Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Sonntag, 30. Oktober 2011
Mit Ebay-Technik gegen Amazon - das Auktionsportal der Antiquare
Auch ein Geschenk zum Jubiläum der GIAQ
Zunächst ein aktueller Nachtrag zu meinem ILAB-Beitrag, der unwirsch aufgenommen worden ist.
Kurzer Besuch bei der ILAB-Datenbank - unbeschreibliches Elend. Es werden in einer Art Metasuche überwiegend Feld-, Wald- und Wiesentitel, nach düsteren Kriterien ausgewählt, in einer unbeschreiblich miesen, primitiven, ganz verhunzten graphischen und benutzungstaktischen Weise angeboten, mit schweren Anfängerfehlern, peinlich eingefaßten Kästchen, störenden Randangeboten, unglücklicher Schrift, paradoxer Gliederung, grauenhafter Farbgebung und noch häßlicherer, absurderer Zumüllung des oberen Seitenviertels - - meine Herren, diese Büchersuche entspricht genau dem Bild, das ich von der ILAB habe. Werfen Sie mal meine Standardsuche "Hitler Kampf" an, und wenn Sie nach der dritten Seite nicht schreiend und fluchend abbrechen, dann können Sie als Krankenpfleger in einer Irrenanstalt arbeiten.
Solang die ILAB ihr Verkaufsportal durch Praktikanten aus der Unterprima gestalten läßt, soll sie nicht in Weimar Kulturtheater abhüpfen und einen auf Verbrüderung machen (während sich die Großen der Branche in Wahrheit spinnefeind sind und sich die Kunden abjagen). Erst die Hausaufgaben erledigen, dann dürfen die Knaben auf den Fußballplatz.
Sagt den Leuten das niemand? Die eigenen Webseiten der illustren Teilnehmer in Weimar, das ergeben Stichproben schnell, sind exzellent gestaltet.
*
Versprochen ist versprochen, nun bekommt die Genossenschaft ihr Jubiläumsgeschenk.
Ich fasse mich im heutigen Beitrag ungewohnt kurz, um über vermeintliche Kleinigkeiten, an deren Bemeisterung aber der halbe Erfolg des Projekts gebunden ist, nicht zu viel zu verraten. Das Vorhaben ist im Kern durch Außenstehende der Branche nicht gut nachzuahmen, denn es baut auf dem beruflichen, internen V e r t r a u e n der Antiquare und ihrer K u n d e n zu dem Projekt und seinen Gestaltern auf. Es kann vermutlich überhaupt nur aus der Branche heraus verwirklicht werden.
Wir erinnern uns alle an jenen an sich hochinteressanten Versuch aus Hamburg, eine Datenbank, ein Verkaufsportal nur für h o c h preisige Ware einzurichten. Im Börsenblatt, das damals noch Diskussionen zuließ - goldene Zeiten, wohin seid ihr entschwunden - wurde das Brisante daran im Kollegenkreis sofort erkannt. Mir ist jene Auseinandersetzung noch in Erinnerung, weil ich die große Linie genial fand, mich dann an Einzelheiten aufhängte und als das Unternehmen schon am Einschlafen war, wurde es mir wieder sympathisch. Wer sich mehrfach irrt in einer Einschätzung, der vergißt das nicht so schnell.
Seither bestehe ich bei allen Webprojekten darauf, zuerst und vor allem die vermeintlich kleineren Fehler aufzugreifen und sie zu tadeln. Denn wer im Kleinen nicht seriös arbeitet, der schafft auch die Generallinie nicht. An jenem Hamburger Webportal war alles, aber auch wirklich alles verkehrt, schief und falsch aufgefaßt worden. Das Deutsch fürchterlich, die Argumentationen unbeholfen, die Administrativa grotesk, die Arbeitsgrundlage absurd, die Vorarbeiten hingeschlampt - irgendeine Jurastudentin hatte das mit einem Hamburger Antiquariat (verzeihen Sie:) zusammen hingerotzt.
Diese zurecht schnell wieder eingegangene Blume im Hausgarten der Antiquare hatte aber einen sehr wichtigen und guten Ausgangspunkt, der durch die törichte Ausführung zu Unrecht diskreditiert worden ist. Wir müssen dort weiterarbeiten und es diesmal besser machen.
E b a y ist ja nun das schwierigste, komplizierteste Gebilde im Bereich des Altbuchabsatzes. Ich bin, wie Sie vielleicht wissen, ganz zufällig zu einem der wenigen Antiquare geworden, die sich auf Gedeih und Verderb an Ebay gehängt haben. Meine Ebay-Geschichte gehört hier nicht her, sie ist tragikomischer Natur und läßt sich ganz grob so zusammenfassen: Meinen älteren Titeln tut es ausgesprochen gut, wenn ich sie mit mehreren sehr großen und scharfen Scans darstellen kann. Dies war jahrelang eigentlich nur mit Ebay möglich. Die Erstellung von Ebay-Einträgen, auch mit Turbo-Lister, ist so absurd schwierig und langwierig, daß ich mir einen "Sport" daraus machte, die Ebay-Nüsse zu knacken - und nachdem das eines Tages saß, wollte ich die unendlichen gehabten Mühen, mein schweres Lehrgeld, dann auch einsetzen und nutzen.
Ebay-Verkäufer aus Trotz und Eigensinn also - das trifft es genau. Absatz und Kasse stimmen auch. Das gilt aber nur für meine etwas seltsame alte Ware. Ungeübten Kollegen mit eher durchschnittlichen Titeln rate ich strikt ab von Ebay. Dort kaufen: immer - dort anbieten: lassen Sie es bleiben.
Was ich bei Ebay am eigenen Leibe erfahren konnte, war zweierlei:
1.
Die Sammler alter Bücher lieben das Versteigern, die A u k t i o n ungemein, nichts gehört auf einer merkwürdigen Gefühlsebene enger zum Horten seltenerer Bücher als das Versteigerungserlebnis. Könnte was mit "Jäger und Sammler" zu tun haben, aber auch mit "Vorspiel und Orgasmus" - lassen wir das.
Weil den Messen das Versteigerungserlebnis fehlt, sind sie so öde und langweilig, so peinlich und armselig. Der Antiquar soll nicht im Ställchen sitzen und Bücher anbieten - er soll sie v e r s t e i g e r n. Das ist Leben, das ist L u s t...
2.
Die Darstellung vor allem älterer und ganz alter Bücher im scharfen Foto, in der Regel also im S c a n , ist ungeheuer hilfreich für den Umgang mit alten Büchern, nur müssen es fast immer mehrere Fotos, soll es eine Foto s t r e c k e sein.
Nun gerate ich schon in Gefahr, Details auszubreiten. Für den Kollegen, an den ich mich wende, ist der Gedankengang nachvollziehbar, wenn ich unter Auslassungen gleich zum Kern des Projekts springe:
Die Genossenschaft richtet in ganz enger Verbindung mit ihrer "gewöhnlichen" Datenbank ein Versteigerungsportal für Titel im oberen Mittel- und im Spitzenbereich ein. Zwar sollten engste technische Koppelungsmöglichkeiten vorgesehen werden - keine Details ausplaudern, Mulzer - , aber als Imageträger muß das neue Versteigerungsportal a u c h unabhängig wahrnehmbar sein für den Kunden.
Die Forderungen an das Image, die Vertrauenswürdigkeit eines Versteigerungsportals im oberen Mittel- und im Spitzenbereich sind ungleich höher, als das bei einer Bücherdatenbank üblichen Zuschnitts vorauszusetzen wäre. Bei dieser empfindlichen Ware und den noch empfindlicheren Kunden sollte jeder Schritt auf seine Außenwirkung überprüft werden - wirkt das s e r i ö s oder eher nicht?
Es läßt sich nicht vermeiden, daß die Versteigerungshäuser dadurch etwas ramponiert werden. Es soll ihnen zur Zeit sehr gut gehen, ich denke, die Antiquare könnten dieser Sondergruppe ihres Gewerbes einige Opfer, etwas Streß abverlangen. Schwer betroffen würde das Messewesen.
Das Versteigerungsportal, soweit gehe ich nun doch ins Detail, muß ein Klon von Ebay sein. Ebay ist auf seine umständliche Weise gut bis sehr gut, die Konkurrenten, die es anders machen wollten als Ebay, zeigen sich als jämmerliche, mehr oder minder mißglückte Unternehmungen. Also fast überall Ebay-Standard anwenden, nur muß und soll das natürlich ganz anders aussehen.
*
Das ist eine Sache, die uns Amazon-Abebooks-ZVAB vermutlich nicht nachmachen können. Der Imageträger nämlich, die Antiquare im deutschen Sprachbereich, bürgt für fachmännisches Vorgehen in diesem Feld, von dem beide, Einlieferer wie Käufer , sehr genau wissen, wie sehr es V e r t r a u e n s s a c h e ist. Natürlich stellt sich, gerade für dieses Projekt, die Genossenschaft neu auf und/ oder nimmt eine allgemeine Berufsvertretung als Verein hinzu.
Ich sehe strategisch schon mittelfristig einen ungeheuer starken A n s c h u b für das angeschlossene Portal gewöhnlicher Bücher, das ja leider konkurrenzrechtlich angreifbar immer noch unter dem Namen "Antiquariat" firmiert. Es ist eine eiserne Voraussetzung, daß die k u l t u r e l l e Karte für das neue Versteigerungsportal eingesetzt und hoch gespielt wird. Ich liefere den Verantwortlichen auf Wunsch jede Menge Gesülze, auch hochtrabendes, kulturelles Geschmuse - hier hat es seinen Platz, um die vom Antiquariat weniger, von ihrer Kulturmission aber umsomehr überzeugten Kulturredakteure der Medien zu beeindrucken.
Und im Kern ist der Gedanke ja nicht falsch: Eine Experten g r u p p e leitet und kontrolliert das weißgott nicht anspruchslose Unterfangen, Titel ab etwa 50 Euro kontinuierlich im Netz zu versteigern. Womit schon die vielleicht wichtigste Parallele mit Ebay und der entscheidende Unterschied zu den Versteigerungshäusern benannt ist: Jedes Wochenende zum Sonntagabend hin eine Versteigerungssitzung im Netz. Immer, kontunierlich. Wie Herr Jauch mit der Ratestunde. Man freut sich jede Woche darauf.
So werden Auktionsportal, gewöhnliches Bücherverkaufsportal, Genossenschaft und allgemeiner Berufsverein zu einer Waffe, mit der wir uns vielleicht noch aus der Umklammerung Amazon-Abebooks-ZVAB befreien können.
Nicht vergessen - es geht dabei zentral um den I m a g e t r a n s f e r vom neuen Versteigerungsportal zur Bücherdatenbank.
Das Urheberrecht am Bild besitzt die diamonds-showcompany, der wir für die Ausleihe danken
Donnerstag, 27. Oktober 2011
ILAB in Weimar - alles nur Schäferspiele ?
All about the League ... and Goethe - The ILAB Presidents’ Meeting in Weimar 2011
Es ist der ILAB hier gelungen, in gut zweihundert Zeilen n i c h t s mitzuteilen. Ich weiß nicht, ob der Verfasserin, Frau van Benthem, klargeworden ist, daß sich ihr Bericht auf dem Niveau gelackter, widerlicher Meeting-Firlefanzereien vom Rotary- oder Malteserritter-Typ bewegt. In meiner Journalistenzeit hatten wir Hochglanzartikel dieser (Un-)art kommentarlos und sehr schnell dorthin befördert, wo sie hingehören - in den Papierkorb.
Wenn uns die ILAB zu ihren Diskussionen, Problemen und Projekten nichts sagen will, schön. Dann soll sie anständig genug sein und g a r n i c h t s schreiben.
Angesichts der umfassenden weltweiten Probleme unseres Berufsstands empfinde ich leere Null-Texte dieser Art als p e i n l i c h. Den Kollegen und der Presse gegenüber ist das unaufrichtig und unverschämt.
Auf solche gelackten Verbergungen und Verhehlungen, im süßlichsten Kulturschmuse-Ton vorgetragen, kann man nur grob reagieren, halten zu Gnaden.
Der oben verlinkte Text ist angesichts der Sachlage eine Ungeheuerlichkeit.
Diese Form von Frühstücks-Berichterstattung möchte ich mir im Namen der deutschen Antiquare hierdurch v e r b e t e n haben.
Peter Mulzer, Antiquar in Freiburg
Nachtrag, etwas abgekühlt drei Stunden später:
Blogschreiben kann spontan sein. Ich nehme mir die Freiheit, mich aufzuregen, wenn ich dazu Veranlassung zu haben meine. "Therapeutisches Brüllen" - ja bitte. Nur so erfahren Verfasser und Auftraggeber bei der ILAB, was ich wirklich empfinde, eine Mischung aus Ärger und Enttäuschung nämlich.
Die ILAB-Seite wendet sich ja nicht nur an die große Welt. Sie ist Schaufenster vor allem zum Beruf hin, hat auch internen Charakter. Es ist nicht das erste Mal, daß wir uns über die ILAB ärgern. Ticken Antiquare in anderen Ländern anders? Nein, im Gegenteil! Sie nehmen ihren Beruf auch gesellschaftlich oft ernster als wir versponnenen deutschen Kollegen. Bei Tomfolio zum Beispiel wurde und wird seriös g e d a c h t.
Weiß der Teufel, weshalb die Herren bei der ILAB immer einen auf g e m ü t l i c h, ruhig und problemfrei machen müssen. Ich kann, wenn ich sowas lesen soll, in Rage kommen. Dagegen sind unsere Apostel vom Dienst, die das Mottto "Was wollt Ihr denn, bei mir läuft alles bestens, jeder Antiquar, der sich bemüht, hat sein gutes Auskommen, ich bin o.k., du bist o.k., wir alle sind o.k., nur der neurotische Mulzer muß mal wieder unsere Idylle stören, noch Anfänger und Waisenkinder. Bei der ILAB kann man wirklich heucheln - Anerkennung.
Natürlich spreche ich nicht für "die deutschen Antiquare", da sei Gott vor, und so bitte ich auch die Schlußbemerkung im Text oben zu verstehen. Ich habe nur leider ein gutes Gedächtnis und mein Elefantenhirn speichert so viele Gespräche mit Kollegen in der letzten Zeit, die Angst, Unsicherheit, Verärgerung und Ratlosigkeit mit sich herumtragen.
Angesichts der Debakel in Serie, die sich die ILAB geleistet hat und noch leistet, der nicht eingelösten Chancen, der abgewürgten Diskussionen, ist mir jedenfalls das heuchlerische Schönwetter- und Gemütlichtun zuwider. Brüllen befreit! Problieren Sie es ruhig mal aus.
Nachtrag 2:
Darf man sich selbst zitieren? Ich unternehme es und bringe ein Zitat aus einem privaten Schreiben von heute früh:
Allerdings habe ich seit Jahren den Eindruck, daß die ILAB nicht einmal eine - geheime oder intern eingestandene - Strategie hat, sondern wie ein Schifflein ohne Ruder dahintreibt im Weltmeer. Auch sind die Freundlichkeiten, die man sich dort austauscht, durchaus ernst gemeint und insoweit aufrichtig.
Irgendwie hat mich der Text gestern spontan genervt, solche ersten Eindrücke sind ja meistens richtig - da war eine üble Schönwetterschreiberin am Werk. Aber die ILAB mitsamt ihren ewigen unglücklichen Datenbankprojekten eignet sich, eben mangels Strategie, nicht recht als Buhmann. Es scheint mir eine Frage der "verpaßten Chancen" zu sein.
Es ist der ILAB hier gelungen, in gut zweihundert Zeilen n i c h t s mitzuteilen. Ich weiß nicht, ob der Verfasserin, Frau van Benthem, klargeworden ist, daß sich ihr Bericht auf dem Niveau gelackter, widerlicher Meeting-Firlefanzereien vom Rotary- oder Malteserritter-Typ bewegt. In meiner Journalistenzeit hatten wir Hochglanzartikel dieser (Un-)art kommentarlos und sehr schnell dorthin befördert, wo sie hingehören - in den Papierkorb.
Wenn uns die ILAB zu ihren Diskussionen, Problemen und Projekten nichts sagen will, schön. Dann soll sie anständig genug sein und g a r n i c h t s schreiben.
Angesichts der umfassenden weltweiten Probleme unseres Berufsstands empfinde ich leere Null-Texte dieser Art als p e i n l i c h. Den Kollegen und der Presse gegenüber ist das unaufrichtig und unverschämt.
Auf solche gelackten Verbergungen und Verhehlungen, im süßlichsten Kulturschmuse-Ton vorgetragen, kann man nur grob reagieren, halten zu Gnaden.
Der oben verlinkte Text ist angesichts der Sachlage eine Ungeheuerlichkeit.
Diese Form von Frühstücks-Berichterstattung möchte ich mir im Namen der deutschen Antiquare hierdurch v e r b e t e n haben.
Peter Mulzer, Antiquar in Freiburg
Nachtrag, etwas abgekühlt drei Stunden später:
Blogschreiben kann spontan sein. Ich nehme mir die Freiheit, mich aufzuregen, wenn ich dazu Veranlassung zu haben meine. "Therapeutisches Brüllen" - ja bitte. Nur so erfahren Verfasser und Auftraggeber bei der ILAB, was ich wirklich empfinde, eine Mischung aus Ärger und Enttäuschung nämlich.
Die ILAB-Seite wendet sich ja nicht nur an die große Welt. Sie ist Schaufenster vor allem zum Beruf hin, hat auch internen Charakter. Es ist nicht das erste Mal, daß wir uns über die ILAB ärgern. Ticken Antiquare in anderen Ländern anders? Nein, im Gegenteil! Sie nehmen ihren Beruf auch gesellschaftlich oft ernster als wir versponnenen deutschen Kollegen. Bei Tomfolio zum Beispiel wurde und wird seriös g e d a c h t.
Weiß der Teufel, weshalb die Herren bei der ILAB immer einen auf g e m ü t l i c h, ruhig und problemfrei machen müssen. Ich kann, wenn ich sowas lesen soll, in Rage kommen. Dagegen sind unsere Apostel vom Dienst, die das Mottto "Was wollt Ihr denn, bei mir läuft alles bestens, jeder Antiquar, der sich bemüht, hat sein gutes Auskommen, ich bin o.k., du bist o.k., wir alle sind o.k., nur der neurotische Mulzer muß mal wieder unsere Idylle stören, noch Anfänger und Waisenkinder. Bei der ILAB kann man wirklich heucheln - Anerkennung.
Natürlich spreche ich nicht für "die deutschen Antiquare", da sei Gott vor, und so bitte ich auch die Schlußbemerkung im Text oben zu verstehen. Ich habe nur leider ein gutes Gedächtnis und mein Elefantenhirn speichert so viele Gespräche mit Kollegen in der letzten Zeit, die Angst, Unsicherheit, Verärgerung und Ratlosigkeit mit sich herumtragen.
Angesichts der Debakel in Serie, die sich die ILAB geleistet hat und noch leistet, der nicht eingelösten Chancen, der abgewürgten Diskussionen, ist mir jedenfalls das heuchlerische Schönwetter- und Gemütlichtun zuwider. Brüllen befreit! Problieren Sie es ruhig mal aus.
Nachtrag 2:
Darf man sich selbst zitieren? Ich unternehme es und bringe ein Zitat aus einem privaten Schreiben von heute früh:
Allerdings habe ich seit Jahren den Eindruck, daß die ILAB nicht einmal eine - geheime oder intern eingestandene - Strategie hat, sondern wie ein Schifflein ohne Ruder dahintreibt im Weltmeer. Auch sind die Freundlichkeiten, die man sich dort austauscht, durchaus ernst gemeint und insoweit aufrichtig.
Irgendwie hat mich der Text gestern spontan genervt, solche ersten Eindrücke sind ja meistens richtig - da war eine üble Schönwetterschreiberin am Werk. Aber die ILAB mitsamt ihren ewigen unglücklichen Datenbankprojekten eignet sich, eben mangels Strategie, nicht recht als Buhmann. Es scheint mir eine Frage der "verpaßten Chancen" zu sein.
10 Jahre GIAQ-Genossenschaft im Antiquariat: Die unterdrückte Jubiläumsrede
Zum bevorstehenden zehnjährigen Jubiläum der Genossenschaft GIAQ steht es mir wohl an, ein Grußwort zu schreiben. Ich will es unpolemisch halten, alte Sünden übergehen und überhaupt der milde Gründungsvater sein, wie er im Bilde steht.
So beschränke ich mich auch auf zwei persönliche Bemerkungen, die wir gleich zu Beginn abhandeln wollen.
Ich bin tatsächlich derjenige, der sich in der Runde des Berner Kollegen Hess erstmals und ausführlich für die Gründung einer Genossenschaft im deutschen Sprachraum eingesetzt hat. Vor 12 Jahren erhielten etwa 250 Kollegen meine ausführlichen Vorschläge und Papiere dazu. Entscheidende Hinweise hatte uns Plurabelle (Cambridge) gegeben, Tomfolio, die US-Genossenschaft der Antiquare, begann zeitgleich mit ihren Gründungsvorbereitungen.
Zum anderen: meine Vorschläge sind nicht aus der Luft gegriffen. Ich habe zwar nichts Wissenschaftliches veröffentlicht, saß aber viele Jahre zu Füßen der alma mater und sollte von meinen Haupt- und Nebenfächern, Soziologie und Jura, immerhin etwas im Gedächtnis behalten haben.
Nun übergehen wir die etwas seltsame Gründungsversammlung in Berlin, meine gleichfalls seltsame hastige Verabschiedung von der Genossenschaft, das noch seltsamere Taktieren des Kollegen Müller, meine vergeblichen verzweifelten Versuche, die Genossenschaft wie auch die Datenbank vor Peinlichkeiten in Namensgebung und Struktur zu bewahren. Alles vorbei, Schall und Rauch.
Und nun zum Thema.
