Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Dienstag, 25. Oktober 2011
Antiquaria - der Ladenbuchhandel alimentiert seinen Henker
Im Börsenblatt-Netzdienst wird zur Zeit diskutiert über die Frage, ob "die Beziehungen zwischen Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel (...) ausbaufähig seien". Eine Warntafel hierzu muß gleich am Anfang des Weges aufgestellt werden.
Die Fakten sind betrüblich für die Antiquare und es dürfte sich inzwischen unter ihnen herumgesprochen haben: Die beiden größten Verkaufsportale für deutschsprachige alte Bücher im Netz, ZVAB und Abebooks, gehören seit diesem Frühjahr zu 100 % wem - richtig, A m a z o n. Der internationale Weltkonzern, der sein Scherflein beigetragen hat zum Untergang des selbständigen Buchhandels, hat beide gekauft. Er beherrscht die elektronischen Absatzwege des Buchantiquariats im deutschen Sprachraum über Portale je nach Interpretation zu 80 - 90 %. Die Antiquare zittern, ihnen ist nicht wohl dabei, hilflos sehen sie zu, wie ihre wirtschaftliche Freiheit bedroht wird. Manche von ihnen sehen sich schon als Franchisenehmer des Amazon-Konzerns, warte nur balde.
Über diese Tragödie, der das Bundeskartellamt mit den Händen im Schoß untätig zusieht, ist wenig in die breitere Öffentlichkeit gelangt. Von gelegentlichen Randnotizen abgesehen haben auch die Medien des Neubuchhandels keine Notiz davon genommen.
Das war mit Sicherheit ein Fehler.
Für jeden Buchhändler - im Folgenden sprechen wir jetzt nur noch vom N e u - Buchhändler - ist "Amazon" ein Reizwort, es löst in ihm Angst aus - zurecht. Durch seine schiere Marktbeherrschung sägt der Konzern, ohne besonders böse zu sein, mit viel Geschick und bisher unaufhaltbar an den Absatzmargen des stationären Buchhandels. Amazon hat es nicht nötig, unangenehm aufzufallen, das besorgen die Gesetze des Marktes. Über der Frankfurter Buchmesse schwebte Amazon, einem düsteren Riesenvogel gleich, und seine Fittiche überschatteten die Gemüter der Buchhändler, besonders der kleinen und unabhängigen, die überleben wollen.
Es muß wiederholt werden: Abebooks und Z V A B sind beide zu hundert Prozent im Besitz von Amazon.
Jeder Cent, der ZVAB zugewendet wird, stärkt Amazon, jeder Werbeimpuls für ZVAB kommt Amazon zugute. Und auch dies sei wiederholt, daß ich Amazon keine bösen Absichten unterstelle, vielmehr i s t Amazon einfach die riesige Maschine, die den unabhängigen kleineren Buchhändler erdrücken m u ß, nolens volens. Die Gesetze des Marktes...
Es ist nun dem Todeskandidaten ziemlich egal, wer ihn morgen aufhängen wird und warum er das tut. Für das Opfer zählt nur die vorhersehbare Hinrichtung.
Wir kennen aus den düstersten Tagen Deutschlands jene Rechnungen für die "Kosten der Hinrichtung", die eine entmenschte Justiz den Verwandten jedes Hingerichteten zuzustellen pflegte. Man möchte meinen, das sei der Gipfel des Zynismus.
Aber es gibt noch eine absurdere, zynischere Situation: Man male sich aus, der Todeskandidat alimentiere f r e i w i l l i g und vor seiner Exekution den Henker. Außer in Sadomaso-Zirkeln ist so etwas undenkbar.
Meinen Sie? Genau das findet täglich einige hundert Mal immer dann statt, wenn ein Buchhändler über das Antiquaria-Programm bei ZVAB antiquarische Bücher bestellt. Er nährt damit beständig seinen marktwirtschaftlichen Henker - Amazon. Henker - als technischer Begriff ist das zulässig, als moralische Qualifikation möchte ich das Wort aber nicht verstanden wissen.
Man muß natürlich näher hinsehen. ZVAB bietet den Antiquaria-Dienst "kostenlos für den Buchhändler" an. Das bedeutet freilich nicht, daß er ganz kostenlos für den Antiquar sei, von dem die Bücher kommen. Vor allem aber stellt jede Bestellung einen nicht hoch genug einzuschätzenden W e r b e - und I m a g e w e r t für das ZVAB und seinen Alleinbesitzer Amazon dar.
Wir wissen spätestens seit den Google-Milliardengewinnen, daß der Werbewert und der Imagenutzen oft weit höher sein können als eine "Gebühr". Und wirklich sponsert jeder Buchhändler, der über Antiquaria bei ZVAB antiquarische Bücher ordert, seinen marktwirtschaftlichen Henker, A m a z o n.
Das sei nun alles nur indirekt und über sieben Suppenteller? So tickt der Markt nicht. Erstens wissen auch Insider nicht, ob das ZVAB, ja - ob auch Abebooks nicht diesen Herbst, nächstes oder erst übernächstes Jahr auch technisch voll integriert werden soll in das Amazon-Portal. Es wird für sehr wahrscheinlich gehalten. Zweitens erhält Amazon das gesammelte Herrschaftswissen der beiden Konzernteile.
Diese Andeutungen mögen genügen, um dem Buchhändler klarzumachen:
*Mit jeder Antiquaria-Bestellung sponsert er seinen marktwirtschaftlichen Henker, Amazon.
Daß es auch noch andere Henker gibt, die ihm zu Leibe rücken, tröstet den kleineren unabhängigen Buchhändler nicht. Amazon ist allemal der gefährlichste. Ist es nicht auch eine Sache der W ü r d e des bedrohten Buchhändlers, seinen marktwirtschaftliche Henker nicht auch noch vorher zu alimentieren?
Für das Foto danken wir dem Stadtmuseum Erfurt, das die Rechte daran besitzt