Montag, 24. August 2009

Kollege Plocher, Jean Paul und die idyllische Verfinsterung







http://owplocher.blogspot.com/
vom 24. August 2009

Wenn die von Metternichs Spiegelkabinetten, abgewürgten Zeitungen, geheim und offen zensierten Büchern, brutalster wirtschaftlicher Ausbeutung und oligarchischer Untertanenquälerei, von Bücklingen und Vatermördern erschöpften Zeitenossen des frühen Biedermeier sich erholen wollten, dann griffen sie zu ihrem geliebten Jean Paul. Die Frauen, auch wenn sie, wie immer, nicht verstanden, was der Dichter eigentlich sagen wollte, verliebten sich in seine gefühlvollen Wendungen und Anmerkungen, fühlten sich ihm an und ein und hielten sich den Dichter wie heute Kollege Plocher seine Antiquariatsbüsis - halt etwas fürs Gemüt... Die Männer scherten sich nicht um die Verrisse klarsichtiger Geister wie etwa Goethe, pfiffen auf den grotesken Schachtelaufbau, rochen geduldig in seine Zettelkästen hinein und sagten sich: Wir verstehens zwar nicht, aber gerade deshalb muß er ein großer Dichter sein.

Das dachte ich einstens auch, und weil ich die Soziologie in ihrer strengen Freiburger Ausprägung nicht recht mochte, wechselte ich die Fächer und warf mich der Germanistik in die Arme. Schon sehe ich Kollegen Plochers Augen aufblitzen - richtig, das erste Oberstufenseminar, in das ich mich hochstapelnd hineineskamotiert hatte, ging über - - Jean Paul.

Ich wills kurz machen: Kein Dichter auf dieser unserer Welt, vielleicht abgesehen von dem reimtändelnden Platen oder Blubodichtern wie Blunck oder Busse ist mir seitdem derart verhaßt wie Jean Paul Richter. Sollte ich ein Bild alles dessen malen, in einer Person, was Dichtung Fürchterliches, was Kunst Abstoßendes und was an Obskurantismus Verwerfliches sein kann, dann würde ich das Portrait Jean Pauls zu Papier bringen, ohne zu zögern.

Es geht nicht gegen die Romantiker, ganz im Gegenteil. Eichendorff ist einer meiner Lieblingsdichter, Novalis verehre ich, E.T.A. Hoffmann kenne ich streckenweise bis zum freien Zitieren hin.

Jean Paul aber hat die Romantik geschändet, hat sie in Verruf gebracht, hat sie mißbraucht.

Wer sagt, daß er mehr als fünfzig Seiten Jean Paul in einem Zuge lesen kann und sich dabei wohl und klaren Geistes fühlt - der lügt. Dieser Dichter hat wunderschöne, immer leider auch süßlich-schwüle Textstellen, aber er kann nicht im Ansatz eine vernünftige Handlung, einen nachvollziehbaren Gang irgendwelcher Ereignisse darstellen.

Nun werde ich als guter Deutscher flugs eine "Philosophie" aufbauen und in seine formale Unfähigkeit ein großes, bedeutsames Geheimnis hineindenken, nicht wahr? Daß er nicht schreiben konnte, jedenfalls nicht in vernünftigen Zusammenhängen, das kann und wird und muß ja gerade die tiefere Bedeutung sein...

Ich halte es mit jener alten zweibändigen Literaturgeschichte von Eduard Engel, die mir der Direktor des Humanistischen Gymnasiums, ich war in der Unterprima und wir tauschten beim alten Antiquar Evers flagellantische Pornographica aus, eines Abends schenkte. Dort wird dem Dichter, mit ähnlichem Bedauern, das ich empfinde, bescheinigt, daß er einfach nicht in klaren Handlungssträngen schreiben kann, daß es eine Qual ist, ihn zu lesen und daß man fliehen möge, sobald ein Buch von ihm am Horizont auftaucht.

Zwei große Referate, halbe Zulassungsarbeiten, habe ich über ihn geschrieben. Seither hasse ich ihn. Diesen abgrundtiefen Haß, diese immer neue Verärgerung versuchte ich jedes Jahrzehnt einmal zu überwinden. Komm, Peter, lies ihn doch mal wieder... Angewidert, zutiefst erzürnt, enttäuscht legte ich ihn wieder weg.

Es ist mir unbegreiflich, daß man sich durch seine Texte hindurchquälen kann. O Kollege Plocher, wie ausgeprägt mag Ihre masochistische Komponente sein? Packt Sie niemals der helle Zorn, kommen Sie sich - und das wiegt schwerer - nicht auf Schritt und Tritt veralbert, verhöhnt vor von dem Dicxhter, der mit Ihnen nur unwürdige Winkelzüge, lächerliche Maskenbälle und oft genug - - platte, dümmliche Scherzchen treiben möchte?

Bei mir im Antiquariat hat Jean Paul die zu ihm passende Erscheinungsform: Er kommt fast nur in den unsäglichen Hempel-Ausgaben vor, Berlin 1860-1880, in reichgeprägten Protzeneinbänden, an sich recht klar und sauber gedruckt - - aber auf dem miesesten, tiefbraunen Hozpapier, das man sich vorstellen kann. Mir ist das immer ein Symbol für gekonnte einzelne Textstellen, bei denen aber die elementare Begabung, größere Formen herzustellen, fehlt.

Jean Paul will ich nur in Hempelschen Ruinen sehen.