Ehe mich die Gründungsgruppe von ihrem Forum ausgeschlossen hatte, zeichnete sich schon ab, daß das deutsche Genossenschaftsrecht zu einer unübersteigbaren Hürde werden könnte für jeden Fortschritt, jede Weiterentwicklung unserer besonderen Antiquariatsgenossenschaft. Der Gesetzgeber hatte es gut gemeint vor über hundert Jahren mit dem Raiffeisengedanken und der Selbstorganisation in Handwerk und Landwirtschaft - tatsächlich aber steht heute der Tausendseiten-Kommentarband zum deutschen Genossenschaftsrecht als Felsblock im Wege, den man geduldig mit schmalspurigen Zahnradbahnen umfahren muß. Schnellbahn - kein Gedanke!
Diverse kleinere Ungeschicklichkeiten der GIAQ und ihrer Datenbank dienten mir seither als Quälball, das war ungerecht und ich möchte das nicht rechtfertigen. Erst Anfang diesen Jahres begann ich positiv zu denken und kam zu einem neuen Modell, mit dem wir der Genossenschaft auf die Beine helfen können. Mit Zückerchen und geduldigem Streicheln kommt der müde Gaul aber nicht wieder auf die Füße - da müssen schon Seilwinden her.
Mein Organisationsmodell, bei dem wie erwähnt Soziologie und Jura zusammenwirken, sieht die Gründung eines
allgemeinen Berufsvereins
vor, der Entscheidungsträger der Genossenschaft wird. Wie man das im einzelnen sauber konstruiert, muß man noch zurechtfeilen, denn die bisherigen Anteilseigner der Genossenschaft behalten ja ihre Rechte und ein Verein kann, soweit ich das überblicke, grundsätzlich nicht Träger einer Genossenschaft sein.
Darum soll es primär aber nicht gehen. Viel wichtiger ist, daß eine a l l g e m e i n e Berufsvertretung entsteht, die d e m o k r a t i s c h organisiert und geleitet wird und die den entscheidenden E i n f l u ß auf die Genossenschaft ausübt. Was in der Praxis heißt: auf die Datenbank, auf das Verkaufsportal.
Nur eine wirklich demokratisch abstimmende Berufsvertretung kann dem drohenden Monopol der Amazon-Satrapen Abebooks und ZVAB noch Paroli bieten - indem sie die genossenschaftliche Datenbank zum Portal der eigenen Berufsvertretung a l l e r Antiquare macht.
Das setzt voraus, daß sich unsere Berufsgruppe endlich nach formal parlamentarischen Regeln organisiert. Ein Medium ähnlich der alten Hess-Runde (ich mach das nicht, dem Börsenverein stünde es gut an, Dr. Biester an die Front - oder der Buchreport oder sonstwer) muß einen tragfähigen Rahmen aufbauen. Dann wird wie im Schweizer Parlament, das sich hervorragend für solche Prozeduren eignet und sogar von Tomfolio als Beispiel herangezogen worden war, mit Vernehmlassungen, Motionen, Beschlüssen gearbeitet.
Da das alterprobte Mechanismen sind, breite ich sie hier nicht aus, stelle nur den Kern dar. Wer eine Meinung, eine Ansicht, einen Weg, einen Vorschlag zu machen hat, formuliert seine Gedanken in einem kurzen Posting, das jeder Kollege automatisch in den Briefkasten bekommt. Man kann solche Vorschläge bündeln, wie auch immer, nach festgelegter Diskussionszeit, werden auch die Für- und Gegenstimmen, Erläuterungen und Ergänzungen elektronisch allen Kollegen zugestellt, dann wird auf genau formulierte Fragen hin abgestimmt (Poll-Funktion).
Ähnlich geht es zu bei der Wahl von Personalvertretungen, der Datenbankgestaltung usw.
Während man bei der allgemeinen, umfassenden Demokratie eine skeptische Grundhaltung haben kann und nicht viel Sinn erkennt darin, seine Stimme mit Millionen anderer abgeben zu sollen, ist die demokratische Abstimmung innerhalb einer B e r u f s g r u p p e ein ungeheuer nützliches Instrument! Es müssen nur die parlamentasrischen Grundregeln getreulich eingehalten werden.
Mit diesem Gedanken möchte ich meine Jubiläumsrede schließen: Stärkt die Genossenschaft mit einer beigeordneten allgemeinen Berufsvertretung aller Antiquare - dann wird sie zu einem wundervollen Instrument, gerade heute in der Stunde äußerster Gefahr, in der uns das Bundeskartellamt im Regen stehen läßt und Abebooks, mit weitem Abstand, zur Zeit die beste Verkaufsdatenbank ist.
Das Foto gehört Johann Bremmenkamp, dem wir für die Ausleihe danken
Mittwoch, 26. Oktober 2011
Warum Buchhändler und Antiquare Amazon-Abebooks-ZVAB in ihr Herz geschlossen haben
Amazon verdankt seine weltweit überragenden Verkaufsraten in Büchern und anderen Artikeln neben niedrigen Preisen vor allem einem ausgeklügelten System an Kundenwissen, an Informationen über Bedürfnisse und Wünsche seiner Käufer, aber auch aller, die sich nur dort informieren, die Amazon als - übrigens vorzügliche - Informationsquelle, als Lexikon, Wiki und bibliographisches Hilfsmittel nutzen.
Aus diesem Netz von individuellen, aber auch gruppen-, länder- und schichtenspezifischen Netzwerken teils intimster Natur generiert Amazon allgemeine Trends, ebenso ein umfassendes Personenwissen. Während alles von Googles Informationshunger spricht, lag bisher die Sammelwut von Amazon im Halbschatten. Erst in jüngster Zeit wacht die Blogosphäre auf und beginnt, Amazon auf die Finger zu schauen. Von gewöhnlich sehr gut informierten Bloggern und Insidern wird das sensible, intime Wissen von Amazon - Literatur ist eben eine besondere Ware - inzwischen als weitaus gefährlicher eingeschätzt als das von Tante Google, für den einzelnen Nutzer wie für die Gesellschaft insgesamt.
Der brave unabhängige Ladenbuchhändler mag zwar seinen Kunden kennen und ihm aus diesem Wissen heraus manchen Titel empfehlen, wenn er ihn im Laden sieht und begrüßt. Dieses berufliche Vorwissen bleibt aber immer auf seine Buchhandlung und den betreffenden Kunden beschränkt. Er vernetzt sein intimes Wissen nicht, er zieht keine Querlinien und füttert damit nicht Datenbanken, Marktforschungsinstrumente und Verlagsplanungen.
Wer sich Amazon bedient, sei es daß er bei Amazon kauft oder sich nur dort informiert, der muß wissen, daß er einen Rattenschwanz von Wissen über sich selbst mitliefert. Er gibt nicht nur sein Geld, sondern seine Seele Amazon in die Hand. Ist der Begriff "Seele" übertrieben? Wer seine Bedürfnisse, Wünsche, Ablehungen/ Abstinenzen, seine Korrelationen ("hat auch gekauft"), gar seine Urteile und Wertungen ("Besprechungen, Foren") zu Amazon trägt, und sei es nur dadurch, daß sein Kaufverhalten über Jahre hinweg registriert wird - der fördert die riesige Konzernkrake.
Darüber kann man nicht gut diskutieren, das ist einfach so.
Das gilt natürlich auch für die Ableger des Konzerns, deren Zusammenhang mit der allesbeherrschenden Mutter möglichst verhehlt wird. Wir sprechen vom ZVAB und von Abebooks.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Die Informationsbeschaffung, die Amazon betreibt, mag für deutsche Gemüter etwas sehr amerikanisch und großzügig aussehen, aber sie ist l e g a l. Es handelt sich um legal erworbene Datenmengen und Datennetze, um legal beschaffte Profile und rechtmäßig erworbene Gefühlsschattierungen. Bei Amazon sitzen die besten Verkaufsstrategen der Welt, die führenden Marketingpsychologen, ganze Batterien von psychoanalytisch und verhaltenspsychologisch geschulten Universitätsabsolventen, um die Datenmengen auszuwerten und der Planung zuzuführen. Würde Amazon anders handeln, müßte man den Konzern "dumm" nennen. Er ist aber sehr klug.
Nun zappelt der Buchkäufer im Netz, das Amazon mit List und Tücke ausgespannt hat, und es ist ihm - egal.
Amazon hat aber natürliche Feinde. Aus recht unterschiedlichen Gründen hassen und fürchten die unabhängigen Ladenbuchhändler und die Buchantiquare Amazon. Bauen sie eine gemeinsame Kampffront auf? Da sei Gott und der Börsenverein vor, denn Gott hat uns die freie Marktwirtschaft beschert, hat er nicht, und der Börsenverein ist zur Neutralität verpflichtet - Amazon sitzt auch im Börsenverein!
Bedeutet das nun, daß die selbständigen Ladenbuchhändler taten- und aktionslos zusehen müssen, wie sie von Amazon langsam abgewürgt werden? Sie verhalten sich so, aber weder Gott noch die Marktwirtschaft wollen das. Im Gegenteil, nach den Regeln der Marktwirtschaft s o l l , ja m u ß sich das Opfer von Konzentrationen und Monopolbestrebungen w e h r e n. Rennt das Mäuslein nicht aufgeregt hin und her, bis es die Katze wieder in die Krallen nimmt, dann ist die Natur auf den Kopf gestellt.
Ich habe gestern aufgezeigt, daß Abebooks und ZVAB in den Abwehrkampf der Buchhändler gegen Amazon einbezogen werden müssen. Es geht nicht an, daß diese beiden Buchverkaufsportale - zum Beispiel über Antiquaria - Scheinallianzen und Kooperationen mit den Buchhändlern eingehen und die Neubuchhändler ihren Untergang noch durch eigene Dummheit befördern.
Denn wer hindert ZVAB und Abebooks daran, ihre legal erworbenen Datengebirge dem Amazon-Weltkonzern zu unterbreiten, sie zuzuliefern? Auch wenn sie jetzt tausend Schwüre ablegen würden, dies nicht tun zu wollen (ich hab noch nichts davon gehört), dann können beide Töchter, zu 100 Prozent im Amazon-Besitz, dies jederzeit nachholen. Es geht nicht so sehr um konkrete Verkaufsdaten, die wird ZVAB nicht weitergeben, da es unter deutschem Recht steht, es geht um die sensiblen Zusammenhänge, um Bedürfnisse, Sehnsüchte, Motive.
Ein Buchhändler, der direkt oder indirekt ZVAB und/ oder Abebooks fördert, mit ihnen zusammenarbeitet, der gräbt sich sein eigenes Amazon-Grab.
Für die Buchantiquare, soweit sie denken können, stellt sich die Frage längst nicht mehr. Sie haben inzwischen alle verstanden, daß es zum großen Abwehrkampf gegen den Monopolisten kommen muß, sonst ist ihre wirtschaftliche Freiheit besiegelt.
Amazon-Abebooks-ZVAB sind zum Teil selber schuld an der kommenden Zuspitzung der Lage. Wie konnte Amazon so, verzeihen Sie meine persönliche Einschätzung, f r e c h sein, ohne irgendein Schamtüchlein ganz nackt und brutal Abebooks und ZVAB hundertprozentig aufzukaufen? Nicht einmal die strategisch nützliche Beteiligung Dritter, ein kleines Manöver, um ihr Quasimonopol im Portalabsatz der deutschen Antiquare zu bemänteln, war ihnen die Sache wert. Ich möchte das als z y n i s c h einschätzen. Zynismus pur, querbeet über alle Blumengärtchen und Felder gebrettert, die Kartellbehörden offenbar so wirksam kaltgestellt, daß irgendeine Rücksichtnahme unnötig erscheinen konnte - drauflos.
Das Untätigsein der Kartellbehörde wird wohl erst in einem Gerichtsverfahren aufgedeckt werden können, ich sehe keinen anderen Weg, um diesem Skandal auf den Grund zu kommen.
Die Kernfrage stellt sich so: Dürfen wir, sollen wir zum Boykott von Amazon und seinen Satrapen aufrufen? N e i n ! Das dürfen wir nicht, und wir wollen es auch nicht.
Es geht vielmehr um zweierlei. Einmal müssen Sachverhalte, die Amazon offenbar unter der Decke halten will, p u b l i k gemacht werden. Da sich kein Netzdienst, keine Zeitung, kein Fachblatt mit einem Konzern anlegen will, der direkt oder über seine Satrapen schöne, fette Inseratengelder im Beutel hat, müssen einige unabhängige Kollegen vom Buchhandel und aus dem Antiquariat diese Publizität besorgen. Ich bin einer von ihnen.
Aber auch ich boykottiere nicht. Es gilt, nun in unmittelbarer Zukunft folgenden Weg einzuschlagen: Nach der schonungslosen Aufklärung, nach der Aufdeckung der Bedingungen und Hintergründe des Schweigens des Kartellamts, aber auch ganz einfach nach der stetigen Wiederholung dessen, w a s A m a z o n offenbar v e r h e h l e n will (daß Abebooks Amazon gehört, daß ZVAB Amazon gehört) - - soll die Schaffung von Ersatzstrukturen in Angriff genommen werden, die Amazon und seinen beiden Satrapen P a r o l i bieten können.
Der Buchhandel muß hier seine Hausarbeiten erledigen, die Antiquare die ihrigen.
Also nicht Boykott, sondern Aufklärung und dann Gegenplanung, darum geht es jetzt. Wer noch nicht gekauft worden ist, der möge sich einreihen in die Abwehrfront gegen Verhehlung und Marktmißbrauch, gegen Monopolplanung jeder Art.
Wenn wir Antiquare einmal begriffen haben, daß wir von Amazon-Abebooks-ZVAB als Stoßtrupp zur Eroberung des deutschen Neubuchhandels mißbraucht werden sollen, dies ist meine persönliche Einschätzung - - dann ist schon viel erreicht.
Die touché-Folge gehört dem Künstler und der taz, (Anmerkung des Sätzers: ...die uns die Verwendung zu diesem Blogtext bestimmt nicht übel nehmen wird)
Dienstag, 25. Oktober 2011
Antiquaria - der Ladenbuchhandel alimentiert seinen Henker
Im Börsenblatt-Netzdienst wird zur Zeit diskutiert über die Frage, ob "die Beziehungen zwischen Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel (...) ausbaufähig seien". Eine Warntafel hierzu muß gleich am Anfang des Weges aufgestellt werden.
Die Fakten sind betrüblich für die Antiquare und es dürfte sich inzwischen unter ihnen herumgesprochen haben: Die beiden größten Verkaufsportale für deutschsprachige alte Bücher im Netz, ZVAB und Abebooks, gehören seit diesem Frühjahr zu 100 % wem - richtig, A m a z o n. Der internationale Weltkonzern, der sein Scherflein beigetragen hat zum Untergang des selbständigen Buchhandels, hat beide gekauft. Er beherrscht die elektronischen Absatzwege des Buchantiquariats im deutschen Sprachraum über Portale je nach Interpretation zu 80 - 90 %. Die Antiquare zittern, ihnen ist nicht wohl dabei, hilflos sehen sie zu, wie ihre wirtschaftliche Freiheit bedroht wird. Manche von ihnen sehen sich schon als Franchisenehmer des Amazon-Konzerns, warte nur balde.
Über diese Tragödie, der das Bundeskartellamt mit den Händen im Schoß untätig zusieht, ist wenig in die breitere Öffentlichkeit gelangt. Von gelegentlichen Randnotizen abgesehen haben auch die Medien des Neubuchhandels keine Notiz davon genommen.
Das war mit Sicherheit ein Fehler.
Für jeden Buchhändler - im Folgenden sprechen wir jetzt nur noch vom N e u - Buchhändler - ist "Amazon" ein Reizwort, es löst in ihm Angst aus - zurecht. Durch seine schiere Marktbeherrschung sägt der Konzern, ohne besonders böse zu sein, mit viel Geschick und bisher unaufhaltbar an den Absatzmargen des stationären Buchhandels. Amazon hat es nicht nötig, unangenehm aufzufallen, das besorgen die Gesetze des Marktes. Über der Frankfurter Buchmesse schwebte Amazon, einem düsteren Riesenvogel gleich, und seine Fittiche überschatteten die Gemüter der Buchhändler, besonders der kleinen und unabhängigen, die überleben wollen.
Es muß wiederholt werden: Abebooks und Z V A B sind beide zu hundert Prozent im Besitz von Amazon.
Jeder Cent, der ZVAB zugewendet wird, stärkt Amazon, jeder Werbeimpuls für ZVAB kommt Amazon zugute. Und auch dies sei wiederholt, daß ich Amazon keine bösen Absichten unterstelle, vielmehr i s t Amazon einfach die riesige Maschine, die den unabhängigen kleineren Buchhändler erdrücken m u ß, nolens volens. Die Gesetze des Marktes...
Es ist nun dem Todeskandidaten ziemlich egal, wer ihn morgen aufhängen wird und warum er das tut. Für das Opfer zählt nur die vorhersehbare Hinrichtung.
Wir kennen aus den düstersten Tagen Deutschlands jene Rechnungen für die "Kosten der Hinrichtung", die eine entmenschte Justiz den Verwandten jedes Hingerichteten zuzustellen pflegte. Man möchte meinen, das sei der Gipfel des Zynismus.
Aber es gibt noch eine absurdere, zynischere Situation: Man male sich aus, der Todeskandidat alimentiere f r e i w i l l i g und vor seiner Exekution den Henker. Außer in Sadomaso-Zirkeln ist so etwas undenkbar.
Meinen Sie? Genau das findet täglich einige hundert Mal immer dann statt, wenn ein Buchhändler über das Antiquaria-Programm bei ZVAB antiquarische Bücher bestellt. Er nährt damit beständig seinen marktwirtschaftlichen Henker - Amazon. Henker - als technischer Begriff ist das zulässig, als moralische Qualifikation möchte ich das Wort aber nicht verstanden wissen.
Man muß natürlich näher hinsehen. ZVAB bietet den Antiquaria-Dienst "kostenlos für den Buchhändler" an. Das bedeutet freilich nicht, daß er ganz kostenlos für den Antiquar sei, von dem die Bücher kommen. Vor allem aber stellt jede Bestellung einen nicht hoch genug einzuschätzenden W e r b e - und I m a g e w e r t für das ZVAB und seinen Alleinbesitzer Amazon dar.
Wir wissen spätestens seit den Google-Milliardengewinnen, daß der Werbewert und der Imagenutzen oft weit höher sein können als eine "Gebühr". Und wirklich sponsert jeder Buchhändler, der über Antiquaria bei ZVAB antiquarische Bücher ordert, seinen marktwirtschaftlichen Henker, A m a z o n.
Das sei nun alles nur indirekt und über sieben Suppenteller? So tickt der Markt nicht. Erstens wissen auch Insider nicht, ob das ZVAB, ja - ob auch Abebooks nicht diesen Herbst, nächstes oder erst übernächstes Jahr auch technisch voll integriert werden soll in das Amazon-Portal. Es wird für sehr wahrscheinlich gehalten. Zweitens erhält Amazon das gesammelte Herrschaftswissen der beiden Konzernteile.
Diese Andeutungen mögen genügen, um dem Buchhändler klarzumachen:
*Mit jeder Antiquaria-Bestellung sponsert er seinen marktwirtschaftlichen Henker, Amazon.
Daß es auch noch andere Henker gibt, die ihm zu Leibe rücken, tröstet den kleineren unabhängigen Buchhändler nicht. Amazon ist allemal der gefährlichste. Ist es nicht auch eine Sache der W ü r d e des bedrohten Buchhändlers, seinen marktwirtschaftliche Henker nicht auch noch vorher zu alimentieren?
Für das Foto danken wir dem Stadtmuseum Erfurt, das die Rechte daran besitzt
Montag, 24. Oktober 2011
Wie sich das Antiquariat aus dem Internet verabschiedet
- Nachtrag zum Aufsatz Nr. 200 -
Es ist wie der Erwachen aus einem bösen Traum, wenn ich mich in diesen Tagen frage: Wie um alles in der Welt konnte ich mich derart unsinnig verbeißen in die großen Datenbankprobleme? Warum habe ich mich niemals gefragt, ob denn das Anbieten alter Bücher im Internet nicht in Wahrheit unzureichend, mühsam, unzweckmäßig, geradezu blödsinnig sei, ob wir uns nicht alle auf einem schauerlichen Trip befänden, der für uns wie auch unsere Arbeitsobjekte entwürdigend, ja beleidigend ist?
Im letzen Aufsatz mit der Nummer 200 habe ich angedeutet, daß die Titelaufnahme für Bücher unterhalb des Versteigerungsniveaus, in jedem Fall aber unter etwa 50 Euro Mittelwert nicht sinnvoll ist. Zwei Ausnahmen hatten wir gelten lassen, solche Ware, die für hochspezialisierte Fachkataloge geeignet erscheint und dann hochpreisige Ware jeder Art.
Alle anderen Bücher können schon in einer kleineren Großstadt ab etwa 100.000 Einwohnern, in größeren Orten sowieso, ihre Käufer finden, sofern sie in einem Laden angeboten werden, der gut bekannt ist. Wir sprachen von dem ganz unabschätzbar hohen Werbewert, den die Bildung eines
"Hauses der Bücher"
mit sich bringt, erwähnten den Anmutungscharakter einer Einrichtung dieser Art, luden eine Neubuchhandlung im Erdgeschoß zur Beteiligung ein.
Ich habe heute einige Testgespräche mit Kollegen und Kunden geführt und werte die Ergebnisse gleich aus.
1.
Es ist nicht möglich, das Modell in kleineren Orten durchzuziehen. Die Kernthese ist ja, daß sich für fast alle Arten alter Bücher sehr wohl eine ausreichende Ladenkundschaft finden läßt. Erfahrungsgemäß brauchen wir dazu aber die Bevölkerungsstruktur und Menschenmenge einer Großstadt. Ich sehe ohnehin nicht ein, weshalb Antiquariate in kleineren Orten bestehen sollen - dem Kollegen ist zuzumuten, in seinen Stadtladen zu pendeln, wenn er im Umkreis eines größeren Orts wohnt.
2.
Das Modell hat nur Sinn, wenn der Antiquar regelmäßig neue Titel, neues Futter querbeet durch alle Sachgebiete nachliefern kann. Deshalb ist eine flächendeckende Ankaufstätigkeit durch den Kollegen notwendig. Früher war das selbstverständlich und es schadet den Antiquaren, auch den darin ungeübten, gar nichts, wieder Hausbesuche zu machen und zu inserieren. Ankäufe bei Privat an der Quelle lohnen sich immer, auf eine gewisse Zeit hin betrachtet und ausgewertet. Viele Kollegen sind in dieser Beziehung heute stinkfaul.
