Samstag, 22. August 2009

Björn Biester - Totengräber des deutschen Antiquariats?


Zwei Jahre später (2011) hat sich am Grundproblem dieses heiklen Beitrags nichts geändert, im Gegenteil. Aus Gründen, über die wir nur Vermutungen anstellen können, hat sich biesters Blick für aktuelle, soziale und strukturelle Probleme des Antiquariats noch mehr verkürzt und verengt. Angesichts der verschärften Problemlage in unserem Beruf ist seine soziale Blindheit eine Katastrophe.

Der folgende Text ist ein Meinungsbeitrag.





Björn Biester ist seit längerer Zeit verantwortlicher Redakteur der Internetausgabe des Börsenblatts für den deutschen Buchhandel, Teilausgabe Antiquariat. Er redigiert auch die Printausgabe der monatlich erscheinenden Fachzeitschrift "Aus dem Antiquariat". Über eine Dienstleistungsgesellschaft ist er de facto Angestellter oder sagen wir besser Beamter beim Börsenverein des Buchhandels in Frankfurt.

Er blickt sanft drein, versichert uns, mit Oberlehrerbrille und schlichtem Theologenhaar, Hauslehrer bei einer verarmten, aber anständigen Familie auf dem Lande zu sein. Mit seiner sanften, sensiblen Telefonstimme hat er keine Feinde, nur Freunde. Er liebt Netzwerke und freundschaftliche Besuche auf Messen. Er ist auch Wissenschaftler. - Wäre er doch Privatdozent für lateinische Lyrik der frühen Neuzeit geworden!

Das Schicksal aber hat ihn unter die deutschen Antiquare geworfen. Er übernahm von einer ebenso freundlichen wie klugen und - unendlich blauäugigen Vorgängerin jenes mit Spinnweben verhangene und auf dem Stand von 1930 verbliebene Gespenst einer Fachzeitschrift, eben unser altes "Aus dem Antiquariat".

Wir hofften auf Reformen. Redakteur Biester wirds richten. Er wird erkennen, in welcher heillosen Lage die Antiquare zwischen Flensburg und Graz sich befinden, wird nach einer Anlaufzeit, die wir ihm zubilligen, klarsichtige Analysen anstellen, Rezepte finden, Ratschläge bereit halten, Mahner und Seher sein, eine Labsal und Freude für den gebeutelten Berufsstand. Biester, geh Du voran!

Eine unselige Parze sperrte ihn in das Prokrustesbett eines Content-Systems, zu deutsch also einer Art Gerüst, das von Tag zu Tag, von Meldung zu Meldung weiterschreitet und den Redakteur, der sich ihm unvorsichtig anvertraut hat, zu gleichförmiger Verzettelung, zu sinnloser Tagesfron, zu immer neuem Beackern uralter, längst dreimal abgenudelter Fachthemen zwingt. Biester wurde rasch zum Opfer des Systems.

Er begann den verwirrten und geneckten Leser mit täglichen Häppchen zu füttern. Rein technisch war auch ein versierter Nutzer nach wenigen Wochen mit vernünftigem Zeitaufwand nicht mehr zum Rückgriff auf alte Meldungen in der Lage. Wir konnten zunächst nur hilflos registrieren, daß wir zu Konsumenten einer seltsamen Fachzeitung im höheren Bildzeitungsstil gedrillt wurden. Jedes Ereignis, wie bedeutsam oder wie belanglos es auch sein mochte, wurde in ewig ähnlicher, mehr oder minder abgekürzter Form serviert, Wichtiges und Läppisches in einem Topf.

Ich habe versucht, das fürchterliche, ebenso sinnlose wie schädliche System zu durchbrechen. Die Kollegen beteiligten sich rege und Kommentarbeiträge bis zu dreistelligen Ziffern hätten auch einen toten Redakteur zum Leben erwecken müssen. Nicht so Björn Biester. Inwieweit das auf Chefredakteur Casimir zurückzuführen war und ist, weiß man nicht - dieser blickt imperial drein, schreibt zu Zeiten giftig und gallig, scharf und rücksichtslos. Man muß Casimir nicht mögen.

Björn Biester dagegen haben wir alle lieb. Deshalb ertrugen wir geduldig verschiedentliche Ausrutscher, allen voran einige peinliche Übernahmen kaum verhüllter, blödsinniger Werbetexte einer Genossenschaft, deren Namen wir hier gnädig verschweigen wollen. An ihrem schlechten Deutsch waren sie leicht zu erkennen. Andere auch nicht schwerwiegende Parteilichkeiten etwa zugunsten des ZVAB wurden benannt und dann bald abgestellt. Wirkliche Anerkennung hat sich unser aller Redakteur erworben bei der Behandlung jener abgrundbösen Affaire um den Karl-May-Nachlaß, damals fand börsenblatt.net den direkten Weg bis ins sächsische Staatsministerium. Schaden wurde abgewendet.

