt" wie Amazon das tut, dann läutet nicht die Amazon-, sondern die Momoxfrage die Totenglocke am Sarg der Antiquare im deutschen Sprachgebiet.
Ja, ich weiß schon, die oberen 50 Verbandsantiquare betrifft das nicht, die Genossenschaft sitzt alles träge aus, weshalb auch - was geschehen wird an Maßnahmen und Hilfsversuchen? N i c h t s.
Deutsches Antiquariat, ruhe in Frieden.
"Hier liegt ein Berufsstand, der blind, faul und dumm in den eigenen Untergang gelaufen ist "
"Beachten Sie die Beileidskränze von Momox und Amazon-Abebooks-ZVAB"
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Nachschrift, Zitat aus einer Email:
"...hinter den Ankaufspreisen steckt ein v a r i a b l e s ausgebufftes System, bei Amazon hab ichs ausprobiert, bei Momox wird es sowieso schon ähnlich existieren - die Schnelligkeit und Häufigkeit des "Abverkaufs" der Titel wird in Relation gebracht zum ehemaligen Ladenpreis. Amazon/Abebooks kann solche Operationen als als Herrin der Daten ihrer Antiquare ohnehin perfekt leisten. - ."