Montag, 24. August 2009

Antiquariatsgeschichte als Vertuschung, Heuchelei und Beschönigung

Der Börsenverein wie auch insbesondere Björn Biester sind inzwischen mit ernsthaften und überzeugenden Bemühungen angetreten, um den Vorwurf einer Geschichtsklitteruung durch neue ergänzende Arbeiten zu widerlegen. Festzuhalten bleibt aber: In der Sache hatte ich damals Recht. Björn Biester hat sich mir gegenüber bis heute nicht zu einer Stellungnahme aufraffen mögen, das ist nicht gut.





Dies ist ein Meinungsbeitrag.



http://www.stanford.edu/dept/german/faculty/BachBiesterartikel.pdf

Björn Biester war gestern auf die unglückliche Idee gekommen, uns seinen zusammen mit Ulrich Bach 2002 in der Fachzeitschrift "Aus dem Antiquariat" veröffentlichten Aufsatz "Zur Emigration deutscher und österreichischer Antiquare nach Großbritannien" in börsenblatt.net/twitterdienst neu vorzustellen, uns somit zur Lektüre zu empfehlen.

Ich habe, wie wohl alle buchgeschichtlich interessierten Kollegen, einige Tagebücher, Briefe, auch Gestapoakten, Bibliotheksmitteilungen und Familiengeschichten aus den Jahren 1933-1941 im Hinterkopf, die sich um das Schicksal der emigrierten Antiquare ranken, viel Zerstreutes aus bibliothekarischen Zeitschriften der späten Adenauerzeit, manches aus dem New Yorker "Aufbau", die lang meine Wochenlektüre war, aus den verschiedensten Biographien. Dieses mein Vorwissen war selten fröhlicher Natur (am vergnügstesten noch jener große, gut geglückte Bücherumzug per Kanalschiff aus Berlin), sehr oft aber düster, bestürzend, ganz ergreifend. Da wir selbst Antiquare sind, empfinden wir ja das Schicksal unserer Berufsgenossen ganz unmittelbar und sind ihnen näher als mancher, der dem Gewerbe eher fernsteht.

Als innerer Ablauf hat sich, aus einer Vielzahl von Mosaiksteinen zusammengesetzt, ein historischer Film gebildet im Kopf, der mit der subtilen Diskriminierung durch die Kollegen beginnt, mit den Erpressungsmethoden bei der Gestapo fortgesetzt wird, den widerlichen Machenschaften der "Finanzbehörden", den Schikanen der "Paßämter", den Drohungen der Industrie- und Handelskammern, den Nötigungen und Erpressungen der Banken und Kreditgeber, und über allem die Angst - die Furcht um das Schicksal der Verwandten, der Großfamilie - im jüdischen Leben oft so bedeutsam -, der Fürsorge für jüdische und nichtjüdische Mitarbeiter, dem fast völligen Versagen des hitlerfreundlichen Auslands, der Goebbelschen "Buchkultur" - - das alles im Vorfeld. Dann die "Auswanderung" selbst, die mit diesem widerlich beschönigenden Wort nicht benannt werden sollte, denn es war eine brutale Vertreibung, ob mit subtilen oder deutlicheren Mitteln. Der Augenblick, wenn der Zug über die Reichsgrenze fährt, unwiderruflich... Von den Mühen des Neuanfangs, auch bei eigenem beruflichem Glück doch die Sorgen der Familie im fremden Land, ganz zu schweigen von der Sehnsucht, vom Heimweh...

Dies also war mein Vorwissen, und wenn es denn sein muß, trage ich die Quellen einmal zusammen. Sei es nur, um das helle Entsetzen noch deutlicher zu machen, das mich gleich beim ersten Durchblättern dieser Arbeit überfallen hat und das bis zur Stunde in mir lebendig ist: Wie konnte dieser Aufsatz so geschrieben werden? Was ging in den Verfassern vor?

Es geht um das biographische Schicksal von Kollegen, von Menschen jüdischer Rasse, die zufällig Buchantiquare waren, große und bedeutende zumeist. M e n s c h e n haben G e f ü h l e, muß man daran erinnern? Biographen wie Björn Biester ganz gewiß. Mit dem mir nicht weiter bekannten Ulrich Bach zusammen hat er über ein hochsensibles, menschlich extrem wichtiges und diffiziles Thema geschrieben - - mit der Sturheit eines Panzers und der Sensibilität einer Betonmischmaschine.

Ich habe dabei nicht vergessen, daß sich die Verfasser das Thema der "Emigration in London" gewählt haben. Ihre Biographien beginnen indessen ganz folgerichtig in Deutschland. Sie springen dann aber fast ohne Berücksichtigung der höchst dramatischen, entscheidenden Vorgänge rund um die Vertreibung jeweils verschämt und eilig huschend zur Exilsituation in London.

