Dienstag, 29. Mai 2012

Glanz und Elend der schreibenden Antiquare / neue Katalogtechnik



1.
Nach längerer Unterbrechung führe ich diesen Blog weiter. Die alten Beiträge stellen ein reichlich wirres, streckenweise recht unerfreuliches, immer aber lebendiges und anregendes Durcheinander berufsbezogener Texte dar, das ich nicht kürzen, verbessern oder sonst nachführen möchte. Es sind eigentlich Briefe, geschrieben aus dem Augenblick heraus, Momentaufnahmen also. In Fotoalben soll man nicht retuschieren.

Irgendwer ärgerte sich über die, ich zitiere, Selbstverliebtheit meiner Beiträge. Wer an der Tastatur sitzt, hat in der Regel nur sich selbst als Gesellschafter. Diese Genossenschaft mit sich selber sollte man schätzen und auch davon sprechen. Schließt man sich als Person aus, dann werden die Texte leicht einmal verbissen und finster, feierlich-weihevoll, verlegen, verklausuliert.

Verklausuliert und indirekt schreibt Soloantiquar Pardun, noch unpersönlicher und kälter leider Dr.Biester - beides sachkundigere Fachleute als ich das bin, aber ihre Texte lesen sich wie eben aus dem Tiefkühlfach geholt. Kollege RF Meyer sitzt in Stefan-George-Haltung vor der Tastatur und verbreitet so viel Würde, daß ich mich unwillkürlich ducke und nach Norden aufschaue. Ach, würde Kollege Plocher in Stadland doch öfter Blogbeiträge liefern! Er bringt sich ein, wenn er schreibt, schont Gemüt und Herz nicht, ihn zu lesen ist eine reine Freude. Ich kann mir noch manche Kollegen vorstellen, deren Blogtexte jeder gern lesen würde, zum Beispiel aus Zürich den Blog des Kollegen Peter Petrej.

Was wir an französischen Antiquariatstexten haben, ist - wen wunderts - edel und gescheit, aber kühl bis ans Herz hinan. Die französische Antiquariatstradition, besonders die Pariser, ist für mein süddeutsches Empfinden eiskalt bis zum Abstoßenden hin, dazu öfter einmal unerträglich eingebildet und hochtrabend.  - Ganz im Gegensatz dazu wirkt die englische, noch mehr die amerikanische Art, in der gescheite Leute miteinander umzugehen pflegen, auf den Fachleser sehr angenehm, aufgelockert, nie ohne eine Prise Selbstironie und immer mit jener Dosis an wohlwollender kollegialer Menschenfreundlichkeit, die beste angelsächsische Campusart ist.

Leider sind Sorgen und Freuden der Antiquare jenseits des Ärmelkanals und in Übersee oft andere als die unsrigen und man muß lange Passagen über- und querlesen können, will man englische Blogtexte von Antiquaren mit Genuß lesen. Das gilt freilich nicht für jene Edelkollegen, die sich Dr. Biester mit nicht nachlassendem Eifer als typische Antiquare vorstellt, über Inkunabeln läßt sich weltweit und international schreiben. Aber die echten Anliegen und Sorgen des deutschsprachigen Antiquariats sind nicht so herausgehoben, wie es das Börsenblatt gern hätte.

Es bringt aus meiner Sicht sehr wenig, wenn sich Buchantiquare in den Chor der Historiker, Kunst- und Literaturgeschichtler, Buchwissenschaftler, Philosophen und Kulturkritiker einreihen und noch einen weiteren Beitrag zu Goethe und die Nordsee, George in Heidelberg, Gutenbergs Verpflegung im Straßburger Schuldturm oder die Jugendverfehlungen des Buchbinders Meurisse im alten Paris schreiben. Das dürfen sie tun, aber es hat mit dem durchschnittlichen Antiquar, auch dem gehobenen, nichts zu tun. Wie auch Dr.Biester seine vorzüglich redigierte Zeitschrift besser "Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Buchantiquariat" nennen sollte, ähnlich übrigens, um ins Antiquariat zurückzukehren, jenen oft ganz ausgezeichneten wissenschaftlichen Jahresarbeiten, vulgo "Schulprogramme", in denen frustrierte Gymnasiallehrer einst ihre akademischen Sehnsüchte erfüllen durften, wenigstens ein bißchen.

2.
Ich bin auf lange Sicht hin blockiert durch die Arbeit an einem landeskundlichen Katalog, eine anregende, aber durch die Menge des in dreißig Jahren angesammelten Materials ziemlich anstrengende und verwickelte Sache. Einige Neuerungen versuche ich hier einzuführen, vor allem die direkte Verlinkung von "typischen Inhalts-Scans" nicht als herausgehobene Illustration in Einzelfällen, sondern als Regel.

