Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Mittwoch, 26. Oktober 2011
Warum Buchhändler und Antiquare Amazon-Abebooks-ZVAB in ihr Herz geschlossen haben
Amazon verdankt seine weltweit überragenden Verkaufsraten in Büchern und anderen Artikeln neben niedrigen Preisen vor allem einem ausgeklügelten System an Kundenwissen, an Informationen über Bedürfnisse und Wünsche seiner Käufer, aber auch aller, die sich nur dort informieren, die Amazon als - übrigens vorzügliche - Informationsquelle, als Lexikon, Wiki und bibliographisches Hilfsmittel nutzen.
Aus diesem Netz von individuellen, aber auch gruppen-, länder- und schichtenspezifischen Netzwerken teils intimster Natur generiert Amazon allgemeine Trends, ebenso ein umfassendes Personenwissen. Während alles von Googles Informationshunger spricht, lag bisher die Sammelwut von Amazon im Halbschatten. Erst in jüngster Zeit wacht die Blogosphäre auf und beginnt, Amazon auf die Finger zu schauen. Von gewöhnlich sehr gut informierten Bloggern und Insidern wird das sensible, intime Wissen von Amazon - Literatur ist eben eine besondere Ware - inzwischen als weitaus gefährlicher eingeschätzt als das von Tante Google, für den einzelnen Nutzer wie für die Gesellschaft insgesamt.
Der brave unabhängige Ladenbuchhändler mag zwar seinen Kunden kennen und ihm aus diesem Wissen heraus manchen Titel empfehlen, wenn er ihn im Laden sieht und begrüßt. Dieses berufliche Vorwissen bleibt aber immer auf seine Buchhandlung und den betreffenden Kunden beschränkt. Er vernetzt sein intimes Wissen nicht, er zieht keine Querlinien und füttert damit nicht Datenbanken, Marktforschungsinstrumente und Verlagsplanungen.
Wer sich Amazon bedient, sei es daß er bei Amazon kauft oder sich nur dort informiert, der muß wissen, daß er einen Rattenschwanz von Wissen über sich selbst mitliefert. Er gibt nicht nur sein Geld, sondern seine Seele Amazon in die Hand. Ist der Begriff "Seele" übertrieben? Wer seine Bedürfnisse, Wünsche, Ablehungen/ Abstinenzen, seine Korrelationen ("hat auch gekauft"), gar seine Urteile und Wertungen ("Besprechungen, Foren") zu Amazon trägt, und sei es nur dadurch, daß sein Kaufverhalten über Jahre hinweg registriert wird - der fördert die riesige Konzernkrake.
Darüber kann man nicht gut diskutieren, das ist einfach so.
Das gilt natürlich auch für die Ableger des Konzerns, deren Zusammenhang mit der allesbeherrschenden Mutter möglichst verhehlt wird. Wir sprechen vom ZVAB und von Abebooks.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Die Informationsbeschaffung, die Amazon betreibt, mag für deutsche Gemüter etwas sehr amerikanisch und großzügig aussehen, aber sie ist l e g a l. Es handelt sich um legal erworbene Datenmengen und Datennetze, um legal beschaffte Profile und rechtmäßig erworbene Gefühlsschattierungen. Bei Amazon sitzen die besten Verkaufsstrategen der Welt, die führenden Marketingpsychologen, ganze Batterien von psychoanalytisch und verhaltenspsychologisch geschulten Universitätsabsolventen, um die Datenmengen auszuwerten und der Planung zuzuführen. Würde Amazon anders handeln, müßte man den Konzern "dumm" nennen. Er ist aber sehr klug.
Nun zappelt der Buchkäufer im Netz, das Amazon mit List und Tücke ausgespannt hat, und es ist ihm - egal.
Amazon hat aber natürliche Feinde. Aus recht unterschiedlichen Gründen hassen und fürchten die unabhängigen Ladenbuchhändler und die Buchantiquare Amazon. Bauen sie eine gemeinsame Kampffront auf? Da sei Gott und der Börsenverein vor, denn Gott hat uns die freie Marktwirtschaft beschert, hat er nicht, und der Börsenverein ist zur Neutralität verpflichtet - Amazon sitzt auch im Börsenverein!
Bedeutet das nun, daß die selbständigen Ladenbuchhändler taten- und aktionslos zusehen müssen, wie sie von Amazon langsam abgewürgt werden? Sie verhalten sich so, aber weder Gott noch die Marktwirtschaft wollen das. Im Gegenteil, nach den Regeln der Marktwirtschaft s o l l , ja m u ß sich das Opfer von Konzentrationen und Monopolbestrebungen w e h r e n. Rennt das Mäuslein nicht aufgeregt hin und her, bis es die Katze wieder in die Krallen nimmt, dann ist die Natur auf den Kopf gestellt.
