Freitag, 14. Oktober 2011

Frankfurter Impressionen - ein Kurzbericht

Diese Zeilen schreibe ich in der Nacht von Freitag auf Samstag. Die Zugfahrt mit dem letzten IC aus Frankfurt gestaltete sich dramatisch, von Berlin her 40 Minuten verspätet, die Reisenden verzweifelt ob ihrer verlorenen nächtlichen Anschlüsse. - Morgen früh muß ich gleich weiterreisen in den tiefen Süden, aber ohne eine Notiz von meinem Besuch auf der Antiquariatsmesse möchte ich mich nicht aufs Ohr legen.

Die Buchmesse, in deren größeren Rahmen die Antiquariatsmesse ja eingebettet ist, hat mir den langen Tag über herzliche Begegnungen mit (sehr) hübschen jungen und etwas verwirrten, aber sympathischen älteren Damen gebracht - ist die Buchmesse ein alljährliches Kontaktforum für musische anschlußsuchende Damen? Buchhändlerinnen vor allem sind in Frankfurt euphorisch gestimmt, es steht Frauen gut, wenn sie kulturell arbeiten! Die kulturvollen Männer wirken da schon eher etwas konfus und unordentlich, es sei denn, sie gehören der Verlagsbranche an und wuseln schwarzgekleidet und arrogant durch die Gänge.

Wie auch immer, ich habe mich schon lang nicht mehr so gut unterhalten einen langen Messetag hindurch, von 10 Uhr bis lang nach 19 Uhr. Mein Rat für nächstes Jahr: Wer sich einsam fühlt, wer hübsche und doch auch kluge, sensitive Frauen mag - auf nach Frankfurt!

Soviel zur Buchmesse. Die vielen Stätten zum Kaffeetrinken, das Schlendern von Stand zu Stand, die Sitzbereiche im Freien bei strahlender Herbstsonne, und hinter jeder Biegung wieder eine reizende Frau: So wollen wirs immer haben...

Die Antiquariatsmesse im besonderen war diesmal in jener großen Betonmuschel untergebracht, die der Audi-Konzern gesponsert hat. An einer reichlich wilden, aber nicht unästhetischen Riesenhalle, in der den Automobilen dieser Marke buchstäblich ein Weihegottesdienst zelebriert wird, drückt man sich vorbei, um dann in einen bunkerhaft niedrigen, zugleich aber urgemütlichen Bereich zu gelangen, in dem die Antiquare ihre Waben einrichten durften. Farben und Standanordnung fand ich sehr gelungen, über eine unendlich geschmacklose Café-Empore mit in Schönheit erstarrten, dummfrechen jungen weiblichen Schnöseln mußte man hinwegsehen.

Ich hatte diesmal einen sehr positiven Eindruck von der Stimmung der Antiquare untereinander, einige kurze Gespräche gestalteten sich herzlich - nur scheint mir der Umsatz nicht befriedigend gewesen zu sein bei einigen Kollegen. Das tat mir leid; die meisten Antiquare sind nicht fähig, mit strahlendem Lächeln über nicht recht gelungene Geschäfte hinwegzutäuschen. Dies ehrt die Antiquare, sie sind menschlich, ehrlich und noch keine Geschäftsroboter geworden.

Nach längerem Aufenthalt, auch auf dem neoweiß-kitschigen Caféaltar, schlägt die  B u n k e r - Stimmung des Gebäudes doch aufs Gemüt, überdies stimmt die Klimatisierung in der Muschel nicht, es riecht penetrant nach Beton-Muff und übelster Klimaanlage, so roch es in der "neuen" Freiburger Beton-Universitätsbibliothek, die jetzt gerade abgerissen wird, weil es niemand darin aushalten konnte. Der Audi-Muschel wird es vermutlich nicht besser gehen.

Mir tun die Kollegen leid, die es im Führerbunker ja tagelang aushalten mußten. Ich bin zweimal daraus geflüchtet und habe, der Sauna entronnen, erst einmal tief aufgeatmet in der Herbstluft.

Aus einiger Ferne herbeigeeilt war ich wegen der Jahrestagung der AG mit Vortrag über den ZVAB-Büchermichel (Ende Vormittag) und der Werbeveranstaltung des Amazon-Abebooks-ZVAB-Konzerns, die auf den frühen Abend angesetzt war.

Die Versammlung der AG war nicht nur schlecht besucht, sie wurde zu einer Abstimmung der Antiquare - die ja in der Halle nebenan präsent waren - mit den Füßen, wie sie grausamer nicht hätte ausfallen können. Dr. Biester hatte mit herzlichen Worten auch Gäste eingeladen, indessen es half nichts. Als hätte Biester uns vor Augen führen wollen, daß die AG in ihrer gegenwärtigen Form nahezu "tot" ist und bei den Antiquaren absolut keinen Zuspruch findet, saß ein winziges, verlorenes Grüppchen rund um das große Tischviereck - gespenstisch, eine Geisterveranstaltung.

