Mittwoch, 12. Oktober 2011

Das Projekt ZVAB-Büchermichel, zum zweiten



Die Darstellung der Chancen und Probleme des "Büchermichel" wird durch diesen ergänzenden Beitrag nicht übersichtlicher und auch nicht unterhaltsamer. Ich bitte diejenigen Kollegen, die sich für Bibliographie nicht interessieren, auch den heutigen Text nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Man kann bibliographische Neigungen nicht herbeiquälen - entweder hat man sie, oder sie bleiben aus. Ich habe zu meinem Erstaunen immer wieder feststellen müssen, daß die meisten Buchantiquare - neben den Bibliothekaren eigentlich doch die Hauptapostel der retrospektiven Bibliographie - ostentativ zu gähnen beginnen, wenn man das Thema auch nur ankündigt. Da werden jahrzehntelang mehr oder minder gute Buchbeschreibungen abgeliefert, mit der Geduld und Zuversicht einer wiederkäuenden Kuh auf der Wiese, aber was da eigentlich "stattfindet", darüber denken die meisten Akteure nicht gern nach.

Wir sprachen im vorhergehenden Blogbeitrag darüber, daß die einzelne, für sich genommene, isolierte Buchpreisbestimmung viel weniger wert ist als die Übersicht über ein ganzes thematisches Bücherfeld mit den dazugehörigen typischen Mittelpreisen bei vordefinierten mittleren Erhaltungszuständen - daß der ZVAB-Büchermichel also die Grundidee des Schwaneberger-Briefmarkenkatalogs jämmerlich verrät und in den Sand setzt. Wir forderten gestern, es müsse dem Büchersammler in Auswahl ermöglicht werden, sein Sammelgebiet feld- und listenmäßig "optisch" zu erfassen auf ganzen Katalogseiten.

Dr.Biesters Katalogsammlung
Beim Börsenverein in Frankfurt steht eine liebevoll gepflegte Sammlung der allermeisten Antiquariatskataloge seit olims Zeiten, relativ vollständig ab etwa 1950, wenn ich recht unterrichtet bin. Welchen Wert dieses Material darstellt, konnte ich vor einem Jahrzehnt selber feststellen, als ich mir mit einigem Portoaufwand eine aktuelle Sammlung von etwa 300 Kollegenkatalogen zurechtgesammelt hatte, sie nach Fachgebieten ordnete und an die nähere Untersuchung der enthaltenen bibliographischen Schätze ging.

Von der Verwertbarkeit her kann man das französische geflügelte Wort bemühen "les extrèmes se touchent". Neben ganz ausgezeichneten, ja erstaunlichen Katalogen stehen jämmerlich hingeschluderte Machwerke. Insgesamt waren die Ergebnisse aber sehr positiv. Das mag sich seither geändert haben, ZVAB steckte damals noch in den Kinderschuhen und wurde von Heinisch mühsam hochgepäppelt. Wie auch immer, in den Antiquariatskatalogen seit 1950 ist bibliographisch ungemein Wertvolles und Nutzbares verborgen.

Nur war die Auswertung bis vor wenigen Monaten nicht möglich. Erst jetzt haben wir preiswert nutzbare Instrumente, mit denen wir vom ersten Scannen (oft schwache Schreibmaschinentypen) bis zur blitzschnellen Ordnung und Auswertung von Millionen unterschiedlich angesetzter Titelerfassungen vernünftig arbeiten können, wenn wir uns vornehmen, Dr. Biesters Katalogmaterial als riesige durchsuchbare Datenbank darzustellen und zu benutzen.

Das ist eine der Voraussetzungen für  d e n  Büchermichel, den wir Antiquare schaffen wollen. Einige Detailfragen sind noch zu diskutieren, prinzipiell aber lösbar, so müssen Gleitklauseln für die  P r e i s e n t w i c k l u n g  im Antiquariat von 1950 bis zur Gegenwart festgelegt und angewendet werden und man muß sich Regeln für die ein-eindeutige Identifikation und Zusammenführung aller Titel ausdenken.