3.
Es ist gut möglich und sogar wahrscheinlich, daß sich für teure Titel ab etwa 50 Euro am Ort keine Käufer finden. Dort - aber nur dort - ist das Einstellen in eine überörtliche Verkaufsdatenbank oder das Einliefern bei einem Versteigerungshaus notwendig und sinnvoll.
4.
Mit den modernen elektronischen Mitteln ist es gut möglich, das eine oder andere Antiquariat stundenweise ohne Personal zu lassen. Die Einrichtung des "Hauses der Bücher" sollte so sein, daß das stockwerkmäßig unterste der Antiquariate ständig besetzt ist und zeitweise eine Abschrankung vorgesehen ist. Der Kollege kassiert dann die Titel der Kollegen, die ihren Laden "oberhalb" nicht besetzt haben, mit ab. Natürlich muß dann jedes Buch mit einem kleinen Eignerzeichen des Antiquariats versehen sein. Radierungen wird der Kunde dann nicht vornehmen, wenn die elektronische Videoüberwachung im ganzen Haus lückenlos erfolgt - eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
5.
Die Preise unter 30 Euro können und sollen nach Gefühl festgesetzt werden. Der Kunde akzeptiert in einem vernünftigen Rahmen individuelle Preisgestaltungen im unteren Buchbereich durchaus. Wird vor der Preisauszeichnung und dem Einstellen ins Regal jeder zweite Titel im Netz nachgesehen, "was er denn kostet", dann wird mein Modell ad absurdum geführt.
6.
Wir brauchen eine sehr gute Sachgliederung der Bestände im Laden. Da besteht großer Nachholbedarf! Die Schilder müssen groß, leserlich und geschickt angebracht sein. Es ist unsäglich, wie die meisten Ladenantiquariate derzeit noch zusammengestümpert werden vom Technischen her. Ich bin gern bereit, solche Fragen hier in extenso durchzusprechen und Rat zu geben.
Die drei Ziele
- radikale Senkung der Miete
- Minderung der Personalkosten
- großer Selbstwerbeeffekt durch Konstituierung des "Bücherhauses"
dürfen nie aus dem Auge verloren werden. Nur dann ist die Rückkehr zum Ladenantiquariat als Normalverkaufsform möglich.
Ergänzende, flankierende Maßnahmen durch Webpräsenzen, Webverbünde usw.- sind möglich, bei Durchführung meines Modells aber im Grunde nicht notwendig.
Wird es richtig durchgeführt, läuft es von selber.
Die Gegenrechnung an Zeit und Kosten ist weitaus günstiger als der Vertrieb durch jede Art Datenbank. Ein ganzheitlicheres Arbeiten ist möglich, der Antiquar wird überhaupt erst wieder zum M e n s c h e n, wenn er nicht mehr Fron ableisten muß durch das scheußliche Titelaufnehmen und die nicht minder widerliche Einzelstück-Versendung.
Es ist wie der Erwachen aus einem bösen Traum, wenn ich mich in diesen Tagen frage: Wie um alles in der Welt konnte ich mich derart unsinnig verbeißen in die großen Datenbankprobleme? Warum habe ich mich niemals gefragt, ob denn das Anbieten alter Bücher im Internet nicht in Wahrheit unzureichend, mühsam, unzweckmäßig, geradezu blödsinnig sei, ob wir uns nicht alle auf einem schauerlichen Trip befänden, der für uns wie auch unsere Arbeitsobjekte entwürdigend, ja beleidigend ist?
Im letzen Aufsatz mit der Nummer 200 habe ich angedeutet, daß die Titelaufnahme für Bücher unterhalb des Versteigerungsniveaus, in jedem Fall aber unter etwa 50 Euro Mittelwert nicht sinnvoll ist. Zwei Ausnahmen hatten wir gelten lassen, solche Ware, die für hochspezialisierte Fachkataloge geeignet erscheint und dann hochpreisige Ware jeder Art.
Alle anderen Bücher können schon in einer kleineren Großstadt ab etwa 100.000 Einwohnern, in größeren Orten sowieso, ihre Käufer finden, sofern sie in einem Laden angeboten werden, der gut bekannt ist. Wir sprachen von dem ganz unabschätzbar hohen Werbewert, den die Bildung eines
"Hauses der Bücher"
mit sich bringt, erwähnten den Anmutungscharakter einer Einrichtung dieser Art, luden eine Neubuchhandlung im Erdgeschoß zur Beteiligung ein.
Ich habe heute einige Testgespräche mit Kollegen und Kunden geführt und werte die Ergebnisse gleich aus.
1.
Es ist nicht möglich, das Modell in kleineren Orten durchzuziehen. Die Kernthese ist ja, daß sich für fast alle Arten alter Bücher sehr wohl eine ausreichende Ladenkundschaft finden läßt. Erfahrungsgemäß brauchen wir dazu aber die Bevölkerungsstruktur und Menschenmenge einer Großstadt. Ich sehe ohnehin nicht ein, weshalb Antiquariate in kleineren Orten bestehen sollen - dem Kollegen ist zuzumuten, in seinen Stadtladen zu pendeln, wenn er im Umkreis eines größeren Orts wohnt.
2.
Das Modell hat nur Sinn, wenn der Antiquar regelmäßig neue Titel, neues Futter querbeet durch alle Sachgebiete nachliefern kann. Deshalb ist eine flächendeckende Ankaufstätigkeit durch den Kollegen notwendig. Früher war das selbstverständlich und es schadet den Antiquaren, auch den darin ungeübten, gar nichts, wieder Hausbesuche zu machen und zu inserieren. Ankäufe bei Privat an der Quelle lohnen sich immer, auf eine gewisse Zeit hin betrachtet und ausgewertet. Viele Kollegen sind in dieser Beziehung heute stinkfaul.
3.
Es ist gut möglich und sogar wahrscheinlich, daß sich für teure Titel ab etwa 50 Euro am Ort keine Käufer finden. Dort - aber nur dort - ist das Einstellen in eine überörtliche Verkaufsdatenbank oder das Einliefern bei einem Versteigerungshaus notwendig und sinnvoll.
4.
Mit den modernen elektronischen Mitteln ist es gut möglich, das eine oder andere Antiquariat stundenweise ohne Personal zu lassen. Die Einrichtung des "Hauses der Bücher" sollte so sein, daß das stockwerkmäßig unterste der Antiquariate ständig besetzt ist und zeitweise eine Abschrankung vorgesehen ist. Der Kollege kassiert dann die Titel der Kollegen, die ihren Laden "oberhalb" nicht besetzt haben, mit ab. Natürlich muß dann jedes Buch mit einem kleinen Eignerzeichen des Antiquariats versehen sein. Radierungen wird der Kunde dann nicht vornehmen, wenn die elektronische Videoüberwachung im ganzen Haus lückenlos erfolgt - eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
5.
Die Preise unter 30 Euro können und sollen nach Gefühl festgesetzt werden. Der Kunde akzeptiert in einem vernünftigen Rahmen individuelle Preisgestaltungen im unteren Buchbereich durchaus. Wird vor der Preisauszeichnung und dem Einstellen ins Regal jeder zweite Titel im Netz nachgesehen, "was er denn kostet", dann wird mein Modell ad absurdum geführt.
6.
Wir brauchen eine sehr gute Sachgliederung der Bestände im Laden. Da besteht großer Nachholbedarf! Die Schilder müssen groß, leserlich und geschickt angebracht sein. Es ist unsäglich, wie die meisten Ladenantiquariate derzeit noch zusammengestümpert werden vom Technischen her. Ich bin gern bereit, solche Fragen hier in extenso durchzusprechen und Rat zu geben.
Die drei Ziele
- radikale Senkung der Miete
- Minderung der Personalkosten
- großer Selbstwerbeeffekt durch Konstituierung des "Bücherhauses"
dürfen nie aus dem Auge verloren werden. Nur dann ist die Rückkehr zum Ladenantiquariat als Normalverkaufsform möglich.
Ergänzende, flankierende Maßnahmen durch Webpräsenzen, Webverbünde usw.- sind möglich, bei Durchführung meines Modells aber im Grunde nicht notwendig.
Wird es richtig durchgeführt, läuft es von selber.
Die Gegenrechnung an Zeit und Kosten ist weitaus günstiger als der Vertrieb durch jede Art Datenbank. Ein ganzheitlicheres Arbeiten ist möglich, der Antiquar wird überhaupt erst wieder zum M e n s c h e n, wenn er nicht mehr Fron ableisten muß durch das scheußliche Titelaufnehmen und die nicht minder widerliche Einzelstück-Versendung.
Freitag, 21. Oktober 2011
Das "Haus der Bücher" - Trick 7 im Antiquariat
(Zur Feier des Blogbeitrags Nr. 200)
Es gibt Texte, die nicht jeder schreiben darf. Wenn ich mich heute zur Generalabrechnung mit dem Anbieten und dem Verkauf unserer alten Bücher im Internet anschicke, dann geschieht das vor dem Hintergrund meiner bisher 199 Blogbeiträge, die sich um die Mittelpunkte Antiquariat und Internet gruppieren, mit allen Detailfragen, unter vielen Gesichtspunkten.
Zunächst gilt es, vom Scheitern zu berichten, von Mißerfolgen und Hindernissen, die zu überwinden sich als unmöglich erwiesen hat.
1.
Das retrospektive Bibliographieren, die Information über Bücherarten und Buchinhalte im Internet ist für die meisten Menschen zu schwierig. Es ist auch nicht möglich, ihnen das notwendige Handwerkszeug bereitzustellen, finden sich doch selbst ausgewiesene Universitätslehrkräfte oft nicht zurecht zwischen KVK, Google Books, Fachdokumentationen und Wiki.
2.
Die Versuche, retrospektives Buchwissen über unsere Datenbanken/ Verkaufsportale oder gar in den Antiquariatswebseiten zur Verfügung zu stellen, sind bisher kläglich gescheitert und haben auch in Zukunft keine Chance verwirklicht zu werden, weil hier jeweils händische Arbeit, anspruchsvolle retrobibliographische Leistung angesagt ist, die niemand bezahlen kann und will.
3.
Automatisierte Stichworteinteilungen und Schlagwortlisten sind für historische Buchabfragen, die über Verfasser- und Titelnachfragen hinausgehen, immer nur ganz unzureichendes Stückwerk. Es gibt im Grunde keine echten "Fachkataloge", die automatisch generiert werden können. Der beste Weg wäre noch das von Amazon und in Ansätzen auch von Abebooks verwirklichte Netzwerk mit "...hat auch gekauft..." und diverse Besprechungsdienste, aber hier dauert es, anders als bei noch lieferbaren und sonst neuesten Titeln, viel zu lang, bis Derartiges retrobibliographisch nutzbar würde.
4.
Die rücklaufende bibliographische Titel-Kenntnis ist bescheiden - am besten sind noch Hobbygebiete und Hochpreistitel bei potentiellen Käufern bekannt -, noch kläglicher ist es um das Wissen der tatsächlichen Buchinhalte bestellt und völlige Unwissenheit breitet sich aus bei Fragen der sachlichen Bewertung und Brauchbarkeit älterer Titel. Dem wäre abzuhelfen nur durch den großen, von mir angedachten und unlängst neu hier dargestellten "Bücher-Michel", den aber niemand finanzieren kann und dessen Erstellung Jahre beanspruchen würde. Ich sehe noch das Entsetzen des Schwaneberger-Chefs vor mir, als ich vergangene Woche bei der Jahrestagung der AG im Börsenverein in Frankfurt davon sprach, daß der "Bücher-Michel" als Nachschlagewerk echte redaktionelle Arbeit fordern würde, er sei automatisch nicht zu erstellen.
Wenn ich einen Titel nicht kenne, dann kaufe ich ihn auch nicht. Habe ich mich bis zum Titel und zu ein, zwei Inhaltsstichworten durchgearbeitet, weiß ich immer noch nichts über die Brauchbarkeit und Wünschbarkeit des Buchs gerade für meine eigenen Zwecke.
Theoretisch könnte man mit Google-Scans und sogar mit Google-"Snippets" näheres Wissen zum Inhalt erlangen. Die dazu notwendigen Internet-Techniken sind aber ungemein schwierig und lassen sich auch kaum vereinfachen. Wer je seinem Kunden versucht hat, solche elementaren Zugangstechniken zu vermitteln, der weiß, wie und warum das für 95 % unserer Altbuchkunden nicht zu machen ist. Sie können es nicht, und wenn sie es können, dann wollen sie es nicht. Sinnlos, über diesen Punkt weiter nachzudenken.
Halten wir hier inne und fassen wir zusammen: Praktisch alle unserer möglichen Kunden haben nur äußerst bescheidene oder gar keine Kenntnis von der Ware, die wir für sie bereithalten und verkaufen wollen. Wir bieten eine Ware feil, über die die angedachten Abnehmer viel zu wenig, oft fast gar nichts, schon gar nichts Wesentliches wissen.
***
Wir werden später sehen, daß diese Regeln für drei Buchgattungen im Antiquariat nicht oder doch nur beschränkt gelten, für die seltenen Bücher vom unteren Versteigerungsbereich an aufwärts, für die typischen Fachkatalog-Titel bei strenger Auslegung des Begriffs und für neueste Bücher aus den letzten zehn bis zwanzig Jahren.
Alle anderen Titel im Antiquariat, (also etwa 70-80 % unserer Ware) sind im Netz nur unzulänglich abzusetzen, der Netzverkauf ist für sie eine ungeschickte Krücke, eine Notlösung. Was aber dann?
Vor etwa zehn Jahren hatte ich in der Hess-Runde den daran beteiligten 250 Antiquaren sehr ausführlich ein Modell vorgestellt, das wenig später im Wirbel um den Erwerb des ZVAB untergegangen ist. Ein Freiburger Kollege, den ich unlängst antraf, erinnerte sich nach den langen Jahren präzise an alle Einzelheiten. Er schloß mit der Bemerkung, daß er sich daran aus der Rückschau gern beteiligt hätte. Das gab mir zu denken: So schlecht konnte mein Entwurf also doch nicht gewesen sein. Es handelt sich um die erste Fassung meines
H a u s e s d e r B ü c h e r.
Ich gehe davon aus, heute mehr denn je, daß in der räumlichen Zusammenführung, allein schon durch örtliche Konzentration, ein gar nicht hoch genug zu bewertender Imagegewinn (ein Werbewert, eine Erinnerungskraft) liegt, ohne Inserategebühren, gratis als Nebenprodukt einer vernünftigen Überlegung vom Kunden aus.
Der Kunde nämlich sagt sich (dies ist der Kern meiner Idee), daß er lange Wege nicht zu machen gewillt ist, daß er keine Zeit verlieren möchte, daß er vergleichen will und Abwechslung schätzt.
Das "Haus der Bücher" vereinigt mehrere Antiquariate und eine Neubuchhandlung in einem Innenstadt-Haus. Die Miete ist nach Stockwerken gestaffelt, das Erdgeschoß kommt recht teuer, nach oben hin wird das Mietgeld progressiv niedriger.
Man kann den Grundgedanken nun nach gusto ausbauen. Gesellige Naturen, wie ich eine bin, würden versuchen, das Abenteuer e i n e s großen Antiquariats mit gleichgeordneten Beständen und separater Preisauszeichung a l l e r teilnehmenden Kollegen zu verwirklichen, in der Regel aber möchte jeder Antiquar und der Buchhändler sowieso sein eigenes Ding haben, Stockwerk, sogar Stockwerkshälfte. Dann geht der Kunde von Geschäft zu Geschäft, trockenen Fußes im gleichen Haus.
Das Hindernis des Treppensteigens betrifft uns Antiquare eher weniger. Unsere Kunden sind ganz überwiegend ältere und alte Männer, die in der Regel erstaunlich gut zu Fuß sind und zwecks religiöser Selbstkasteiung, Disziplin oder zur Pflege ihres Altersmasochismus ganz gern die Mühsal des Treppensteigens auf sich nehmen - Frauen würden das nie tun. - Mit viel Hingabe wird man die Chance nutzen, Personal einzusparen durch gemeinsame Überwachung und zentrales Kassieren im Antiquariatsbereich, wie denn die Personaleinsparung größer sein kann als der Effekt einer billigeren Miete. Ganz vorn beim Nutzen sehe ich aber immer den Werbewert.
***
Wenn die im ersten Teil dieses Aufsatzes formulierten Hypothesen zutreffen, und keiner wird das Gegenteil behaupten wollen, dann ist der Absatz unserer älteren und alten Bücher über die großen Verkaufsdatenbanken ein Notbehelf, eine Krücke mit vielen Mängeln. Diese Mängel sind so gravierend, daß der Rückgang im Verkauf antiquarischer Bücher vermutlich nur und allein darauf zurückzuführen ist. Und was läge denn auch näher: Ein Buch, das ich im vordergründigen wie im tieferen Sinn nicht k e n n e, das kaufe ich nicht!
Es wurde monatelang in unseren Medien gesprochen von der "Haptik" des Buchs im Ladenantiquariat, ich gestehe, ebensowenig aus der Zwickmühle des Denkens herausgekommen zu sein. Waren wir denn blind? Die Lösung liegt irgendwo anders - wenn ich ein Buch zur Hand nehmen kann, es anblättere, das Inhaltvsverzeichnis überfliege, zwei Sätze aus dem Vorwort und eine halbe Seite irgendwo im Innern lese - dann weiß ich in etwa, was das Buch ist, sein kann, bedeuten mag für mich. Will ich Näheres wissen, dann kann ich mich tiefer hineinlesen, erinnere ich mich an dieses oder ein ähnliches Buch, kürze ich das Verfahren auf Sekunden ab. Ich habe als Kunde die F r e i h e i t, mich so zu informieren über jedes Buch, wie ich es brauche, wie ich es will.
D a s ist L a d e n a n t i q u a r i a t, darum geht es - Information in Freiheit.
Und natürlich schnell, und billig. Ich kann wiederkommen, weitere Titel kaufen, die ich mir schon vorgemerkt habe im Geiste.
Den Schnelligkeitsaspekt unterschätzt man gern - wie mühsam ist für die meisten älteren Menschein eine Netzbestellung. Und die Kosten für jeden Einzelversand, Arbeitszeit für den Antiquar hinzu, wer das auf den jeweiligen übers Netz verkauften Titel umrechnet, wird sich wundern...
Präsent dagegen ist jedem Kollegen die unsägliche Mühe der Titelaufnahme, denn zu dieser Zeit muß ja die der "dauernd unverkauften" Titel addiert werden, bei mir war das immer mindestens x 5, sodaß aus einer schnellen Titelaufnahme von 3 Minuten je tatsächlich verkauftem Buch 18 Minuten werden, eine grauenhafte Vernutzung der Lebenszeit. Werte Kollegen, ich meine es genau so - Lebenszeitvernutzung.
Anmerkung zur Ladenarbeit: Ladentitel unter etwa 30 Euro sehen wir nicht im Internet nach - Preis nach Gefühl. Sie werden erstaunt sein, wieviele Kunden das akzeptieren und wie selten im Billigbereich durch den Käufer im Laden "Vergleiche" mit dem Internet angestellt werden. Viel wichtiger als Preisfuchserei ist das Einstellen nach vernünftigen, detaillierten Sachgebieten!
Nicht nur der Kunde orientiert sich gefühlsmäßig schnell und gern innerhalb der Sachgebiete im Laden, auch der Antiquar selbst zieht daraus viel Gewinn. In meinem ersten Hinterhof-Laden, ein wahres Ikea-Sten-Museum, wußte ich nach einigen Jahren wie im Traum, wo welche Bücher standen, und das bei 12.000 Titeln. Man liebt als Buchantiquar wieder die Bücher, wenn man sie nicht zum Versand bereithalten muß, sondern in und mit ihnen leben darf. Es ist ein ganz anderes Arbeiten.
***
Und nun zum Kern des Plans. So wie der Antiquar räumlich im Ankauf sein Gebiet erfaßt und abdeckt, so richtet er sich auch räumlich ein im Absatz:
Im Einzugsgebiet seines Ladens wird er zum Milchladen, zur T a n k s t e l l e im Bereich der alten Bücher. Man muß das erlebt haben, wie viel einfacher, schneller und erfreulicher es für den Kunden geht, wenn er sein altes Buch vor dem Kauf sehen, durchblättern, aus mehreren auswählen, den Zustand prüfen, sein Budget austarieren kann, Alternativtitel findet, an die er nicht gedacht, von denen er vorher gar nichts gewußt hatte.
Dies alles scheitert aber kläglich und jämmerlich, wenn dabei nicht der "Trick 7" angewendet wird. Der besteht nun einmal in jenem uralten Mulzer-Modell vom gemeinsamen "Haus der Bücher". Nur so ist das heute machbar - keine Illusionen bitte! MIt voller Miete und ohne den Synergie- und Werbe-Zusatzwert des Modells kann sich ein Einzelantiquar in der Innenstadt kaum mehr halten.
Damit die Antiquare nicht in alte Denkschienen zurückfallen, liste ich den Nutzen des Modells noch einmal mit Prozentzahlen der Wichtigkeit auf:
1) fast gratis zu habender Werbewert am Ort 40%
2) Miet- und Personaleinsparung 30 %
3) freundnachbarlicher Austausch unter den Mietern, nicht "allein" 10 %
4) Hin- und Herschieben von Beständen, Sachgebieten, Kunden 10 %
5) Imageaufwertung (für die Antiquare durch den beteiligten Neubuchhändler im Erdgeschoß, für den Neubuchhändler durch die Antiquariate) 10 %
Ich schätze den örtlichen Bekanntheitsschub ("ja, die Antiquariate und eine Buchhandlung, die sind im "Haus der Bücher" in der Lortzingstraße, davon habe ich gehört") noch höher ein als die doch sehr beträchtliche Mieteinsparung - ich weiß warum. Sie vermissen vielleicht den Nutzen-Ansatz eines internen Mehrverkaufs, aber diese Chance bietet das "Haus der Bücher" eher nicht, denn die Konkurrenz sitzt ja Tür an Tür und das hebt sich dann gegenseitig auf.
