Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Donnerstag, 31. Mai 2012
Informelle Statistik für Buchantiquare
Vorbemerkung: Ich bitte den Witzbold, der mir gestern einen fingierten Blog-Text mit dazugehörigem Twitter-Hinweis ins Google-Blogsystem geschmuggelt hat, solche üblen Scherze zu unterlassen. Vor allem sollte er es nicht zu nächtlicher Stunde versuchen, da bin ich nämlich meistens im Netz. Verwenden Sie Ihre schriftstellerischen Talente in Zukunft sinnvoller.
In der aktuellen Netzausgabe des Börsenblatts für den Buchhandel frägt Dr. Biester bei uns Antiquaren einige Absatzdaten ab. Das veranlaßt mich zu einem vorauseilenden Kommentar.
Es erscheint nützlich, einige Grundsatzfragen darzustellen, auf die Gefahr hin, daß der geneigte Leser das alles schon auswendig kennt. Ich spare mir, schweizerisch gesagt, den Anzug der zugrundeliegenden Quellen. Das kann, nicht zuletzt auch in diesem Blog, anderswo nachgelesen werden.
Die Umsatzzahlen der Bücherportale im deutschen Sprachraum gehören zu den bestgehütetsten Geheimnissen, seit sich die Monopolbehörden von fern für den ZVAB-Verkauf interessiert haben. Auch sonst paßt es den Portalen gar nicht, aus dem mystischen Halbdunkel ins Licht der nüchternen Zahlen gezerrt zu werden. Da kann es nämlich passieren, daß neben einem einzigen grotesk fetten Großbauern eine Schar halbverhungerter lächerlicher Landarbeiter zutage tritt.
Dröseln wir den Knoten auf.
Sie haben das Bild des großen Fisches, der den kleineren frißt, während der wiederum einen noch kleineren verspeist, vor Augen. Nirgends paßt der Vergleich besser als zur Lage der deutschen Altbuchportale. Amazon, das universelle weltweite Neubuch-, Altbuch- und Medienportal mit der Tendenz zu einem Mega-Ebay aller Warengruppen hat Abebooks, gut eingeführte multinationale Verkaufsdatenbank für alte Bücher, aufgekauft. Abebooks wiederum hat, unter absoluter Federführung und Handlungsgewalt der Mutter Amazon, ZVAB aufgekauft.
Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen und gestützt auf eine Vielzahl kleinerer Hinweise kann geschätzt werden, daß Abebooks und ZVAB zwischen 80 und 90 % des Altbuchabsatzes im deutschsprachigen Raum kontrollieren. Zwei kleine Verkaufsportale, Antiquariat.de und Booklooker, dürften bei je 5-7 % des Gesamtumsatzes liegen. Die anderen Bücherportale sind absolut marginalisiert bei 2-3 %.
Eine von Laien oft mißverstandene Rolle spielen jene Metasuchmaschinen, die die Buchbestände aller Verkaufsportale zusammengefaßt darstellen. Sie erhalten von der "echten" Portaldatenbank, deren Datensätze sie zur Meta-Darstellung übernommen haben, Teil-Provisionen, sind also nur deren Dienstleister. Ihre Umsätze spiegeln, wie sollte es anders sein, nur die oben geschilderten Macht- und Größenverhältnisse wieder, sie können also vernachlässigt werden.
Freilich: Das Thema der Meta-Suchmaschinen könnte wie auch die Google-Frage - nicht nur was Google Books angeht - für das Antiquariat eines Tages sehr wichtig werden, aber das gehört nicht hierher.
Ebay und die anderen universellen Verkaufsportale nehmen eine Sonderrolle ein, die auch gedanklich scharf getrennt gehalten muß von den traditionellen Bücherportalen. Die dort immer noch vorherrschende Auktionsform ermöglicht dem Antiquar, von Sonderfällen abgesehen, kein vernünftiges Geschäftsgebaren, auch das Shopsystem ist für ihn zeitaufwendig. Es gibt vergleichsweise wenige Antiquare - ich gehöre dazu -, die sich mit Mühe und widerstrebend im Ebay-Universum eingerichtet haben. Aber das sind grosso modo Sonderfälle.
Es gibt nun einige Thesen, die unmittelbar einleuchten.
