Samstag, 2. Juni 2012

Bibliotheken und Antiquare: Wann kommt die Datenbank der Erwerbungsprofile?



Der Verkehr zwischen Buchantiquaren und Bibliothekaren findet auf mehreren Ebenen statt. Je nach Situation und Wertstufe wickelt er sich in ganz unterschiedlichen Formen ab. Die Mehrzahl dieser Verkehrsformen ist zur Zeit eher unerfreulich.

Wohl wahr, Museumsstücke, hochpreisige Objekte und Seltenheiten bedingen Höflichkeit und Entgegenkommen. Bibliothekare, denen wir auf der Ebene von Versteigerungen, Antiquariatsmessen oder in hochedlen Innenstadtantiquariaten begegnen, pflegen konzililant und großzügig zu sein. Sie nehmen sich Zeit. Ob in den Jahresberichten etwa zur "Sammlung deutscher Drucke" oder in Selbstdarstellungen der Bibliotheken, die antiquarische Bücherwelt scheint nur aus Inkunabeln, Mappenwerken im vier- bis fünstelligen Bereich, aus signierten Einstein-Erstausgaben oder Nachtschränkchenexemplaren von Anna Amalia zu bestehen.

Nun sind wir diese Sichtweise von Dr. Biester und seinem Flagschiff "Aus dem Antiquariat" durchaus gewohnt und auch manche Gespräche unter Antiquaren - gerade auch kleineren Lichtern des Gewerbes - kreisen nur um Spitzenware, die für die nächste Versteigerung in Pforzheim oder Köln gemeldet sind. Aber die spürbare  Verachtung  der Bibliothekare, die es ja doch besser wissen sollten, für kleinere oder gar kleinste historische Titel ihres Fachgebiets verwundert - und tut weh.

Ich weiß nicht, ob und inwieweit manche Bibliotheken inzwischen auf den Trichter gekommen sind und einigermaßen systematisch Ebay und Abebooks/ ZVAB, die beiden riesigen Bücherquellen, nach Desiderata ihres Fachgebiets absuchen. Vielleicht werden sie (was ziemlich peinlich wäre) behaupten, sie hätten dazu die Zeit nicht. Sie könnten auch behaupten, es sei Sache der Antiquare, aus ihrem Angebot diejenigen Titel aktiv zu suchen und vorzuschlagen, die sie als fehlend in der jeweiligen Bibliotheks-OPAC erkennen.

Wer solches unternimmt als Altbuchhändler, ich habe das versucht, gerät regelmäßig in des Teufels Küche und rechnet am Ende viele Stunden fast sinnloser angestrengtester Netzarbeit ab. Denn es sind "gerade keine Etatmittel da", trotz gegenteiliger Versicherung sind "die Zeitschriften noch nach dem Stand von 1952 erfaßt", "pflegen wir fehlende Monographien nur geschenkweise zu aquirieren", "gehört nach den Regeln 14b, 17c und 22 a Untergruppe I dieses Werk ausnahmsweise nicht zu unserem Sammelgebiet", "haben wir mit den Instituten A, B, C Absprachen laufen, nachdenen wir Ihren Titel nicht mehr führen/ nur in elektronischer Kopie führen/ wir feststellen, daß das Werk in Deutschland schon 1x vorhanden ist (Klosterbibliothek Vorpommern-Ost, wenn auch etwas angeschimmelt) und wir uns wundern, weshalb Sie uns die Zeit stehlen, das Werk bei uns trotzdem noch anzubieten" - diesen Katalog der Grausamkeiten und Scheußlichkeiten, mit dem der anbietende Antiquar geradezu gefoltert wird, unter leicht sadistischem Grinsen des nicht erwerben wollenden Bibliothekars, könnte ich aus dem Stand bis zum Ende dieser Seite erweitern.

Nun wird niemand den Bibliothekaren in ihr Handwerk dreinreden wollen. Diese Gründe gibt es tatsächlich - der einfachst denkbare: "Wir haben kein Geld, nächstes Frühjahr wieder antichambrieren, bis dahin gibts nix", ist eher selten, meist ist die Lage wirklich verwickelt und von außen nicht gut einsehbar.

Der Antiquar aber steht außen. Wie ist ihm zu helfen?

Ich habe immer wieder versucht, in die beachtlichen Tiefen der Sammel- und Erwerbungssystematiken zwischen IuD-, SdD- und anderen staatlichen Programmen einzudringen und dann nach Fachgruppen geordnet daraus eine praktisch brauchbare Handreichung für die Kollegen zu destillieren. Spätestens nach meinen absolut traumatischen Erlebnissen mit den Umgangsformen der Deutschen Bücherei in Leipzig habe ich dieses Vorhaben aufgegeben. Ich lasse mich nicht zum Kasper machen. - Im außerstaatlichen Bereich sind die Probleme oft noch differenzierter, aber gottseidank wird der anbietende Antiquar dort, im Bereich der Fachbibliothekare, der Archive und Museen weitaus freundlicher, oft geradezu kollegial behandelt. Das macht die Probleme zwar nicht einfacher, erfreut den Antiquar, der sich viel Mühe gegeben hat, jedenfalls doch seelisch.

Des Rätsels Lösung kann nur eine sehr detaillierte Liste der  A n k a u f s p r o f i l e  aller irgendwie systematisch sammelnden Bibliotheken in Deutschland mitsamt Schweiz und Österreich sein. Sie zu erstellen ist von außen, ich sagte es schon, ein Ding der Unmöglichkeit.

Diese Liste sollte für Antiquare relativ intern gehalten werden, zugänglich erst nach Rückmeldung über Emailadresse und Firmenangabe, weil wir nur so die Einrichtungen dazu bringen können, offen zu sprechen auch über Ankaufsusancen, Budgetsperren und andere Punkte, die eine Bibliothek nicht immer einer großen Öffentlichkeit mitteilen will. Um Budgetzahlen soll es dabei nicht gehen, wohl aber sind Wünsche über Einreichungsformen nützlich - elektronisch, nach Abgleich mit (welchem) OPAC, mit was für Rabatten usw.

Der Umfang dieser Datenbank wird ziemlich gigantisch, jedenfalls umfangreicher, als der Laie zunächst annehmen möchte. Vor allem Firmen, Gesellschaften, Archive und Museen müssen an jedem Ort ziemlich vollständig angeschrieben werden.

Ich dachte ursprünglich daran, die Einrichtungen um   D e s i d e r a t e n l i s t e n  zu bitten. Die sind aber fast nie vorhanden, auch weil, ich darf offen sprechen, die retrobibliographischen Kenntnisse vieler Bibliothekare eher bescheiden sind, auch und sogar in ihrem Fachgebiet. So erscheint es nützlicher, wenn der Antiquar aktiv ermittelt und von sich aus Desiderata anbietet. Manchmal wird sich der Fachbibliothekar wundern...

Die Sorge mancher Bibliothekare, bei Angeboten auf Desideratenlisten würden höhere Preise verlangt, ist ganz gegenstandslos. Wir sind inzwischen so gebeutelt durch permanente Preisvergleiche und Dauerkontrollem im Netz, daß Phantasiepreise eher selten geworden sind.

Ich rege an, eine Arbeitsgruppe aus interessierten Bibliothekareh und Antiquaren einzurichten, die eine Datenbank der geschilderten Art auf die Beine stellen kann, zu beiderseitigem Nutzen.


Das Foto zum Thema "Wenn deutsche Bibliothekare von Buchantiquaren (alp-)träumen" gehört Viktor Peschel. Wir danken für die Ausleihe. Bild wird auf formlose Anforderung hin entfernt.