***
Von versteigerungsfähigen Titeln und von typischen Fachkatalog-Beständen abgesehen bedeutet das neue Modell
das E n d e des Verkaufs über die P o r t a l e.
Damit ist auch die leidige - und gefährliche - Amazon-Abebooks-ZVAB-Frage vom Tisch. Die Datenbanken werden in kurzer Zeit ganz ausgetrocknet. Der Umsatz, die Kosten, der Zeitaufwand s p r i c h t, und bald werden wir uns an die Verkaufsportale nur noch mit stiller Rührung erinnern.
Der gesamtdeutsche Absatz mit seiner elenden Konkurrenz und der würgenden Abhängigkeit wird ersetzt durch die regionale Bearbeitung, den regionalen Kundenkontakt. Der Antiquar wird wieder das, was er einmal war.
Weil man Wichtiges wiederholen soll, sage ich zum Schluß ein drittes Mal, daß es nicht mit Bücherdörfern, nicht mit ländlichen Standorten, schon gar nicht mit billigen Einzelläden in Vororten oder teuren Geschäften in der Innenstadt geht, sondern n u r so:
- unabhängige kleinere Buchhandlung als Partner im EG,
- mehrere Antiquariate (mindestens 2) in den oberen Stockwerken
- breites Allgemeinsortiment
- Preise bis 30 Euro ohne Rücksicht auf Internet
- sehr gute und klare Sachgebietseinteilung
und das Grundgefühl, zusammen mit Kollegen oder allein Sachwalter der Büchersammler jeder Couleur in einer R e g i o n zu sein.
Schluß mit der drögen Webseitenarbeit für untere und mittlere Titel, Schluß mit dem Versenden kleinerer Titel via Bücherportale, Austrocknen der Portale durch Ladenverkauf, gute Innenstadtlage - im "Haus der Bücher".
Wir danken Anjas-Puppenstube für die Ausleihe des schönen Fotos
Es gibt Texte, die nicht jeder schreiben darf. Wenn ich mich heute zur Generalabrechnung mit dem Anbieten und dem Verkauf unserer alten Bücher im Internet anschicke, dann geschieht das vor dem Hintergrund meiner bisher 199 Blogbeiträge, die sich um die Mittelpunkte Antiquariat und Internet gruppieren, mit allen Detailfragen, unter vielen Gesichtspunkten.
Zunächst gilt es, vom Scheitern zu berichten, von Mißerfolgen und Hindernissen, die zu überwinden sich als unmöglich erwiesen hat.
1.
Das retrospektive Bibliographieren, die Information über Bücherarten und Buchinhalte im Internet ist für die meisten Menschen zu schwierig. Es ist auch nicht möglich, ihnen das notwendige Handwerkszeug bereitzustellen, finden sich doch selbst ausgewiesene Universitätslehrkräfte oft nicht zurecht zwischen KVK, Google Books, Fachdokumentationen und Wiki.
2.
Die Versuche, retrospektives Buchwissen über unsere Datenbanken/ Verkaufsportale oder gar in den Antiquariatswebseiten zur Verfügung zu stellen, sind bisher kläglich gescheitert und haben auch in Zukunft keine Chance verwirklicht zu werden, weil hier jeweils händische Arbeit, anspruchsvolle retrobibliographische Leistung angesagt ist, die niemand bezahlen kann und will.
3.
Automatisierte Stichworteinteilungen und Schlagwortlisten sind für historische Buchabfragen, die über Verfasser- und Titelnachfragen hinausgehen, immer nur ganz unzureichendes Stückwerk. Es gibt im Grunde keine echten "Fachkataloge", die automatisch generiert werden können. Der beste Weg wäre noch das von Amazon und in Ansätzen auch von Abebooks verwirklichte Netzwerk mit "...hat auch gekauft..." und diverse Besprechungsdienste, aber hier dauert es, anders als bei noch lieferbaren und sonst neuesten Titeln, viel zu lang, bis Derartiges retrobibliographisch nutzbar würde.
4.
Die rücklaufende bibliographische Titel-Kenntnis ist bescheiden - am besten sind noch Hobbygebiete und Hochpreistitel bei potentiellen Käufern bekannt -, noch kläglicher ist es um das Wissen der tatsächlichen Buchinhalte bestellt und völlige Unwissenheit breitet sich aus bei Fragen der sachlichen Bewertung und Brauchbarkeit älterer Titel. Dem wäre abzuhelfen nur durch den großen, von mir angedachten und unlängst neu hier dargestellten "Bücher-Michel", den aber niemand finanzieren kann und dessen Erstellung Jahre beanspruchen würde. Ich sehe noch das Entsetzen des Schwaneberger-Chefs vor mir, als ich vergangene Woche bei der Jahrestagung der AG im Börsenverein in Frankfurt davon sprach, daß der "Bücher-Michel" als Nachschlagewerk echte redaktionelle Arbeit fordern würde, er sei automatisch nicht zu erstellen.
Wenn ich einen Titel nicht kenne, dann kaufe ich ihn auch nicht. Habe ich mich bis zum Titel und zu ein, zwei Inhaltsstichworten durchgearbeitet, weiß ich immer noch nichts über die Brauchbarkeit und Wünschbarkeit des Buchs gerade für meine eigenen Zwecke.
Theoretisch könnte man mit Google-Scans und sogar mit Google-"Snippets" näheres Wissen zum Inhalt erlangen. Die dazu notwendigen Internet-Techniken sind aber ungemein schwierig und lassen sich auch kaum vereinfachen. Wer je seinem Kunden versucht hat, solche elementaren Zugangstechniken zu vermitteln, der weiß, wie und warum das für 95 % unserer Altbuchkunden nicht zu machen ist. Sie können es nicht, und wenn sie es können, dann wollen sie es nicht. Sinnlos, über diesen Punkt weiter nachzudenken.
Halten wir hier inne und fassen wir zusammen: Praktisch alle unserer möglichen Kunden haben nur äußerst bescheidene oder gar keine Kenntnis von der Ware, die wir für sie bereithalten und verkaufen wollen. Wir bieten eine Ware feil, über die die angedachten Abnehmer viel zu wenig, oft fast gar nichts, schon gar nichts Wesentliches wissen.
***
Wir werden später sehen, daß diese Regeln für drei Buchgattungen im Antiquariat nicht oder doch nur beschränkt gelten, für die seltenen Bücher vom unteren Versteigerungsbereich an aufwärts, für die typischen Fachkatalog-Titel bei strenger Auslegung des Begriffs und für neueste Bücher aus den letzten zehn bis zwanzig Jahren.
Vor etwa zehn Jahren hatte ich in der Hess-Runde den daran beteiligten 250 Antiquaren sehr ausführlich ein Modell vorgestellt, das wenig später im Wirbel um den Erwerb des ZVAB untergegangen ist. Ein Freiburger Kollege, den ich unlängst antraf, erinnerte sich nach den langen Jahren präzise an alle Einzelheiten. Er schloß mit der Bemerkung, daß er sich daran aus der Rückschau gern beteiligt hätte. Das gab mir zu denken: So schlecht konnte mein Entwurf also doch nicht gewesen sein. Es handelt sich um die erste Fassung meines
H a u s e s d e r B ü c h e r.
Ich gehe davon aus, heute mehr denn je, daß in der räumlichen Zusammenführung, allein schon durch örtliche Konzentration, ein gar nicht hoch genug zu bewertender Imagegewinn (ein Werbewert, eine Erinnerungskraft) liegt, ohne Inserategebühren, gratis als Nebenprodukt einer vernünftigen Überlegung vom Kunden aus.
Der Kunde nämlich sagt sich (dies ist der Kern meiner Idee), daß er lange Wege nicht zu machen gewillt ist, daß er keine Zeit verlieren möchte, daß er vergleichen will und Abwechslung schätzt.
Das "Haus der Bücher" vereinigt mehrere Antiquariate und eine Neubuchhandlung in einem Innenstadt-Haus. Die Miete ist nach Stockwerken gestaffelt, das Erdgeschoß kommt recht teuer, nach oben hin wird das Mietgeld progressiv niedriger.
Ist der Kunde, der überhaupt, um mit Wattig zu reden "was mit Büchern macht", erst einmal im Haus, wird er der Versuchung nur selten widerstehen, auch die anderen Altbuchgeschäfte zu besuchen; als Antiquariatskunde wird er seine Bestellungen auf Neubücher der Buchhandlung im Erdgeschoß zuwenden - es ist so praktisch! Dieses Modell ist mit "Synergieeffekt" nur unzureichend zu beschreiben, es findet eine "Anmutung" statt, ein (heiliger oder unheiliger) G e i s t wird geschaffen, auch dies einfach durch die Ansammlung, die Kumulierung von Büchern und von Antiquaren (und Buchhändlern).
Man kann den Grundgedanken nun nach gusto ausbauen. Gesellige Naturen, wie ich eine bin, würden versuchen, das Abenteuer e i n e s großen Antiquariats mit gleichgeordneten Beständen und separater Preisauszeichung a l l e r teilnehmenden Kollegen zu verwirklichen, in der Regel aber möchte jeder Antiquar und der Buchhändler sowieso sein eigenes Ding haben, Stockwerk, sogar Stockwerkshälfte. Dann geht der Kunde von Geschäft zu Geschäft, trockenen Fußes im gleichen Haus.
Das Hindernis des Treppensteigens betrifft uns Antiquare eher weniger. Unsere Kunden sind ganz überwiegend ältere und alte Männer, die in der Regel erstaunlich gut zu Fuß sind und zwecks religiöser Selbstkasteiung, Disziplin oder zur Pflege ihres Altersmasochismus ganz gern die Mühsal des Treppensteigens auf sich nehmen - Frauen würden das nie tun. - Mit viel Hingabe wird man die Chance nutzen, Personal einzusparen durch gemeinsame Überwachung und zentrales Kassieren im Antiquariatsbereich, wie denn die Personaleinsparung größer sein kann als der Effekt einer billigeren Miete. Ganz vorn beim Nutzen sehe ich aber immer den Werbewert.
***
Wenn die im ersten Teil dieses Aufsatzes formulierten Hypothesen zutreffen, und keiner wird das Gegenteil behaupten wollen, dann ist der Absatz unserer älteren und alten Bücher über die großen Verkaufsdatenbanken ein Notbehelf, eine Krücke mit vielen Mängeln. Diese Mängel sind so gravierend, daß der Rückgang im Verkauf antiquarischer Bücher vermutlich nur und allein darauf zurückzuführen ist. Und was läge denn auch näher: Ein Buch, das ich im vordergründigen wie im tieferen Sinn nicht k e n n e, das kaufe ich nicht!
Es wurde monatelang in unseren Medien gesprochen von der "Haptik" des Buchs im Ladenantiquariat, ich gestehe, ebensowenig aus der Zwickmühle des Denkens herausgekommen zu sein. Waren wir denn blind? Die Lösung liegt irgendwo anders - wenn ich ein Buch zur Hand nehmen kann, es anblättere, das Inhaltvsverzeichnis überfliege, zwei Sätze aus dem Vorwort und eine halbe Seite irgendwo im Innern lese - dann weiß ich in etwa, was das Buch ist, sein kann, bedeuten mag für mich. Will ich Näheres wissen, dann kann ich mich tiefer hineinlesen, erinnere ich mich an dieses oder ein ähnliches Buch, kürze ich das Verfahren auf Sekunden ab. Ich habe als Kunde die F r e i h e i t, mich so zu informieren über jedes Buch, wie ich es brauche, wie ich es will.
D a s ist L a d e n a n t i q u a r i a t, darum geht es - Information in Freiheit.
Und natürlich schnell, und billig. Ich kann wiederkommen, weitere Titel kaufen, die ich mir schon vorgemerkt habe im Geiste.
Den Schnelligkeitsaspekt unterschätzt man gern - wie mühsam ist für die meisten älteren Menschein eine Netzbestellung. Und die Kosten für jeden Einzelversand, Arbeitszeit für den Antiquar hinzu, wer das auf den jeweiligen übers Netz verkauften Titel umrechnet, wird sich wundern...
Präsent dagegen ist jedem Kollegen die unsägliche Mühe der Titelaufnahme, denn zu dieser Zeit muß ja die der "dauernd unverkauften" Titel addiert werden, bei mir war das immer mindestens x 5, sodaß aus einer schnellen Titelaufnahme von 3 Minuten je tatsächlich verkauftem Buch 18 Minuten werden, eine grauenhafte Vernutzung der Lebenszeit. Werte Kollegen, ich meine es genau so - Lebenszeitvernutzung.
Anmerkung zur Ladenarbeit: Ladentitel unter etwa 30 Euro sehen wir nicht im Internet nach - Preis nach Gefühl. Sie werden erstaunt sein, wieviele Kunden das akzeptieren und wie selten im Billigbereich durch den Käufer im Laden "Vergleiche" mit dem Internet angestellt werden. Viel wichtiger als Preisfuchserei ist das Einstellen nach vernünftigen, detaillierten Sachgebieten!
Nicht nur der Kunde orientiert sich gefühlsmäßig schnell und gern innerhalb der Sachgebiete im Laden, auch der Antiquar selbst zieht daraus viel Gewinn. In meinem ersten Hinterhof-Laden, ein wahres Ikea-Sten-Museum, wußte ich nach einigen Jahren wie im Traum, wo welche Bücher standen, und das bei 12.000 Titeln. Man liebt als Buchantiquar wieder die Bücher, wenn man sie nicht zum Versand bereithalten muß, sondern in und mit ihnen leben darf. Es ist ein ganz anderes Arbeiten.
***
Und nun zum Kern des Plans. So wie der Antiquar räumlich im Ankauf sein Gebiet erfaßt und abdeckt, so richtet er sich auch räumlich ein im Absatz:
Im Einzugsgebiet seines Ladens wird er zum Milchladen, zur T a n k s t e l l e im Bereich der alten Bücher. Man muß das erlebt haben, wie viel einfacher, schneller und erfreulicher es für den Kunden geht, wenn er sein altes Buch vor dem Kauf sehen, durchblättern, aus mehreren auswählen, den Zustand prüfen, sein Budget austarieren kann, Alternativtitel findet, an die er nicht gedacht, von denen er vorher gar nichts gewußt hatte.
Diejenigen Kunden, die partout ein bestimmtes Buch und n u r dieses suchen, sind viel seltener, als es uns die Portale weis machen wollen. Wir bedienen die meisten Kunden viel besser, wenn wir ihnen eine A u s w a h l ihres Interessen g e b i e t s bieten können - ad oculos, zur Hand.
Dies alles scheitert aber kläglich und jämmerlich, wenn dabei nicht der "Trick 7" angewendet wird. Der besteht nun einmal in jenem uralten Mulzer-Modell vom gemeinsamen "Haus der Bücher". Nur so ist das heute machbar - keine Illusionen bitte! MIt voller Miete und ohne den Synergie- und Werbe-Zusatzwert des Modells kann sich ein Einzelantiquar in der Innenstadt kaum mehr halten.
Damit die Antiquare nicht in alte Denkschienen zurückfallen, liste ich den Nutzen des Modells noch einmal mit Prozentzahlen der Wichtigkeit auf:
1) fast gratis zu habender Werbewert am Ort 40%
2) Miet- und Personaleinsparung 30 %
3) freundnachbarlicher Austausch unter den Mietern, nicht "allein" 10 %
4) Hin- und Herschieben von Beständen, Sachgebieten, Kunden 10 %
5) Imageaufwertung (für die Antiquare durch den beteiligten Neubuchhändler im Erdgeschoß, für den Neubuchhändler durch die Antiquariate) 10 %
Ich schätze den örtlichen Bekanntheitsschub ("ja, die Antiquariate und eine Buchhandlung, die sind im "Haus der Bücher" in der Lortzingstraße, davon habe ich gehört") noch höher ein als die doch sehr beträchtliche Mieteinsparung - ich weiß warum. Sie vermissen vielleicht den Nutzen-Ansatz eines internen Mehrverkaufs, aber diese Chance bietet das "Haus der Bücher" eher nicht, denn die Konkurrenz sitzt ja Tür an Tür und das hebt sich dann gegenseitig auf.
***
Von versteigerungsfähigen Titeln und von typischen Fachkatalog-Beständen abgesehen bedeutet das neue Modell
das E n d e des Verkaufs über die P o r t a l e.
Damit ist auch die leidige - und gefährliche - Amazon-Abebooks-ZVAB-Frage vom Tisch. Die Datenbanken werden in kurzer Zeit ganz ausgetrocknet. Der Umsatz, die Kosten, der Zeitaufwand s p r i c h t, und bald werden wir uns an die Verkaufsportale nur noch mit stiller Rührung erinnern.
Der gesamtdeutsche Absatz mit seiner elenden Konkurrenz und der würgenden Abhängigkeit wird ersetzt durch die regionale Bearbeitung, den regionalen Kundenkontakt. Der Antiquar wird wieder das, was er einmal war.
Weil man Wichtiges wiederholen soll, sage ich zum Schluß ein drittes Mal, daß es nicht mit Bücherdörfern, nicht mit ländlichen Standorten, schon gar nicht mit billigen Einzelläden in Vororten oder teuren Geschäften in der Innenstadt geht, sondern n u r so:
- unabhängige kleinere Buchhandlung als Partner im EG,
- mehrere Antiquariate (mindestens 2) in den oberen Stockwerken
- breites Allgemeinsortiment
- Preise bis 30 Euro ohne Rücksicht auf Internet
- sehr gute und klare Sachgebietseinteilung
und das Grundgefühl, zusammen mit Kollegen oder allein Sachwalter der Büchersammler jeder Couleur in einer R e g i o n zu sein.
Schluß mit der drögen Webseitenarbeit für untere und mittlere Titel, Schluß mit dem Versenden kleinerer Titel via Bücherportale, Austrocknen der Portale durch Ladenverkauf, gute Innenstadtlage - im "Haus der Bücher".
Wir danken Anjas-Puppenstube für die Ausleihe des schönen Fotos
Dienstag, 18. Oktober 2011
Antiquarische und neue Titel nebeneinander im Regal - auf zur Doppelbuchhandlung?
Das Ladenantiquariat ist nicht "tot" - es kann heute seine strahlende Wiederauferstehung erleben.
Damit verbunden ist allerdings ein tragischer Aspekt - wir vom Antiquariat werden dann zu Totengräbern des Neubuchhandels, wir gesellen uns zu den Hyänen und Schakalen, die den braven Schafen vom kleineren unabhängigen Neubuchhandel an die Wolle gehen.
Ich lade Sie ein, sich zurückzulehnen, die Augen zu schließen und sich dieses Bild vorzustellen:
Eine klassische Buchhandlung, etwas lockerer vielleicht und ganz sicher optisch anregender und vielfältiger, in der - - alte und neue, noch lieferbare und hundert Jahre alte Bücher, hübsch nach Sachgruppen geordnet, in bunter Reihe n e b e n e i n a n d e r stehen.
Wir sehen also unter "Goetheana" unmittelbar Rücken an Rücken und Buchdeckel an Buchdeckel, den neuesten Taschenbuchtitel über Frau vom Stein, die Tischbein-Monographie von 1880 und das Propaganda-Gesülze der Reichskulturkammer zur Goethefeier 1940. Es finden sich die notorisch unterschätzten, weil gut edierten Bong-Klassikerausgaben in 5 oder 15 Bänden neben Hanser-Editionen neuesten Datums.
Bei einem guten, reichhaltigen Sortiment wird so das neue Zwittermodell von Antiquariat und Neubuchhandlung zu einer wahren Schatzkammer. Ich bekomme neben der neuesten Tagesinformation direkt danebenstehend, in bunter Reihe sachlich und verfasseralphabetisch eingeordnet die gesamte retrospektive Fachinformation in jeweils allen Buchgattungen, vom volkstümlichen Büchlein bis zum anspruchsvollen wissenschaftlichen Titel.
Das Hauptproblem dabei sehe ich als alter Praktiker in der Manie, heutzutage neue Bücher in jungfräulicher Frische erwerben zu wollen. Wer die bunte Reihe alter und neuer Bücher durchsieht, wird nach und nach dunkelgraue Finger bekommen und nach kurzer Zeit sehen die lieferbaren Bücher eingestaubt aus. Das Gegenmittel könnte darin bestehen, jedem alte Buch eine Kunststoffhülle zu verpassen und seinen oberen Schnitt sorgfältig zu entstauben.
Wir tun uns bisher in Deutschland sehr schwer mit dem Einsatz von transparenten "Schutzhüllen", vor allem wegen ihres unverschämt hohen Preises. Aber das ist, dank den fleißigen Chinesen, inzwischen Geschichte - nur hat es noch keiner gemerkt. In Frankreich, wo es eine alte Antiquariatstradition der Schutzumschläge gibt, sind im Großhandel tadellose Klarsicht-Buchhüllen direkt aus China, unter dem Sachbegriff "Heftschoner", mit zwei Einsteckstreifen, nach Größen sortiert, zu 5 Cents zu erwerben. Das ist nun kalkulierbar geworden.
Die dreckigen Hände des Benutzers kommen nämlich weit weniger vom Durchblättern des Buchinneren alter Bücher, sondern vom Anfassen der Buchdeckel/ des Buchrückens und vom Buchschnitt her. Weitere Maßnahmen und Tricks sind möglich, wie auch immer: Das Staubproblem, das beim Miteinander alter und neuer Bücher entsteht, ist lösbar.
Dieses Modell kann wohl nur von Buchantiquaren verwirklicht werden. Es scheint mir auch immun gegen Buchhandelsketten zu sein. Die Bearbeitung der alten Bücher ist nämlich v i e l schwieriger als das über weite Strecken recht stupide und normierte Verwalten neuer Bücher (Neubuchhändler bitte weghören). Tatsächlich ist der Umgang mit verlagsneuen Titeln für einen Antiquar schneller erlernbar als umgekehrt der Umgang mit antiquarischen Büchern für den Neubuchhändler.
Dieser Gedanke hat ziemlich viel Dynamit unter der Haube, seine Durchführung erscheint nicht ungefährlich. Neu ist er nicht, im Gegenteil, noch in meiner Jugendzeit gab es vielerorts echte Doppelmodelle der geschilderten Art. Das Interessante aber scheint zu sein, wie perfekt diese Betriebsform nun w i e d e r in die neueste Gegenwart passen könnte.
