Freitag, 18. September 2009

Zwischen Himmel und Hölle > Webseitenkritik Nr.4


Antiquariat Magister Tinius (Hansjörg Viesel)

Die ganze Schrift der Startseite ist in abgedämpftem, nur schwer lesbarem Hellviolett gehalten. Das wirkt affig, arrogant und behandelt den Kunden als Opfer des Antiquars, der sich einiges zu gefallen lassen hat. Völlig unmöglich dazu der Kontrast jener (als einzige im Titelfeld satt schwarz gedruckten) vollmundigen gut lesbaren Notiz, der Antiquar verstehe sich als "Mitglied im Qualitätsportal der deutschsprachigen Antiquariate".

Bei dieser Gelegenheit sei jener Datenbank, deren Macher noch nie ein vernünftiges Deutsch schreiben konnten, ins Stammbuch geschrieben: Es ist nicht besonders glücklich formuliert, einer sei "Mitglied in einem Portal". Das muß man anders sagen, auch wenns nicht direkt falsch ist. Auch wird man die - von mir im flüchtigen Gebrauchstext öfter verwendete - Formulierung der "deutschsprachigen" Antiquariate als Markenzeichen herausgehoben doch lieber nicht verwenden. Denn natürlich sprechen "die Antiquariate" weder deutsch noch chinesisch, sondern sie haben deutschsprachige Bücher.

Unser verehrter Magister beginnt völlig überganglos damit, dem verdutzten Leser an den Kopf zu knallen: "Sie können mehrere durch Leerzeichen getrennte Suchbegriffe eingeben". Das ist ja schön, daß der Kunde das k a n n. Danke auch recht sehr! - Nur will ich als Kunde anders an die Hand genommen werden. Feldwebel Tinius hat die ungnädigste, brutalisierteste Startseite, die uns bisher vorgekommen ist. So geht das nicht.

Der nächste Satz ist bei näherem Hinsehen völlig dunkel und in dieser Kürze blödsinnig: "Es werden die Einträge angezeigt, in denen alle Suchbegriffe gefunden wurden.".

Hoffnungsfroh klicken wir die Registerkarte "Volltextsuche" im linken Feld an. Verblüffung! Tusch! Es erscheint haargenau die gleiche Suchmaske wie im Titelfeld. Darunter steht vorsorglich schon einmal "keine Einträge gefunden". - Werter Magister, veralbern kann ich mich selber.

Auch die Registerkarte "Rubrikensuche" erfreut uns nicht. der Kunde muß erst raten, daß sich unterhalb des voreingestellten "Alle Rubriken" - Herrgott, was meint er mit "Rubrik" - aber lassen wir das - die Aufdröselung diverser Sachgebiete versteckt.

Irgendetwas scheint von Geisterhand voreingestellt zu sein, denn unten beginnt, kaum zu erkennen in bläßlichem Hellst-Violett, "Eintrag : 1 bis 25 von 15526". Wieso, weshalb? Das wollte ich doch gar nicht?

Bei den Titeleinträgen laufen Verfasser und Titel übergangslos in Beschreibung und Kommentar hinein. Das ist bei (fast zu) großen Typen dieser Art etwas verwirrend. - Absurderweise durch Absatz getrennt ist dann das Gewicht(!), das mich so express abgesetzt ebensowenig interessiert wie die Bestellnummer des Herrn Tinius. Das Salbadere bei j e d e m Titel: "Preise inkl. Mehrwertsteuer. Hinzu kommen Versandkosten, deren Höhe Sie hier einsehen können." führt, stets wiederholt, innert kürzester Frist beim Durchsehen der Titeleinträge zu akuter Schizophrenie. Wer hat sich diesen Quatsch ausgedacht? Notabene: Nach jedem Titel, in genau dieser umständlichen Formulierung, prominent abgesetzt. Das ist Kundenquälerei. Dazu noch in blaßviolett... NEIN, NEIN, SO NICHT.

Keine Blödheit wird ausgelassen. Wenn ich "in den Warenkorb" unmittelbar unter den Preis setze, dann liest sich das jedesmal sinngemäß so, als würde der P r e i s in den Warenkorb gepackt und nicht das Buch. Erbarmung!

Die "Registerkarte "Kontakt" ist irgendwie zu mager. Verbinden Sie diesen Text lieber mit Ihrer separaten Karte "Impressum" - und vor allem ersparen Sie uns, angesichts der bisherigen unsäglichen "Leistung" Ihrer Webseitem, die aufdringliche Wiederholung der angeblichen "Qualitätsseite".