Ich habe gestern aufgezeigt, daß Abebooks und ZVAB in den Abwehrkampf der Buchhändler gegen Amazon einbezogen werden müssen. Es geht nicht an, daß diese beiden Buchverkaufsportale - zum Beispiel über Antiquaria - Scheinallianzen und Kooperationen mit den Buchhändlern eingehen und die Neubuchhändler ihren Untergang noch durch eigene Dummheit befördern.
Denn wer hindert ZVAB und Abebooks daran, ihre legal erworbenen Datengebirge dem Amazon-Weltkonzern zu unterbreiten, sie zuzuliefern? Auch wenn sie jetzt tausend Schwüre ablegen würden, dies nicht tun zu wollen (ich hab noch nichts davon gehört), dann können beide Töchter, zu 100 Prozent im Amazon-Besitz, dies jederzeit nachholen. Es geht nicht so sehr um konkrete Verkaufsdaten, die wird ZVAB nicht weitergeben, da es unter deutschem Recht steht, es geht um die sensiblen Zusammenhänge, um Bedürfnisse, Sehnsüchte, Motive.
Ein Buchhändler, der direkt oder indirekt ZVAB und/ oder Abebooks fördert, mit ihnen zusammenarbeitet, der gräbt sich sein eigenes Amazon-Grab.
Für die Buchantiquare, soweit sie denken können, stellt sich die Frage längst nicht mehr. Sie haben inzwischen alle verstanden, daß es zum großen Abwehrkampf gegen den Monopolisten kommen muß, sonst ist ihre wirtschaftliche Freiheit besiegelt.
Amazon-Abebooks-ZVAB sind zum Teil selber schuld an der kommenden Zuspitzung der Lage. Wie konnte Amazon so, verzeihen Sie meine persönliche Einschätzung, f r e c h sein, ohne irgendein Schamtüchlein ganz nackt und brutal Abebooks und ZVAB hundertprozentig aufzukaufen? Nicht einmal die strategisch nützliche Beteiligung Dritter, ein kleines Manöver, um ihr Quasimonopol im Portalabsatz der deutschen Antiquare zu bemänteln, war ihnen die Sache wert. Ich möchte das als z y n i s c h einschätzen. Zynismus pur, querbeet über alle Blumengärtchen und Felder gebrettert, die Kartellbehörden offenbar so wirksam kaltgestellt, daß irgendeine Rücksichtnahme unnötig erscheinen konnte - drauflos.
Das Untätigsein der Kartellbehörde wird wohl erst in einem Gerichtsverfahren aufgedeckt werden können, ich sehe keinen anderen Weg, um diesem Skandal auf den Grund zu kommen.
Die Kernfrage stellt sich so: Dürfen wir, sollen wir zum Boykott von Amazon und seinen Satrapen aufrufen? N e i n ! Das dürfen wir nicht, und wir wollen es auch nicht.
Es geht vielmehr um zweierlei. Einmal müssen Sachverhalte, die Amazon offenbar unter der Decke halten will, p u b l i k gemacht werden. Da sich kein Netzdienst, keine Zeitung, kein Fachblatt mit einem Konzern anlegen will, der direkt oder über seine Satrapen schöne, fette Inseratengelder im Beutel hat, müssen einige unabhängige Kollegen vom Buchhandel und aus dem Antiquariat diese Publizität besorgen. Ich bin einer von ihnen.
Aber auch ich boykottiere nicht. Es gilt, nun in unmittelbarer Zukunft folgenden Weg einzuschlagen: Nach der schonungslosen Aufklärung, nach der Aufdeckung der Bedingungen und Hintergründe des Schweigens des Kartellamts, aber auch ganz einfach nach der stetigen Wiederholung dessen, w a s A m a z o n offenbar v e r h e h l e n will (daß Abebooks Amazon gehört, daß ZVAB Amazon gehört) - - soll die Schaffung von Ersatzstrukturen in Angriff genommen werden, die Amazon und seinen beiden Satrapen P a r o l i bieten können.
Der Buchhandel muß hier seine Hausarbeiten erledigen, die Antiquare die ihrigen.
Also nicht Boykott, sondern Aufklärung und dann Gegenplanung, darum geht es jetzt. Wer noch nicht gekauft worden ist, der möge sich einreihen in die Abwehrfront gegen Verhehlung und Marktmißbrauch, gegen Monopolplanung jeder Art.
Wenn wir Antiquare einmal begriffen haben, daß wir von Amazon-Abebooks-ZVAB als Stoßtrupp zur Eroberung des deutschen Neubuchhandels mißbraucht werden sollen, dies ist meine persönliche Einschätzung - - dann ist schon viel erreicht.
Die touché-Folge gehört dem Künstler und der taz, (Anmerkung des Sätzers: ...die uns die Verwendung zu diesem Blogtext bestimmt nicht übel nehmen wird)