Montag, 29. Juni 2009

Warum das Imprimatur-Jahrbuch der Bibliophilie schadet


1.

Imprimatur
Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Neue Folge
[Band XVIII (2003)]

Leinen, 326 Seiten, 157 Abbildungen - 24 x 17 cm
ISBN10: 3-447-04723-2
ISBN13: 978-3-447-04723-4
96,00 Eur

Kein Zweifel: Der Verlag Harrassowitz in Wiesbaden ist ehrenwert und angesehen. Nichts anderes kann von der Gesellschaft der Bücherfreunde behauptet werden. Auch bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die folgenden kritischen Bemerkungen im Sinne einer persönlichen Meinungsäußerung und in meiner Eigenschaft als unmittelbar Betroffener niederschreibe.

Es gibt eine Preispolitik des Buchs, eine Preispsychologie. Man kann damit nutzen, aber auch schaden. Durch falsche Bücherpreise wurden schon Ideen zerstört, Bewegungen eingesargt, gute Gedanken eingemauert - man denke etwa an die ältere Anthroposophie vor den Taschenbuchausgaben. Bücherpreise sind mehr als nur Kalkulation, weit mehr.... - Und nun zum konkreten Fall, der uns Antiquare unmittelbar angeht.

Was hier geschieht, ist eine Schande, es ist ein Unrecht am Gedanken der Bibliophilie, der Bücherleidenschaft, der Liebe zum alten Buch. Die völlig abstruse - fast möchte ich sagen unmenschliche - Haltung der Gesellschaft der Bücherfreunde erscheint mir ebenso verwerflich wie die Preispolitik des Verlags.

Wir haben im Auge, wenn wir dies behaupten, daß der Verlag seine Kalkulation im speziellen Fall erheblich lockerer gestalten kann als sonst, weil ja die Mitglieder der Gesellschaft das Jahrbuch als Teil ihrer Mitgliedschaft automatisch erhalten - eine gute Startauflage ist gesichert. Nichts erfreut den kalkulierenden Verleger mehr als solche Subskriptionssicherheit.

Wenn ich nun aber dem Nichtmitglied 326 Druckseiten mit 96 Euro, auf gut deutsch für 200 Mark alter Währung verkaufen will, dann grenzt das nach meiner Einschätzung an Mißbrauch.

Wieder einmal hat eine Vereinigung, von der man einigen Einfallsreichtum im Bemühen, ihre schöne Idee zu verbreiten, hätte erwarten können, kläglich versagt.

Der Verleger kann dafür nicht einmal besonders viel. Er kommt mir in diesen digitalen Zeiten vor wie einer jener Sparkassenmanager, der mit Recht darauf hofft, daß es immer noch genug alte Omas geben wird, die fleißig auf Sparkassenbüchlein einzahlen - - deren Rendite die Inflationsrate unterbietet. Auf Naivenfang läßt sich der Vorgang aber leider nicht beschränken, denn es ist auch leise, vom Verlag so in der Regel gar nicht gewollte, manchmal nicht einmal bewußte "automatische Erpressung" mit im Spiel. Denn wer das Buch vom Thema und den - exzellenten - Autoren her unbedingt braucht, ohne Mitglied zu sein, der muß es erwerben. Ob die dort Schreibenden wissen, daß sie sich an diesem subtilen psychologischen Spiel mitschuldig machen?

Nochmals: Ich unterstelle keine Absicht, weder dem Verlag noch der Gesellschaft noch gar den Autoren. Aber sie müssen doch sehen, daß sie sich mit solchen Verlagsobjekten zu Mitagenten in einem Spielchen machen, das, soweit Bibliotheken und Institute als Nichtmitglieder das Buch erwerben, über die öffentliche Hand jeder von uns mitbezahlt.

Düster wird es, wenn wir die privaten Interessenten, die sich nicht an die Gesellschaft binden wollen, betrachten. Denn hier wird nun nackte Abschreckungspolitik bewirkt.

Es müßte das Interesse der Antiquare sein, den bibliophilen Gedanken zu bewerben, zu verbreiten, rasch und allgemein zugänglich zu machen.

