Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Dienstag, 8. November 2011
Antiquariat 2 - Neue Kontakte zwischen Händler und Kunden
Wir planen zur Zeit ein neues Medium für die Antiquare im deutschen Sprachraum und für ihre Kunden.
Ich bin nicht befugt, hier öffentlich Vermutungen anzustellen darüber, welche Kollegen sich fest zur Mitarbeit verpflichten werden, Interessenten dafür gibt es.
Wenn mehrere Mitarbeiter an einem Werk unter einen Hut gebracht werden sollen, empfielt es sich, in Bausteinen zu planen. Die kann man dann nach Wunsch zusammensetzen. Zwei Bausteine stelle ich Ihnen heute vor.
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Der eine ist schnell abgehandelt.
Wir wollen unseren alten Börsenblatt-Netzdienst, wie er unter Biester verwirklicht worden war, wiederhaben!
Unser Leitmedium, das Börsenblatt mit seinem Netzdienst, vernachlässigt seit einiger Zeit Diskussion und Meinungsaustausch im Bereich "Antiquariat" schmählich. Da ich Biester als interessierten und fairen Redakteur einschätze, kann ich nur vermuten: Er darf nicht, er soll nicht. Der nicht immer mit glücklicher Hand gesegnete "MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH" dürfte dafür ebenso verantwortlich sein wie der Chefredakteur des Börsenblatts, Casimir, der sich in den vergangenen Jahren nicht gerade als Freund der Antiquare profiliert hat und sehr gut, aber erzkonservativ und für meine Auffassung allzu kalt zu schreiben pflegt. Der ideale Funktionär für einen Börsenverein, den wir s o nicht lieben.
Wer will es Biester, gewiß derzeit der mit Abstand beste Kenner des deutschen Antiquariats, verargen, wenn er sein ganzes Herz dem von ihm fast schon wissenschaftlich redigierten Fachblatt "Aus dem Antiquariat" schenkt - und die Antiquariatssparte des Börsenblatt-Netzdienstes so kühl-knapp und emotionslos abhandelt, wie es von oben gewünscht wird.
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Der andere Baustein des kommenden Antiquariatsmediums ist ziemlich neu. Er hat nur lose Gedankenverbindungen mit dem Webseiten-Kreis, den Kollege RF Meyer-Berlin vor längerer Zeit einmal angedacht hatte, dann in Ansätzen zu verwirklichen versuchte, bis ihn die beglückten Kollegen, wenn ich recht berichtet bin, schmählich im Stich ließen, sich jede Weiterentwicklung verbaten und ihn also im Regen stehen ließen.
Noch lockerer sind die Anklänge des neuen Plans an jenes Gebilde, das Kollege Höfs schon vor Jahren ins Netz gestellt hat und das mich seither dauerhaft ärgert - ein Auswahlverzeichnis von Antiquariaten, suboptimal durchgeführt (seither haben wir Google Maps, verehrter Herr Höfs) und als teils kostenpflichtiger Dienst nicht immer korrekt ausgewiesen. Verzeihen Sie meine harte Sprache, aber der Kollege hat nie auf meine mehrfachen Anregungen reagiert, beliebt mich überhaupt als Luft zu behandeln, warum sollte ich da mit Katzenpfötchen anfassen, was er ins Netz stellt?
Ganz massiv ist die Idee aber in einer Linie zu sehen mit meinem Kampf gegen das 90 %-Monopol des Amazon-Konzerns und seiner ihm gehörigen Töchter Abebooks und ZVAB (Ebay wie immer als Sonderfall nicht berücksichtigt). Wie kann es uns gelingen, dem Würgegriff eines Weltkonzerns zu entkommen, der sich, aus welchen Gründen auch immer, das deutsche Antiquariat als Plattform ausgesucht hat, von der aus er den Neubuchmarkt in Deutschland erobern will?
Die neue Planung muß also ausgehen vom Grundsatz: "Was kann der Amazon-ZVAB-Abebooks-Verbund nicht nachmachen, selbst wenn er es wollte? Wo sind ihm die Hände gebunden, was muß er sich gefallen lassen, wo kann er keine Gegenreaktionen starten, was kann er uns nicht wegnehmen?"
Die Lösung liegt auf der Hand. ZVAB und Abebooks (=Amazon) wollen, wie jedes Verkaufsportal, das Bücher im Auftrag, als Dienstleistung für Dritte anbietet, ihre Provisionen auch wirklich erhalten. Es fürchtet wie die Pest vor allem eines - daß der d i r e k t e Kontakt zwischen Kaufinteressenten und Händler hergestellt werden kann. Dieses Unterbinden des Direktkontakts, meist gekoppelt an eine Verhehlung des Antiquariatsnamens, wurde wiederholt versucht, mußte aber in der Vergangenheit wegen energischer Proteste der Antiquare wieder aufgegeben werden (Tomfolio verdankt seine Entstehung mittelbar solchen frühen Versuchen).