Dieses Modell sollte von allen Seiten diskutiert werden, nicht zuletzt von den bedrängeten unabhängigen Buchhandlungen, denn sie würden das erste Opfer sein, wenn Antiquare anfangen, das Projekt zu verwirklichen.
Das Urheberrecht am Buchdeckel gehört dem herausgebenden Buchverlag, dem wir für die Ausleihe danken
Damit verbunden ist allerdings ein tragischer Aspekt - wir vom Antiquariat werden dann zu Totengräbern des Neubuchhandels, wir gesellen uns zu den Hyänen und Schakalen, die den braven Schafen vom kleineren unabhängigen Neubuchhandel an die Wolle gehen.
Ich lade Sie ein, sich zurückzulehnen, die Augen zu schließen und sich dieses Bild vorzustellen:
Eine klassische Buchhandlung, etwas lockerer vielleicht und ganz sicher optisch anregender und vielfältiger, in der - - alte und neue, noch lieferbare und hundert Jahre alte Bücher, hübsch nach Sachgruppen geordnet, in bunter Reihe n e b e n e i n a n d e r stehen.
Wir sehen also unter "Goetheana" unmittelbar Rücken an Rücken und Buchdeckel an Buchdeckel, den neuesten Taschenbuchtitel über Frau vom Stein, die Tischbein-Monographie von 1880 und das Propaganda-Gesülze der Reichskulturkammer zur Goethefeier 1940. Es finden sich die notorisch unterschätzten, weil gut edierten Bong-Klassikerausgaben in 5 oder 15 Bänden neben Hanser-Editionen neuesten Datums.
Bei einem guten, reichhaltigen Sortiment wird so das neue Zwittermodell von Antiquariat und Neubuchhandlung zu einer wahren Schatzkammer. Ich bekomme neben der neuesten Tagesinformation direkt danebenstehend, in bunter Reihe sachlich und verfasseralphabetisch eingeordnet die gesamte retrospektive Fachinformation in jeweils allen Buchgattungen, vom volkstümlichen Büchlein bis zum anspruchsvollen wissenschaftlichen Titel.
Das Hauptproblem dabei sehe ich als alter Praktiker in der Manie, heutzutage neue Bücher in jungfräulicher Frische erwerben zu wollen. Wer die bunte Reihe alter und neuer Bücher durchsieht, wird nach und nach dunkelgraue Finger bekommen und nach kurzer Zeit sehen die lieferbaren Bücher eingestaubt aus. Das Gegenmittel könnte darin bestehen, jedem alte Buch eine Kunststoffhülle zu verpassen und seinen oberen Schnitt sorgfältig zu entstauben.
Wir tun uns bisher in Deutschland sehr schwer mit dem Einsatz von transparenten "Schutzhüllen", vor allem wegen ihres unverschämt hohen Preises. Aber das ist, dank den fleißigen Chinesen, inzwischen Geschichte - nur hat es noch keiner gemerkt. In Frankreich, wo es eine alte Antiquariatstradition der Schutzumschläge gibt, sind im Großhandel tadellose Klarsicht-Buchhüllen direkt aus China, unter dem Sachbegriff "Heftschoner", mit zwei Einsteckstreifen, nach Größen sortiert, zu 5 Cents zu erwerben. Das ist nun kalkulierbar geworden.
Die dreckigen Hände des Benutzers kommen nämlich weit weniger vom Durchblättern des Buchinneren alter Bücher, sondern vom Anfassen der Buchdeckel/ des Buchrückens und vom Buchschnitt her. Weitere Maßnahmen und Tricks sind möglich, wie auch immer: Das Staubproblem, das beim Miteinander alter und neuer Bücher entsteht, ist lösbar.
Dieses Modell kann wohl nur von Buchantiquaren verwirklicht werden. Es scheint mir auch immun gegen Buchhandelsketten zu sein. Die Bearbeitung der alten Bücher ist nämlich v i e l schwieriger als das über weite Strecken recht stupide und normierte Verwalten neuer Bücher (Neubuchhändler bitte weghören). Tatsächlich ist der Umgang mit verlagsneuen Titeln für einen Antiquar schneller erlernbar als umgekehrt der Umgang mit antiquarischen Büchern für den Neubuchhändler.
Dieser Gedanke hat ziemlich viel Dynamit unter der Haube, seine Durchführung erscheint nicht ungefährlich. Neu ist er nicht, im Gegenteil, noch in meiner Jugendzeit gab es vielerorts echte Doppelmodelle der geschilderten Art. Das Interessante aber scheint zu sein, wie perfekt diese Betriebsform nun w i e d e r in die neueste Gegenwart passen könnte.
Dieses Modell sollte von allen Seiten diskutiert werden, nicht zuletzt von den bedrängeten unabhängigen Buchhandlungen, denn sie würden das erste Opfer sein, wenn Antiquare anfangen, das Projekt zu verwirklichen.
Das Urheberrecht am Buchdeckel gehört dem herausgebenden Buchverlag, dem wir für die Ausleihe danken
Sind alle Antiquare sozial depressiv?
Sind alle Antiquare sozial depressiv?
Frankfurter Erfahrungen - des Pudels Kern oder: Freud in der Absatzförderung
Man mißtraut zurecht theoretischen Erörterungen, denen praktische Berufserfahrung oder unmittelbare Anschauung als Unterbau fehlt. Dagegen ist es immer reizvoll, vom Angeschauten und Beobachteten hochzuklettern in eine Theorie.
So geht es nun mir. Die menschlichen und sachlichen Erlebnisse eines langen Tages in Frankfurt gilt es in mein bisheriges Modell des Antiquariatswesens einzubauen und, wo dies nicht gelingt, muß das Gebäude im Kopf umgebaut oder eingerissen werden. In jedem Fall hat die praktische Anschauung Vorfahrt, müssen Wolkenschiebereien nachgeprüft werden.
1.
Das soziale Ungeschick der Antiquare
Es wird behauptet, die meisten Antiquare seien angelernte Autodidakten, ihre Fachkenntnisse mit wenigen Ausnahmen bescheiden, vor allem aber unwissenschaftlich. Das hört man oft von formal ausgebildeten Akademikern, bei Bibliothekaren, Juristen, Historikern ist wenig Gutes zu vernehmen über Exponenten unseres Gewerbes.
Dieses Vorurteil habe ich schon immer für ungerecht gehalten. Ich kann, auch gestützt durch Gespräche in Frankfurt mit mir bisher unbekannt gewesenen Kollegen, als Tatsache feststellen: Das F a c h w i s s e n auf ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet ist bei den allermeisten Antiquaren der Messeebene ganz vorzüglich, weitaus besser als erwartet und über jede schnöselige Kritik erhaben. Ich halte manche Bibliothekare für erheblich dümmer als die zugehörigen Fachantiquare.
Nicht ganz gilt dies für die menschlichen Eigenschaften. Jedem Besucher muß auffallen, daß gerade die besten Antiquare auf "Edelniveau" eine recht sonderbare Auswahl darstellen. Natürlich kann man aus Physiognomien - Lavater, steh mir bei - nur begrenzt Schlüsse ziehen, aber die Erfahrung des Alters hilft mir da schon, und wenige Sätze mit einem Kollegen zu wechseln ist noch lehrreicher. Wie auch immer, mir scheint eine leise Wehmut, ein Hang zum D e p r e s s i v e n vorherrschend zu sein. Die Kollegen können sich nicht recht herausstellen, Lebensangst wird deutlich.
Sind das nur Vorurteile?
Wenn ich mir unter dem Eindruck des vergangenen Jahrzehnts die Reihe der Ereignisse, der stattgehabten und noch mehr der unterlassenen Reaktionen seitens der Kollegen als Filmband vorführe und ablaufen lasse im Kopfkino, decken sich die Frankfurter Beobachtungen mit der jüngsten Antiquariatsgeschichte. Der Kern meiner Theorie in knappen Worten:
Die Antiquare im Spitzenbereich und im oberen Mittelfeld sind, bei herausragenden Fachkenntnissen, sozial vorwiegend d e p r e s s i v, h a n d l u n g s g e h e m m t und s o z i a l m u t l o s.
Man darf sich da nicht stören lassen durch jenes fröhliche Treiben, wie es uns Biester dankenswerterweise von der ILAB-Ebene her vorgeführt hat (lustig und entlarvend die kleine Kappelei zwischen Biester und Köstler unlängst wegen der Weimarer Völlereien). Im kleinen Kreis sind Antiquare, das kennen wir auch von der Ortsebene, durchaus jovial, gelöst und heiter. Was nicht gelingt, ist das Wirken, Handeln, Planen in etwas größeren sozialen Zusammenhängen.
Sind Antiquare also sozial Handlungsunfähige? In einem tieferen Begriff ganz unbedingt.
2.
Die schäbige Selbstdarstellung der Antiquare
Natürlich werden sich jene Kollegen am Niederrhein und neuerdings leider auch in Berlin, die mich besonders ins Herz geschlossen haben, einschießen auf meine Feststellung von der schäbigen Armseligkeit des Messewesens im Antiquariat.
Ich höre das schon: Anmaßend der, wie heißt er doch gleich, ach ja, Melzer oder Müller oder so, dümmlich und oberflächlich, aus Zürich oder Basel oder auf dem Feldberg oben, von Tuten und Blasen keine Ahnung, soll der es doch besser machen, kleine Klitsche, Hirngespinste, schon altersblind, grüner Star, Maul halten...
Aber da hilft alles nichts - ein neutraler Beobachter wird mir bestätigen, wenn ich Punkt für Punkt erst die äußeren Eindrücke, dann aber vor allem das Gesamtbild der Messeauftritts der Antiquare als v e r h e e r e n d bezeichne. Ein inzwischen leider, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, in Sachen Antiquariat recht mutlos gewordener, die rauhe Luft unter uns Antiquaren nicht gewohnter, grundgescheiter Mensch, Pardun (Soloantiquar) hat diesen Punkt instinktiv erfaßt und sofort die Linie vom katastrophalen Messeauftritt alter Art zum gesamten sozialen Erscheinungsbild und - notabene - zur Absatzmisere im Antiquariat gezogen. Ich habe ihn da nicht verstanden und sein Festbeißen in dieses Thema als manisch abqualifiziert.
Heute weiß ich, daß er Recht hat! Mehr noch, von dem erbärmlich-peinlichen Messeauftritt der besten Antiquare, die wir haben, kann und muß man rückschließen auf die Krankheiten unseres Gewerbes. Logischerweise müssen dort dann auch die Hinweise zur Heilung liegen.
Fragen wir uns nämlich, welche Schicht der Gesamtgesellschaft diese unsere erbärmliche, schäbige Selbstdarstellung am wenigsten verstehen, am heftigsten tadeln würde, dann kommen wir zu den kapitalkräftigen Schicki-Micki-Leuten. Eine nicht sehr sympathische Klientel, zugegeben. Aber die allein kann uns aus der Absatzkrise retten. Das gilt für Titel aus dem unteren Spitzenfeld bis tief ins allgemeine Mittelfeld hinein - die neuen Käuferschichten, auf die wir warten und die wir brauchen, werden durch unsere dümmlich-ärmliche Selbstdarstellung verscheucht, wo nicht sogar angeekelt.
Sie verstehen mich nicht? Das ist fürs erste auch so beabsichtigt, denn dieses Thema werden wir in den nächsten Tagen hier ausführlich erörtern. Ich glaube den Stein der Weisen gefunden zu haben in Frankfurt, der unser Gewerbe aus dem Elend führt.
*
Meine Frankfurter Beobachtungen erklären vieles - weshalb wir zum völlig hilf- und wehrlosen Spielball eines Weltunternehmens wie Amazon werden konnten, weshalb der Verband und die Genossenschaft so sind, wie sie sind, weshalb Biester nicht verstehen kann, daß die a l t e Schicht der kundigen Büchersammler einer n e u e n, viel wichtigeren Käuferschicht im Weg steht, weshalb es im tiefsten Sinn um die W ü r d e jedes einzelnen Antiquars geht - - und weshalb sich die Antiquare nicht etwa wundern über ihre Hilflosigkeit, ihr Gebeuteltwerden, ihre immer dürftigeren Reserven im gesamten Mittelfeld, sondern das im Grunde als gerechte Strafe, als passsendes Schicksal ansehen für ihre depressive Seele...
Gegen kollektive und einzelne Depressionen gibt es bewährte Hausmittel. Die wollen wir in den nächsten Tagen anwenden. Von Abebooks über Büchermichel, vom Börsenverein bis zur Genossenschaft, alle müssen jetzt auf die Couch. "Freud und die Marktwirtschaft" - warum nicht?
Das schöne Foto von Freuds Couch ist möglicherweise geschützt, ich weiß es nicht.
Montag, 17. Oktober 2011
Imagewandel und Imagearbeit - Antiquare und unabhängige Neubuchhändler vor ähnlichen Problemen
Eine interessante Erfahrung aus Frankfurt möchte ich nachtragen, weil sie uns Antiquare ebenso betrifft wie einen anderen Nebenzweig im Börsenverein, die kleineren unabhängigen Neubuchhändler.
Mir ist bei Unterhaltungen am Rand der Buchmesse und beim Querlesen des "Buchreport" gestern Nacht aufgefallen, daß sich Antiquariat und kleinerer, unabhängiger Neubuchhandel formal gesehen in einer vergleichbaren Situation befinden. Sie müssen beide zu einem radikalen Imagewandel kommen, neue Wege ausfindig machen, ihre ziemlich schlechte Lage durchdenken und dann Handlungsvorschläge auf den Tisch legen.
Wir Antiquare brauchen ganz dringend eine Aufwertung unseres schäbigen Images. Ich war ja am Anfang von der ausgezeichneten, guten Ware und den sachkundigen Kollegen auf der Antiquariatsmesse sehr beeindruckt - bis sich in der Rückschau das wahre Bild herauskristallisiert hat - eine unendliche f o r m a l gesehen äußere Schäbigkeit und Billigkeit der ganzen Veranstaltung in der Audi-Muschel. Man kann das hier unten nachlesen.
Da muß tatsächlich ein I m a g e w a n d e l her, wie er radikal und neu genug gar nicht vorstellbar ist.
Ebenso Grundlegendes muß bei den unabhängigen kleineren örtlichen Neubuchhandlungen ausgedacht und umgesetzt werden. Wir sehen dort zur Zeit alle Mischungen von sterilen, ungemütlichen, kalten oder - ebenso schlimm - pseudowarmen, aufgesetzt "herzlichen" Buchhandlungen.
Das alles kann in gar keiner Weise ausreichen, um diese Buchhandlungsart vor ihrem bevorstehenden Untergang (der langsam und qualvoll sein würde) zu bewahren.
Ich könnte mir denken, daß bei ähnlichen grundlegenden Problemen eines - notwendigen - I m a g e w a n d e l s eine Beteiligung interessierter Antiquare an den Diskussionen der unabhängigen kleineren Neubuchhändler sehr ertragreich sein könnte. Das müßte freilich in einem M e d i u m geschehen. Es gibt ja genug Vereine und Arbeitskreise (die bisherige Diskussion der unabhängigen kleineren Neubuchhändler überzeugt mich ebensowenig wie die Summe der bemerkenswert törichten Vorschläge des MVB zuhanden des kleinen Neubuchhandels), aber ohne Diskussionskreis, Diskussionsforum geht das nicht. Vielleicht hilft "Buchreport" da, oder wie könnte das organisiert werden? Gibt es das schon? Dann sollte man die Antiquare zur Beteiligung auffordern.
Mir ist bei Unterhaltungen am Rand der Buchmesse und beim Querlesen des "Buchreport" gestern Nacht aufgefallen, daß sich Antiquariat und kleinerer, unabhängiger Neubuchhandel formal gesehen in einer vergleichbaren Situation befinden. Sie müssen beide zu einem radikalen Imagewandel kommen, neue Wege ausfindig machen, ihre ziemlich schlechte Lage durchdenken und dann Handlungsvorschläge auf den Tisch legen.
Wir Antiquare brauchen ganz dringend eine Aufwertung unseres schäbigen Images. Ich war ja am Anfang von der ausgezeichneten, guten Ware und den sachkundigen Kollegen auf der Antiquariatsmesse sehr beeindruckt - bis sich in der Rückschau das wahre Bild herauskristallisiert hat - eine unendliche f o r m a l gesehen äußere Schäbigkeit und Billigkeit der ganzen Veranstaltung in der Audi-Muschel. Man kann das hier unten nachlesen.
Da muß tatsächlich ein I m a g e w a n d e l her, wie er radikal und neu genug gar nicht vorstellbar ist.
Ebenso Grundlegendes muß bei den unabhängigen kleineren örtlichen Neubuchhandlungen ausgedacht und umgesetzt werden. Wir sehen dort zur Zeit alle Mischungen von sterilen, ungemütlichen, kalten oder - ebenso schlimm - pseudowarmen, aufgesetzt "herzlichen" Buchhandlungen.
Das alles kann in gar keiner Weise ausreichen, um diese Buchhandlungsart vor ihrem bevorstehenden Untergang (der langsam und qualvoll sein würde) zu bewahren.
Ich könnte mir denken, daß bei ähnlichen grundlegenden Problemen eines - notwendigen - I m a g e w a n d e l s eine Beteiligung interessierter Antiquare an den Diskussionen der unabhängigen kleineren Neubuchhändler sehr ertragreich sein könnte. Das müßte freilich in einem M e d i u m geschehen. Es gibt ja genug Vereine und Arbeitskreise (die bisherige Diskussion der unabhängigen kleineren Neubuchhändler überzeugt mich ebensowenig wie die Summe der bemerkenswert törichten Vorschläge des MVB zuhanden des kleinen Neubuchhandels), aber ohne Diskussionskreis, Diskussionsforum geht das nicht. Vielleicht hilft "Buchreport" da, oder wie könnte das organisiert werden? Gibt es das schon? Dann sollte man die Antiquare zur Beteiligung auffordern.
Sonntag, 16. Oktober 2011
Frankfurter Impressionen - der peinliche Teil
1.
Moderater Anfang mit einem Quisquilium
"Im Alter kommt es auf die inneren Werte an" - dieser Werbespruch stand auf der kleinen Werbekarte, neudeutsch Flyer, die mir Biester mit dem neuesten "Aus dem Antiquariat"-Heft in die Hand drückte.
Ich hoffe zuversichtlich, daß er für diesen Werbespruch nicht verantwortlich zeichnet. Die Praktikantin, die sich den Satz ausgedacht hat, sollte zur Strafe zwei Wochen keinen Nachtisch in der Kantine erhalten.
Erstens will das "Alter" nicht daran erinnert werden, auch nicht indirekt - v o r a l l e m nicht indirekt - , daß es alt ist. Die Assoziationsbrücke, die hier zwischen "altem Buch" und "altem Menschen" hergestellt wird, ist brandgefährlich.
"Die inneren Werte" haben längst einen leicht ironischen Zug erhalten im täglichen Sprachgebrauch. Neutral darf man sie nicht mehr verwenden . Hier geschieht das, der Leser wird verunsichert.
Zum dritten ist der Satz in der Sache nicht nur schief, sondern falsch. Denn es geht ja gerade nicht um die "inneren Werte" - alle, nahezu alle T e x t e bekommen wir heute über das Netz zu lesen, es geht beim antiquarischen Buch (der oberen Ränge, von denen hier gesprochen wird) gerade um die F o r m, den alten Druck, den Erstdruck, das historische Dokument formal - aber doch nur selten noch um die aktive Nutzung des Inhalts.
Zum zweiten ist dieser Werbespruch im Antiquariat geradezu verhältnisblödsinnig, weil der Einband, die äußere Gestalt, die Erhaltung untrennbar verbunden sind mit dem Gesamtcharakter des Buchs. Deshalb betreiben wir ja Antiquariat!
Ich breche hier ab. Wer immer diesen Werbespruch entwickelt hat, war ein Dummkopf.
Die Rückseite der Werbekarte ist, ähnlich wie der Untertitel "Neues aus der Welt der alten Bücher", im Grundtenor u n w a h r. "Aus dem Antiquariat" berichtet nur wenig über die Aktualitäten der Branche (und tut auch gut daran). Es ist im besten Sinn ein fast buchhistorisch-buchwissenschaftlich angelegtes, exzellentes Fachblatt - die Lektüre auf der Heimfahrt hat mir eine angeregte und schöne Stunde geschenkt. Besser geht es nicht!
Aber der Versuch, hier "Neues" oder gar "Aktuelles" hereinzubringen, muß scheitern, solang nicht eine völlig neue Zeitschrift konzipiert wird.
Fazit: Diese Werbekarte ist absurd, s c h ä d l i c h und blöde. Biester, seien Sie so nett und veranlassen Sie beim MVB, daß diese törichte Praktikantenarbeit zurückgezogen wird, besser heute als morgen.
Man darf eine exzellente Fachzeitschrift nicht mit dummen und falschen Werbetricks im Absatz aufmöbeln wollen.
*
2.
Rabiates Fortissimo in der Hauptsache
Soll ich es sagen oder besser nicht? - Nur immer hinein ins kalte Wasser, Mulzer, was ist von Ihnen auch anderes zu erwarten als schiere Provokation. - Bitte sehr, bitte gleich, Kellner kommt schon.
Der Gesamteindruck unseres besonderen Messeraumes, der Antiquariatsmesse überhaupt war von himmelschreiender Armseligkeit und Ärmlichkeit. Welch verheerendes Gesamtimage für unser Gewerbe, das doch seine besten Vertreter hierher delegiert hatte.
Für einen mit den bisherigen Messen nicht vertrauten, neuen Kunden mit mittleren Ansprüchen mußte diese Messe wirken wie ein Treffen von Altersheiminsassen, die sich zum Verein "wir handeln mit alten Büchern" zusammengeschlossen haben, weil es zur Bereicherung ihres Alters, zum Kampf gegen den Alzheimer und zum Besten igendwelcher Heidenkinder sinnvoll erschien. Sie fanden dann aus Ungeschicklichkeit nur eine alte Abstellkammer neben der Herrentoilette, und weil sie wenig Geld hatten, montierten sie abgelegte Ikea-Regale der billigsten Sorte zu einer Art wackeligen Abenteuerspielplatz-Kistenfeldern mit lustigen Nischen und wackeligen Stühlchen auf.