Erwähnen wir für Außenstehende einige Eckpunkte, die jedem (denkenden) Angehörigen unseres Berufszweigs geläufig sein dürften. Vier, seit neuestem wohl 5 Berufsverbände mit sich teils überschneidenden Mitgliedschaften bestehen in unserer vergleichsweise winzigen Berufsgruppe mit knapp über 1000 Tätigen. Die bekannteste, der Verband, scheint durch interne, mühsam unterdrückte Führungsquerelen seit Jahren faktisch lahmgelegt zu sein. Die - leider - auf eine Anregung von mir zurückgehende Genossenschaft erstarrt unter einer einfallslosen Führung zu einem nahezu handlungsunfähigen Gebilde. Andere, teils sehr gut angedachte Vereinigungen kommen nicht in die Gänge, immobilisieren sich selber nach kürzester Zeit. - Das Quasimonopol der Datenbank ZVAB, von der fast alle Antiquare im Vertrieb auf Gedeih und Verderb abhängig sind, wird mühsam vertuscht, kann aber jederzeit, etwa bei einem Weiterverkauf, zur drückendsten Gefahr für den Berufststand werden. Am Horizont winkt die Krake Amazon/ Abebooks mit noch fürchterlicheren Fangarmen. Der Preisverfall schreitet voran, Absatzkrisen wie etwa die gegenüber den Bibliotheken müssen hilflos hingenommen werden. In Sachen Bibliographie, insbesondere in der Sacherschließung, gibt es kaum Fortschritte, die überfällige Zusammenarbeit mit Google wird nicht realisiert, ebensowenig finden Gespräche mit Ebay statt, auch nicht mit DHL wegen der gefährdeten Versandform Büchersendung.

Das mag genügen, um Außenstehenden eine Idee von der Lage des Antiquariats zu geben. Man müßte noch von den dramatischen Rückgängen im Ladenantiquariat sprechen, von der Einmischung gewerbefremder Verkäufer, von der grotesk im Bonsaistadium steckengebliebenen Zusammenarbeit mit dem Neubuchhandel - es ist der Sorgen und Probleme kein Ende, die zu klären sind - schnell, zügig, subito, unter Einsatz aller vereinten Kräfte der Berufsgruppe.

Zurück zum Börsenblatt. Es ist die einzige echte Mitteilungs- und Diskussionsplattform, über die das Gewerbe verfügt. Eine bescheidene Alternative, unglücklicherweise als geschlossene Xing-Gruppe eingerichtet, schmort seit Monaten im eigenen Saft, nicht zuletzt wegen der unklaren Absichten ihres Gründers. Wir kennen die Abrufzahlen von börsenblatt.net im Bereich Antiquariat nicht, ich gehe aber von rund 300 Stammlesern aus. Nochmals - es gibt gar kein irgendwie geartetes Medium, das auch nur von fern einen vergleichbaren Einfluß unter den Antiquaren im deutschen Sprachgebiet hat.

Wie nutzt nun Björn Biester die Macht, die Möglichkeiten dieses Mediums?

Ich schätze ein: Er vertut in ganz unverantwortlicher Weise die Chancen, über die er verfügt. Er verrät publizistisch unser Gewerbe, er verletzt seine Pflichten gröblich, er ergreift keinerlei Initiative, er bleibt weit unter den Möglichkeiten, die ein einsichtiger Redakteur hat.

Ich frage bei alledem nicht nach seiner politischen Einstellung. Auch wir kennen den Satz "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing", und niemand wird es ihm ankreiden, daß er sich den Heidelberger und sonstigen, unsäglich rückständigen Grundsätzen des Börsenvereins in Sachen Informationsfreiheit und Urheber- und Verlagsrecht unterwirft. Das ist natürlich alles bedauerlich, aber hier und heute nicht unser Thema. Er muß sich der Großfrankfurter Verlegermentalität unterwerfen. Will er den Scheichs von Dubai, bestgehaßten Schacherern im Nahen Osten, die Füße küssen, wie ers vor einigen Monaten submissest und seitenlang in börsenblatt.net getan hat, soll ers tun.

Wir beurteilen sein Wirken allein nach dem engeren Arbeitsgebiet des Buchantiquariats.

Er wertet nicht und kritisiert nicht. Vor unser aller Augen versagt der Verband, an und für sich noch die größte Hoffnung des Gewerbes, seit Jahren. Er kennt alle Einzelheiten, verschweigt uns nicht, wenn er mit dessen umstrittenem Vorsitzenden beim Weine sitzt. Sagt er uns auch nur mit einer Andeutung, was er dort erfahren hat? Der Verband ist dafür verantwortlich, daß ein selbstverständliches, bitter notwendiges Arbeitsmittel aller Antiquare, das Register der Auktionsergebnisse, für schweres Geld an undurchsichtige Privatfirmen vergeben wird, als jährlich fließende Zwangspfründe, die jeder Kollege zu löhnen hat. Er reagiert nicht einmal auf den Spott, den der unsägliche Vorsitzende auf kritische Nachfragen nach seiner Verantwortung für dieses Monument der Schande eines Berufsverbands von sich gibt. Der gleiche Verband versagt auf internationaler Ebene, Hand in Hand mit der GIAQ, in Sachen ILAB-Datenbank so fürchterlich, daß nicht einmal die Mauschelgenies des Gewerbes am Starnberger See und am Rhein den Scherbenhaufen unter den Teppich kehren können. Wertet Redakteur Biester, frägt er nach, analysiert er, nimmt er Stellung? Nein! Wo er es doch zu tun vorgibt, unterstützt er bei näherem Hinsehen noch die eiligen Verhüllungsoperationen der Verantwortlichen.

