Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Mittwoch, 1. Februar 2012
Aber wer soll denn das alles lesen?
Die Normalgestalt des Blog ist die Ruine. Das gilt inzwischen auch für den Blog, in dem Sie gerade lesen.
Baustellen, die irgendwo zwischen Fundament und erstem Stock eingestellt worden sind, berühren mich in ihrem seltsamen Zustand immer sehr - was für Schicksale verbergen sich dahinter, traurige (Tod, Offenbarungseid) oder erfreuliche (Auswanderung, große Liebe), und wie wird es weitergehen?
Ein gutes Vierteljahr Bedenkzeit hatte ich mir eingeräumt, das habe ich eingehalten. Nun sind die alten Gespenster wieder da, grüßen mich freundlich, als sei nichts gewesen. Keines ihrer Probleme ist inzwischen gelöst, sie sind nur etwas älter geworden.
Mein F r a n k f u r t - E r l e b n i s im Herbst 2011 wirkt natürlich nach. Ich komme aus der alten Schule der Journalisten, für die naive, emsige, möglichst fleißige teilnehmende Beobachtung erste Voraussetzung ist. Du sollst einen Zeit-Artikel schreiben, 1970, Abteilung "Modernes Leben", zehn Seiten A4, getippt auf der braven Monica.
Die allgemeine Buchmesse der Fachbesuchertage kennst du ja von früher her, eine anregende, nahezu heitere, aktive Stimmung, viele kluge Menschen, aufgeschlossen und neugierig, man möchte Tage dort zubringen und mit fremden Leuten plaudern. Dann aber der große Augenblick: Nach zwei Jahrzehnten der bewußten Abstinenz wieder einer geordneten Vielzahl von Antiquaren zu begegnen im Rahmen einer besonderen Messe. Was spürst du, was siehst du?
Ich hatte das Erlebnis in diesem Blog geschildert, frisch von der Pfanne. Damals konnte ich mir noch keine Rechenschaft geben über das Verhältnis meiner Erwartungen aus jahrelanger aktueller Blogarbeit und meiner Erinnerungen aus wochenlangen Rundreisen durch europäische Antiquariate vor 30 Jahren - zur Wirklichkeit im Herbst 2011. Solche komplexen Erfahrungen werden erst aus dem Abstand deutlich.
E n t t ä u s c h u n g ist der Schlüsselbegriff, der aber sofort erläutert werden muß, sonst wird alles falsch verstanden. Ich bin einer überwiegend farb-, ideen- und einfallslosen Vielzahl von Antiquaren begegnet, die ebenso in anderen Verlegenheitsberufen hätten tätig sein können - was sich halt so anbietet in unserem Wirtschaftssystem.
Unter ihnen suchst du meist vergeblich P e r s ö n l i c h k e i t e n, Originale, willensstarke, meinethalben verwirrte, böse oder hilfreiche, hyperaktive oder lukullisch-bequeme - nichts ist sichtbar, wenig erkennbar. Darin besteht der schmerzlichste Unterschied zur Antiquariatslandschaft vor 30 oder 40 Jahren.
Eine andere Sorte Antiquare scheint mehr und mehr zu dominieren, der kaufmännisch-kleinliche, ängstlich-genaue Buchhalter. Man kennt das vom Neubuchhandel her, dort ist ja sehr viel Registratur und Prozentrechnung unabdingbar, der Kreativität sind enge Grenzen gesetzt. Aber solche kaufmännische Grundgesinnung und Lebenseinstellung in das Reich der alten Bücher zu übertragen ist eine ganz schreckliche Sache. Der meiste Blödsinn in unserem Gewerbe wird von Kollegen "mit solider kaufmännischer Ausbildung" produziert, halten zu Gnaden. Da stehen und sitzen sie nun, die farblosen Männlein und verwalten die Objekte des Geistes, der Phantasie, der Kunst...
Inwieweit dieser Eindruck untrennbar verwoben ist mit dem Peinlichen des Messegedankens im Antiquariat überhaupt, sei dahingestellt. Wie es so geht im Leben, die letzten Beiträge aus meiner Feder, die dann zur Abwürgung des Kommentarteils in "börsenblatt.net/Antiquariat" geführt hatten, waren wirklich punktgenau - ich war auf den Trichter gekommen, wie verquer der Messegedanke in unserem Gewerbe durchexerziert wird.
