Donnerstag, 10. November 2011

GIAQ-Tagung: Portal einstellen, Webseitenverbund für alle Antiquare gründen, mit Amazon verhandeln


Der eine oder andere Teilnehmer an der Jubiläumsveranstaltung jener Genossenschaft der Internet-Antiquare, die am 12. in Berlin stattfindet, wird sich in diesen Blog verirren. Ich will ihm in Gestalt einiger Zeilen Wegzehrung mit auf den Weg geben.

1.
Zunächst ein Geständnis. Ich hatte den Genossenschaftsgedanken vor rund 12 Jahren in der Hess-Runde entwickelt aus einer recht unklaren Grundvorstellung heraus, man müsse sich in einer Berufsgruppe ähnlich solidarisch organisieren, wie es Pfadfinder oder Flüchtlinge aus Ostpreußen, Anhänger des Bischofs Lefèvre oder Briefmarkensammler tun: Begeistert, ohne persönliche Interessen, auf ein gemeinsames Ziel hin, freundlich und fröhlich. Meine DDR-Zeit war mir noch deutlich in Erinnerung und sozialistische Motive spukten mir wohl auch im Kopf herum.

Dieses unklare, aber interessante Konglomerat von Vorstellungen und Plänen bestand die Probe vor dem Realitätssinn der meisten Kollegen nicht. Im Rückblick hätte ich das schon wissen sollen, was mir erst Jahre später langsam und schmerzhaft klar wurde: Die Antiquare sind in ihrer Mehrheit weder romantisch noch gelehrt, auch nicht weltfremd - sondern unbeschreiblich und ganz besonders  n ü c h t e r n, sachbezogen und phantasielos. Was ich zuviel hatte, Phantasie nämlich, besaßen sie zu wenig.

So wurden meine schönen Genossenschaftspläne, die ich seitenweise beschrieben hatte in jenem Rundsendedienst aus Bern, der wirklich alle Kollegen täglich erreicht hatte, gnadenlos zusammen- und niedergebügelt zu einem Z w e c k v e r b a n d  mit dem nahezu einzigen konkreten Ziel, dem Kauf des ZVAB, der damals absolut marktbeherrschenden Bücherdatenbank mit Verkaufsportal.

Mir schwante von dem Augenblick an Schlimmes, als man mich aus der vorbereitenden Diskussionsgruppe ausschloß. Bei der Gründungsversammlung vor 10 Jahren in Berlin, an der ich teilnahm, wurde zementiert, was ich sofort als entscheidenden Sargnagel der Genossenschaft erkannte - auf eine weite Öffnung hin zu möglichst  a l l e n  Antiquaren wurde verzichtet zugunsten einer rigorosen Festlegung auf hohe Eintrittsgebühren.

Was ich gewollt und gefordert hatte, eine  a l l g e m e i n e  breite Organisation der Antiquare im deutschen Sprachgebiet, war verworfen worden.

2.
Der Kauf des ZVAB scheiterte unter Umständen, die bis heute nicht ganz geklärt sind und auch nicht erörtert werden müssen, denn in der Rückschau war Kollege Müller wohl wirklich nicht der ideale Finanzier und die  l a h m e, langsame, unbewegliche Struktur der Genossenschaft konnte die Probleme nicht so rasch, wie es erforderlich gewesen wäre, in den Griff bekommen.

Ich will nicht auf olle Kamellen hinaus, sehe vielmehr seit dem letzten Webseiten-Teiltest in ganz neuem Licht, welches Unglück das Portal, das die Genossenschaft schließlich selbst auf die Beine gestellt hatte, verfolgt bis zum heutigen Tag. Ich hatte begleitend über die Jahre hinweg der Genossenschafts-Datenbank zwar die Leviten gelesen, aber auch das Positive benannt. Vor allem die frühzeitige und großzügige Verwendung von  S c a n s als Bilderfolgen  und die (wenn auch dem Kunden zum Teil leider unaufrichtig verkaufte) sehr gut ausgedachte Idee selbständiger Antiquariatswebseiten, die anstelle eigener Leistungen "einfach" einen Datenbankausschnitt präsentierten - das waren Meilensteine.

Leider überwog aber eine ungeschickte Datenbankpolitik, verbunden mit jahrelang aufrechterhaltenen törichten, blöden und in unsäglichem Schülerdeutsch verfaßten Begleittexten, auch mit schweren Fehlern in Typographie und Usability des Portals. Man mag das als Äußerlichkeiten ansehen; versetze ich mich in die Rolle des Portalnutzers, dann stößt mich das - vor allem in der Rückschau - buchstäblich ab, es läßt mich Ekel empfinden vor einer Datenbank, die weder Deutsch schreiben noch sich in Augen und Finger des Benutzers hineinversetzen konnte.

Heute ist das besser geworden, aber nun hat sich beim letzten Test herausgestellt, daß die Ergebnisseiten, das Herzstück der Datenbank, auf die Dauer fast unlesbar sind. Der Nutzer aber will und muß  q u e r l e s e n  können.

Auch wenn die Begleittexte verdaubar geworden sind, zeigt sich die Empfangsseite (die ich vor einigen Monaten mit mäßigen Notenergebnissen getestet hatte) nach wie vor derart  t r i s t, in den Formulierungen oft derart  seltsam, in den Feldaufteilungen so einfallslos und absurd, daß ich zu einem klaren Ergebnis komme - die Datenbank "Antiquariat.de", derzeit und seit langem mit weit unter 10 % Marktanteil dahindümpelnd,

*kann nicht gerettet, nicht verbessert werden - sie ist wegzuwerfen.

