Donnerstag, 20. August 2009

Sinn und Unsinn des Blogs im Antiquariat




Kaum ist man aus dem Haus, tanzen die Mäuse in Blogbeiträgen und Twitterzettelchen. Da hilft alles nichts, man muß etwas sagen dazu. Mit Korkodill-Bilderchen ist es nicht getan.

Soweit ich das Blogwesen im Antiquariat überblicke, hat alles angefangen bei Xing mit elend langen Beiträgen unseres verhinderten Pfarrers und Kollegen Kretzer. Seine Texte waren in fehlerfreiem Deutsch abgefaßt, was ihnen den ersten Anschein der Vernunft und Klarheit gab. Da sich Koll. Kretzer freiwillig ins Gefängnis der Xing-Gruppe begeben hatte und dadurch nichtöffentlich wurde, versage ich mir, näher darauf einzugehen.

Xing, dem wir nun endlich auch gerichtlich bescheinigt sehen, daß es die dort eingestellten Texte in bedenklicher Weise zur Eigennutzung reklamiert, beherbergt auch den werten Kollegen Plocher.


1.
Plochers Texte können wir jetzt als öffentlichen Blog lesen. Er verfügt über die nicht geringe Kunst, kulturell wichtige Stücke wie alte Landkarten vom Jadebusen oder die Buffoniade eines Herrn Ebert nicht nur korrekt zu beschreiben, sondern gut lesbare, amüsante Kommentartexte danebenzusetzen.

Soweit, so löblich. Aber was leistet er damit? Wie wir alle ächzt er unter der grausamen Verpflichtung, dem einzelnen Objekt nur sehr begrenzte Zeit widmen zu dürfen. Immer dann, wenns spannend und lohnend würde, wenn vertieftes Studium, gründliche Recherche beginnen müßte - bricht er mit Blick auf die Uhr ab. Nochmals: Das geht uns allen so. Nur machen wir keinen edlen Kult aus dieser fatalen Oberflächlichkeit, zu der uns unser Beruf zwingt, sondern wir verrichten unser Amt klaglos und ohne jenen Schwulst, der sich immer dann ergibt, wenn wir,

*als Redakteure im Niveau lokaler Anzeigenblättchen, die eine Ausstellung in der Kreissparkasse zu besprechen haben,

unser aus der Not geborenes Tagewerk hochstilisieren zu niveauvoller geistig-kultureller Arbeit. Die vollbringen wir aber in Wahrheit so gut wie nie, können und sollen sie nicht abliefern, wir vermitteln im unteren Wiki-Bereich Sachinformationen, geben wenige persönliche Eindrücke hinzu (wobei es dann leicht peinlich wird, aber lassen wir das), exzerpieren geschickt einige - in aller Regel völlig überflüssige - Handbuch-Einträge, und das wars dann.

Ich gebe ja zu, lieber Kollege Plocher, daß das Instrument "Blog" mitsamt den prächtigen Illustrationsmöglichkeiten, der würdigen Typographie und mit der stets wachen Aufmerksamkeit unseres Redakteurs Biester dazu verführt, die eigene triste Anzeigenblatt-Zweckschreiberei zu veredeln, hochzustilisieren. Aber das Ergebnis ist schrecklich - irgendwo zwischen Anbiederei, Schmusekitsch und den Ergüssen poetischer Hausfrauen wird alles peinlich hoch 4.


2.
Einen anderen Blog-Typ verkörpert unser verehrter Kollege RF Meyer. Ihm eilt der Ruf voraus, seit gut 15 Jahren aktiv im Bereich des deutschen Antiquariats kritisch mitgedacht und mitgelitten zu haben, womit es ihm ähnlich ergeht wie mir - man fürchtet ihn, hört ihm aufmerksam zu, aber man liebt ihn nicht. Unbestechlichkeit ist nicht gefragt, besonders dort nicht, wo sich, wie im deutschen Antiquariat, Intrigiererei, Mauschelei, Einbildung, täppisches Agieren und dumme Faulheit zu einem ungenießbaren Brei vermengen.

Da kann der aufrechte Ritter gegen den Muff eines Berufsstands entweder wie Mulzer zum belächelten Idioten vom Dienst werden - oder er zieht sich zurück in das ewig freie, schöne Reich der Philosophie.

Diesen zweiten Weg hat sich Kollege RF Meyer ausgesucht. Tatsächlich mag man dem Rat des Philosophen bei so fürchterlicher Tätigkeit wie dem reihenweisen Eingeben von Titeln, die man nicht lesen, nicht benutzen, nicht erforschen, ja nicht einmal liebend besitzen darf, die man - weiterzugeben hat, keinesfalls entraten.