Ein gutes Drittel des Katalogs umfaßt Dichtwerke, also die schöne Literatur von Gedichtbänden über Theaterstücken bis zu dickleibigen Romanen, wobei recht streng nur die im Land gebürtigen und/oder auf das Land bezogenen Autoren berücksichtigt werden. Es sind, im Zeitraum 1750-1950, über 120 laufende Meter. Typisch für das Gebiet sind literarische Zeitschriften, Kalender und andere Sammelwerke, die ebenso mit aufgenommen werden, viele davon in kleinster Auflage erschienen.

Ich habe nun bei den ersten Probe-Titelaufnahmen festgestellt, daß viele, ja die meisten dieser schöngeistigen Schriftsteller und Dichter heute vollkommen unbekannt sind. Überdies sind sie auch in den - sonst vorzüglich ausgestatteten - Bibliotheken des Bereichs fast immer nur sporadisch vertreten. Wie aber, so frage ich mich, kann denn der Sammler oder Bibliothekar von mir einen schöngeistig-literarischen Titel bestellen, wenn er sich vom Autor gar kein Bild machen kann?

Ausgehend von dem guten alten Begriff "sich ein Bild machen" habe ich  in den letzte Tagen nun folgende Methode entwickelt.

Zuächst wird der Scan einer beliebigen T e x t - Doppelseite erstellt, am einfachsten geschieht das schon im Zuge der Titelaufnahme, wenn der Scanner betriebsbereit neben der Tastatur steht. Diese Text-Doppel-Probeseite wird nun entweder als Link in die Titelaufnahme eingefügt:

Meschenmoser, René
Erlebnisse eines Buchsweilerer Bauernburschen  in Texas
Rixheim 1880... ...

oder ein kleines anklickbares Musterbild wird direkt neben die Titelaufnahme gestellt










Das ist nun etwas anderes als die üblichen ZVAB-Scans, denn es wird keineswegs der Einband oder das Titelblatt zur Verfügung gestellt, sondern - bezogen auf den Typ des angebotenen Buchs - eine  T e x t - Probe. Das ist bei schöngeistiger Literatur ja immer auch eine  S t i l - Probe im tieferen Sinn und mit einer herausgegriffenen, beliebigen Textseite kann sehr viel erkannt und ausgesagt werden über einen Schriftsteller.

Die technische Qualität der Schrift kann und wird verbessert werden, ich muß nur noch einige Schräubchen drehen in dem nicht ganz einfachen Dialogprozeß zwischen (gutem) Epsonscanner, Picasa3 und dem Picasa-Webalbum. In jedem Fall ist die Arbeitszeit je Scan, einschließlich Auf- und Zurücklegen, mit einer Minute zu berechnen. Das fällt im Vergleich mit der Titelaufnahme (mit Zustand und Preis) nicht sonderlich ins Gewicht, die auch bei meinem üblichen Transferverfahren (Aiwei geschrien - Mulzer klaut Bibliotheksdaten - das darf man, nehmt es endlich zur Kenntnis) etwa drei Minuten beansprucht.

Wie man das entstehende Bilderwerk noch diversen Zweitnutzungen zuführt, das muß man sich überlegen. In meinem besonderen Fall ist es zunächst nur eine Art von Netzkatalog-Bebilderung. Die Menge der Scans hält sich in Grenzen, da ich ja oft 3 oder mehr Exemplare desselben Buchs habe (in verschiedenen Einbänden und Erhaltungen), zu jedem Buch aber nur einen Beispielsscan anfertige.

Womit ein wichtiger Gesichtspunkt angesprochen ist: Es sind das keine Bilder, die Auskunft geben sollen über den Zustand des einzelnen Buchs. Wir haben es hier mit literarischen Stilproben zu tun. Das muß den Nutzer des Katalogs von Anfang an klar sein.

Die Anfertigung der Scans ist etwas langweilig. Ich setze mir dabei gern Kopfhörer auf und gönne mir jene Rundfunksendungen, zu deren Genuß ich mir sonst einrede, keine Zeit zu haben.

Die ganze Sache ist nur mit Google sinnvoll zu machen, da es sonst sehr teuer und, was den kostenpflichtigen Datenverkehr angeht, fast unkalkulierbar würde. Jeder Scan wird ja freigegeben und erscheint unter dem Verfasser und der ganzen Titelaufnahme in der Google-Bildersuche. Ich kennzeichne die Scans noch mit meinem Label, eigentlich möchte ich sie ganz freigeben, aber da gibt es noch juristischen Klärungsbedarf. Ich möchte sie nicht bei amazon oder abebooks wiederfinden...


Das Foto des schlafenden Büsi gehört mitsamt dem Grautier dem Antiquar Otto W. Plocher, den ich damit zur Fortsetzung seines Blogs ermuntern möchte.