Bei den Verkaufsportalen setzt man auf ein Herausstellen der e i n f a c h e n, s c h n e l l e n Kaufmöglichkeit per Warenkorb und Mausklick. Mindestens einen Pferdefuß hat dieses Konzept: Der Kunde will sehr oft eben gerade nicht nur ein b e s t i m m t e s Buch, sondern er sucht ein Buch dieser Art, mit diesem Thema, aus dieser Sachgruppe, zu diesem und jenem Sammelgebiet. Viel lieber wäre ihm eine Auswahl mehrerer, wenn nicht vieler Titel zum Thema.
Es hat sich gezeigt, daß die Verkaufsportale nicht mit all ihren Stichwort- und Schlagwortsystemen, auch nicht durch künstliche Katalogbildungen, dieses Bedürfnis des Kunden nach F r e i h e i t der Wahl, nach einer größeren A u s w a h l, bedienen können. Das ist systembedingt, es wäre händisches Bearbeiten notwendig, wollte man das Grundproblem lösen, das aber ist nicht bezahlbar. Also t u t man so, als würden die Wünsche der Antiquariatskunden mit einem Wust von E i n z e l titeln erfüllt, was aber nur vereinzelt der Fall ist. Ich stelle die These auf, daß ein Gutteil der Absatzschwierigkeiten im älteren Antiquariat an dieser (von den Portalen natürlich liebevoll verschwiegenen) Misere liegt: Der Kunde will eben nicht einen E i n z e l titel kaufen, er will ein virtuelles Bücherbrett gezeigt erhalten, zur Auswahl angeboten bekommen.
Den anderen, vielleicht noch wichtigeren Punkt, in dem den Portalen die Hände gebunden sind, sehe ich in dem Wunsch vieler Kunden, gerade der besseren(!), in Kontakt zu treten, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen zu/mit einem oder mehreren Antiquaren. Wie oft höre ich den Satz von Kunden "kann man zu Ihnen ins Lager kommen, können Sie mich beraten, rufen Sie wenigstens heute Abend zurück, damit wir plaudern können über meine Desiderata...".
Dieses Bedürfnis ist für jedes Verkaufsportal natürlich eine unglückliche Sache - das darf nicht sein! Um den Herzenswunsch vieler besserer Kunden zu kaschieren, lügen sich die Portale um die Ecke, indem sie gerade zum Trotz einzelne Antiquariate "vorstellen", mit Bild und mehr oder minder gescheiten Aufsätzen oder Interwiews des Kollegen. Wer unter den Antiquaren ist so doof, daß er die Taktik nicht durchschaut?
Wir müssen diesen zweiten Punkt, den die Verkaufsportale zu fürchten haben, also in zwei Teile gliedern. Erstens geht es um den direkten Kontakt des Käufers mit den Titellisten, mit dem Lager, sogar mit Vormerk- und Suchlisten des einzelnen Antiquars. Und zum anderen geht es um das persönliche, das Vertrauensverhältnis oder zumindest um ein virtuelles Kennenlernen des Antiquariats und seines Leiters.
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Das seien nun alles Selbstverständlichkeiten... mag sein, irgendwie "wissen" wir Antiquare das alles. Aber, wenn ich fragen darf, warum wenden wir dieses Wissen bisher nicht an? Wie sehr es den Antiquaren an praktischer Organisationsbegabung fehlt, konnte ich seit den ersten Schritten der Genossenschaftsplanung immer wieder mit Kummer und Verwunderung beobachten. Das scheint berufstypisch zu sein - Antiquare haben kein Talent zur Selbstorganisation.
Weil das so ist, muß ich eine weitere Überlegung in mein Konzept einbauen, schweren Herzens, wie ich gestehe, aber es geht nicht anders: Jeder Schritt, jedes Planungselement soll auch ohne Zustimmung, ohne Mitwirkung der Antiquare durchführbar sein.
Ich weiß, es tut weh, das so offen sagen zu müssen, aber was hilfts?
Fassen wir kurz zusammen: Die Einzeltitelbestellung muß überwunden werden, der direkte Kontakt zwischen Käufer und Antiquar soll hergestellt werden, das alles auch ohne Mitwirkung des einzelnen Antiquars durchführbar sein. Und, notabene, ein Aktualitätsfaktor muß zwingend eingebaut sein, jeder Nutzer sollte jeden Tag neu im Medium "nachsehen" wollen.
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Der Baustein des kommenden Mediums hat zwei Ausgangsseiten, die einfach, aber übersichtlich gestaltet sind mit anklickbaren, unterschiedlich farbig markierten Feldern. Da ist zunächst der K e r n der ganzen Sache: Das nach etwa 80 Hauptthemen gegliederte Übersichtsfeld aller denkbaren, irgendwie eingeführten, bisher üblich gewesenen Sammelgebiete.