Alles oberpeinlich, aber es war ja für einen guten Zweck, nichtwahr?
Und in dieser Weise werden von hochgebildeten Spitzenleuten unseres Gewerbes exzellente Qualitätsbücher angeboten.
Das ist u n w ü r d i g, o b e r p e i n l i c h und schadet dem Image des Antiquariats mehr, als daß es nützt.
Ein Kaninchenzüchterverein würde sich schämen, derart s c h ä b i g, billig und zusammengeschustert, zusammengedrängt seine Ausstellung tragender Muttertiere abzuhalten. Leute, das ist oberpeinlich!
Ich rede nicht von den einzelnen Gestaltungsfehlern, bin auch überzeugt, daß Thursch aus ungünstigen Verhältnissen das Beste gemacht hat. Aber im Ergebnis ist das ganz unmöglich.
Mein erster Eindruck war der, daß sich hier - ein wenig überalterte - Pfadfinder eine "Messeausstellung" zurechtgebastelt hatten. Insbesondere war auch der Kontrast zum splendiden Luxus der Neubuchmesse ganz fürchterlich. Unsere hervorragenden Titel werden durch einen solchen Rahmen herabgewürdigt -
Mona Lisa auf dem Schrottplatz in Berlin-Kreuzberg ausgestellt... Was bitte soll das?
Schäbige Billigschränkchen, wie sie meine Schwester, die nur Oberstudienrätin ist, hohnlachend der Heilsarmee schenken würde, enthalten Drucke im fünf-, ja sechstelligen Bereich. Werte Kollegen, denken Sie denn, unsere Kunden fänden die miese, peinlich-billige Erscheinung der Antiquariatsmesse putzig, oder rührend, oder niedlich, oder passend? nein - sie finden das s c h ä b i g.
Weiß der Teufel, wie es die Antiquare geschafft haben, ihrem Messewesen das
***Image eines Russenbasars
zu geben - es i s t aber so.
Schuld daran hat vor allem die Hochzüchtung des Messewesens überhaupt. Ob Kaminfeger oder Chemielaboranten: Tagungen und Messen haben heute einen sehr hohen formalen Stand. Wir Antiquare können und wollen uns das nicht leisten, es kostet viel - sehr viel, ich war geschockt bei einigen herkömmlichen Zahlen für kleine Messen. Aber wenn wir das nicht können, ist es dann richtig, auf schäbigstem Padfinderniveau
***mickrige Abfallkistchen-Messen
abzuhalten, in der Hoffnung, daß die Kunden den Antiquaren einen "Chaoten- und Armeleutebonus" geben? Nein, das tun gerade die Käufer im höherpreisigen Niveau nicht, sie lächeln gequält - und kommen nicht wieder.
Die Kernfrage ist doch - brauchen wir die Schicki-Micki-Kundschaft? Da gibt es nur eine Antwort - j a, um Himmelswillen ja! Ohne diese wenig sachkundige und meist auch reichlich unsympathische Kundschaft, die heute das Geld hat und nicht weiß wohin damit, geht es nicht aufwärts im Antiquariat!
Durch derart schäbige, kümmerliche, armselige Messegestaltung verbauen wir uns den Weg zu diesen Leuten.
Ich will noch gar nicht von den besonderen Umständen reden, die Thursch wohl experimentell erproben wollte, was an sich nicht dumm war. Und doch... nach der unendlich kitschigen, peinlichen Weihehandlung für die neuesten Audi-Modelle in einem wahrhaft p e r v e r s religiösen Zeremonien nachempfundenen D o m des Luxus und der Sitten .- - - dann der Eintritt durch zwei enge Torflächen, wo junge hübsche Messedamen standen und Edles versprachen - bis dann das Entenhausener zusammengestoppelte Regal-, Schränkchen- und Kistenreich begann, schlecht entlüftet und mit Antiquaren bestückt, deren Kleiderordnung hätte energischer besprochen werden sollen. Die Standbeschriftungen, nur durch Querlegen des Kopfes lesbar, waren im Mißverhältnis zu den Gebilden, auf die sie geklebt waren, das Licht grotesk diffus und/oder so peinlich wie in einem Russenflohmarkt auf dem Lahrer alten Militärflughaften - alles s c h r e c k l i c h a r m, ganz b i l l i g, völlig unwürdig.
Diese ganz überwiegend wunderschönen, hochwichtigen Bücher hätten den "Dom" verdient, den Audis wäre der Muffelkeller zuzumuten gewesen...
Fazit: Man muß das Messewesen im Antiquariat grundlegend reformieren - Kollege Thursch an die Front!
(Bange Frage des Mulzer an sich selbst: Hättest du den intimen Teil deiner Notizen nicht besser für Dich behalten sollen?)
Moderater Anfang mit einem Quisquilium
"Im Alter kommt es auf die inneren Werte an" - dieser Werbespruch stand auf der kleinen Werbekarte, neudeutsch Flyer, die mir Biester mit dem neuesten "Aus dem Antiquariat"-Heft in die Hand drückte.
Ich hoffe zuversichtlich, daß er für diesen Werbespruch nicht verantwortlich zeichnet. Die Praktikantin, die sich den Satz ausgedacht hat, sollte zur Strafe zwei Wochen keinen Nachtisch in der Kantine erhalten.
Erstens will das "Alter" nicht daran erinnert werden, auch nicht indirekt - v o r a l l e m nicht indirekt - , daß es alt ist. Die Assoziationsbrücke, die hier zwischen "altem Buch" und "altem Menschen" hergestellt wird, ist brandgefährlich.
"Die inneren Werte" haben längst einen leicht ironischen Zug erhalten im täglichen Sprachgebrauch. Neutral darf man sie nicht mehr verwenden . Hier geschieht das, der Leser wird verunsichert.
Zum dritten ist der Satz in der Sache nicht nur schief, sondern falsch. Denn es geht ja gerade nicht um die "inneren Werte" - alle, nahezu alle T e x t e bekommen wir heute über das Netz zu lesen, es geht beim antiquarischen Buch (der oberen Ränge, von denen hier gesprochen wird) gerade um die F o r m, den alten Druck, den Erstdruck, das historische Dokument formal - aber doch nur selten noch um die aktive Nutzung des Inhalts.
Zum zweiten ist dieser Werbespruch im Antiquariat geradezu verhältnisblödsinnig, weil der Einband, die äußere Gestalt, die Erhaltung untrennbar verbunden sind mit dem Gesamtcharakter des Buchs. Deshalb betreiben wir ja Antiquariat!
Ich breche hier ab. Wer immer diesen Werbespruch entwickelt hat, war ein Dummkopf.
Die Rückseite der Werbekarte ist, ähnlich wie der Untertitel "Neues aus der Welt der alten Bücher", im Grundtenor u n w a h r. "Aus dem Antiquariat" berichtet nur wenig über die Aktualitäten der Branche (und tut auch gut daran). Es ist im besten Sinn ein fast buchhistorisch-buchwissenschaftlich angelegtes, exzellentes Fachblatt - die Lektüre auf der Heimfahrt hat mir eine angeregte und schöne Stunde geschenkt. Besser geht es nicht!
Aber der Versuch, hier "Neues" oder gar "Aktuelles" hereinzubringen, muß scheitern, solang nicht eine völlig neue Zeitschrift konzipiert wird.
Fazit: Diese Werbekarte ist absurd, s c h ä d l i c h und blöde. Biester, seien Sie so nett und veranlassen Sie beim MVB, daß diese törichte Praktikantenarbeit zurückgezogen wird, besser heute als morgen.
Man darf eine exzellente Fachzeitschrift nicht mit dummen und falschen Werbetricks im Absatz aufmöbeln wollen.
*
2.
Rabiates Fortissimo in der Hauptsache
Soll ich es sagen oder besser nicht? - Nur immer hinein ins kalte Wasser, Mulzer, was ist von Ihnen auch anderes zu erwarten als schiere Provokation. - Bitte sehr, bitte gleich, Kellner kommt schon.
Der Gesamteindruck unseres besonderen Messeraumes, der Antiquariatsmesse überhaupt war von himmelschreiender Armseligkeit und Ärmlichkeit. Welch verheerendes Gesamtimage für unser Gewerbe, das doch seine besten Vertreter hierher delegiert hatte.
Für einen mit den bisherigen Messen nicht vertrauten, neuen Kunden mit mittleren Ansprüchen mußte diese Messe wirken wie ein Treffen von Altersheiminsassen, die sich zum Verein "wir handeln mit alten Büchern" zusammengeschlossen haben, weil es zur Bereicherung ihres Alters, zum Kampf gegen den Alzheimer und zum Besten igendwelcher Heidenkinder sinnvoll erschien. Sie fanden dann aus Ungeschicklichkeit nur eine alte Abstellkammer neben der Herrentoilette, und weil sie wenig Geld hatten, montierten sie abgelegte Ikea-Regale der billigsten Sorte zu einer Art wackeligen Abenteuerspielplatz-Kistenfeldern mit lustigen Nischen und wackeligen Stühlchen auf.
Alles oberpeinlich, aber es war ja für einen guten Zweck, nichtwahr?
Und in dieser Weise werden von hochgebildeten Spitzenleuten unseres Gewerbes exzellente Qualitätsbücher angeboten.
Das ist u n w ü r d i g, o b e r p e i n l i c h und schadet dem Image des Antiquariats mehr, als daß es nützt.
Ein Kaninchenzüchterverein würde sich schämen, derart s c h ä b i g, billig und zusammengeschustert, zusammengedrängt seine Ausstellung tragender Muttertiere abzuhalten. Leute, das ist oberpeinlich!
Ich rede nicht von den einzelnen Gestaltungsfehlern, bin auch überzeugt, daß Thursch aus ungünstigen Verhältnissen das Beste gemacht hat. Aber im Ergebnis ist das ganz unmöglich.
Mein erster Eindruck war der, daß sich hier - ein wenig überalterte - Pfadfinder eine "Messeausstellung" zurechtgebastelt hatten. Insbesondere war auch der Kontrast zum splendiden Luxus der Neubuchmesse ganz fürchterlich. Unsere hervorragenden Titel werden durch einen solchen Rahmen herabgewürdigt -
Mona Lisa auf dem Schrottplatz in Berlin-Kreuzberg ausgestellt... Was bitte soll das?
Schäbige Billigschränkchen, wie sie meine Schwester, die nur Oberstudienrätin ist, hohnlachend der Heilsarmee schenken würde, enthalten Drucke im fünf-, ja sechstelligen Bereich. Werte Kollegen, denken Sie denn, unsere Kunden fänden die miese, peinlich-billige Erscheinung der Antiquariatsmesse putzig, oder rührend, oder niedlich, oder passend? nein - sie finden das s c h ä b i g.
Weiß der Teufel, wie es die Antiquare geschafft haben, ihrem Messewesen das
***Image eines Russenbasars
zu geben - es i s t aber so.
Schuld daran hat vor allem die Hochzüchtung des Messewesens überhaupt. Ob Kaminfeger oder Chemielaboranten: Tagungen und Messen haben heute einen sehr hohen formalen Stand. Wir Antiquare können und wollen uns das nicht leisten, es kostet viel - sehr viel, ich war geschockt bei einigen herkömmlichen Zahlen für kleine Messen. Aber wenn wir das nicht können, ist es dann richtig, auf schäbigstem Padfinderniveau
***mickrige Abfallkistchen-Messen
abzuhalten, in der Hoffnung, daß die Kunden den Antiquaren einen "Chaoten- und Armeleutebonus" geben? Nein, das tun gerade die Käufer im höherpreisigen Niveau nicht, sie lächeln gequält - und kommen nicht wieder.
Die Kernfrage ist doch - brauchen wir die Schicki-Micki-Kundschaft? Da gibt es nur eine Antwort - j a, um Himmelswillen ja! Ohne diese wenig sachkundige und meist auch reichlich unsympathische Kundschaft, die heute das Geld hat und nicht weiß wohin damit, geht es nicht aufwärts im Antiquariat!
Durch derart schäbige, kümmerliche, armselige Messegestaltung verbauen wir uns den Weg zu diesen Leuten.
Ich will noch gar nicht von den besonderen Umständen reden, die Thursch wohl experimentell erproben wollte, was an sich nicht dumm war. Und doch... nach der unendlich kitschigen, peinlichen Weihehandlung für die neuesten Audi-Modelle in einem wahrhaft p e r v e r s religiösen Zeremonien nachempfundenen D o m des Luxus und der Sitten .- - - dann der Eintritt durch zwei enge Torflächen, wo junge hübsche Messedamen standen und Edles versprachen - bis dann das Entenhausener zusammengestoppelte Regal-, Schränkchen- und Kistenreich begann, schlecht entlüftet und mit Antiquaren bestückt, deren Kleiderordnung hätte energischer besprochen werden sollen. Die Standbeschriftungen, nur durch Querlegen des Kopfes lesbar, waren im Mißverhältnis zu den Gebilden, auf die sie geklebt waren, das Licht grotesk diffus und/oder so peinlich wie in einem Russenflohmarkt auf dem Lahrer alten Militärflughaften - alles s c h r e c k l i c h a r m, ganz b i l l i g, völlig unwürdig.
Diese ganz überwiegend wunderschönen, hochwichtigen Bücher hätten den "Dom" verdient, den Audis wäre der Muffelkeller zuzumuten gewesen...
Fazit: Man muß das Messewesen im Antiquariat grundlegend reformieren - Kollege Thursch an die Front!
(Bange Frage des Mulzer an sich selbst: Hättest du den intimen Teil deiner Notizen nicht besser für Dich behalten sollen?)
Frankfurter Impressionen 2 - das intime Notizbuch
Seit meinem Frankfurter Aufenthalt am Freitag hatte ich nicht eine Stunde freie Zeit zum Nachdenken. Interessanter Selbstversuch gestern den Samstag über: Wenn man einen Tag hindurch, wie es mir gestern geschehen ist, im Ausland reisen und sich dort ausschließlich in einer Fremdsprache verständigen muß, dann bewahrt das Gedächtnis die Ereignisse des davorliegenden Tages ganz frisch. Offenbar kann der Mensch in einer Art Kopfkühlschrank Erinnerungen auslagern, wenn ihn äußere Umstände dazu zwingen. Wobei die Haltbarkeitsdauer im Kühlschrank nicht lang sein dürfte - machen wir uns also gleich an den vertraulicheren Teil meiner Frankfurter Impressionen, ungeordnet, wie sie abrufbar sind im Gedächtnis.
*
Kollege Harteveld kenne ich bisher über seine exzellenten Seltenheiten und, wie ich frei bemerken darf, über recht hohe Preisvorstellungen im mittleren Buchbereich, in welchen er sich mitunter begibt, wobei es sich wohl um übriggebliebene alte ZVAB-Bewertungen aus besseren Zeiten handeln dürfte. Wie auch immer, sein Name steht, neben aufrichtiger Hochachtung für seine Arbeit im Edelbereich, auch für öfteres "heftiges Schütteln des Kopfes" meinerseits, der ich im finsteren Mitteldeck des Antiquariatsschiffes zu malochen pflege.
Worum es mir aber heute geht: Seine joviale Art der Meinungsäußerung in Gruppengesprächen macht eine geordnete Diskussion schwer. Man mag ihn wegen der sympathischen Form seiner Poltereien nicht angreifen, auch der Schweizer Dialekt - ich bin selber Viertelschweizer - ist Schuld, denn Harteveld bewegt sich in einer Art Fremdsprache, wenn er Hochdeutsch diskutiert. Ich würde das Phänomen "Harteveld" abhaken mit der Notiz "ein ungewöhnlich sympathischer, sehr sachkundiger Kollege, der Gruppengespräche aber schwierig machen kann" - wäre da nicht meine Beobachtung, daß erstaunlich viele des in Frankfurt vertretenen Typs der Spitzenantiquare im Gegensatz zu ihm sehr still, nahezu scheu, zurückgenommen, oft auch (ich sags im Schweizer Dialekt) "verscheucht", sogar etwas "verschupft" wirken.
*
Wie ich mit echter Freude feststellen konnte, ist das Bündel meiner Vorurteile gegen die Edelantiquare unberechtigt und dumm gewesen. Tatsächlich sind diese Leute erstaunlich gebildet, human, freundlich und sensibel. Offenbar war ich früher meist nur auf schwierige Vertreter des Spitzenantiquariats gestoßen und habe mir unsinnige Feindbilder aufgebaut.
Was aber ganz sicher stimmt: Die Antiquare bilden eine
*äußerst schwierige Berufsgruppe, was ihre Diskussionskultur, ihre M e i n u n g s b i l d u n g betrifft,
und so mag sich auch die verquere Struktur zwischen Verband, AG, Genossenschaft usw. erklären. Ein funktionierendes gruppendynamisches Modell sich vorzustellen, in dem alle Teilnehmer in Frankfurt sich gleichmäßig und gleichgewichtig äußern und auch durchsetzen könnten, ist sehr schwierig. Ich bringe diese umständlichen Formulierungen, weil ich beim Schreiben hier auch zu denken versuche: Wie bitte kann und muß eine neue Organisationsform im Antiquariat aussehen, in der es zur echten M e i n u n g s b i l d u n g kommen kann, weniger "demokratisch" (das Antiquariat ist per se elitär und ganz undemokratisch, aber darüber müßte man gesondert sprechen) als vielmehr um mehrere Diskussionskerne geschart Schwerpunkte bildend.
*
Ich gestehe, daß mich Detlef Thursch sehr beeindruckt hat - ein präzise denkender, exzellent formulierender, gelegentlich auch zum Diktatorischen neigender Antiquar und Organisator. Man registriert im ungeschriebenen Notizbuch unwillkürlich (und etwas altmodisch) zu seiner Person: "ein p a t e n t e r Kollege", dem man sich ohne Zögern anvertrauen kann. Solche Menschen sind sehr selten, wo man sie trifft, muß man versuchen sie festzuhalten, denn man findet sie so schnell nicht wieder. Thursch könnte ich mir als Leitperson denken, die das Antiquariat in seiner jetzigen schwierigen Lage souverän, (nicht zu) liebenswürdig, in der Sache knallhart, in der Form aber kooperativ weiterbringen und, man verzeihe mir, f ü h r e n könnte. Ich habe das kurze Dreiergespräch, in das wir durch Zufall geraten waren, sehr aufmerksam registriert.
Jörg Mewes ist nicht jünger geworden im Lauf der Jahre und kam mir recht desillusioniert vor. Was ihn grundsätzlich enttäuscht haben mag, ihm seine Blütenträume geraubt hat, weiß ich nicht, aber selten habe ich so das Bedürfnis empfunden, jemandem zuzurufen: "Mann, draußen scheint die Sonne, man kann noch Pläne machen - wo bleibt Ihr Spaß an der Sache, was kann ich nur tun, um Ihnen neuen Mut zu machen?". Ich kenne sein Geheimnis nicht, er hat eines, das ihn quält, das ist spürbar. Oder er ist nur einfach aller Illusionen beraubt, wie auch immer - möge er wieder fröhlich werden!
*
Sich mit einem Menschen bald ein Jahrzehnt hindurch virtuell zu bekriegen, ohne ihm je persönlich begegnet zu sein, das ist eine skurrile Situation, die in der Dichtung schon öfter behandelt worden ist - Biester und ich, wir sind ein literarischer Topos. Ich habe vorgestern schon etwas dazu geschrieben. Ergänzend vielleicht noch die Feststellung, daß das erzkonservative, bis auf den Millimeter korrekte äußere Auftreten Biesters (ich klaue ihm im internen Notizbuch einfachheitshalber den Doktor) , daß dieses "Aufbrezeln" nach Art eines hanseatischen Kaufmanns ihm nicht nur nicht steht, sondern seine Außenwirkung auf eine Ebene schiebt, die ihm nicht recht sein kann.
Er sieht sich, si je ne me trompe pas, als Buchwissenschaftler, genauer gesagt als der große Chronist des Antiquariatsbuchhandels nicht nur in Deutschland, sondern weltweit (freilich lyrisch und begeistert wird er nur, wenn die Rede auf englisch-amerikanische Kollegen und Betriebe kommt - ob er das weiß?) - - und das i s t er auch. Aber Näheres weiß man nicht - arbeitet er aus dem Zettelkasten oder trägt er, wie es zum Beispiel bei mir der Fall ist, sein Wissen eher im Kopf spazieren? Er w i r k t als Zettelkastenmensch und vermittelt diesen Eindruck durch sein perfektes Auftreten im Stil "Ein Hamburgischer Kaufmann", tatsächlich aber scheint er mir ein echter, tiefbegeisterter Grundlagenkenner des Antiquariats aus dem Kopf, wo nicht aus der Seele zu sein.
Worauf sich meine Hauptkritik denn auch konzentriert - er hat sich irgendwann das jetzige Image zugelegt und kommt nun nicht mehr heraus. Das ist fatal, denn ich weiß aus einigen Einschätzungen seiner Person durch solche Kollegen, auf deren Urteil ich viel gebe, daß ihm oft Unrecht geschieht. Er wird prompt so eingeschätzt, wie er uns seine äußere Rolle vorführt.
Tatsächlich halte ich ihn für einen Universitätsmenschen, einen Forscher und Lehrer, akademischer Oberbau im besten Sinn, Stil britisches C o l l e g e. Hier forscht er und arbeitet zugleich kooperativ mit seinen Studenten und mit jenem sympathischen Netzwerk interessierter Fachgenossen, das uns das angelsächsisch Campusleben so angenehm macht.
Dies also ist seine wirkliche Welt. Welches Unglück hat ihn betroffen, daß er seinen Typ verleugnen und nun als verhinderter, geknebelter und auf tausend diplomatische Fallgruben Rücksicht nehmender gehobener Kaufmann daherkommen muß? Sein wahres Image kennzeichnet zum Beispiel eine lockere, britische Salz- und Pfeffer-Tweedjacke im britischen Universitätsstil, leicht vergammelt, jederzeit eine alte Pfeife aus einer der vielen ausgebeulten Taschen ziehend (nota: die Jacke war sehr teuer, dieser Stil ist nicht etwa "billig"), seine Brille ist eine freundliche braungelbe Hornbrille.
