Donnerstag, 13. Oktober 2011

Thesenpapier zur Interessenvertretung der Antiquare durch die AG im Börsenverein

"Diskutiert werden soll außerdem die Frage, wie effektivere Interessenvertretung für den Antiquariatsbuchhandel gelingen kann"

Hierzu ein T h e s e n p a p i e r   als Gastbeitrag

mit der Bitte um Kopie und Auslage.

Nach alter Tradition haben Gäste kein Rederecht. Sie legen deshalb externe Arbeitspapiere vor, die in die Diskussion einfließen können - falls einer der Teilnehmer sie gelesen hat, was nicht selbstverständlich ist.


Unser Gewerbe zerfällt in drei sehr deutlich voneinander unterschiedene Bereiche. Interessen, Arbeitsmethoden, Kapitalausstattung, Selbstbild und Kundenbeurteilung sind zwischen diesen drei Schichten sehr unterschiedlich, oft übrigens auch die Charaktere (aber lassen wir das).


(1) Das Edelantiquariat

Halten zu Gnaden, ich habe für diesen Begriff auch nach anderthalb Jahrzehnten der Diskussion einfach keinen Ersatz finden können.  Er trifft das Image dieser Kollegen genau. Wenn ich die Liste der Messeteilnehmer durchgehe, haben wir da eine perfekte Musterkarte des deutschen Edelantiquariats.

Die Interessen, Sorgen, Bedürfnisse der etwa 50 Edelantiquariate im deutschen Sprachbereich werden durch die - freilich bescheidene und nach meiner Einschätzung streckenweise ineffektive - Vertretung durch den  V e r b a n d  hinreichend abgedeckt. Ich sehe da keinen Handlungsbedarf durch eine Parallelorganisation.

Eine notwendige Anmerkung: Der Verband umfaßt neben den echten Edelantiquaren, die ich wie bemerkt auf rd. 50 beziffere, noch das Mehrfache solcher Kollegen, die gern Edelantiquare sein würden, es aber nicht sind. Diese "unechte" Gruppe, etwa 200-300 Antiquare, bedarf einer Interessenvertretung am dringendsten:


(2) Die Antiquare des Mittelfelds

Eine Auswahl von ihnen treffen wir auf Messen, hochpreisige Ware ist ihnen nicht fremd, nimmt aber im Wertschränkchen eher eine Ausnahmestellung ein. Ihr Arbeitsfeld ist entweder ein gutes Allgemeinsortiment im Laden, mit enger regionaler Kunden- und Ankaufsbindung, oder sie betreiben emsig Internetverkauf mit oft überraschen hohen katalogisierten Buchmengen. Hinzu kommen die echten Fachantiquare, auch sie  rechne ich der Mittelschicht zu, freilich mit der Überzeugung, daß Fachantiquare immer ihr eigenes Süppchen kochen (müssen) und gut daran tun, sich separat zu vernetzen.

Bei den Kollegen des Mittelfelds beginnen schon ganz deutlich die akuten Sorgen und Probleme unseres Berufsstands. Eine ganz typische Scham, die der "verschämten Armut" des früheren Mittelstands verzweifelt ähnlich ist, hindert sie daran, ihre Anliegen deutlich zu formulieren. Sie sind die treuesten Verbandsmitglieder, denn es ist für sie eine Ehrensache, nominell zum Edelantiquariat zu gehören. Nur im direkten Gespräch bringt man sie dazu zuzugeben, wie lächerlich gering ihre Kapitaldecke ist, wie unzureichend ihre Einkünfte sind, wie sie unter dem Zwang zu nervtötender Titeleingabe bis spät in die Nacht schier zugrundegehen und daß die ganze Organisation ihres Berufsstandes bisher für sie eher ein lächerlicher, peinlicher  P o p a n z  ist denn eine Hilfe.

Diese Kollegen, die ich aufgrund älterer, freilich von mir hausgemachter statistischer Versuche auf etwa 200-300 schätze, schleppen einen Rattenschwanz ungelöster Probleme mit sich herum. Ich wiederhole mich: Erst bei intensiveren Gesprächen geben sie ihre problematische Lage zu. Tatsächlich leiden viele Antiquare dieser Schicht - um nur ein Beispiel zu nennen - wie die Hunde unter jener vom Verband abgesegneten Abkassiererei durch gebührenpflichtige Preisdatenbanken, ebenso ärgerlich wie etwa die Jahresgebühren der Handelskammer. Freilich - hat sich je einer über die vom Verband verordneten Preisdatenbanken öffentlich beschwert? Das würde ja bedeuten, seine Geldknappheit zuzugeben, und was denken die Kollegen dann im Verband?