Von diesem zentralen Themenfeld, auch Feld der S a m m e l gebiete genannt, gehen nun jeweils Links ab
a) zu den Fachantiquariaten
b) zu solchen Kollegen, die zu dem Gebiet schon kleinere Bestände angesammelt haben oder das in naher Zukunft tun wollen,
c) zu allen (auch sehr kleinen) Fachlisten, auch wenn sie nur teilweise Material zu dem fraglichen Sammelgebiet enthalten,
d) zu besonders schönen, teuren Einzelstücken des Themengebiets
e) zu scharfen, lesbaren R e g a l f o t o s solcher Ladenantiquare, die mindestens eine Brettlänge zum Thema im Laden haben.
Ebenso wichtig sind mir,als Dienstleistung für Kunden und Händler einige sachliche und bibliographische Links zum jeweiligen Sammelthema. Schon in Vorbereitung sind Parallel-Reihen scharfer Scans aus Meyer und Brockhaus, die sich auf das Gebiet beziehen, vor allem um der erschreckenden bibliographische Unbedarftheit vieler Kunden mit älterer Literatur vor 1945 abzuhelfen.
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Dieser Wust von Verlinkungen, nichts anderes stellt das Projekt dar, ist auch ohne Zustimmung der Kollegen zu erstellen. Ich sehe aber, weil von Hause aus optimistisch, nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung folgendes Vorgehen der Antiquare vor:
Sie stellen auch kleine Listen- und Katalogteile entsprechend meiner Klassifikation s e p a r a t in eine der praktischen kostenlosen Google-Seiten ein, ebenso ihre teuren Einzelstücke zum Sammelgebiet. Dann kann ich ganz elegant direkt auf diese Googleseite verlinken. Von der Google-Einzelseite führt natürlich aus jeder einzelnen Google-Seite ein Rücklink zur gesamten Geschäfts-Webseite des Antiquariats.
Ich darf nach der Rechtslage nicht mit Frames arbeiten und will das auch gar nicht. Ich habe getestet, daß inzwischen fast alle Nutzer mit der "Zurück"-Taste sehr gut umgehen können und bei Interesse jederzeit zu meinem Block zurückfinden. Frames können wir uns schenken.
Die Kontakte erhält der Antiquar gratis, es gibt da ohnehin nichts abzurechnen. Er erhält sie sogar "gegen seinen Willen", aber ich hoffe zuversichtlich, daß wir damit die Rechtsprechung nicht bereichern müssen. Natürlich achtet das Medium darauf, keinerlei Zusammenhang zwischen den verlinkten Händlern und dem Medium zu behaupten.
Einen weiteren Punkt spreche ich deutlich und entschieden an. Ich halte nämlich das Warenkorbsystem im Bereich des Buchantiquariats heute wieder für entbehrlich. Jeder gebildete Mensch kann mit Lagernummer, Verfasser, Kurztitel, Jahr und Preis schnell und elegant bestellen, er braucht die Krücke des "einfachen" Warenkorbs nicht mehr. Das ist wieder nur Propaganda der Verkaufsportale, die das Warenkorbsystem unbedingt beibehalten müssen. Noch zu klären ist, wie wir zu jedem Link und jeder Seite ein einfaches Bestellformular bereitstellen.
Die Zahlungsmoral im Antiquariat ist nach wilden Zwischenzeiten heute wieder gut bis sehr gut, vom untersten Billigbereich einmal abgesehen. Auf die unwürdige Vorauszahlung kann verzichtet werden. Ich habe überhaupt kein Verständnis für jene Kollegen, die stur auf Vorausbezahlung bei "uns unbekannten Kunden" bestehen. Das wirkt schofel, lächerlich und kleinkariert. Höfs soll uns weiter seine schwarzen Listen schicken, dann sind die Übeltäter herausgefiltert, der Rest erhält die Ware auf Rechnung.
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Natürlich hofft der Konstrukteur eines solchen Gebildes darauf, daß die werten Kollegen ihre eigenen Geschäftsseiten im Web pflegen und ausbauen werden. Der persönliche Kontakt zwischen Sammler und Händler wird ja durch das neue System in ganz ungeahnter Weise aktiviert. Da ist es wichtig, Fotos ins Netz zu stellen, zu erklären, zu schildern. Es wird wesentlich mehr Telefonate geben als bisher, auch wird sich die Zahl der Einzelbestellungen verringern, Konvolutbestellungen werden zunehmen. Es entsteht ein neuer G e i s t im Antiquariat. Vertrauen und Persönlichkeit, durch das Portalunwesen weitgehend beiseitegestellt, wenn nicht sogar beschädigt, werden neu aktiviert.
Soweit die Schilderung meines Bausteins.