Eine interessante Frage übrigens, mit der wir alle instinktiv schon längst umgehen, wenn wir etwa im ZVAB einen bestimmten Titel suchen und diejenigen Stichworte eingeben, von denen wir uns das eindeutige Auffinden unseres gesuchten Buchs erhoffen - möglichst wenige Verfasser-, Titel- Orts- und Verlagsworte, die tunlich "selten" sein sollten. Oft reichen schon drei Worte hin: "Jimmerthal - Ochsen - Zolltarif" oder "Goethe - Kröner - 1943" führen, wie man hoffen darf, direkt zum gesuchten Buch. Auf die gleiche Weise würde die Datenbank der  e i n deutigen Titel aus den Antiquariatskatalogen zusammengeführt, im Prinzip.

Noch eine Anmerkung zum Urheberrecht, die kurz und deutlich ausfallen muß, weil eine Reihe ehrenwerter Kollegen notorisch (und kindisch) auf dem vermeintlichen Recht "ihrer" Titelaufnahmen beharrt. Dieses Urheberrecht gibt es nicht, überhaupt nicht, gar nicht daran zu denken, weder auf die Titelei noch auf die Preisfestsetzung, allenfalls auf längere Kommentierungen, um die es uns ja nicht geht. Wenn ich (a) die Zusammenstellung der Titel in den Listen nicht übernehme, sondern die Antiquariatskataloge quasi wieder auseinandermontiere in ihre Einzeltitel, und wenn (b) kein direktes Wettbewerbsverhältnis von mir zum Antiquar besteht, dann darf ich mit den einzelnen Titelaufnahmen der Kollegen machen, was ich will. Weitere Erörterungen dazu sind einfach Zeitverschwendung. Das ZVAB und Schwaneberger führen diese Diskussion mit Rücksicht auf die zarten Seelchen der betreffenden Kollegen - sie müßten es juristisch absolut nicht tun.

Zusammenarbeit mit den Fachbibliotheken und Fachantiquaren
Wenn wir uns vornehmen, für alle Sachgebiete einen  K a n o n  der wichtigeren Titel seit 1500 aufzustellen, dürfen wir auf die Hilfe der Fachbibliothekare in Spezialbibliotheken und der Fachreferenten großer allgemeiner Büchereien rechnen. Von dort würde ein solches Vorhaben mit Interesse verfolgt. Bereits das Studium der dortigen unterschiedlichen Sachgliederungen ist für die Rubrizierung des "Büchermichel" wichtig und immer ertragreich. Es gibt nichts Besseres als eine aus langer Praxis hervorgegangene Bibliotheksgliederung, die von Fachleuten des jeweiligen Sammel- und Studienbereichs gepflegt und benutzt wird.

Im Bereich der bei den Antiquaren ja ganz brachliegenden und wahrhaft notleidenden Theologie zum Beispiel würde eine Neuaufstellung von Rubriken wie "religiöse Volkskunde", "Wunder und religiöse Paramedizin", "Klöster und Orden" oder auch nur "Jesuiten" ganze Impulsschübe bewirken - weil der potentielle Sammler und Käufer ja dadurch oft erst entdeckt, was da alles angeboten wird von uns.

Die Einbindung der Fachkollegen im Antiquariat stellt eines der ganz ungelösten Probleme dar. Natürlich würde ein Kollege wie etwa von Matt oder Nonnenmacher die Aufstellung eines Kanons, die Rubrizierung und überhaupt jeden Schritt bei der Bearbeitung des Gebiets "Theologie" wertvoll, interessant und bestimmt auch innovativ gestalten. Was wären die Naturwissenschaften ohne Gruber, was die Volkswirtschaft ohne Hohmann? Und doch habe ich gerade hier meine Zweifel, ob es zu solcher Zusammenarbeit wird kommen können. Der Büchermichel würde mit Namensnennung im Katalog und großzügigen Werbeangeboten beim jeweiligen Fachgebiet Dienstleistungen natürlich nach Kräften indirekt honorieren, aber das reicht nicht aus.

Zum Schluß noch der Hinweis, daß Titel, die zwar in den Kanon aufgenommen  worden sind, für die sich aber keinerlei Preisangabe hat finden lassen, nach guter Michel-Tradition mit " - - " bewertet werden sollten. Wie bei den Briefmarken sind solche Nummern immer besonders interessant.

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Diesen zweiten Teil denke ich mir als Anhang zum ersten und würde mich freuen, wenn auch er zur "Büchermichel"-Diskussion am Freitag in Kopie vorläge.


Unterschrift des Fotos: "Vorahnungen / Einstimmungen zur Buchmesse, Abteilung Antiquariat"