Sonntag, 16. Oktober 2011

Frankfurter Impressionen - der peinliche Teil

1.
Moderater Anfang mit einem Quisquilium

"Im Alter kommt es auf die inneren Werte an" - dieser Werbespruch stand auf der kleinen Werbekarte, neudeutsch Flyer, die mir Biester mit dem neuesten "Aus dem Antiquariat"-Heft in die Hand drückte.

Ich hoffe zuversichtlich, daß er für diesen Werbespruch nicht verantwortlich zeichnet. Die Praktikantin, die sich den Satz ausgedacht hat, sollte zur Strafe zwei Wochen keinen Nachtisch in der Kantine erhalten.

Erstens will das "Alter" nicht daran erinnert werden, auch nicht indirekt - v o r  a l l e m  nicht indirekt - , daß es alt ist. Die Assoziationsbrücke, die hier zwischen "altem Buch" und "altem Menschen" hergestellt wird, ist brandgefährlich.

"Die inneren Werte" haben längst einen leicht ironischen Zug erhalten im täglichen Sprachgebrauch. Neutral darf man sie nicht mehr verwenden . Hier geschieht das, der Leser wird verunsichert.

Zum dritten ist der Satz in der Sache nicht nur schief, sondern falsch. Denn es geht ja gerade nicht um die "inneren Werte" - alle, nahezu alle  T e x t e  bekommen wir heute über das Netz zu lesen, es geht beim antiquarischen Buch (der oberen Ränge, von denen hier gesprochen wird) gerade um die  F o r m, den alten Druck, den Erstdruck, das historische Dokument formal - aber doch nur selten noch um die aktive Nutzung des Inhalts.

Zum zweiten ist dieser Werbespruch im Antiquariat geradezu verhältnisblödsinnig, weil der Einband, die äußere Gestalt, die Erhaltung untrennbar verbunden sind mit dem Gesamtcharakter des Buchs. Deshalb betreiben wir ja Antiquariat!

Ich breche hier ab. Wer immer diesen Werbespruch entwickelt hat, war ein Dummkopf.

Die Rückseite der Werbekarte ist, ähnlich wie der Untertitel "Neues aus der Welt der alten Bücher", im Grundtenor  u n w a h r. "Aus dem Antiquariat" berichtet nur wenig über die Aktualitäten der Branche (und tut auch gut daran). Es ist im besten Sinn ein fast buchhistorisch-buchwissenschaftlich angelegtes, exzellentes Fachblatt - die Lektüre auf der Heimfahrt hat mir eine angeregte und schöne Stunde geschenkt. Besser geht es nicht!

Aber der Versuch, hier "Neues" oder gar "Aktuelles" hereinzubringen, muß scheitern, solang nicht eine völlig neue Zeitschrift konzipiert wird.

Fazit: Diese Werbekarte ist absurd,  s c h ä d l i c h  und blöde. Biester, seien Sie so nett und veranlassen Sie beim MVB, daß diese törichte Praktikantenarbeit zurückgezogen wird, besser heute als morgen.

Man darf eine exzellente Fachzeitschrift nicht mit dummen und falschen Werbetricks im Absatz aufmöbeln wollen.

*
2.
Rabiates Fortissimo in der Hauptsache

Soll ich es sagen oder besser nicht? - Nur immer hinein ins kalte Wasser, Mulzer, was ist von Ihnen auch anderes zu erwarten als schiere Provokation. - Bitte sehr, bitte gleich, Kellner kommt schon.

Der Gesamteindruck unseres besonderen Messeraumes, der Antiquariatsmesse überhaupt war von himmelschreiender Armseligkeit und Ärmlichkeit. Welch verheerendes Gesamtimage für unser Gewerbe, das doch seine besten Vertreter hierher delegiert hatte.

Für einen mit den bisherigen Messen nicht vertrauten, neuen Kunden mit mittleren Ansprüchen mußte diese Messe wirken wie ein Treffen von Altersheiminsassen, die sich zum Verein "wir handeln mit alten Büchern" zusammengeschlossen haben, weil es zur Bereicherung ihres Alters, zum Kampf gegen den Alzheimer und zum Besten igendwelcher Heidenkinder sinnvoll erschien. Sie fanden dann aus Ungeschicklichkeit nur eine alte Abstellkammer neben der Herrentoilette, und weil sie wenig Geld hatten, montierten sie abgelegte Ikea-Regale der billigsten Sorte zu einer Art wackeligen Abenteuerspielplatz-Kistenfeldern mit lustigen Nischen und wackeligen Stühlchen auf.

Alles oberpeinlich, aber es war ja für einen guten Zweck, nichtwahr?

