Mittwoch, 12. Oktober 2011

Offener Brief an die deutschen Antiquare - und an ihre Freunde

aus Anlaß der Informationsveranstaltung von Abebooks und ZVAB auf der Buchmesse am Freitag, 14.10. 2011, ab 17.30 Uhr im Cafebereich der Frankfurter Antiquariatsmesse (Open Space AGORA, Ebene 0)

Buchantiquare in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, wehrt Euch! Klärt die Öffentlichkeit auf über einen vertuschten, vernebelten, verhehlten Tatbestand, der eure Freiheit und eure Ehre bedroht!

Die Antiquare sind je nach Betriebsform ganz überwiegend abhängig vom Verkauf ihrer Bücher über das Internet. Inzwischen stellt der Ladenverkauf, bezogen auf die meisten der 1000 Kollegen, eher die Ausnahme dar, auch gedruckte Fachkataloge und Fachlisten ermöglichen immer weniger ein hinreichendes Auskommen. Die Buchantiquare hängen inzwischen auf Gedeih und Verderb am Internetvertrieb, ohne den Absatz über Internetplattformen sind sie in aller Regel nicht lebensfähig.

Die Verkaufsplattformen verheimlichen zwar ihre Umsatzanteile, es gilt aber unter Antiquaren als gesichert, daß ZVAB und Abebooks zusammen mit Amazon mindestens 80, wenn nicht sogar 90 % des Internetabsatzes im deutschen Antiquariat kontrollieren.

Es gibt praktisch keine Alternativen mehr zu diesen drei Portalen. Die bunte Vielfalt der anderen Verkaufsportale erreicht insgesamt nicht mehr als 10 - 15 % des Umsatzes. Dies gilt besonders auch für das genossenschaftliche Verkaufsportal Antiquariat.de, das trotz guter Ansätze marginalisiert bleibt. Vorhandene Metaportale wie Eurobuch sind in Wahrheit nur Zubringer der großen Portale, von denen sie Umsatzanteile erhalten. Ebay, die einzige reale Alternative, ist wegen zeitraubender Einstellprozeduren und aus einer Vielzahl anderer Gründe für die Antiquare nicht wirklich brauchbar.

Die im Verband der Antiquare zusammengeschlossenen führenden Antiquare kommen mit ihrer eigenen internationalen Verkaufsdatenbank, Trägerschaft durch die  ILAB, auf keinen grünen Zweig, hier ist der Absatz völlig unbedeutend. Ein Ausweichen auf andere internationale Portale ist den Antiquaren im deutschen Sprach- und Lesebereich verwehrt, weil deutsche Titel außerhalb des Sprachbereichs kaum bestellt und so gut wie nicht gelesen werden.

Der deutschsprachige Absatzmarkt im Antiquariat ist völlig abgeschottet vom Rest der Welt.

Wer hier ein Monopol erreicht, der kann nicht mehr gestoppt werden.

Nach verschiedenen sehr verwickelten, zumindest beim ZVAB-Verkauf auch bewußt verschleierten Vorgängen ist die Lage seit einem halben Jahr nun so: A m a z o n  hat schon vor längerer Zeit das international und regional tätige große Antiquariatsportal A b e b o o k s  gekauft. Abebooks seinerseits hat das  Z V A B  gekauft.

Damit besitzt und kontrolliert  A m a z o n mindestens 80, vermutlich aber rund 90 % aller Absatzwege der deutschen Antiquare im Internet.

Es gibt an diesen Zahlen keine ernsthaften Zweifel. Die Schätzungen stützen sich auf durchgesickerte Daten der Medienfirma w+h, deren Software fast die Hälfte aller Antiquare versorgt und ihre Titelaufnahmen Amazon / Abebooks / ZVAB zuleitet, aber auch Umfragen und Zuschriften deutscher Antiquare aus allen Schichten belegen das dramatische Zahlenbild. Fast jeder Kollege aus den unteren und mittleren Bereichen des Gewerbes wird meine Zahlen aus eigener Erfahrung bestätigen.

Dies bedeutet, daß ein sehr deutlich definiertes, nach eigenen Regeln arbeitendes und in sich ganz geschlossenes Berufsfeld, das Buchantiquariat, seine unverzichtbaren Absatzwege im Netz zu mindestens 80, wahrscheinlich aber schon zu 90 % im Besitz und unter der Kontrolle des Megakonzerns  A m a z o n  weiß.

Dies ist nicht nur eine Situation, die nach einer Untersuchung durch das Kartellamt ruft, es ist geradezu  d i e  typische Monopolsituation, das Musterbeispiel eines hochgefährlichen Monopols. Trotzdem scheint es Amazon gelungen zu sein, das Kartellamt durch seine Anwälte lahmzulegen.