Alltagsphilosophie oder besser Philosophie in der Lebensplanung ihres Adepten - das sind seltsame und hochgefährliche seelische Wirkkräfte. Der Philosoph mag sich beizeiten nach der Couch eines guten Psychiaters umsehen oder nach den Eremitensitz im Wald. Ungestraft betreibt man nicht Philosophie! Besonders fatal hat es den werten Kollegen in der Reichshauptstadt erwischt, denn mitunter ist ihm die Gabe eines fast hellsichtigen planerischen Geistes verliehen, er erkennt Notwendigkeiten und Chancen, die er auch darstellen kann.

Dann aber, ein furchtbares Verhängnis, kommt ihm die Philosophie in die Quere. Er begibt sich, anstatt im Kampfesgetümmel munter weiterzufechten, auf den hohen Turm seiner Philosophie und denkt über den Kampf nach, anstatt ihn zu führen. Mit den Resultaten erfreut er uns dann, und zur allgemeinen Verblüffung lesen wir halbverdaute Metaphilosophien aus und über unser Gewerbe oder, noch ärger, über die Welt im allgemeinen. Was anderen der Gichtanfall oder die monatliche Depression, das ist für RF Meyer der Trieb, philosophieren zu müssen.

3.
Nun zum dritten und vierten Typ Blog, zu konzentrieren auf zwei Merkmale, die sich überall als Begleitmelodie finden. Zunächst die meist etwas melancholische Beschreibung des eigenen Zustands und des Umfelds, in dem der Schreibende lebt und arbeitet. Kollege Wimbauer ist hier ein gutes, wenn auch mitunter beim Überlaufen seiner Twittereien etwas lähmendes Beispiel. Wir hören gern von den Büsis, der Qualität seines Abendessens und den Umständlichkeiten des Finanzanmts, sei es auch nur, um befriedigt zu nicken: Also auch dir geht es nicht anders als uns, schau schau. Aber dieses Interesse der Kollegen hat enge Grenzen und bald gähnt der Leser - - so genau wollten wir das alles nicht wissen.

Ich habe deshalb die Schweizer Bratkartoffeln, die ungeflickten Socken wie auch Spinnen und Käferchen in meinem Büchergrab immer nur kurz behandelt. Das Persönliche ist ja ganz nett, aber bitte nur kurz, eine Prise Salz.

Ein anderes Blogmerkmal führt uns vom Salz zum Gift, von der Prise zum Eßlöffel. Wir sind bei der ironischen Kritik angelangt, beim Grenzbereich zwischen Spott und Verleumdung, bei der hämischen Herabsetzung. Es ist schwer umzugehen damit. Wenn ich Kritik an Personen besonders ernst meine, versuche ich immer, sachlich-neutral zu schreiben, wohl wissend, daß auch dies verletzend sein kann - im Idealfall vergebe ich Noten wie in jenem legendären Aufsatz zur Webseitenkritik. Greife ich in die Kiste mit den Salzsäurefläschchen, auf denen "Ironie" und "Spott" steht, sollte ich mich eigentlich bemühen, nicht mehr als eine zu entkorken. Da mir das aber regelmäßig *nicht* gelingt, indem also aus der beabsichtigen Mäßigung in aller Regel bei mir eine Schlammschlacht wird, schäme ich mich über fast alle meiner alten Beiträge. Ich lese meine Texte so gut wie nie ein zweites Mal, nachdem sie einmal im Blog stehen. Wer will denn so ironisch-vergiftete Beiträge auch noch - lesen müssen?

Immerhin habe ich durch tägliche Übung den effektiven Umgang mit dem gefährlichen Material technisch - leider nicht taktisch - gelernt. Wo aber im Bösesein ungeübtere Kollegen polemisch und aggressiv zu schreiben versuchen (ich versage mir Beispiele), dort wird das Verletzende oft übermächtig. Mit anderen Worten - auch giftig zu schreiben will gelernt sein.


----------------------

Fassen wir zusammen. Es gibt im Antiquariat Blogs, in denen

- die öde tägliche Arbeit hochstilisiert wird zu kulturellem Schmonzes,
- philosophische Weltflucht gepredigt wird,
- sensitiv-larmoyante Umwelt- und Lebensbeschreibung abgeliefert wird,
- Gift und Galle, Zynismus und Kritik verbreitet werden.

Alle vier Formen halte ich für schädlich.

Was wir brauchen, ist eine fortwährende Analyse unseres Berufsalltags mit dem einzigen Ziel einer sofortigen, praktischen

*Verbesserung.

Mit anderen Worten - wir brauchen mehr berufsständisches Denken und eine größere Hilfsbereitschaft, ein Streben nach allgemeiner Berufsverbesserung, gerade auch in den Blogs.

Kaminfeger, Putzfrauen und Angestellte in Irrenanstalten wissen das - wir Antiquare müssen es erst noch lernen.



Ich danke F.K. Waechter für die Ausleihe seines Bilds. Alle Rechte daran gehören ihm.