Es kam durch die echte, warmherzige Freundlichkeit des Vorsitzenden der AG und die tapfere Sachlichkeit Dr. Biesters, ihres Geschäftsführers, trotzdem zu einer kurzen, aber guten und aus meiner Sicht ertragreichen, vernünftigen Diskussion einiger aktueller Anliegen der AG. Als Gast bin ich zu näheren Ausführungen nicht befugt, das lesen Sie bitte in börsenblatt.net nach.

Ich bin Dr. Biester heute zum erstenmal persönlich begegnet. Hinter seiner Hamburger Korrektheit und vermeintlichen Kühle verbirgt sich ein kluges und durchaus zu bewegendes Herz. Ich sage das, obgleich wir uns außerhalb der AG-Versammlung wie Katz und Hund aus dem Weg gegangen sind, ich, weil ich ihn nicht dadurch kompromittieren wollte, mit mir schwarzem Schaf gesehen zu werden, er, weil er mich wohl für arrogant und kontaktscheu halten mußte.

Beides war nicht der Fall und beim nächsten Mal in Frankfurt werden wir uns, so denke ich, an einen Tisch setzen und miteinander diskutieren.

Die anschließende Vorstellung des ZVAB-Büchermichel, die der Chef des recht bedeutenden Schwaneberger-Verlags selbst hielt, war aus seiner Sicht instruktiv. Aus Sicht des praktischen Antiquars aber mußte das Urteil über den Büchermichel weiterhin vernichtend ausfallen, und wirklich hatte auch bisher keiner der anwesenden Kollegen längere Zeit mit dem fehlgeplanten Gebilde arbeiten wollen - außer meiner Wenigkeit, der ich einen halben Tag lang im Juli gelitten, gebrüllt und gelacht hatte, als ich diese Mißgeburt testen mußte.

Mir tun die Schwaneberger-Leute leid. Sie haben es versäumt, mit praktisch arbeitenden Kollegen des Mittelfelds Tests zu veranstalten, von ihnen Erfahrungen einzuholen. Ein ganzer Rattenschwanz von Faktoren wurde falsch, schief, unglücklich übertragen oder auch - schlimmer - nicht übertragen zwischen der Philatelie und dem Antiquariat, vor allem wurde die Bildung eindeutiger, blitzschnell zu erkennender typischer Mittelpreise unter Zugrundelegung vordefinierter mittlerer Zustände versäumt.

Das Ding ist schauerlich mißraten und muß völlig neu aufgebaut werden. In der jetzigen Form ist es eine Totgeburt.

Die Abendveranstaltung der vereinigten Amazonknechte war - vordergründig in herzlicher Stimmung - durchaus gelungen, bei näherem Hinsehen aber eine groteske Farce. Das lag schon an der Planung. Die auf der Antiquariatsmesse anwesenden Antiquare sind allesamt nicht sonderlich interessiert  am Absatz über Bücherportale. Der große Vorsitzende Köstler hatte das ja schon bei dem Umfrage von "Buchreport" lakonisch festgestellt: Die Mitglieder des Verbands würden nur wenig berührt von der ZVAB-Frage.

Daß also dieses Meeting, an dem 950 der 1000 Antiquare in Deutschland brennend interessiert gewesen wären, ausgerechnet unter den 50 abgehalten wurde, die es nur höchst sekundär bewegt, ist ein peinlicher Mißgriff gewesen. Ähnlich schauerlich war die Idee, zunächst einen, dann mehrere lockere Stehkonvente abzuhalten, bei denen Wesentliches in unbeschreiblichem Sprachgewirr untergehen mußte.

Ich war dann doch sehr dankbar für ein langes, wenn auch im Stehen und unter akustischer Quälerei geführtes Gespräch mit einem der Verantwortlichen. Dazu schreibe ich nichts weiter zu dieser späten Stunde. Nur soviel: Ich habe ihm den offenen Kampf der an Amazon verkauften Antiquare für die nächste Zeit angesagt - und er hat bis zum Schluß nicht begriffen, was die 950 Kollegen an der Amazon-Konzentration stört und welche Gefahren sie auf sich zukommen sehen.

Während die Abebooks-Verantwortlichen, besonders der Herr, mit dem ich sprach, einen sehr kompetenten, außerordentlich klugen und wohlunterrichteten Eindruck machten, ist mein langjähriger Zweifel an Herrn Heinisch durch die erstmalige, wenn auch nur zuhörende Begegnung aus kurzer Distanz leider voll bestärkt worden. Dazu nichts weiter.

Und nun verabschiede ich mich. Dieser Tag hat mir die Kollegen aus dem Spitzenbereich unserer Branche doch nähergebracht, ich konnte erkennen, daß sie sympathisch sind, ferner habe ich jetzt einen persönlichen Eindruck von Dr. Biester. Das war die Reise wert.