Dann gibt sich auch jenes formale Korrektseinwollen, das manche Kollegen äußerst befremdet bei ihm. Unser Gewerbe ist auf allen Ebenen, man kann es drehen und wenden wie man will, gemäßigt chaotisch, es bedarf einiger kreativer Phantasie. Harter und präziser Realtätssinn nach Schema Thursch verträgt sich (interessanterweise) mit diesem Künstlerischen sehr gut im Antiquariat, ganz gewiß aber nicht die "Ein Hamburger Kaufmann"-Pingeligkeit, die sich Biester zum Image erkiest hat.
Überlegungen solcher Art, die beliebig fortgesetzt werden könnten, sind sehr wichtig. Wer in einem Gewerbe, das noch keine festen allgemeinen Organisationsstrukturen hat, Leitungsfunktionen ausübt, den sieht man sich mit Vorteil näher an. Ich bin davon überzeugt, daß Menschen wie Biester sich durch das Finden ihres wahren äußeren Stils ,ihres echten Images zu ungeahnten Aufschwüngen, Ideen und Einsichten durchringen können. Eine britische Tweedjacke ist mehr als nur einfach eine Jacke...
(ein dritter Teil der Frankfurter Erinnerungen folgt)
*
Kollege Harteveld kenne ich bisher über seine exzellenten Seltenheiten und, wie ich frei bemerken darf, über recht hohe Preisvorstellungen im mittleren Buchbereich, in welchen er sich mitunter begibt, wobei es sich wohl um übriggebliebene alte ZVAB-Bewertungen aus besseren Zeiten handeln dürfte. Wie auch immer, sein Name steht, neben aufrichtiger Hochachtung für seine Arbeit im Edelbereich, auch für öfteres "heftiges Schütteln des Kopfes" meinerseits, der ich im finsteren Mitteldeck des Antiquariatsschiffes zu malochen pflege.
Worum es mir aber heute geht: Seine joviale Art der Meinungsäußerung in Gruppengesprächen macht eine geordnete Diskussion schwer. Man mag ihn wegen der sympathischen Form seiner Poltereien nicht angreifen, auch der Schweizer Dialekt - ich bin selber Viertelschweizer - ist Schuld, denn Harteveld bewegt sich in einer Art Fremdsprache, wenn er Hochdeutsch diskutiert. Ich würde das Phänomen "Harteveld" abhaken mit der Notiz "ein ungewöhnlich sympathischer, sehr sachkundiger Kollege, der Gruppengespräche aber schwierig machen kann" - wäre da nicht meine Beobachtung, daß erstaunlich viele des in Frankfurt vertretenen Typs der Spitzenantiquare im Gegensatz zu ihm sehr still, nahezu scheu, zurückgenommen, oft auch (ich sags im Schweizer Dialekt) "verscheucht", sogar etwas "verschupft" wirken.
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Wie ich mit echter Freude feststellen konnte, ist das Bündel meiner Vorurteile gegen die Edelantiquare unberechtigt und dumm gewesen. Tatsächlich sind diese Leute erstaunlich gebildet, human, freundlich und sensibel. Offenbar war ich früher meist nur auf schwierige Vertreter des Spitzenantiquariats gestoßen und habe mir unsinnige Feindbilder aufgebaut.
Was aber ganz sicher stimmt: Die Antiquare bilden eine
*äußerst schwierige Berufsgruppe, was ihre Diskussionskultur, ihre M e i n u n g s b i l d u n g betrifft,
und so mag sich auch die verquere Struktur zwischen Verband, AG, Genossenschaft usw. erklären. Ein funktionierendes gruppendynamisches Modell sich vorzustellen, in dem alle Teilnehmer in Frankfurt sich gleichmäßig und gleichgewichtig äußern und auch durchsetzen könnten, ist sehr schwierig. Ich bringe diese umständlichen Formulierungen, weil ich beim Schreiben hier auch zu denken versuche: Wie bitte kann und muß eine neue Organisationsform im Antiquariat aussehen, in der es zur echten M e i n u n g s b i l d u n g kommen kann, weniger "demokratisch" (das Antiquariat ist per se elitär und ganz undemokratisch, aber darüber müßte man gesondert sprechen) als vielmehr um mehrere Diskussionskerne geschart Schwerpunkte bildend.
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Ich gestehe, daß mich Detlef Thursch sehr beeindruckt hat - ein präzise denkender, exzellent formulierender, gelegentlich auch zum Diktatorischen neigender Antiquar und Organisator. Man registriert im ungeschriebenen Notizbuch unwillkürlich (und etwas altmodisch) zu seiner Person: "ein p a t e n t e r Kollege", dem man sich ohne Zögern anvertrauen kann. Solche Menschen sind sehr selten, wo man sie trifft, muß man versuchen sie festzuhalten, denn man findet sie so schnell nicht wieder. Thursch könnte ich mir als Leitperson denken, die das Antiquariat in seiner jetzigen schwierigen Lage souverän, (nicht zu) liebenswürdig, in der Sache knallhart, in der Form aber kooperativ weiterbringen und, man verzeihe mir, f ü h r e n könnte. Ich habe das kurze Dreiergespräch, in das wir durch Zufall geraten waren, sehr aufmerksam registriert.
Jörg Mewes ist nicht jünger geworden im Lauf der Jahre und kam mir recht desillusioniert vor. Was ihn grundsätzlich enttäuscht haben mag, ihm seine Blütenträume geraubt hat, weiß ich nicht, aber selten habe ich so das Bedürfnis empfunden, jemandem zuzurufen: "Mann, draußen scheint die Sonne, man kann noch Pläne machen - wo bleibt Ihr Spaß an der Sache, was kann ich nur tun, um Ihnen neuen Mut zu machen?". Ich kenne sein Geheimnis nicht, er hat eines, das ihn quält, das ist spürbar. Oder er ist nur einfach aller Illusionen beraubt, wie auch immer - möge er wieder fröhlich werden!
*
Sich mit einem Menschen bald ein Jahrzehnt hindurch virtuell zu bekriegen, ohne ihm je persönlich begegnet zu sein, das ist eine skurrile Situation, die in der Dichtung schon öfter behandelt worden ist - Biester und ich, wir sind ein literarischer Topos. Ich habe vorgestern schon etwas dazu geschrieben. Ergänzend vielleicht noch die Feststellung, daß das erzkonservative, bis auf den Millimeter korrekte äußere Auftreten Biesters (ich klaue ihm im internen Notizbuch einfachheitshalber den Doktor) , daß dieses "Aufbrezeln" nach Art eines hanseatischen Kaufmanns ihm nicht nur nicht steht, sondern seine Außenwirkung auf eine Ebene schiebt, die ihm nicht recht sein kann.
Er sieht sich, si je ne me trompe pas, als Buchwissenschaftler, genauer gesagt als der große Chronist des Antiquariatsbuchhandels nicht nur in Deutschland, sondern weltweit (freilich lyrisch und begeistert wird er nur, wenn die Rede auf englisch-amerikanische Kollegen und Betriebe kommt - ob er das weiß?) - - und das i s t er auch. Aber Näheres weiß man nicht - arbeitet er aus dem Zettelkasten oder trägt er, wie es zum Beispiel bei mir der Fall ist, sein Wissen eher im Kopf spazieren? Er w i r k t als Zettelkastenmensch und vermittelt diesen Eindruck durch sein perfektes Auftreten im Stil "Ein Hamburgischer Kaufmann", tatsächlich aber scheint er mir ein echter, tiefbegeisterter Grundlagenkenner des Antiquariats aus dem Kopf, wo nicht aus der Seele zu sein.
Worauf sich meine Hauptkritik denn auch konzentriert - er hat sich irgendwann das jetzige Image zugelegt und kommt nun nicht mehr heraus. Das ist fatal, denn ich weiß aus einigen Einschätzungen seiner Person durch solche Kollegen, auf deren Urteil ich viel gebe, daß ihm oft Unrecht geschieht. Er wird prompt so eingeschätzt, wie er uns seine äußere Rolle vorführt.
Tatsächlich halte ich ihn für einen Universitätsmenschen, einen Forscher und Lehrer, akademischer Oberbau im besten Sinn, Stil britisches C o l l e g e. Hier forscht er und arbeitet zugleich kooperativ mit seinen Studenten und mit jenem sympathischen Netzwerk interessierter Fachgenossen, das uns das angelsächsisch Campusleben so angenehm macht.
Dies also ist seine wirkliche Welt. Welches Unglück hat ihn betroffen, daß er seinen Typ verleugnen und nun als verhinderter, geknebelter und auf tausend diplomatische Fallgruben Rücksicht nehmender gehobener Kaufmann daherkommen muß? Sein wahres Image kennzeichnet zum Beispiel eine lockere, britische Salz- und Pfeffer-Tweedjacke im britischen Universitätsstil, leicht vergammelt, jederzeit eine alte Pfeife aus einer der vielen ausgebeulten Taschen ziehend (nota: die Jacke war sehr teuer, dieser Stil ist nicht etwa "billig"), seine Brille ist eine freundliche braungelbe Hornbrille.
Dann gibt sich auch jenes formale Korrektseinwollen, das manche Kollegen äußerst befremdet bei ihm. Unser Gewerbe ist auf allen Ebenen, man kann es drehen und wenden wie man will, gemäßigt chaotisch, es bedarf einiger kreativer Phantasie. Harter und präziser Realtätssinn nach Schema Thursch verträgt sich (interessanterweise) mit diesem Künstlerischen sehr gut im Antiquariat, ganz gewiß aber nicht die "Ein Hamburger Kaufmann"-Pingeligkeit, die sich Biester zum Image erkiest hat.
Überlegungen solcher Art, die beliebig fortgesetzt werden könnten, sind sehr wichtig. Wer in einem Gewerbe, das noch keine festen allgemeinen Organisationsstrukturen hat, Leitungsfunktionen ausübt, den sieht man sich mit Vorteil näher an. Ich bin davon überzeugt, daß Menschen wie Biester sich durch das Finden ihres wahren äußeren Stils ,ihres echten Images zu ungeahnten Aufschwüngen, Ideen und Einsichten durchringen können. Eine britische Tweedjacke ist mehr als nur einfach eine Jacke...
(ein dritter Teil der Frankfurter Erinnerungen folgt)
Freitag, 14. Oktober 2011
Frankfurter Impressionen - ein Kurzbericht
Diese Zeilen schreibe ich in der Nacht von Freitag auf Samstag. Die Zugfahrt mit dem letzten IC aus Frankfurt gestaltete sich dramatisch, von Berlin her 40 Minuten verspätet, die Reisenden verzweifelt ob ihrer verlorenen nächtlichen Anschlüsse. - Morgen früh muß ich gleich weiterreisen in den tiefen Süden, aber ohne eine Notiz von meinem Besuch auf der Antiquariatsmesse möchte ich mich nicht aufs Ohr legen.
Die Buchmesse, in deren größeren Rahmen die Antiquariatsmesse ja eingebettet ist, hat mir den langen Tag über herzliche Begegnungen mit (sehr) hübschen jungen und etwas verwirrten, aber sympathischen älteren Damen gebracht - ist die Buchmesse ein alljährliches Kontaktforum für musische anschlußsuchende Damen? Buchhändlerinnen vor allem sind in Frankfurt euphorisch gestimmt, es steht Frauen gut, wenn sie kulturell arbeiten! Die kulturvollen Männer wirken da schon eher etwas konfus und unordentlich, es sei denn, sie gehören der Verlagsbranche an und wuseln schwarzgekleidet und arrogant durch die Gänge.
Wie auch immer, ich habe mich schon lang nicht mehr so gut unterhalten einen langen Messetag hindurch, von 10 Uhr bis lang nach 19 Uhr. Mein Rat für nächstes Jahr: Wer sich einsam fühlt, wer hübsche und doch auch kluge, sensitive Frauen mag - auf nach Frankfurt!
Soviel zur Buchmesse. Die vielen Stätten zum Kaffeetrinken, das Schlendern von Stand zu Stand, die Sitzbereiche im Freien bei strahlender Herbstsonne, und hinter jeder Biegung wieder eine reizende Frau: So wollen wirs immer haben...
Die Antiquariatsmesse im besonderen war diesmal in jener großen Betonmuschel untergebracht, die der Audi-Konzern gesponsert hat. An einer reichlich wilden, aber nicht unästhetischen Riesenhalle, in der den Automobilen dieser Marke buchstäblich ein Weihegottesdienst zelebriert wird, drückt man sich vorbei, um dann in einen bunkerhaft niedrigen, zugleich aber urgemütlichen Bereich zu gelangen, in dem die Antiquare ihre Waben einrichten durften. Farben und Standanordnung fand ich sehr gelungen, über eine unendlich geschmacklose Café-Empore mit in Schönheit erstarrten, dummfrechen jungen weiblichen Schnöseln mußte man hinwegsehen.
Ich hatte diesmal einen sehr positiven Eindruck von der Stimmung der Antiquare untereinander, einige kurze Gespräche gestalteten sich herzlich - nur scheint mir der Umsatz nicht befriedigend gewesen zu sein bei einigen Kollegen. Das tat mir leid; die meisten Antiquare sind nicht fähig, mit strahlendem Lächeln über nicht recht gelungene Geschäfte hinwegzutäuschen. Dies ehrt die Antiquare, sie sind menschlich, ehrlich und noch keine Geschäftsroboter geworden.
Nach längerem Aufenthalt, auch auf dem neoweiß-kitschigen Caféaltar, schlägt die B u n k e r - Stimmung des Gebäudes doch aufs Gemüt, überdies stimmt die Klimatisierung in der Muschel nicht, es riecht penetrant nach Beton-Muff und übelster Klimaanlage, so roch es in der "neuen" Freiburger Beton-Universitätsbibliothek, die jetzt gerade abgerissen wird, weil es niemand darin aushalten konnte. Der Audi-Muschel wird es vermutlich nicht besser gehen.
Mir tun die Kollegen leid, die es im Führerbunker ja tagelang aushalten mußten. Ich bin zweimal daraus geflüchtet und habe, der Sauna entronnen, erst einmal tief aufgeatmet in der Herbstluft.
Aus einiger Ferne herbeigeeilt war ich wegen der Jahrestagung der AG mit Vortrag über den ZVAB-Büchermichel (Ende Vormittag) und der Werbeveranstaltung des Amazon-Abebooks-ZVAB-Konzerns, die auf den frühen Abend angesetzt war.
Die Versammlung der AG war nicht nur schlecht besucht, sie wurde zu einer Abstimmung der Antiquare - die ja in der Halle nebenan präsent waren - mit den Füßen, wie sie grausamer nicht hätte ausfallen können. Dr. Biester hatte mit herzlichen Worten auch Gäste eingeladen, indessen es half nichts. Als hätte Biester uns vor Augen führen wollen, daß die AG in ihrer gegenwärtigen Form nahezu "tot" ist und bei den Antiquaren absolut keinen Zuspruch findet, saß ein winziges, verlorenes Grüppchen rund um das große Tischviereck - gespenstisch, eine Geisterveranstaltung.
Es kam durch die echte, warmherzige Freundlichkeit des Vorsitzenden der AG und die tapfere Sachlichkeit Dr. Biesters, ihres Geschäftsführers, trotzdem zu einer kurzen, aber guten und aus meiner Sicht ertragreichen, vernünftigen Diskussion einiger aktueller Anliegen der AG. Als Gast bin ich zu näheren Ausführungen nicht befugt, das lesen Sie bitte in börsenblatt.net nach.
Ich bin Dr. Biester heute zum erstenmal persönlich begegnet. Hinter seiner Hamburger Korrektheit und vermeintlichen Kühle verbirgt sich ein kluges und durchaus zu bewegendes Herz. Ich sage das, obgleich wir uns außerhalb der AG-Versammlung wie Katz und Hund aus dem Weg gegangen sind, ich, weil ich ihn nicht dadurch kompromittieren wollte, mit mir schwarzem Schaf gesehen zu werden, er, weil er mich wohl für arrogant und kontaktscheu halten mußte.
Beides war nicht der Fall und beim nächsten Mal in Frankfurt werden wir uns, so denke ich, an einen Tisch setzen und miteinander diskutieren.
Die anschließende Vorstellung des ZVAB-Büchermichel, die der Chef des recht bedeutenden Schwaneberger-Verlags selbst hielt, war aus seiner Sicht instruktiv. Aus Sicht des praktischen Antiquars aber mußte das Urteil über den Büchermichel weiterhin vernichtend ausfallen, und wirklich hatte auch bisher keiner der anwesenden Kollegen längere Zeit mit dem fehlgeplanten Gebilde arbeiten wollen - außer meiner Wenigkeit, der ich einen halben Tag lang im Juli gelitten, gebrüllt und gelacht hatte, als ich diese Mißgeburt testen mußte.
Mir tun die Schwaneberger-Leute leid. Sie haben es versäumt, mit praktisch arbeitenden Kollegen des Mittelfelds Tests zu veranstalten, von ihnen Erfahrungen einzuholen. Ein ganzer Rattenschwanz von Faktoren wurde falsch, schief, unglücklich übertragen oder auch - schlimmer - nicht übertragen zwischen der Philatelie und dem Antiquariat, vor allem wurde die Bildung eindeutiger, blitzschnell zu erkennender typischer Mittelpreise unter Zugrundelegung vordefinierter mittlerer Zustände versäumt.
Das Ding ist schauerlich mißraten und muß völlig neu aufgebaut werden. In der jetzigen Form ist es eine Totgeburt.
Die Abendveranstaltung der vereinigten Amazonknechte war - vordergründig in herzlicher Stimmung - durchaus gelungen, bei näherem Hinsehen aber eine groteske Farce. Das lag schon an der Planung. Die auf der Antiquariatsmesse anwesenden Antiquare sind allesamt nicht sonderlich interessiert am Absatz über Bücherportale. Der große Vorsitzende Köstler hatte das ja schon bei dem Umfrage von "Buchreport" lakonisch festgestellt: Die Mitglieder des Verbands würden nur wenig berührt von der ZVAB-Frage.
Daß also dieses Meeting, an dem 950 der 1000 Antiquare in Deutschland brennend interessiert gewesen wären, ausgerechnet unter den 50 abgehalten wurde, die es nur höchst sekundär bewegt, ist ein peinlicher Mißgriff gewesen. Ähnlich schauerlich war die Idee, zunächst einen, dann mehrere lockere Stehkonvente abzuhalten, bei denen Wesentliches in unbeschreiblichem Sprachgewirr untergehen mußte.
Ich war dann doch sehr dankbar für ein langes, wenn auch im Stehen und unter akustischer Quälerei geführtes Gespräch mit einem der Verantwortlichen. Dazu schreibe ich nichts weiter zu dieser späten Stunde. Nur soviel: Ich habe ihm den offenen Kampf der an Amazon verkauften Antiquare für die nächste Zeit angesagt - und er hat bis zum Schluß nicht begriffen, was die 950 Kollegen an der Amazon-Konzentration stört und welche Gefahren sie auf sich zukommen sehen.
Während die Abebooks-Verantwortlichen, besonders der Herr, mit dem ich sprach, einen sehr kompetenten, außerordentlich klugen und wohlunterrichteten Eindruck machten, ist mein langjähriger Zweifel an Herrn Heinisch durch die erstmalige, wenn auch nur zuhörende Begegnung aus kurzer Distanz leider voll bestärkt worden. Dazu nichts weiter.
Und nun verabschiede ich mich. Dieser Tag hat mir die Kollegen aus dem Spitzenbereich unserer Branche doch nähergebracht, ich konnte erkennen, daß sie sympathisch sind, ferner habe ich jetzt einen persönlichen Eindruck von Dr. Biester. Das war die Reise wert.
Die Buchmesse, in deren größeren Rahmen die Antiquariatsmesse ja eingebettet ist, hat mir den langen Tag über herzliche Begegnungen mit (sehr) hübschen jungen und etwas verwirrten, aber sympathischen älteren Damen gebracht - ist die Buchmesse ein alljährliches Kontaktforum für musische anschlußsuchende Damen? Buchhändlerinnen vor allem sind in Frankfurt euphorisch gestimmt, es steht Frauen gut, wenn sie kulturell arbeiten! Die kulturvollen Männer wirken da schon eher etwas konfus und unordentlich, es sei denn, sie gehören der Verlagsbranche an und wuseln schwarzgekleidet und arrogant durch die Gänge.
Wie auch immer, ich habe mich schon lang nicht mehr so gut unterhalten einen langen Messetag hindurch, von 10 Uhr bis lang nach 19 Uhr. Mein Rat für nächstes Jahr: Wer sich einsam fühlt, wer hübsche und doch auch kluge, sensitive Frauen mag - auf nach Frankfurt!
Soviel zur Buchmesse. Die vielen Stätten zum Kaffeetrinken, das Schlendern von Stand zu Stand, die Sitzbereiche im Freien bei strahlender Herbstsonne, und hinter jeder Biegung wieder eine reizende Frau: So wollen wirs immer haben...
Die Antiquariatsmesse im besonderen war diesmal in jener großen Betonmuschel untergebracht, die der Audi-Konzern gesponsert hat. An einer reichlich wilden, aber nicht unästhetischen Riesenhalle, in der den Automobilen dieser Marke buchstäblich ein Weihegottesdienst zelebriert wird, drückt man sich vorbei, um dann in einen bunkerhaft niedrigen, zugleich aber urgemütlichen Bereich zu gelangen, in dem die Antiquare ihre Waben einrichten durften. Farben und Standanordnung fand ich sehr gelungen, über eine unendlich geschmacklose Café-Empore mit in Schönheit erstarrten, dummfrechen jungen weiblichen Schnöseln mußte man hinwegsehen.
Ich hatte diesmal einen sehr positiven Eindruck von der Stimmung der Antiquare untereinander, einige kurze Gespräche gestalteten sich herzlich - nur scheint mir der Umsatz nicht befriedigend gewesen zu sein bei einigen Kollegen. Das tat mir leid; die meisten Antiquare sind nicht fähig, mit strahlendem Lächeln über nicht recht gelungene Geschäfte hinwegzutäuschen. Dies ehrt die Antiquare, sie sind menschlich, ehrlich und noch keine Geschäftsroboter geworden.