Wenn ein ganzer Berufsstand dergestalt auf Gedeih und Verderb von einer Verkaufsdatenbank abhängig ist, wie das deutschsprachige Antiquariat vom ZVAB, dann ist es die heilige Pflicht des Fachredakteurs, jeden Schritt, jede Einzelheit dieser Datenbank kritisch zu begleiten. Ich meine damit sowohl positive Kritik in Form von Anregungen und Entwicklungsperspektiven wie auch negative Analyse und Bewertung. Nichts davon geschieht, im Gegenteil kommt Biester auf die unglückliche Idee, einen Mitarbeiter des ZVAB in sein Schulprogramm einzubinden. Ähnlich präzise muß die kleine, an sich nahezu bedeutungslose Prolibri-Verkaufsdatenbank begleitet werden, denn sie ist die einzige Alternative zum ZVAB und war einst angetreten, um deren Monopol zu brechen. Muß ich noch sagen, daß aus Redakteur Biesters Feder jede kritische Analyse dazu nahezu vergebens gesucht wird?

Das Grauen in der Frankurter Redaktion hat System - da lobt man kleine putzige Ladengründungen, erwähnt Fachkataloge mit irgendwelcher ganz verdienstvoller, im großen Überblick aber nebensächlicher Thematik, verliert sich überhaupt in lächerlich-peinlicher Kulturberichterstattung aus Bibliotheken und Museen, die ebenso willkürlich-punktuell herausgegriffen wie plakativ den Pressemitteilungen der Institutionen entnommen zu sein scheint - mitsamt peinlichster Schleichwerbung für diverse Drohnenverlage ("Museumskatalog 120 Euro") oder Firmen ("Abebooks-Veranstaltung in der Deutschen Bücherei"). Solche Einwendungen gegen seine Arbeit sind aber nur Quisquilien. Mir ist das nicht wichtig.

Von Bedeutung ist nur eines: Nahezu alle Kernfragen unseres Gewerbes werden von ihm, dem zuständigen Fachredakteur, nicht analysiert, kaum kommentiert, nicht begleitet.

Das ist eine publizistische Katastrophe.

Mich erinnert das an gewisse überregionale Tageszeitungen des NS-Regimes in der letzten Kriegszeit, die munter und fleißig über kommende Kulturereignisse berichteten, während die Städte, in denen diese stattfinden sollten, zwischenzeitlich in Schutt und Asche zerfallen waren. Die Technik ist bekannt: Alles wirklich Wichtige, wahrhaft Diskussionswürdige, alles, was auf den Nägeln brennt, was jeden angeht - - das wird mit peinlicher Sorgfalt nicht behandelt. Dagegen wird das Nebensächliche im Kleinstformat "liebevoll" berichtet.

Das ist eine uralte Technik des Einlullens. Den dafür Verantwortlichen muß ein publizistischer Mühlstein um den Hals gehängt werden.

Ich kann hier aus Raum- und Zeitgründen viele weitere Punkte, die anzuführen wären, nicht erwähnen. Auch halte ich meine Enttäuschung, daß der Börsenverein selber nicht wirklich tätig wird für die Antiquare, aus dieser Anklageschrift ausdrücklich heraus. Denn das ist ein anderes Kapitel, ich sehe ein, welche schier unübersteigbaren Hindernisse sich da auftürmen.

Ganz anders, das muß klar unterschieden werden, sieht es mit dem aus, was ich hier am Schluß meiner Ausführungen mit einem klaren Wort bezeichnen möchte:

Nach meiner Einschätzung betreibt Björn Biester publizistischen Verrat an unserer Berufsgruppe.

Denn wer über hübsche, kleine, kulturvolle Ereignisse nett und gut lesbar referiert, dabei aber nahezu alle wichtigen Fragen des Gewerbes verschweigt oder - fast noch schlimmer - verkürzt, verniedlicht, vertuscht und kleinhält, ist der, wenn er als federführender Redakteur für den Teilbereich börsenblatt.net/ Antiquariat verantwortlich ist - - nicht ein Totengräber des deutschen Antiquariats?




Das Deckelbild ist Eigentum des Verlags Bastei-Lübbe. Wir bedanken uns für die Illustrationsmöglichkeit. Bild wird auf einfache Anforderung hin entfernt.