"Standort" als Registerkarte sollte ein Kärtchen enthalten und nicht nur einen Satz über Ribbecks Birnbaum, der die Besucher gewiß nicht zu Ihnen führen wird. Daß Sie "am Ankauf... interessiert" sind, ist ja schön, gehört aber nicht hierher.

Auf die skurrile Registerkarte "Links" war ich gespannt. Sie geben uns, wieder recht kühn, die Überschrift "Erlesene Links zum Thema Buch" und veranlassen mich damit zur Frage, wie "erlesen" wohl Ihre Links sein mögen. -

"Internationale Bibliotheken, Nachschlagwerke, Biographien, Bibliographien und vieles mehr" Halten zu Gnaden, sind Bibliographien etwa keine "Nachschlagwerke"? Und überhaupt: Was ist eine "internationale Bibliothek"? Ist nicht jede Bibliothek "international"? Schlagen Sie zunächst einmal im Duden nach und entdecken Sie, daß man richtig schreibt: Nachschlagewerke.

# Karlsruher Virtueller Katalog www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html
"Recherche in deutschsprachigen Bibliotheken" - Was defintiv zeigt, daß Sie den KVK noch nicht einmal von fern angeschaut haben - sonst schrieben Sie nicht solch einen Müll.

# Projekt Gutenberg Deutschland (Volltextarchiv Literatur) gutenberg.spiegel.de
"Das Projekt stellt seit über 10 Jahren klassische Literatur zum kostenlosen Lesen zur Verfügung.". Nein, man darfs nicht nur "lesen", sondern vor allem kopieren und herunterladen. Schon mal bemerkt?

Die Links zum Thema "Kunst" sind recht willkürlich ausgewählt, nur auf "Galerien" verstehen Sie sich etwas besser.

Nun wirds ernst. Sie treiben es tollkühn unter der Registerkarte "Impressum", ich zitiere:
"Hinweis: "Das Angebot zur Nutzung der Internet-Seiten von Antiquariat Magister Tinius umfasst die Möglichkeit des Abrufes von Dateien und Programmen über das Internet (Download). Der Nutzer trägt die Gefahr der ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Übertragung, Speicherung und Nutzung der abgerufenen Daten und Programme. Die Verantwortlichkeit von Antiquariat Magister Tinius für unmittelbare und mittelbarer Schäden infolge fehlerhafter Daten und Programme ist ausgeschlossen " (...außer bei Absicht)

Wie kommen Sie denn auf so törichte Ideen? Da wäre der Fernabsatz unserer Bücher eine riskante Sache für unsere armen Kunden... Was Sie uns sagen wollen, verstehen wir schon. Aber so mißverständlich formuliert verwirren und benachteiligen Sie die Nutzer. Natürlich haften Sie prima vista für fehlerhafte Daten und Programme, wenn Sie über elektronische Verkaufslisten an Privatkunden liefern.

"Erklärung/Disclaimer:
Von etwaigen illegalen, persönlichkeitsverletzenden, moralisch oder ethisch anstößigen Inhalten distanzieren wir uns in aller Deutlichkeit."
Sie sollten allmählich gelernt haben, daß Sätze dieser Art juristischen Nullwert haben. Mit "Distanzierung" ist es niemals getan. Und dazu noch der Wortmüll "moralisch oder ethisch" und das Kuriosum "anstößig". Also lieber Kollege, entweder Sie setzen sich mit Jugendmedienschutz, Pornographiegesetzgebung, den Grenzen von Schmähkritik, dem Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen usw. korrekt auseinander, oder Sie lassen es. Aber dieser Schmonzes, den Sie uns hier servieren, ist unerträglich, wirkungslos, fürchterlich. - Über den törichten Versuch einer vorsorglichen und generellen "Distanzierung" von Links mit Berufung auf LG Hamburg haben wir gestern schon gesprochen. Hört denn dieser juristische Uraltmüll n i e auf die Runde zu machen?

Im übrigen liegt hier, auch das ist uns nun schon bekannt, die leichtfertige, unerwartete Einsetzung der Suchmaschine großer Datenbanken anstelle eigener statischer Listen und Kataloge vor - das führt zu entsprechender Benotung. Hier aber verschärft durch die rücksichts- und erbarmungslose Quälerei des Kunden mittels einer fast nicht lesbaren blassen Schrift.

Ich sehe Düsteres auf uns zukommen - denn was bitte ist an dieser Webseite des Grauens eigentlich als positiv einzuschätzen? So gut wie nichts. Praktisch alles ist falsch gemacht worden.