Auch in einem Kurzaufsatz hätten wir Biester solche Gemütlosigkeit angekreidet. Aber hier breitet er mit löblicher Genauigkeit Lebenswege auf 16 A4-Seiten zweispaltig aus, wahrlich Raum genug, um allen Gesichtspunkten gerecht zu werden.

Nach einer seltsam blassen, selbst als Alibiübung unzureichenden historischen Einführung, die mit sprachlichen Leerfloskeln operiert (...dienten reichsweit koordinierte Aktionen dazu, Juden aus der deutschen Gesellschaft auszuschließen...die staatlich sanktionierte Diskriminierung... Juden wurden weitgehend entrechtet...) kündigt sich schon die schiefe, heuchlerische Grundthese einer jüdischen Emigration als "Auswanderung" an. Wir lesen: "Die Maßnahmen wirkten als Aufforderung zur Emigration aus Deutschland".

Die folgenden Zitate erscheinen zunächst recht harmlos:

(Breslauer) "k a m im Sommer 1937 nach London"
(Breslauer) "v e r l o r die Mitgliedschaft im Börsenverein der Deutschen Buchhändler"
"Nur wenige Bücher begleiteten ihn nach London, der überwiegende Teil w a r ... an den Schweizer Sammler Bodmer verkauft w o r d e n"
(Eisemann) "k a m ...1937 aus Frankfurt nach England"
(Eisemann) "v e r l i e ß Deutschland relativ spät und v e r l o r den Großteil seines Besitzes"
(Feisenberger) "v e r l i e ß 1933 Deutschland"
(Haas) "verkaufte sein Lager an die Kollegen... und e t a b l i e r t e sich in London"
(Paul Hirsch) "v e r l i e ß 1936 Frankfurt"
(Albi Rosenthal) "w a r 1933 nach London g e g a n g e n"
(Eschelbacher) "k a m 1933 nach England"
(Homeyer) "die jüdische Herkunft seiner Frau... und publizistische Attacken gegen ihn in NS-Organen zwangen ihn...im April 1938 nach London zu gehen"
(Hans Fellner) "k a m 1938 im Rahmen der wohltätigen "Kindertransporte" aus Österreich nach England"
"vollzog sich die E i n w a n d e r u n g der deutschen Antiquare nach London in zwei Wellen"

Bei näherem Hinsehen sind diese Formulierungen aber im ganz kommentarlosen, nicht eingeleiteten Zusammenhang schlichtweg pervers. Diese Antiquare "kamen" nicht irgendwohin, sie waren vertrieben worden - dieses Wort findet sich, wenn ich recht lese, an keiner Stelle. Sie waren nicht "ausgewandert"; SIE WAREN VIELMEHR ZUR AUSWANDERUNG GEZWUNGEN; GETRIEBEN; GENÖTIGT; ERPRESST; GEJAGT WORDEN. Dies alles verschweigen die Verfasser.

Sie "verloren" nicht ihren Besitz (das klingt, als hätten sie ihn irgendwo aus Versehen stehen gelassen) - er war ihnen GESTOHLEN, GERAUBT, ABGEPRESST, WEGGEFEILSCHT worden.

Kann Björn Biester so blind gewesen sein, daß er nicht individuell auf das furchtbare Schicksal, auf die grausamen Einzelheiten des Vorspiels dieser "Emigrationen"eingehen wollte - auch nicht auf so vielen Textseiten?

Am widerlichsten berührt mich seine groteske Schlußfolgerung, in der wir lesen: "Der Soziologe Georg Simmel beschreibt den Fremden als einen Wanderer, der heute kommt und morgen bleibt...".

Hier wird die sprachliche U m l ü g u n g von der Vertreibung der Juden aus Deutschland sofort nach 1933 als A u s w a n d e r u n g von Biester und Bach perfekt gemacht. Mir persönlich reichen schon die dutzendfachen Wiederholungen, "...kam nach London", um den Ungeist der Verfasser zu erkennen. Denn diesem "kam" steht kein Bedauern, keine Entschuldigung, kein noch so schwacher Versuch der Einfühlung voran.

Ich schäme mich für diesen Aufsatz vor den jüdischen Kollegen, die ja nun lang nicht mehr leben, deren Verjagung, Vertreibung, Hinausekelung, Bedrohung, Verhöhnung, Verächtlichmachung, Terrorisierung, Entwürdigung, schleichenden Entrechtung und Entmenschlichung in ihrer deutschen Heimat dieser unsägliche Aufsatz - - fast mit keinem Wort erwähnt, nur mit einigen alibihaften Leerformeln.

So eiskalt, unsozial und gefühlsarm möchten wir Antiquariatsgeschichte nicht betrieben wissen.


Ich danke militaryimages.net für die Ausleihe des Bilds, dessen Besitzrechte dort liegen.