Nach längerem Aufenthalt, auch auf dem neoweiß-kitschigen Caféaltar, schlägt die B u n k e r - Stimmung des Gebäudes doch aufs Gemüt, überdies stimmt die Klimatisierung in der Muschel nicht, es riecht penetrant nach Beton-Muff und übelster Klimaanlage, so roch es in der "neuen" Freiburger Beton-Universitätsbibliothek, die jetzt gerade abgerissen wird, weil es niemand darin aushalten konnte. Der Audi-Muschel wird es vermutlich nicht besser gehen.
Mir tun die Kollegen leid, die es im Führerbunker ja tagelang aushalten mußten. Ich bin zweimal daraus geflüchtet und habe, der Sauna entronnen, erst einmal tief aufgeatmet in der Herbstluft.
Aus einiger Ferne herbeigeeilt war ich wegen der Jahrestagung der AG mit Vortrag über den ZVAB-Büchermichel (Ende Vormittag) und der Werbeveranstaltung des Amazon-Abebooks-ZVAB-Konzerns, die auf den frühen Abend angesetzt war.
Die Versammlung der AG war nicht nur schlecht besucht, sie wurde zu einer Abstimmung der Antiquare - die ja in der Halle nebenan präsent waren - mit den Füßen, wie sie grausamer nicht hätte ausfallen können. Dr. Biester hatte mit herzlichen Worten auch Gäste eingeladen, indessen es half nichts. Als hätte Biester uns vor Augen führen wollen, daß die AG in ihrer gegenwärtigen Form nahezu "tot" ist und bei den Antiquaren absolut keinen Zuspruch findet, saß ein winziges, verlorenes Grüppchen rund um das große Tischviereck - gespenstisch, eine Geisterveranstaltung.
Es kam durch die echte, warmherzige Freundlichkeit des Vorsitzenden der AG und die tapfere Sachlichkeit Dr. Biesters, ihres Geschäftsführers, trotzdem zu einer kurzen, aber guten und aus meiner Sicht ertragreichen, vernünftigen Diskussion einiger aktueller Anliegen der AG. Als Gast bin ich zu näheren Ausführungen nicht befugt, das lesen Sie bitte in börsenblatt.net nach.
Ich bin Dr. Biester heute zum erstenmal persönlich begegnet. Hinter seiner Hamburger Korrektheit und vermeintlichen Kühle verbirgt sich ein kluges und durchaus zu bewegendes Herz. Ich sage das, obgleich wir uns außerhalb der AG-Versammlung wie Katz und Hund aus dem Weg gegangen sind, ich, weil ich ihn nicht dadurch kompromittieren wollte, mit mir schwarzem Schaf gesehen zu werden, er, weil er mich wohl für arrogant und kontaktscheu halten mußte.
Beides war nicht der Fall und beim nächsten Mal in Frankfurt werden wir uns, so denke ich, an einen Tisch setzen und miteinander diskutieren.
Die anschließende Vorstellung des ZVAB-Büchermichel, die der Chef des recht bedeutenden Schwaneberger-Verlags selbst hielt, war aus seiner Sicht instruktiv. Aus Sicht des praktischen Antiquars aber mußte das Urteil über den Büchermichel weiterhin vernichtend ausfallen, und wirklich hatte auch bisher keiner der anwesenden Kollegen längere Zeit mit dem fehlgeplanten Gebilde arbeiten wollen - außer meiner Wenigkeit, der ich einen halben Tag lang im Juli gelitten, gebrüllt und gelacht hatte, als ich diese Mißgeburt testen mußte.
Mir tun die Schwaneberger-Leute leid. Sie haben es versäumt, mit praktisch arbeitenden Kollegen des Mittelfelds Tests zu veranstalten, von ihnen Erfahrungen einzuholen. Ein ganzer Rattenschwanz von Faktoren wurde falsch, schief, unglücklich übertragen oder auch - schlimmer - nicht übertragen zwischen der Philatelie und dem Antiquariat, vor allem wurde die Bildung eindeutiger, blitzschnell zu erkennender typischer Mittelpreise unter Zugrundelegung vordefinierter mittlerer Zustände versäumt.
Das Ding ist schauerlich mißraten und muß völlig neu aufgebaut werden. In der jetzigen Form ist es eine Totgeburt.
Die Abendveranstaltung der vereinigten Amazonknechte war - vordergründig in herzlicher Stimmung - durchaus gelungen, bei näherem Hinsehen aber eine groteske Farce. Das lag schon an der Planung. Die auf der Antiquariatsmesse anwesenden Antiquare sind allesamt nicht sonderlich interessiert am Absatz über Bücherportale. Der große Vorsitzende Köstler hatte das ja schon bei dem Umfrage von "Buchreport" lakonisch festgestellt: Die Mitglieder des Verbands würden nur wenig berührt von der ZVAB-Frage.
Daß also dieses Meeting, an dem 950 der 1000 Antiquare in Deutschland brennend interessiert gewesen wären, ausgerechnet unter den 50 abgehalten wurde, die es nur höchst sekundär bewegt, ist ein peinlicher Mißgriff gewesen. Ähnlich schauerlich war die Idee, zunächst einen, dann mehrere lockere Stehkonvente abzuhalten, bei denen Wesentliches in unbeschreiblichem Sprachgewirr untergehen mußte.
Ich war dann doch sehr dankbar für ein langes, wenn auch im Stehen und unter akustischer Quälerei geführtes Gespräch mit einem der Verantwortlichen. Dazu schreibe ich nichts weiter zu dieser späten Stunde. Nur soviel: Ich habe ihm den offenen Kampf der an Amazon verkauften Antiquare für die nächste Zeit angesagt - und er hat bis zum Schluß nicht begriffen, was die 950 Kollegen an der Amazon-Konzentration stört und welche Gefahren sie auf sich zukommen sehen.
Während die Abebooks-Verantwortlichen, besonders der Herr, mit dem ich sprach, einen sehr kompetenten, außerordentlich klugen und wohlunterrichteten Eindruck machten, ist mein langjähriger Zweifel an Herrn Heinisch durch die erstmalige, wenn auch nur zuhörende Begegnung aus kurzer Distanz leider voll bestärkt worden. Dazu nichts weiter.
Und nun verabschiede ich mich. Dieser Tag hat mir die Kollegen aus dem Spitzenbereich unserer Branche doch nähergebracht, ich konnte erkennen, daß sie sympathisch sind, ferner habe ich jetzt einen persönlichen Eindruck von Dr. Biester. Das war die Reise wert.
Donnerstag, 13. Oktober 2011
Thesenpapier zur Interessenvertretung der Antiquare durch die AG im Börsenverein
"Diskutiert werden soll außerdem die Frage, wie effektivere Interessenvertretung für den Antiquariatsbuchhandel gelingen kann"
Hierzu ein T h e s e n p a p i e r als Gastbeitrag
mit der Bitte um Kopie und Auslage.
Nach alter Tradition haben Gäste kein Rederecht. Sie legen deshalb externe Arbeitspapiere vor, die in die Diskussion einfließen können - falls einer der Teilnehmer sie gelesen hat, was nicht selbstverständlich ist.
Unser Gewerbe zerfällt in drei sehr deutlich voneinander unterschiedene Bereiche. Interessen, Arbeitsmethoden, Kapitalausstattung, Selbstbild und Kundenbeurteilung sind zwischen diesen drei Schichten sehr unterschiedlich, oft übrigens auch die Charaktere (aber lassen wir das).
(1) Das Edelantiquariat
Halten zu Gnaden, ich habe für diesen Begriff auch nach anderthalb Jahrzehnten der Diskussion einfach keinen Ersatz finden können. Er trifft das Image dieser Kollegen genau. Wenn ich die Liste der Messeteilnehmer durchgehe, haben wir da eine perfekte Musterkarte des deutschen Edelantiquariats.
Die Interessen, Sorgen, Bedürfnisse der etwa 50 Edelantiquariate im deutschen Sprachbereich werden durch die - freilich bescheidene und nach meiner Einschätzung streckenweise ineffektive - Vertretung durch den V e r b a n d hinreichend abgedeckt. Ich sehe da keinen Handlungsbedarf durch eine Parallelorganisation.
Eine notwendige Anmerkung: Der Verband umfaßt neben den echten Edelantiquaren, die ich wie bemerkt auf rd. 50 beziffere, noch das Mehrfache solcher Kollegen, die gern Edelantiquare sein würden, es aber nicht sind. Diese "unechte" Gruppe, etwa 200-300 Antiquare, bedarf einer Interessenvertretung am dringendsten:
Eine Auswahl von ihnen treffen wir auf Messen, hochpreisige Ware ist ihnen nicht fremd, nimmt aber im Wertschränkchen eher eine Ausnahmestellung ein. Ihr Arbeitsfeld ist entweder ein gutes Allgemeinsortiment im Laden, mit enger regionaler Kunden- und Ankaufsbindung, oder sie betreiben emsig Internetverkauf mit oft überraschen hohen katalogisierten Buchmengen. Hinzu kommen die echten Fachantiquare, auch sie rechne ich der Mittelschicht zu, freilich mit der Überzeugung, daß Fachantiquare immer ihr eigenes Süppchen kochen (müssen) und gut daran tun, sich separat zu vernetzen.
Bei den Kollegen des Mittelfelds beginnen schon ganz deutlich die akuten Sorgen und Probleme unseres Berufsstands. Eine ganz typische Scham, die der "verschämten Armut" des früheren Mittelstands verzweifelt ähnlich ist, hindert sie daran, ihre Anliegen deutlich zu formulieren. Sie sind die treuesten Verbandsmitglieder, denn es ist für sie eine Ehrensache, nominell zum Edelantiquariat zu gehören. Nur im direkten Gespräch bringt man sie dazu zuzugeben, wie lächerlich gering ihre Kapitaldecke ist, wie unzureichend ihre Einkünfte sind, wie sie unter dem Zwang zu nervtötender Titeleingabe bis spät in die Nacht schier zugrundegehen und daß die ganze Organisation ihres Berufsstandes bisher für sie eher ein lächerlicher, peinlicher P o p a n z ist denn eine Hilfe.
Diese Kollegen, die ich aufgrund älterer, freilich von mir hausgemachter statistischer Versuche auf etwa 200-300 schätze, schleppen einen Rattenschwanz ungelöster Probleme mit sich herum. Ich wiederhole mich: Erst bei intensiveren Gesprächen geben sie ihre problematische Lage zu. Tatsächlich leiden viele Antiquare dieser Schicht - um nur ein Beispiel zu nennen - wie die Hunde unter jener vom Verband abgesegneten Abkassiererei durch gebührenpflichtige Preisdatenbanken, ebenso ärgerlich wie etwa die Jahresgebühren der Handelskammer. Freilich - hat sich je einer über die vom Verband verordneten Preisdatenbanken öffentlich beschwert? Das würde ja bedeuten, seine Geldknappheit zuzugeben, und was denken die Kollegen dann im Verband?
(3) Antiquare am Rand und im Keller
Die restlichen 500-600 Antiquare sind mehr oder minder armselige Malocher. Hier reicht die Bandbreite vom Ebay-Sklaven bis zum Flohmarkt- und Mensakistenverkäufer. Was man diesen Leuten, fast immer im Grenzbereich zur Sozialhilfe, Gutes tun kann, sollte man machen - auch wenn höllisch aufgepaßt werden muß, um die beiden gefährlichen Feinde unseres Berufsstandes, Momox und die "Geschenkt"-Ketten nach Schweizer Vorbild, unter ihnen zu erkennen und ihnen bei jeder Gelegenheit auf die Finger zu hauen.
Diese "Rand- und Kellerantiquare" sind in der Regel nicht in der Lage und auch nicht willens, die Probleme ihres Berufsstands zu erkennen. In ihren Foren beißen sie sich in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten fest, aus langjähriger Erfahrung wissen wir, daß es völlig sinnlos wäre, die Unterschicht des Antiquariats zu organisieren. Das soll nicht hart klingen, es ist einfach Fakt.
+++++++++++++++++++++++
Also geht es, so meine These, bei der Frage "wie effektivere Interessenvertretung für den Antiquariatsbuchhandel gelingen kann" um eine Organisation des Mittelfelds unseres Gewerbes. Wir sollten nur im Sinn haben, daß unter der "Oberschicht" wirklich nur die echten 50 Antiquare zu verstehen sind bei diesem Modell. Alle anderen gehören ins Mittelfeld, sie haben dort sehr t y p i s c h e Interessen, Anliegen und Sorgen.
Über die Problematik der Genossenschaft breiten wir heute gnädig den Mantel des Schweigens. Ich höre in jüngster Zeit nichts Gutes von dort, die Kollegen sind in einer kritischen Phase.
Wie organisiert die AG also die 200-300 Antiquare des Mittelfelds?
Ich hoffe, daß die anwesenden und zur Rede autorisierten Mitglieder der AG im Börsenverein unter sich eine rege Diskussion dieser Kernfrage führen werden. Als schweigender Gast deute ich nur meinen Lösungsvorschlag an:
A.
Es sollte eine neue, sozusagen eine " L i g h t -"Form der Mitgliedschaft in der AG geschaffen werden. Damit die Satzung nicht geändert werden muß, kann man sowas auch durch Zusatz zur Satzung regeln. Die "Light-Mitglieder" brauchen durch ihre Teilnahme auch keine Mitglieder im Börsenverein zu werden, man hat da großen organisatorischen Spielraum.
B.
Ausgehend von Björn Biesters doch recht gutem Adressenmaterial sollte der g a n z e Kreis der 200-300 Antiquare des Mittelfelds zur Teilnahme aufgefordert und eingeworben werden. Nach den bisherigen Erfahrungen ist eine Mailingliste kombiniert mit einer Art Yahoo-Forum die beste Lösung. Nur wenn der Antiquar die täglichen Beiträge und Meldungen im Briefkasten hat, wird er zur Kenntnisnahme und Beteiligung angestoßen. Es gibt im Grunde bis heute keinen Ersatz für das Procedere der guten alten Hess-Runde.
C.
Wenn diese erweiterte AG zur Interessenvertretung werden soll, dann müssen demokratische Abstimmungs- und Entscheidungsformen gefunden werden. Eine berufliche Interessenvertretung ist nichts anderes als ein P a r l a m e n t im Kleinen. Abstimmungen sind heute elektronisch in ausgefeilter Form möglich, Diskussionen und Resolutionen können gesteuert und eingegrenzt werden.
In anderen Berufsgruppen ist das alles selbstverständlich.
Behalten Sie bitte im Auge, daß meine Vorschläge sich untereinander bedingen. Verwirklicht man nur einen Teil, können die restlichen Faktoren beschädigt oder verunmöglicht werden.
Peter Mulzer
Hierzu ein T h e s e n p a p i e r als Gastbeitrag
mit der Bitte um Kopie und Auslage.
Nach alter Tradition haben Gäste kein Rederecht. Sie legen deshalb externe Arbeitspapiere vor, die in die Diskussion einfließen können - falls einer der Teilnehmer sie gelesen hat, was nicht selbstverständlich ist.
Unser Gewerbe zerfällt in drei sehr deutlich voneinander unterschiedene Bereiche. Interessen, Arbeitsmethoden, Kapitalausstattung, Selbstbild und Kundenbeurteilung sind zwischen diesen drei Schichten sehr unterschiedlich, oft übrigens auch die Charaktere (aber lassen wir das).
(1) Das Edelantiquariat
Halten zu Gnaden, ich habe für diesen Begriff auch nach anderthalb Jahrzehnten der Diskussion einfach keinen Ersatz finden können. Er trifft das Image dieser Kollegen genau. Wenn ich die Liste der Messeteilnehmer durchgehe, haben wir da eine perfekte Musterkarte des deutschen Edelantiquariats.
Die Interessen, Sorgen, Bedürfnisse der etwa 50 Edelantiquariate im deutschen Sprachbereich werden durch die - freilich bescheidene und nach meiner Einschätzung streckenweise ineffektive - Vertretung durch den V e r b a n d hinreichend abgedeckt. Ich sehe da keinen Handlungsbedarf durch eine Parallelorganisation.
Eine notwendige Anmerkung: Der Verband umfaßt neben den echten Edelantiquaren, die ich wie bemerkt auf rd. 50 beziffere, noch das Mehrfache solcher Kollegen, die gern Edelantiquare sein würden, es aber nicht sind. Diese "unechte" Gruppe, etwa 200-300 Antiquare, bedarf einer Interessenvertretung am dringendsten:
(2) Die Antiquare des Mittelfelds
Eine Auswahl von ihnen treffen wir auf Messen, hochpreisige Ware ist ihnen nicht fremd, nimmt aber im Wertschränkchen eher eine Ausnahmestellung ein. Ihr Arbeitsfeld ist entweder ein gutes Allgemeinsortiment im Laden, mit enger regionaler Kunden- und Ankaufsbindung, oder sie betreiben emsig Internetverkauf mit oft überraschen hohen katalogisierten Buchmengen. Hinzu kommen die echten Fachantiquare, auch sie rechne ich der Mittelschicht zu, freilich mit der Überzeugung, daß Fachantiquare immer ihr eigenes Süppchen kochen (müssen) und gut daran tun, sich separat zu vernetzen.
Bei den Kollegen des Mittelfelds beginnen schon ganz deutlich die akuten Sorgen und Probleme unseres Berufsstands. Eine ganz typische Scham, die der "verschämten Armut" des früheren Mittelstands verzweifelt ähnlich ist, hindert sie daran, ihre Anliegen deutlich zu formulieren. Sie sind die treuesten Verbandsmitglieder, denn es ist für sie eine Ehrensache, nominell zum Edelantiquariat zu gehören. Nur im direkten Gespräch bringt man sie dazu zuzugeben, wie lächerlich gering ihre Kapitaldecke ist, wie unzureichend ihre Einkünfte sind, wie sie unter dem Zwang zu nervtötender Titeleingabe bis spät in die Nacht schier zugrundegehen und daß die ganze Organisation ihres Berufsstandes bisher für sie eher ein lächerlicher, peinlicher P o p a n z ist denn eine Hilfe.
Diese Kollegen, die ich aufgrund älterer, freilich von mir hausgemachter statistischer Versuche auf etwa 200-300 schätze, schleppen einen Rattenschwanz ungelöster Probleme mit sich herum. Ich wiederhole mich: Erst bei intensiveren Gesprächen geben sie ihre problematische Lage zu. Tatsächlich leiden viele Antiquare dieser Schicht - um nur ein Beispiel zu nennen - wie die Hunde unter jener vom Verband abgesegneten Abkassiererei durch gebührenpflichtige Preisdatenbanken, ebenso ärgerlich wie etwa die Jahresgebühren der Handelskammer. Freilich - hat sich je einer über die vom Verband verordneten Preisdatenbanken öffentlich beschwert? Das würde ja bedeuten, seine Geldknappheit zuzugeben, und was denken die Kollegen dann im Verband?
(3) Antiquare am Rand und im Keller
Die restlichen 500-600 Antiquare sind mehr oder minder armselige Malocher. Hier reicht die Bandbreite vom Ebay-Sklaven bis zum Flohmarkt- und Mensakistenverkäufer. Was man diesen Leuten, fast immer im Grenzbereich zur Sozialhilfe, Gutes tun kann, sollte man machen - auch wenn höllisch aufgepaßt werden muß, um die beiden gefährlichen Feinde unseres Berufsstandes, Momox und die "Geschenkt"-Ketten nach Schweizer Vorbild, unter ihnen zu erkennen und ihnen bei jeder Gelegenheit auf die Finger zu hauen.
Diese "Rand- und Kellerantiquare" sind in der Regel nicht in der Lage und auch nicht willens, die Probleme ihres Berufsstands zu erkennen. In ihren Foren beißen sie sich in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten fest, aus langjähriger Erfahrung wissen wir, daß es völlig sinnlos wäre, die Unterschicht des Antiquariats zu organisieren. Das soll nicht hart klingen, es ist einfach Fakt.
+++++++++++++++++++++++
Über die Problematik der Genossenschaft breiten wir heute gnädig den Mantel des Schweigens. Ich höre in jüngster Zeit nichts Gutes von dort, die Kollegen sind in einer kritischen Phase.
Wie organisiert die AG also die 200-300 Antiquare des Mittelfelds?
Ich hoffe, daß die anwesenden und zur Rede autorisierten Mitglieder der AG im Börsenverein unter sich eine rege Diskussion dieser Kernfrage führen werden. Als schweigender Gast deute ich nur meinen Lösungsvorschlag an:
A.
Es sollte eine neue, sozusagen eine " L i g h t -"Form der Mitgliedschaft in der AG geschaffen werden. Damit die Satzung nicht geändert werden muß, kann man sowas auch durch Zusatz zur Satzung regeln. Die "Light-Mitglieder" brauchen durch ihre Teilnahme auch keine Mitglieder im Börsenverein zu werden, man hat da großen organisatorischen Spielraum.
B.
Ausgehend von Björn Biesters doch recht gutem Adressenmaterial sollte der g a n z e Kreis der 200-300 Antiquare des Mittelfelds zur Teilnahme aufgefordert und eingeworben werden. Nach den bisherigen Erfahrungen ist eine Mailingliste kombiniert mit einer Art Yahoo-Forum die beste Lösung. Nur wenn der Antiquar die täglichen Beiträge und Meldungen im Briefkasten hat, wird er zur Kenntnisnahme und Beteiligung angestoßen. Es gibt im Grunde bis heute keinen Ersatz für das Procedere der guten alten Hess-Runde.
C.
Wenn diese erweiterte AG zur Interessenvertretung werden soll, dann müssen demokratische Abstimmungs- und Entscheidungsformen gefunden werden. Eine berufliche Interessenvertretung ist nichts anderes als ein P a r l a m e n t im Kleinen. Abstimmungen sind heute elektronisch in ausgefeilter Form möglich, Diskussionen und Resolutionen können gesteuert und eingegrenzt werden.
In anderen Berufsgruppen ist das alles selbstverständlich.
Behalten Sie bitte im Auge, daß meine Vorschläge sich untereinander bedingen. Verwirklicht man nur einen Teil, können die restlichen Faktoren beschädigt oder verunmöglicht werden.
Peter Mulzer
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