Montag, 24. Oktober 2011

Wie sich das Antiquariat aus dem Internet verabschiedet

- Nachtrag zum Aufsatz Nr. 200 - 

Es ist wie der Erwachen aus einem bösen Traum, wenn ich mich in diesen Tagen frage: Wie um alles in der Welt konnte ich mich derart unsinnig verbeißen in die großen Datenbankprobleme? Warum habe ich mich niemals gefragt, ob denn das Anbieten alter Bücher im Internet nicht in Wahrheit unzureichend, mühsam, unzweckmäßig, geradezu blödsinnig sei, ob wir uns nicht alle auf einem schauerlichen Trip befänden, der für uns wie auch unsere Arbeitsobjekte entwürdigend, ja beleidigend ist?

Im letzen Aufsatz mit der Nummer 200  habe ich angedeutet, daß die Titelaufnahme für Bücher unterhalb des Versteigerungsniveaus, in jedem Fall aber unter etwa 50 Euro Mittelwert nicht sinnvoll ist. Zwei Ausnahmen hatten wir gelten lassen, solche Ware, die für hochspezialisierte Fachkataloge geeignet erscheint und dann hochpreisige Ware jeder Art.

Alle anderen Bücher können schon in einer kleineren Großstadt ab etwa 100.000 Einwohnern, in größeren Orten sowieso, ihre Käufer finden, sofern sie in einem Laden angeboten werden, der gut bekannt ist. Wir sprachen von dem ganz unabschätzbar hohen Werbewert, den die Bildung eines

"Hauses der Bücher"

mit sich bringt, erwähnten den Anmutungscharakter einer Einrichtung dieser Art, luden eine Neubuchhandlung im Erdgeschoß zur Beteiligung ein.

Ich habe heute einige Testgespräche mit Kollegen und Kunden geführt und werte die Ergebnisse gleich aus.

1.
Es ist nicht möglich, das Modell in kleineren Orten durchzuziehen. Die Kernthese ist ja, daß sich für fast alle Arten alter Bücher sehr wohl eine ausreichende Ladenkundschaft finden läßt. Erfahrungsgemäß brauchen wir dazu aber die Bevölkerungsstruktur und Menschenmenge einer Großstadt. Ich sehe ohnehin nicht ein, weshalb Antiquariate in kleineren Orten bestehen sollen - dem Kollegen ist zuzumuten, in seinen Stadtladen zu pendeln, wenn er im Umkreis eines größeren Orts wohnt.

2.
Das Modell hat nur Sinn, wenn der Antiquar regelmäßig neue Titel, neues Futter querbeet durch alle Sachgebiete nachliefern kann. Deshalb ist  eine flächendeckende Ankaufstätigkeit durch den Kollegen notwendig. Früher war das selbstverständlich und es schadet den Antiquaren, auch den darin ungeübten, gar nichts, wieder Hausbesuche zu machen und zu inserieren. Ankäufe bei Privat an der Quelle lohnen sich immer, auf eine gewisse Zeit hin betrachtet und ausgewertet. Viele Kollegen sind in dieser Beziehung heute stinkfaul.

3.
Es ist gut möglich und sogar wahrscheinlich, daß sich für teure Titel ab etwa 50 Euro am Ort keine Käufer finden. Dort - aber nur dort - ist das Einstellen in eine überörtliche Verkaufsdatenbank oder das Einliefern bei einem Versteigerungshaus notwendig und sinnvoll.

4.
Mit den modernen elektronischen Mitteln ist es gut möglich, das eine oder andere Antiquariat stundenweise ohne Personal  zu lassen. Die Einrichtung des "Hauses der Bücher" sollte so sein, daß das stockwerkmäßig unterste der Antiquariate ständig besetzt ist und zeitweise eine Abschrankung vorgesehen ist. Der Kollege kassiert dann die Titel der Kollegen, die ihren Laden "oberhalb" nicht besetzt haben, mit ab. Natürlich muß dann jedes Buch mit einem kleinen Eignerzeichen des Antiquariats versehen sein. Radierungen wird der Kunde dann nicht vornehmen, wenn die elektronische Videoüberwachung im ganzen Haus lückenlos erfolgt - eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

5.
Die Preise unter 30 Euro können und sollen nach Gefühl festgesetzt werden. Der Kunde akzeptiert in einem vernünftigen Rahmen individuelle Preisgestaltungen im unteren Buchbereich durchaus. Wird vor der Preisauszeichnung und dem Einstellen ins Regal jeder zweite Titel im Netz nachgesehen, "was er denn kostet", dann wird mein Modell ad absurdum geführt.

6.
Wir brauchen eine sehr gute Sachgliederung der Bestände im Laden. Da besteht großer Nachholbedarf! Die Schilder müssen groß, leserlich und geschickt angebracht sein. Es ist unsäglich, wie die meisten Ladenantiquariate derzeit noch zusammengestümpert werden vom Technischen her. Ich bin gern bereit, solche Fragen hier in extenso durchzusprechen und Rat zu geben.


Die drei Ziele

- radikale Senkung der Miete
- Minderung der Personalkosten
- großer Selbstwerbeeffekt durch Konstituierung des "Bücherhauses"

dürfen nie aus dem Auge verloren werden. Nur dann ist die Rückkehr zum Ladenantiquariat als Normalverkaufsform möglich.

Ergänzende, flankierende Maßnahmen durch Webpräsenzen, Webverbünde usw.- sind möglich, bei Durchführung meines Modells aber im Grunde nicht notwendig.

Wird es richtig durchgeführt, läuft es von selber.


Die Gegenrechnung an Zeit und Kosten ist weitaus günstiger als der Vertrieb durch jede Art Datenbank. Ein ganzheitlicheres Arbeiten ist möglich, der Antiquar wird überhaupt erst wieder zum M e n s c h e n, wenn er nicht mehr Fron ableisten muß durch das scheußliche Titelaufnehmen und die nicht minder widerliche Einzelstück-Versendung.