1. Amazon/ Abebooks hat ein sehr strenges Gängelsystem eingerichtet. Das ist zunächst nur eine Richtung, eine Tendenz. Was kommen wird, wie verlockend eine solche Gelddruckmaschine sein muß, sehen wir in diesen Tagen am Beispiel Ebay, das seine privaten Einlieferer wie auch die bisher ziemlich freien Händler zwangsweise zu unwürdig gegängelten Konzernsklaven mit großem Konzernreibach durch zurückgehaltene Gelder degradiert - in den Händlerforen wird zwar Aiwai geschrien, aber wehren kann und will sich kaum einer. - Von hier führt der direkte Weg zum Antiquar als schlecht getarntem Franchisenehmer, zuletzt in jene Hölle, die derzeit die deutschen Paketzusteller durchleben.
Um die deutschen Antiquare ungestört und erfolgreich versklaven zu können, kann Amazon/ Abebooks mehrere bewährte Tricks anwenden.
2. Der Öffentlichkeit wird vorgegaukelt, es gebe ja viele Bücherportale für antiquarische Bücher, was wolle man denn - und dann werden alle die kleinen bis winzigen Datenbänklein aufgezählt wie die Perlen auf einer Kette. Diese Konkurrenten im grotesken Miniaturformat strampeln sich ja auf geradezu rührende Weise ab, ohne Chance, je aus ihren lächerlich geringen Margen herauszukommen. Würden die klitzekleinen Pseudo-Konkurrenten nicht existieren, müßte Amazon/ Abebooks /ZVAB sie tatsächlich erfinden und gründen. Sie sind so nützlich zur Vernebelung des wahren Sachverhalts!
3. Noch brauchbarer für die konzertierte Amazon-Vernebelung sind die Meta-Suchmaschinen. Es ist vollkommen unmöglich, dem interessierten Laien klarzumachen, was das wirklich für Gebilde sind, welche Rolle sie spielen und wie sie sich alimentieren. "Ja, wir nutzen Eurobuch", "Also ich halte mich an Bookfinder" - und schon ist die virtuelle Gaukelei der "vielen Bücherportale" höchst nützlich erweitert.
4. Düster und undurchsichtig ist die Rolle jener Softwareschmiede, die über die Hälfte aller deutschen Antiquare mit ihren Dienstleistungen im Griff hat. Dort ging die Chuzpe so weit, eine "eigene" Verkaufsdatenbank einzurichten, um den Eindruck der wirtschaftlichen Unabhängigkeit entstehen zu lassen. Nichts weiter hierzu, das sind meine persönlichen Einschätzungen, die aber mit den Kollegen zusammen einmal gründlich erörtert werden sollten.
5. Man muß es verstehen, aus Mißlichkeiten praktische, positive Umstände zu generieren. Das ist Amazon/ Abebooks gelungen, als sie erkannten, das ZVAB schon aus juristischen Rücksichten nicht ohne weiteres auflösen zu können. Die für die dumme Öffentlichkeit anscheinende Eigenständigkeit dieser traditionellen Datenbank - tatsächlich arbeitet das ZVAB rechtlich und zugegebenermaßen längst als Firmenbereich von Abebooks - ermöglicht es, in langsamem Übergang ZVAB in Abebooks hinüberzuführen. Dieser Schritt ist komplex. Man vermeidet Aufstände bei den Händlern, lullt die Kunden langsam ein - und schon ist Abebooks allein da, das ZVAB wird dann schnell vergessen.
Keine Illusionen bitte - schon heute gibt Abebooks in Händlergesprächen zu, daß strategische Entscheidungen nicht bei ihnen, sondern beim Amazon-Konzern liegen. Wer macht sich noch Illusionen über Amazon? Man frage die Neubuchhändler!
Die einzige Instanz, die jene fette Kröte, die auf geschätzten 85 % des deutschen Antiquariats-Netzabsatzes hockt, noch verscheuchen könnte, blockiert sich seit Jahren selbst: Genossenschaft der Antiquare, quo vadis?
Der Börsenverein hat uns Antiquare ja inzwischen zu den Versandhändlern abgeschoben, noch brutaler kann man nicht abserviert werden. Freilich, wenn ich an die gähnende Leere im Raum der AG-Versammlung auf der Buchmesse denke, letzten Herbst - kann man es dem Börsenverein verübeln?