Sehr geehrter Herr Dr. Biester,
1.
gestatten Sie eine kritische Randbemerkung: Es ist nicht schön, wenn Sie feierlich um Stellungnahmen zu einer - aktuellen, wichtigen - Frage bitten, mit Namensnennung des Einsenders, dann aber unter der Begründung "Auf die Boersenblatt.net-GIAQ-Umfrage von letzter Woche gab es leider kaum Resonanz, bei weitem zu wenig für eine Veröffentlichung" die mühsam erstellten kurzen und längeren Antworten in den Papierkorb der Redaktion befördern.
Da würde man sich etwas mehr Achtung vor der Lesermitarbeit wünschen. Oder hatten Sie doch eher eine "repräsentative Abstimmung" im Auge, die nur bei hoher Beteiligung Sinn gemacht haben würde? Dann formulieren Sie bitte in Zukunft präziser. Das schüttere Pflänzchen der Lesermitarbeit sollte man begießen und hegen, nicht zertrampeln.
Das Börsenblatt, Abteilung Antiquariat, gilt bei den Kollegen ohnehin nicht gerade als leserfreundlich, seitdem dort die Kommentarfunktion abgeschaltet worden ist. In Frankfurt konnte ich, leicht erstaunt, vernehmen, daran seid vor allen Dingen ich schuld. Aber: ein Wort an meine Adresse würde genügt haben, um mich zu einem freiwilligen Schreibverbot zu bewegen in einem Medium, das meine Beteiligung nicht wünscht.
Nicht so zaghaft, lieber Dr. Biester!
2.
Sie stellen uns eine ganz ausgezeichnete Bestandsaufnahme und Zukunftsvorhersage ad oculos, die für den N e u buchhandel erstellt worden ist. Ich schließe mich Ihrer Beurteilung an, hier wurde solide gearbeitet, man ahnt die Materialfülle, die in langer Arbeit zusammengetragen wurde, um dann zu komprimierten klaren Sätzen destilliert zu werden. Es macht Freude, das zu lesen, auch wenn man sich den Vorhersagen nicht immer anschließen mag.
Freilich scheint es mir unfair und nicht sachgerecht, wenn Sie uns Antiquaren eine ähnliche Bestandsaufnahme wünschen und sie als Voraussetzung für weitere Arbeit einfordern. Denn bei uns A l t buchhändlern geht es nicht nur wie bei den Zigeunern im grünen Wagen zu (um mit der Leitung des Börsenvereins zu sprechen), sondern es ist tatsächlich alles viel komplizierter als bei den Kollegen der Neubuchbranche.
Viele Neubuchhändler würden jämmerlich scheitern, wenn sie ein Antiquariat führen müßten. Aber nicht nur die erforderliche lexikalische Durchbildung macht unseren Beruf so kompliziert, auch nicht das Sichmerken und in Beziehung setzen von Tausenden von Buchpreisen, sondern vor allem das Vorkommen mehrerer, grundlegend unterschiedener S c h i c h t e n, besser Arten im Antiquariat. Nicht nur "Betriebsformen", sondern tiefgehend ganz unterschiedliche Arten von "Antiquariat" mit sehr divergierenden Lebens- und Arbeitsformen.
Eine Analyse der Situation, eine Bestandsaufnahme im Antiquariat setzt voraus, daß wir 5 (fünf) Schichten bzw. Arten des Antiquariats unter 4 (vier) Betriebsformen untersuchen. Die einzelnen Felder gehen natürlich ineinander über, viele Antiquare vereinigen mehrere Arten und Betriebsformen unter ihrem Dach. Ich setze meine Schätzungen zur Anzahl der Betriebsformen dahinter, die Summe ergibt wegen Mehrfachnennungen jeweils mehr als die 800 realistisch anzunehmenden Antiquariate in D, CH, A
Seltenheitsantiquariat (versteigerungsfähige Titel über etwa 50 Euro) ...50
Gehobenes Allgemeinantiquariat (mit Internet- und Handbuch-Bearbeitung ganzer Bibliotheken, themenuniversell und überzeitlich) ...150
Fachantiquariat ...50
Einfaches Antiquariat (auch Nachlässe, aber ohne systematische Internet-, auch ohne Handbuch-Bearbeitung, meist billigere Ware) ...300
Billigantiquariat (einfache Läden, "Kistenschieber", Flohmarkt, kleine Messen, Universitäts-Stände, MA im unteren Preisbereich) ...400
Die Betriebsformen sind:
Internet- und Katalogantiquariat (tatsächlich heute fast untrennbar verbunden) ...500
Ladenantiquariat ...200
Billigversand (Ebay- und Amazongrundlage, meist gebrauchte moderne Titel) ...300
Flohmarkt- und Kleinmessen-Händler ...200
Wir sehen, daß eine Bestandsaufnahme im Antiquariat tatsächlich Unfug wäre, da man sich aus den Gemeinplätzen nicht mehr herausretten könnte.
Es würde uns aber gut anstehen, zu E i n z e l aspekten im Antiquariat Analysen und Prognosen durchzudenken und in Thesenform zur Diskussion zu stellen.
3.
Ich habe die Genossenschaft zehn Jahre hindurch so erbarmungslos (mitunter auch stillos) kritisiert, daß man mir zuhören darf, wenn ich die Skepsis von Dr. Biester in diesem Punkt nicht teile - der Genossenschaftsgedanke ist aktuell, t r a g f ä h i g und auch unbedingt notwendig in der jetzigen Lage unseres Gewerbes, wenn er nur
- mit den Stützpfählen einer a l l g e m e i n e n Berufsvertretung ("Berufsverein") unterfangen wird und dadurch
- über ein schnell handelndes, demokratisch gestaltetes Diskussions- und Entscheidungsgremium verfügt.
Genossenschaft und Berufsverein können Hand in Hand alle Probleme unseres Gewerbes lösen.
Das Bild gehört dem heraugebenden Musikverlag