Die brandgefährliche Struktur dieses Monopols im Bereich des Antiquariats ist unter anderem gekennzeichnet dadurch, daß es hier geht um

- eine besondere, hochspezialisierte Dienstleistung, nämlich den Betrieb eines Verkaufsweges, zu dem es für die Betroffenen keine Alternative gibt,
- einen ungemein mächtigen, finanzkräftigen und im Neubuchbereich bisher nicht durch zarte Durchsetzungstaktiken und subtile Rücksichtnahme aufgefallenen Weltkonzern,
- einen in mehrere Schichten und Betriebstypen gegliederten Berufsbereich, dessen Mitglieder vertikal kaum kooperieren, sondern seit langen Jahren in tragikomischer Weise sich in mehrere Organisationen zersplittern und insgesamt fast handlungsunfähig und dadurch wehrlos sind,
- einen Vorsprung der Bekanntheit der drei Portale mit entsprechenden Verkaufs- und Durchsetzungschancen, der im Netz in gar keiner Weise einzuholen ist.

Tatsächlich sind die Antiquare in ihrer überwiegenden Mehrzahl dem Monopol gegenüber  h i l f l o s.


Das Bundeskartellamt hat die Antiquare in dieser erdrückenden, quälenden Situation alleingelassen, es hat sie nach meiner Einschätzung  v e r r a t e n.  Vermutlich hält Amazon die Fiktion aufrecht, die drei Absatzportale würden selbständig agieren und unabhängig voneinander geführt. Tatsächlich wäre eine solche Behauptung absurd, denn es handelt sich jeweils um einen 100%igen Besitz. ZVAB und Abebooks sind de facto machtlose Ausführende der Amazon-Zentrale. Wer 100 % der Anteile einer Firma besitzt, der bestimmt oder kann doch jederzeit bestimmen, besonders dann, wenn es sich um einen US-Konzern handelt, den noch niemand als zimperlich eingeschätzt hat. Abebooks und ZVAB gehören vollständig, mit Haut und Haaren  A m a z o n.

Ich weiß nicht, wie es Amazon geschafft hat, seine Eroberung und Knebelung des deutschen Antiquariats bisher aus den Medien herauszuhalten. Die Öffentlichkeit weiß davon nichts, im Internet wurde und wird das sorgfältig verschwiegen.

Ein Antiquar aus Freiburg hat das Thema in seinem Blog eher beiläufig behandelt und einen Teil der Berufskollegen aufgescheucht. Nicht zuletzt deshalb lädt Amazon /Abebooks /ZVAB jetzt im Rahmen der Buchmesse zu der oben erwähnten Informationsveranstaltung ein.

Ich bitte die Antiquare und vielleicht auch den einen oder anderen solidarischen Neubuchhändler, zu bedenken, daß es sich nicht nur etwa um mit Sicherheit kommende finanzielle Ausnützungen der Monopolsituation handelt. Die Tendenz aller Datenbanken, die sich in anderen Ländern um ähnliche Monopolisierung der Absatzwege bemüht hatten, ging stets dahin, den Antiquaren ihre Individualität zu nehmen, sie bei der Verkaufsvermittlung nach Kräften zu anonymisieren, sie in den Augen des Kunden und Käufers zum Angestellten, zum a n o n y m e n  Zulieferer der Datenbank zu machen.

Es handelt sich hier um eine interessante, besonders grausame Variante des Amazon-Vorgehens: Es wird hier nicht wie beim Neubuchhandel auf allerlei Wegen ein Teil des Umsatzes weggenommen, vielmehr wird an der Stelle, an der jeder Internetantiquar am  v e r l e t z l i c h s t e n  ist, nämlich bei der Absatzvermittlung Antiquar-Kunde, ein Würgemonopol eingerichtet.

Tatsächlich handelt es sich nicht nur um die Identität eines ganzen Berufszweigs, nicht nur um die drohende Degradierung eines knappen Tausend selbständiger Kleinkaufleute zu Franchise-Nehmern , es geht darüber hinaus um die berufliche  W ü r d e.

Wenn sich die Antiquare im deutschen Sprachraum zu machtlosen, monopolgebundenen Hampelmännern des Amazon-Weltkonzerns machen lassen, dann können sie sich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen, ohne sich zu schämen.

Darum soll es am Freitag gehen.




Presserechtliche Verantwortung für den Inhalt dieses Aufrufs: Peter Mulzer, Antiquar, Freiburg, Guntramstr. 46