Das Ausstellen der Antiquare in persona vor ihren mickrigen kleinen Holzgestellchen oder den nicht minder lächerlichen pseudoperfekten Messestellagen, mit einigen Trouvaillen garniert, das alles erscheint mir in der Rückschau als ein ganz unmögliches Verfahren. Es entwürdigt die Antiquare, die zu Mitwirkenden einer ärmlichen Zirkusschau (Berlin, Gewerbeausstellung 1897) werden:
"Hottentotten, die die Erzeugnisse ihrer Handwerkskunst vorzeigen "
Diese Frankfurter "Besichtigung" wirkt in mir nach, besonders wenn ich sie vergleiche mit jenen Möglichkeiten einer modernen Internet- und Videopräsentation, die ich als Alternative zu unserem Messewesen in den letzten Börsenblatt-Kommentaren vorgestellt hatte. Ich sage gleich, daß das anderswo im Netz längst Selbstverständlichkeiten sind, der Kronzeuge dafür, unser Soloantiquar, steht Gewehr bei Fuß. Aber bei uns ist das alles noch Hekuba.
Wenn Sie sich bis hierher durchgearbeitet haben, können Sie sich in die Grundstimmung versetzen, in der mein Schweigevierteljahr, die Freiburger Klausur, verlaufen ist.
Heute Mittag überlas ich, lustlos und wenig motiviert, aus alter Anhänglichkeit die neuesten Meldungen des Börsenblatt-Netzdienstes. Christian Hesse wurde zum neuen Vorstand des in letzter Zeit erstaunlich untätigen Verbands Deutscher Antiquare gewählt - alles kann nur besser werden.
Einen neuen Schatzmeister hat der Verband auch. Ich versage mir das Bild vom Augias-Stall, der hier beim Verband nach meiner Einschätzung zu säubern ist; sein Vorgänger hatte die Verhehlung der Auktionspreise gegen schweres Geld - und manch anderen Fehler mit zu verantworten. Werter Verbandsschatzmeister Meinhard Knigge - könnten Sie zur Abwechslung vielleicht mal wieder s o z i a l denken und handeln?
Noch mehr - das Börsenblatt raffte sich zu einem Kurzinterview mit dem neuen Schatzmeister auf. Was lesen wir dort:
"Ich erstaune immer wieder über den Einsatz der Blogger-Kollegen. Aber wer soll denn diese vielen Blogs alle lesen? Lest Bücher und ihr bleibt gesund!"
Das sagt der geschätzte Kollege Knigge (wir verdanken ihm manchen guten Text in "Aus dem Antiquariat"), obgleich er besser als andere weiß, wie miserabel es mit der Kommunikation in unserem Gewerbe bestellt ist.
Die Gespräche in den viel zu selten angesetzten Versammlungen des Verbands und der Genossenschaft sind völlig unzureichend strukturiert, echte Sachdiskussionen sind dort kaum möglich, Arbeitskreise gibt es nur wenige. Die einst so offene Hess-Runde ist zu einem verzankten Geheimforum verkommen, ein Debitorenmelde- und Intrigantenstadel, unbeleckt von den modernen Erkenntnissen einer offenen Netzkultur, ob "Hoefs" oder "intern", das gleiche Strickmuster.
Wenn da allerlei Blogs der Kollegen in ihren Übergangsformen zu Melde- und Diskussionssystemen (wie es sich Soloantiquar vorgenommen hatte) geschrieben werden und die werten Kollegen eingeladen sind, die Texte zu überfliegen - dann kommt uns Kollege Knigge mit dem plattesten aller Hausfrauen-Argumente, wenn der Mann wieder eine gefüllte Büchertasche aus dem Antiquariat mitbringt: Erstens haben wir keinen Platz mehr, und dann: Wer soll das alles lesen?
Bei dieser Gelegenheit: Antiquar Knigge möge nicht meinen Fehler nachmachen und auf eine eigene Webseite verzichten. Es gibt viele gute Gründe, eine r i c h t i g e Antiquariatsseite im Netz zu haben. Vorausgesetzt, sie ist sinnvoll vernetzt und verlinkt, gut indiziert und getag(g)t, reich bebildert und nicht nur ein Schwindelauszug aus einer großen Datenbank.
Wobei wir an dem Punkt meiner Planungen von einst angekommen wären, der mir nach wie vor am Herzen liegt - eine bedienbare, durchwanderbare, "erlebbare" Vernetzung aller Antiquariatsseiten, die Umstellung unseres Buchverkaufs von der Datenbank zum g e m e i n s a m e n Verkaufsraum-im-Internet.
Aber wer will davon schon was hören?
Für das Hottentotten-Bild danke ich http://www.ne-koelsche-jung-harry.de/