Benotung der Webseite: Äußere Gestaltung/ Eingangsseite ... 5-6
Einführungs-, Vorstellungs- und Erklärungstexte ... 5

Titeldarstellung, Titelaufnahmen ... 5


Zur Ermittlung der Gesamtnote zählen jeweils

Äußere Gestaltung/ Eingangsseite ... 40 %
Einführungs-, Vorstellungs- und Erklärungstexte ... 20 %
Titeldarstellung, Titelaufnahmen ... 40 %

Damit kommt die Webseite des Kollegen Viesel = Magister Tinius auf die sehr schlechte Gesamtnote 5-

Sie ist in jeder Hinsicht bisher die unerfreulichste Kollegenwebseite. Es gibt buchstäblich nichts, auf dem Kollege Viesel aufbauen könnte. So darf mit unseren Kunden nach meiner persönlichen Einschätzung nicht umgegangen werden - das grenzt an Kundenbeschimpfung.


Antiquariat Orban & Streu

Eine wunderschöne Startseite, in der mit Erfolg versucht wird, nicht nur den Laden, sondern seine Atmosphäre und mehr noch etwas vom Erlebnis, dort einzukaufen, sich dort aufzuhalten, herüberzubringen. Ich bin von diesem Bilderbogen ganz hingerissen! Wer immer diese Fotos so sensibel zusammengestellt hat, ist auf seine Weise ein Genie. Man muß ihn kennenlernen!

Angenehm die minimalistische Gestaltung des Textes. Die ausdruckbare Wegbeschreibung, so handgestrickt sie auch aussehen mag, ist gut brauchbar (ich kenne mein Frankfurt und kanns beurteilen), die Idee des Ausdruckens ist gut.

Die Sachgebietsgliederung unter der Registerkarte "Katalog" ist mustergültig, eine Freude fürs Auge. - Wen wundert es, daß auch die Titeleinträge ohne Fehl und Tadel daherkommen - persönlich habe ich die Leute im Verdacht, daß sie sich mit den guten Pixelfotos - selbst bei billigeren Büchern - ein wenig selber ausbeuten. Aber den Kunden freut es! Die dezenten Vermerke der eigenen Betriebsnummern stimmen ebenso heiter wie die ideale Anordnung der Preise. Da nimmt man die fehlende Warenkorbfunktion in Kauf.

Die unter "Service" angeordneten Versandbedingungen sind - warum gibt es immer nur Extreme zum Zuviel oder Zuwenig hin - in dieser Form zu knapp. Sie sind hochgradig abmahngefährdet. Bitte bleibt aber beim sympathischen Ton und kümmert euch einfach nur um jene 6 Sätze, die jeder Versandhändler schreiben muß. Das solltet Ihr aber sofort tun - das heißt noch heute.

Die Registerkarte "Projekte" wünschte ich mir ausführlicher. Wer so interessante Veranstaltungen auf die Beine stellt, der darf und muß wirklich etwas ausführlicher dafür werben.

Die "Links" sind wohl eher als Beitrag zum "Dadaismus in der Webseitengestaltung" gedacht. Muß dieses Jonglieren sein?

Das "Impressum" enthält unten allerlei lustigen und unnötigen juristischen Müll. Dadurch wird, notabene, die oben von mir dringlichst angemahnte Hinzufügung der Versandbedingungen nach Fernabsatzrecht usw. nicht ersetzt.

Fazit: Ich bin von dieser Webseite begeistert! Sie ist, gerade auch wegen ihrer individuellen, warmherzigen, menschlichen Gestaltung mit großem Abstand die beste bisher. Ein schwarzer Fleck, das Fehlen der Fernabsatzbedingungen, hat mit der Gestaltung und Funktionalität der Webseite an sich nicht direkt etwas zu tun. Sie führt daher nur zu geringem Punkteabzug - muß aber, ich sags nochmal, sofort ausgebügelt werden.


Benotung der Webseite: Äußere Gestaltung/ Eingangsseite ... 1 (mit Stern) Einführungs-, Vorstellungs- und Erklärungstexte ... 1-2
Titeldarstellung, Titelaufnahmen ... 1-2 (geringer Abzug wegen fehlender Warenkorbfunktion, ansonsten auch hier "mit Stern")


Zur Ermittlung der Gesamtnote zählen jeweils

Äußere Gestaltung/ Eingangsseite ... 40 %
Einführungs-, Vorstellungs- und Erklärungstexte ... 20 %
Titeldarstellung, Titelaufnahmen ... 40 %

Die mathematisch errechnete Note wäre 1,3. Da wir aber zweimal "mit Stern" vergeben konnten, runden wir zweimal etwas auf.

Damit kommt die Webseite der Kollegen Orban und Streu auf die ganz erfreuliche Gesamtnote 1.

Ich gratuliere, freue mich aufrichtig und hoffe, daß sich die Kollegen inspirieren lassen von Eurer ausgezeichneten Arbeit.