(3) Antiquare am Rand und im Keller

Die restlichen  500-600 Antiquare sind mehr oder minder armselige Malocher. Hier reicht die Bandbreite vom Ebay-Sklaven bis zum Flohmarkt- und Mensakistenverkäufer. Was man diesen Leuten, fast immer im Grenzbereich zur Sozialhilfe, Gutes tun kann, sollte man machen - auch wenn höllisch aufgepaßt werden muß, um die beiden gefährlichen Feinde unseres Berufsstandes, Momox und die "Geschenkt"-Ketten nach Schweizer Vorbild, unter ihnen zu erkennen und ihnen bei jeder Gelegenheit auf die Finger zu hauen.

Diese "Rand- und Kellerantiquare" sind in der Regel nicht in der Lage und auch nicht willens, die Probleme ihres Berufsstands zu erkennen. In ihren Foren beißen sie sich in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten fest, aus langjähriger Erfahrung wissen wir, daß es völlig sinnlos wäre, die Unterschicht des Antiquariats zu organisieren. Das soll nicht hart klingen, es ist einfach Fakt.


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Also geht es, so meine These, bei der Frage "wie effektivere Interessenvertretung für den Antiquariatsbuchhandel gelingen kann" um eine Organisation des Mittelfelds unseres Gewerbes. Wir sollten nur im Sinn haben, daß unter der "Oberschicht" wirklich nur die echten 50 Antiquare zu verstehen sind bei diesem Modell. Alle anderen gehören ins Mittelfeld, sie haben dort sehr  t y p i s c h e  Interessen, Anliegen und Sorgen.

Über die Problematik der Genossenschaft breiten wir heute gnädig den Mantel des Schweigens. Ich höre in jüngster Zeit nichts Gutes von dort, die Kollegen sind in einer kritischen Phase.

Wie organisiert die AG also die 200-300 Antiquare des Mittelfelds?

Ich hoffe, daß die anwesenden und zur Rede autorisierten Mitglieder der AG im Börsenverein unter sich eine rege Diskussion dieser Kernfrage führen werden. Als schweigender Gast deute ich nur meinen Lösungsvorschlag an:

A.
Es sollte eine neue, sozusagen eine " L i g h t -"Form der Mitgliedschaft  in der AG geschaffen werden. Damit die Satzung nicht geändert werden muß, kann man sowas auch durch  Zusatz  zur Satzung regeln. Die "Light-Mitglieder" brauchen durch ihre Teilnahme auch keine Mitglieder im Börsenverein zu werden, man hat da großen organisatorischen Spielraum.

B.
Ausgehend von Björn Biesters doch recht gutem Adressenmaterial sollte der  g a n z e  Kreis der 200-300 Antiquare des Mittelfelds zur Teilnahme aufgefordert und eingeworben werden. Nach den bisherigen Erfahrungen ist eine Mailingliste kombiniert mit einer Art Yahoo-Forum die beste Lösung. Nur wenn der Antiquar die täglichen Beiträge und Meldungen im Briefkasten hat, wird er zur Kenntnisnahme und Beteiligung angestoßen. Es gibt im Grunde bis heute keinen Ersatz für das Procedere der guten alten Hess-Runde.

C.
Wenn diese erweiterte AG zur Interessenvertretung werden soll, dann müssen demokratische Abstimmungs- und Entscheidungsformen gefunden werden. Eine berufliche Interessenvertretung ist nichts anderes als ein  P a r l a m e n t  im Kleinen. Abstimmungen sind heute elektronisch in ausgefeilter Form möglich, Diskussionen und Resolutionen können gesteuert und eingegrenzt werden.

In anderen Berufsgruppen ist das alles selbstverständlich.

Behalten Sie bitte im Auge, daß meine Vorschläge sich untereinander bedingen. Verwirklicht man nur einen Teil, können die restlichen Faktoren beschädigt oder verunmöglicht werden.

Peter Mulzer