Jeder Pfennig, jede Stunde Arbeitszeit dafür würde vergeudet sein.

3.
Nun bitte ich Sie, mit mir ein Stück wirtschaftlicher Strategie zu bedenken. Wir wissen, daß (vom Sonderfall Ebay abgesehen) Amazon zu gut 90 % den Internet-Absatz unserer alten Bücher kontrolliert. Amazon liegt im Weltkrieg mit den Buchhändlern, seit Neuestem auch mit den Verlegern. Was immer Amazon auch dazu bewogen hat, Abebooks und dann ZVAB zu kaufen, wir können es nur vermuten. Am nächsten liegt die Annahme, daß das Antiquariat einen weitaus besseren Ruf hat, als wir es von uns selber glauben, daß es also ein guter Imageträger ist und die Eroberung des deutschen Neubuchmarktes ideal sekundieren und verstärken kann. Dann wären wir Antiquare hilflose Manövriermasse im Milliardengeschäft der Neubücher.

Ich schäme mich gar nicht daran zu erinnern, daß ich seit Jahren - gut mitzuverfolgen im Börsenblatt - den Weiterverkauf des ZVAB vorausgesagt hatte, immer wieder neu - ich wurde nur ausgelacht. Heute lacht von den damaligen Mulzer-Kritikern keiner mehr. Ich empfinde meine Voraussagen von damals, wenn ich sie heute nachlese, als geradezu gespenstisch zutreffend.

Weil ich damals Recht hatte, sollte man mir auch heute in ähnlichen Fragen gut zuhören. Ich will nämlich nicht schon wieder zutreffende Voraussagen machen, mir reicht die letzte...

Und nun zur Strategie. Es spielt für Amazon-Abebooks.-ZVAB finanziell überhaupt keine Rolle, ob die genossenschaftliche Antiquariat.de-Datenbank eingestellt wird oder nicht. Diese 5-7 Prozent am Gesamtkuchen des Absatzes antiquarischer Bücher übers Internet spürt sie kaum in den Bilanzen.

Wohl aber wäre die Einstellung von Antiquariat.de strategisch-planerisch für Amazon ein ganz herber Schlag ins Kontor. Denn um weiterhin die deutschen Kartellbehörden ruhigzustellen, muß sie wenigstens einen halbwegs herzeigbaren Gegenpart nachweisen können - und genau diese hochwichtige Rolle erfüllt bis zur Stunde Antiquariat.de. Ohne es zu wollen, ja ohne es zu wissen ist also Antiquariat.de ein zentraler Stützpfeiler der gewagten, ja tollkühnen Strategie von Amazon in Sachen Kartellbehörde.

Auch deshalb sollte Antiquariat.de vollständig eingestellt werden.

4.
Was wäre dann das Aufgabenfeld der Genossenschaft? Erstens muß sie sich zum  a l l g e m e i n e n  B e r u f s v e r e i n  erweitern. Was mit der AG im Börsenverein noch zu machen ist oder vielmehr was nicht, haben wir auf der Versammlung in Frankfurt gesehen - ein einziges Trauerspiel. Über den Verband sage ich hier nichts Negatives, denn w o  er arbeitet, tut er das ganz vernünftig. Nur denkt er nicht im Traum daran, die beruflichen Interessen der Antiquare ernsthaft zu lösen. Also muß die Genossenschaft in diese Rolle eintreten - sie  m u ß, oder sie geht ein und unter. Aquis submersus...

Das rechtliche Instrument dazu wäre zum Beispiel ein assoziierter Berufsverein. Gescheiter scheint mir die Umgründung der Genossenschaft mit niedrigster Eintrittsschwelle zu sein, für alle Kollegen.

Ist Antiquariat.de eingestellt, dann wird die Genossenschaft

*zum wichtigsten Verhandlungspartner mit Amazon-Abebooks-ZVAB.

Sie kann dann Bedingungen aushandeln, sie wird wie eine  "G e w e r k s c h a f t  der Antiquare" dem Unternehmer Amazon gegenübertreten. Sie würde zu einem Machtfaktor. Innere demokratische Strukturen der umgegründeten Genossenschaft setze ich voraus, auch schnellere Entscheidungs- und Handlungskompetenzen.

Das zweite große Betätigungsfeld sehe ich in einer ganz wesentlich verbesserten Konzeption des Webseitenverbands. Würde sich die Genossenschaft dieses Ziel setzen, dann wären meine diesbezüglichen Entwürfe hinfällig, diese Zusicherung kann ich geben.

Zum Gemeinschaftskatalog sage ich an dieser Stelle nichts. Wenn es den verantwortlichen Kollegen Spaß macht und es sich wirklich  r e c h n e t, dann bin ich der letzte, der dieses seltsame, groteske Katalogbuchgebilde kritisieren möchte. Man kann es weitermachen, kanns aber auch bleibenlassen.


5.
Zusammenfassung meiner Empfehlungen für die Jubiläumstagung in Berlin:

- Das Portal Antiquariat.de sofort und ersatzlos einstellen
- Umorganisation zur allgemeinen Berufsvertretung, Berufs g e w e r k s c h a f t, Aufnahme von Verhandlungen mit Amazon-Abebooks-ZVAB
- Den großen deutschen Webseitenverbund auf ganz breiter Grundlage sofort angehen.

Und nun tagt mal schön.