Bücherpreise dieser Art zerstören, verderben, gefährden die Bibliophilie. Wir Antiquare solllten derartigen Verlagsobjekten den Kampf ansagen.

2.
Macht sich hier einfach nur der Gegensatz bemerkbar - zwischen jener Edel-Bibliophilie, wie sie Redakteur Biester so sehr liebt und die sich nirgends deutlicher abbildet als in seinem "Aus dem Antiquariat", das Scharwenzeln, Heucheln und Erbsenzählen auf Messen und in teuren Großstadtantiquariaten - - und der anderen, der Mittelklasse-Bücherleidenschaft?

Da steckt viel mehr dahinter. Nur ein Beispiel: Ich will jüngere Menschen, regelmäßige Neubuchkäufer und bibliophil Interessierte, ins Antiquariat hinüberziehen, sie sollen auch bei uns Kunden werden, sich nach und nach eine antiquarische Bibliothek aufbauen, Sammler der alten Bücher werden.

Eine der ersten Grundsätze dabei muß sein, gerade in Internet-Zeiten, daß der Bibliophile nicht allein den Text, sondern das körperliche Buch besitzen soll und will. Er wird einen Sinn dafür bekommen müssen, daß die Magie des gedruckten Wortes auf Papier durch nichts zu ersetzen ist.

Eine dreiste Ohrfeige ins Gesicht dieser meiner Strategie als Antiquar ist die gemeinschaftliche Spitzenleistung der Bücherfreunde zusammen mit Harrassowitz - wie um alles in der Welt soll ich denn dem jüngeren, angehenden Bibliophilen klarmachen, daß er sich solcher Beutelschneiderei unterwerfen muß?

Deshalb sollte die Preispolitik des Verlags, weit mehr aber noch die Blindheit und Taubheit der "Bücherfreunde" deutlich gebrandmarkt werden als das, was sie ist - ein Beitrag nicht zur Genesung, sondern zum baldigen Tod des Büchersammelns.

Vorsicht, hier sind Totengräber am Werk!



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Ein vielsagender Kommentar im Börsenblatt.net zur dortigen Neuerscheinungsmeldung:

1.
H. Erlemann 29.06.2009 16:13h
Nur kurz: Eigentlich Pflichtlektüre für jeden Antiquar und Bücherliebhaber. Die Fülle der aufbereiteten und teils nur angedeuteten Informationen ist beeindruckend.

Mein Kommentar zum Kommentar:
So ist es! Wie wahr! - Und bitte, wie soll ich dem Adepten der Bücherliebhaberei, dem Neubeflissenen, dem jungen, sagen, daß ihn ein Wissenschaftsverleger und ein blind-tauber Bibliophilenverein diese Pflichtlektüre - - nur für 98 Euro verhökern will?

Das wäre von einem verantwortungsvollen Verein für 29,90 Euro zu machen. Das könnte ich vertreten, ohne dem Kunden gegenüber schamrot zu werden.

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neuerlicher Nachtrag:

2. H. Erlemann 29.06.2009 20:07h
Was ein süddeutscher Antiquar ohne Kenntnis des Inhalts mit Gemecker über den Preis des neuen Jehrbuchs im Blog schreibt, ist unerheblich. Informationen kosten Geld, sind es auch wert.

Zum Beispiel: Ernst Ludwig Presse. Das Archiv ist gehaltvoll. Fast alle Korrespondenz ist vorhanden.
Ein Schatz. Seit 10 Jahren bekannt, aber bislang nicht gehoben.

Schande über den Besserwisser aus Freiburg, der viel schwadroniert und defätistisch agiert, dem ich jetzt ein weiteres Krokodil zuschicken werde.

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Lieber Herr Erlemann,

solche Leserbriefe im Börsenblatt sollen Sie nicht schreiben. Damit bringen Sie unser aller Redakteur Biester in eine peinliche Lage. Er hat Angst vor dem Verlag Harrassowitz - schon vor vielen Monaten, als er mich noch nicht aus dem Börsenblatt hinauszensiert hatte, tilgte er sorgfältig alle Postings, in denen ich mich gegen das nach meiner persönlichen Einschätzung ganz unerträgliche und schädliche Gebaren unserer beiden Bibliographie-Verlegergrößen in Wiesbaden und München gewendet hatte. Dieses Thema nun durch die Hintertür in seinen Tempel der Reaktion, der kritiklosen Anbetung von Geld und Wirtschaftsmacht hineinzutragen - - fi donc.