Und in dieser Weise werden von hochgebildeten Spitzenleuten unseres Gewerbes exzellente Qualitätsbücher angeboten.

Das ist  u n w ü r d i g,  o b e r p e i n l i c h  und schadet dem Image des Antiquariats mehr, als daß es nützt.

Ein Kaninchenzüchterverein würde sich schämen, derart  s c h ä b i g, billig und zusammengeschustert, zusammengedrängt seine Ausstellung tragender Muttertiere abzuhalten. Leute, das ist  oberpeinlich!

Ich rede nicht von den einzelnen Gestaltungsfehlern, bin auch überzeugt, daß Thursch aus ungünstigen Verhältnissen das Beste gemacht hat. Aber im Ergebnis ist das ganz unmöglich.

Mein erster Eindruck war der, daß sich hier - ein wenig überalterte - Pfadfinder eine "Messeausstellung" zurechtgebastelt hatten. Insbesondere war auch der Kontrast zum splendiden Luxus der Neubuchmesse ganz fürchterlich. Unsere hervorragenden Titel werden durch einen solchen Rahmen herabgewürdigt -

Mona Lisa auf dem Schrottplatz in Berlin-Kreuzberg ausgestellt... Was bitte soll das?

Schäbige Billigschränkchen, wie sie meine Schwester, die nur Oberstudienrätin ist, hohnlachend der Heilsarmee schenken würde, enthalten Drucke im fünf-, ja sechstelligen Bereich. Werte Kollegen, denken Sie denn, unsere Kunden fänden die miese, peinlich-billige Erscheinung der Antiquariatsmesse putzig, oder rührend, oder niedlich, oder passend? nein - sie finden das   s c h ä b i g.

Weiß der Teufel, wie es die Antiquare geschafft haben, ihrem Messewesen das

***Image eines Russenbasars

zu geben - es  i s t  aber so.

Schuld daran hat vor allem die Hochzüchtung des Messewesens überhaupt. Ob Kaminfeger oder Chemielaboranten: Tagungen und Messen haben heute einen sehr hohen formalen Stand. Wir Antiquare können und wollen uns das nicht leisten, es kostet viel - sehr viel, ich war geschockt bei einigen herkömmlichen Zahlen für kleine Messen. Aber wenn wir das nicht können, ist es dann richtig, auf schäbigstem Padfinderniveau

***mickrige Abfallkistchen-Messen

abzuhalten, in der Hoffnung, daß die Kunden den Antiquaren einen "Chaoten- und Armeleutebonus" geben? Nein, das tun gerade die Käufer im höherpreisigen Niveau nicht, sie lächeln gequält - und kommen nicht wieder.

Die Kernfrage ist doch - brauchen wir die Schicki-Micki-Kundschaft? Da gibt es nur eine Antwort - j a, um Himmelswillen ja! Ohne diese wenig sachkundige und meist auch reichlich unsympathische Kundschaft, die heute das Geld hat und nicht weiß wohin damit, geht es nicht aufwärts im Antiquariat!

Durch derart schäbige, kümmerliche, armselige Messegestaltung verbauen wir uns den Weg zu diesen Leuten.

Ich will noch gar nicht von den besonderen Umständen reden, die Thursch wohl experimentell erproben wollte, was an sich nicht dumm war. Und doch... nach der unendlich kitschigen, peinlichen Weihehandlung für die neuesten Audi-Modelle in einem wahrhaft  p e r v e r s  religiösen Zeremonien nachempfundenen  D o m  des Luxus und der Sitten .- - - dann der Eintritt durch zwei enge Torflächen, wo junge hübsche Messedamen standen und Edles versprachen - bis dann das Entenhausener zusammengestoppelte Regal-, Schränkchen- und Kistenreich begann, schlecht entlüftet und mit Antiquaren bestückt, deren Kleiderordnung hätte energischer besprochen werden sollen. Die Standbeschriftungen, nur durch Querlegen des Kopfes lesbar, waren im Mißverhältnis zu den Gebilden, auf die sie geklebt waren, das Licht grotesk diffus und/oder so peinlich wie in einem Russenflohmarkt auf dem Lahrer alten Militärflughaften - alles   s c h r e c k l i c h  a r m, ganz  b i l l i g, völlig unwürdig.

Diese ganz überwiegend wunderschönen, hochwichtigen Bücher hätten den "Dom" verdient, den Audis wäre der Muffelkeller zuzumuten gewesen...

Fazit: Man muß das Messewesen im Antiquariat grundlegend reformieren - Kollege Thursch an die Front!


(Bange Frage des Mulzer an sich selbst: Hättest du den intimen Teil deiner Notizen nicht besser für Dich behalten sollen?)