Das Ladenantiquariat ist nicht "tot" - es kann heute seine strahlende Wiederauferstehung erleben.
Damit verbunden ist allerdings ein tragischer Aspekt - wir vom Antiquariat werden dann zu Totengräbern des Neubuchhandels, wir gesellen uns zu den Hyänen und Schakalen, die den braven Schafen vom kleineren unabhängigen Neubuchhandel an die Wolle gehen.
Ich lade Sie ein, sich zurückzulehnen, die Augen zu schließen und sich dieses Bild vorzustellen:
Eine klassische Buchhandlung, etwas lockerer vielleicht und ganz sicher optisch anregender und vielfältiger, in der - - alte und neue, noch lieferbare und hundert Jahre alte Bücher, hübsch nach Sachgruppen geordnet, in bunter Reihe n e b e n e i n a n d e r stehen.
Wir sehen also unter "Goetheana" unmittelbar Rücken an Rücken und Buchdeckel an Buchdeckel, den neuesten Taschenbuchtitel über Frau vom Stein, die Tischbein-Monographie von 1880 und das Propaganda-Gesülze der Reichskulturkammer zur Goethefeier 1940. Es finden sich die notorisch unterschätzten, weil gut edierten Bong-Klassikerausgaben in 5 oder 15 Bänden neben Hanser-Editionen neuesten Datums.
Bei einem guten, reichhaltigen Sortiment wird so das neue Zwittermodell von Antiquariat und Neubuchhandlung zu einer wahren Schatzkammer. Ich bekomme neben der neuesten Tagesinformation direkt danebenstehend, in bunter Reihe sachlich und verfasseralphabetisch eingeordnet die gesamte retrospektive Fachinformation in jeweils allen Buchgattungen, vom volkstümlichen Büchlein bis zum anspruchsvollen wissenschaftlichen Titel.
Das Hauptproblem dabei sehe ich als alter Praktiker in der Manie, heutzutage neue Bücher in jungfräulicher Frische erwerben zu wollen. Wer die bunte Reihe alter und neuer Bücher durchsieht, wird nach und nach dunkelgraue Finger bekommen und nach kurzer Zeit sehen die lieferbaren Bücher eingestaubt aus. Das Gegenmittel könnte darin bestehen, jedem alte Buch eine Kunststoffhülle zu verpassen und seinen oberen Schnitt sorgfältig zu entstauben.
Wir tun uns bisher in Deutschland sehr schwer mit dem Einsatz von transparenten "Schutzhüllen", vor allem wegen ihres unverschämt hohen Preises. Aber das ist, dank den fleißigen Chinesen, inzwischen Geschichte - nur hat es noch keiner gemerkt. In Frankreich, wo es eine alte Antiquariatstradition der Schutzumschläge gibt, sind im Großhandel tadellose Klarsicht-Buchhüllen direkt aus China, unter dem Sachbegriff "Heftschoner", mit zwei Einsteckstreifen, nach Größen sortiert, zu 5 Cents zu erwerben. Das ist nun kalkulierbar geworden.
Die dreckigen Hände des Benutzers kommen nämlich weit weniger vom Durchblättern des Buchinneren alter Bücher, sondern vom Anfassen der Buchdeckel/ des Buchrückens und vom Buchschnitt her. Weitere Maßnahmen und Tricks sind möglich, wie auch immer: Das Staubproblem, das beim Miteinander alter und neuer Bücher entsteht, ist lösbar.
Dieses Modell kann wohl nur von Buchantiquaren verwirklicht werden. Es scheint mir auch immun gegen Buchhandelsketten zu sein. Die Bearbeitung der alten Bücher ist nämlich v i e l schwieriger als das über weite Strecken recht stupide und normierte Verwalten neuer Bücher (Neubuchhändler bitte weghören). Tatsächlich ist der Umgang mit verlagsneuen Titeln für einen Antiquar schneller erlernbar als umgekehrt der Umgang mit antiquarischen Büchern für den Neubuchhändler.
Dieser Gedanke hat ziemlich viel Dynamit unter der Haube, seine Durchführung erscheint nicht ungefährlich. Neu ist er nicht, im Gegenteil, noch in meiner Jugendzeit gab es vielerorts echte Doppelmodelle der geschilderten Art. Das Interessante aber scheint zu sein, wie perfekt diese Betriebsform nun w i e d e r in die neueste Gegenwart passen könnte.
Dieses Modell sollte von allen Seiten diskutiert werden, nicht zuletzt von den bedrängeten unabhängigen Buchhandlungen, denn sie würden das erste Opfer sein, wenn Antiquare anfangen, das Projekt zu verwirklichen.
Das Urheberrecht am Buchdeckel gehört dem herausgebenden Buchverlag, dem wir für die Ausleihe danken