Anmerkung: Mein geschätzter Kollege Erlemann-Eutin ist der eine der beiden Herausgeber jenes unsäglichen "Gemeinschaftskatalogs" , den wir einige Blogs weiter unten mit Entsetzen und Trauer so negativ zu rezensieren hatten in der Form, der Verbreitung, der Medien(un)wirkung - bei ansonsten ausgezeichnetem Inhalt. Die Parallele ist schon fast erheiternd - wieder handelt es sich, nun beim "Imprimatur", um wichtige, brilliante Texte, deren technische Darbietung, hier beschränkt allein auf die Preisgestaltung, sich als katastrophal dumm und unangemessen erweist.

Hier nur zur Sache: Imprimatur ist mir seit der Unterprima vertraut, als ich mit Sondergenehmigung, die war damals noch notwendig, meine Nachmittage in der Freiburger Unibücherei zubringen durfte, vorzugsweise in deren ausgezeichneter bibliographischer Abteilung.

Sie können leider nicht lesen, oder Sie mögen es nicht tun: Hatte ich auch nur mit einer Zeile den Inhalt, den Gehalt, die Bedeutung des Imprimatur-Jahrbuchs herabsetzen wollen? Das Gegenteil ist der Fall - ich halte "Imprimatur" für unverzichtbar, wünsche ihm, nicht nur als bestes Werbemittel für unser Antiquariat, weiteste Verbreitung. Gerade deswegen, das sollte nun doch ein Blinder verstehen, ärgert es mich bis zu Weißglut, wie töricht, leichtfertig, verantwortungslos hier diese ausgezeichnete Quelle, dieses geschätzte Grundlagenwerk einem (hier nicht näher zu qualifizierenden) Verleger in den Rachen geworfen wird, der mit seiner Preisgestaltung nach meiner persönlichen Einschätzung eines ganz gewiß tut - - - die Verbreitung des ihm anvertrauten Werks nach Kräften zu behindern.

Das ist ein Verrat am Inhalt der Jahrbücher. Wenn ich so tue, als könne ich dieses Jahrbuch nicht anders vertreiben als zu 98 Euro, dann bin ich, von einer höheren Warte betrachtet, dem Inhalt, den Verfassern gegenüber - - gewissenlos. Das ist, wie eingangs bemerkt, meine persönliche Wertung, aber Sie dürfen Gift darauf nehmen, lieber Herr Erlemann, daß in einem Prozeß, den der Verleger gegen mich anstrengen würde, Medienfachleute und Antiquariatskollegen als Gutachter bereitstünden, um zu bestätigen: Da hat der Mulzer Recht, so geht es nicht, so darf ein Verleger Informationen dieser Art nicht verhehlen, verbergen. Das ist nicht sachgerecht, nicht gerecht dem vorzüglichen Inhalt gegenüber.

Die eigentliche Schande aber bei diesem Trauerspiel fällt auf die verantwortliche Herausgeberschaft. Wie um alles in der Welt will sie, sach- und fachkundig, eine solch unsägliche Preispolitik rechtfertigen? Ihr gegenüber sage ich, anders als dem Verleger, der Geschäftsmann ist und sein darf: Frau Professor, Sie haben durch diese Art des "Herausgebens" wichtiger Texte Ihrem Fach nicht gedient, sondern geschadet, Sie haben Wissenschaft damit nicht verbreitet, sondern verhehlt.

Daß das Börsenblatt mitsamt dem verschüchterten Redakteur Biester, daß "Aus dem Antiquariat" und der bis in die Haarspitzen arrogante, versnobte Verband der Antiquare keinen Widerspruch anmeldet und die Überlegungen des alten Mulzer totschweigt - das wundert den Kenner der Szene nicht.







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