Donnerstag, 17. November 2011

Ein Opfer des absurden Datenbank-Prinzips im Antiquariat

   
Das Börsenblatt für den Buchhandel berichtet von einer denkwürdigen Ebay-Versteigerung. Eine Antiquarin trennt sich von 70.000 teilweise schon in Bücherdatenbanken eingespeisten Titeln, fordert sofortige Abholung ein (3 schwere Lastzüge erforderlich) und wird, wie ich vermute, nicht über 1000 Euronen dafür erlösen. Was ihr recht zu sein scheint, denn sie stellte mit "Startpreis 1 Euro" ein. Ihre Beschreibung des Materials ist sehr fair und eingehend, es handelt sich um häufige, untere Ware in offenbar recht gutem Zustand, wohl auch mit unfangreicheren MA-Blöcken.

"KONVOLUT von ca. 70.000 Bücher"

Dieser Ebay-Titel zur Versteigerung weist zwar einen grammatischen Fehler auf, aber sonst ist uns die fleißige Antiquarin als tüchtige Fachkraft bekannt. Darauf deutet die Zahl der erfolgreichen Verkäufe (bei Ebay 29.100) ebenso hin wie die sehr gute Bewertung (99,8 % von 100). Und sie ist ehrlich, denn wer glatte "100 %" gute Kundenbeurteilungen hat bei tausenden von Verkäufen, der trickst mit Sicherheit. Ihre Scans sind ordentlich, diverse Blödheiten in der Buchbeschreibung dürften den "Buchfreund"-Standards zuzuschreiben sein. Der geneigte Leser gerät in Raserei, wenn er hundertmal über das Blödwort "Hardcover" stolpern muß, gemoppelt mit dem Ausdruck "Gebundene Ausgabe" wirkt jede Titelaufnahme meschugge und vollends in den Wachsaal der Psychiatrie gelangen wir mit der 10.000 mal wiederholten Formulierung "Bemerkungen: Das Buch befindet sich in einem ordentlich erhaltenen Zustand". Liebe verehrte Petra, was ist den ein so oder anders "e r h a l t e n e r  Z u s t a n d" ?

Solche Detailkritik, die auch auf das Buchfreund-System zurückzuführen sein könnte (dort kann man grundsätzlich kein Deutsch), ändert nichts daran, daß die Ebay-Einstellungen gut, in der Sache fehlerfrei und korrekt vorgenommen werden.

Wie wir es von ihm gewohnt sind, enthält sich Redakteur Biester jeder klaren Stellungnahme zu diesem Vorgang. Er bleibt hinter der Säule stehen, verbirgt seine Meinung (falls er denn eine hat), wirft uns den Knochen mit den Fakten hin und schaut dem Leser zu - soll er ihn doch abnagen (den Knochen).

Ich zitiere, "...die betriebswirtschaftliche Misere vieler Altbuchverkäufer" - "...Aber was lernt man daraus?" - "führt... die Situation des "Gebrauchtbuchhandels" vor Augen". Ende der Analyse. Ja, wenn es sich um Inkunabeln handeln würde oder um Pressendrucke aus der Lüneburger Heide, dann bekämen wir aus seiner Feder die schönsten Kommentare.

Wobei ich bei der Wahrheit bleiben will: Ich mag das niedere Gebrauchtbuch-Antiquariat gefühlsmäßig auch nicht. Was uns schon im mittleren und oft noch im oberen Bereich nervt, nämlich die Routinearbeit, jenes seelenlose Abarbeiten, das konstante "Leseverbot" auch bei interessanten Titeln, der Zwang, mechanisch arbeiten zu müssen - das alles gestaltet das Massen-Gebrauchtbuchantiquariat zu einer wahren  H ö l l e  für jeden geistig interessierten Kollegen.

Nun hat uns Wölki, längst ein Stück Antiquariatgeschichte, schon vor einem Jahrzehnt vorgemacht, wie man Gebrauchtbuchantiquariat speditiv betreibt. Die  K o s t e n  müssen minimiert werden, und zwar durch schärfste Pfennigfuchserei auch in vermeintlichen Kleinigkeiten, das  P e r s o n a l  sollte ähnlich wie bei Schlecker oder Aldi auf Teilzeitbasis und je nach Geschäftslage frei abrufbar eingestellt werden, Titeleinträge, Verwendung von Scannern beim Titeltransfer und andere Tricks sind obligatorisch, besonders auch beim Versand.

Vernünftig lösen läßt sich das nur dann, wenn man exzellent organisieren kann. Ich habe mit verschiedenen Varianten meines "Grossohauses", in diesem Blog kann man das nachlesen, die Sache angedacht und kam zum Ergebnis, daß das nur als Gemeinschaftsleistung aller Antiquare sinnvoll durchgeführt werden kann.

Ich weiß nun nicht im Einzelnen, wie sich die Kollegin organisiert hat. Ich vermute mal, daß sie auf der Personalseite gut vorankommt, daß es bei ihr aber in der  T e c h n i k  einige Lücken und Mängel gibt. Es ist gerade die Lagerungstechnik, die bei sehr vielen Kollegen im Argen liegt. Ich sehe unendlich viel ganz primitive Fehler in den Lagerräumen bei Kollegenbesuchen.

Aber worüber die Kollegin ganz bestimmt gestolpert ist: Sie bietet  E i n z e l t i t e l  aus den letzten 40 Jahren mit einer ganz rührenden Naivität und Selbstverständlichkeit an - wobei sie voraussetzt, daß der Kunde  w e i ß , welchen Titel er will, daß er den nötigen Überblick hat über sein Interessensgebiet, um nun gerade diesen Titel von 1975 zu  s u c h e n  und jenen von 1990 nicht. Das ist natürlich völliger Unfug!

Der Kunde hat vielmehr "ungefähr" eine Vorstellung von einer "Art Buch", das er kaufen will. Die Datenbank aber fordert von ihm ein, daß er entweder einen genauen Titelwunsch haben möge oder aber, wenn ihm der fehlt, er sich durch ellenlange Listen zu quälen hat.

Wer meine Beiträge der letzten Tage gelesen hat, weiß ja, was ich meine - das Angebot solcher Titel, wie sie Kollegin Petra anbietet, scheitert (auch bei bester Arbeitstechnik) am  a b s u r d e n  G r u n d f e h l e r  unserer Bücherdatenbanken - daß nämlich der Kunde keineswegs einen präzisen Titelwunsch hat, sondern diffus aus einem Sachgebiet, in einer ungefähren Preislage, etwas Ungefähres kaufen will. Und das kann ihm die Bücherdatenbank nicht bieten!

Weil, wir wissen es nun ja, von Ebay abgesehen gute 90 % unserer Altbuchportale in der Hand von Amazon sind - deshalb ist diese Grundmisere der Bücherportale zugleich der ideale Hebel, um das Amazon -Monopol abzuschütteln. Reform der Bücherdatenbanken, Rückkehr zu den Webseiten, auch Rückkehr zu großen zentralen L a d e n - Antiquariaten - alles sind Wege, die diskutiert werden müssen.

Die Kollegin aber mit ihren unglücklichen 70.000 Surplus-Titeln ist allein und nur das Opfer des

*überstrapazierten Datenbank-Prinzips

im Antiquariat geworden. Wir müssen in weiten Bereichen wieder vom unseligen Einzeltitelangebot wegkommen. Das ist jetzt unsere Aufgabe.


Das Deckelbild gehört dem herausgebenden Reprint-Verlag