Freitag, 15. Juni 2012

Das neue Verkaufsportal der Antiquare



Antiquare, wiewohl die berufenen Hüter der alten Büchergebirge, lesen ungern (und schreiben noch viel unlustiger). Wen wundert es da, wenn die Kollegen meine Texte als Quälerei empfinden - zu umständlich, zu ausführlich. Den Mulzer wollen wir nicht als Lehrer mit dem Zeigestock, seine Beiträge müssen knapper werden. Fasse Dich kurz!

Ich wills versuchen, auch wenn die verwickelte Materie, der wir uns heute widmen, zu pädagogischen Exkursen und Lehrgängen geradezu einlädt. Wer dazu Fragen hat, kann sich - das gilt auch sonst - in Schriftform jederzeit an mich wenden, mulzerbooks@t-online.de.  Das Telefon wird bei mir nur benutzt im Brandfalle, zur Übermittlung von Todesereignissen und beim Ausrufen der allgemeinen Mobilmachung. Für alles andere haben wir die elektronische Post.

Ich antworte immer, das ist Ehrensache.

1.
Sinn und Unsinn der gedruckten Kataloge im Antiquariat

Nicht daß wir uns falsch verstehen: Kataloge sind im Antiquariat nützlicher denn je, vor allem ist jeder neue  F a c h - Katalog, jede Fachliste eine unverzichtbare Bereicherung. Die retrobibliographische Kenntnis unserer Käufer nimmt galloppierend ab, selbst jüngere Fachleute der einzelnen Gebiete glänzen heute durch Unwissenheit in Sachen ihrer retrobibliographischen Grundlagen. Somit ist jede Fachliste antiquarischer Bücher auch eine Art Hilfsbibliographie.

Das Zusammentragen von älterer Fachliteratur bestimmter Gebiete ist ein mühsames Geschäft und erfordert Langzeit-Organisation, Raum und Geld - wenn der Antiquar nicht das Glück hat, Fachbestände in toto zu erwerben. Die Arbeit lohnt sich aber, und der Fachkatalog muß als Arbeitsmittel bei uns wieder so verbreitet und selbstverständlich werden, wie er es noch vor zwanzig Jahren war.

Nach dieser Vorbemerkung nun der Rundumschlag: In vielen Fällen ist der  g e d r u c k t e  Fachkatalog heute schierer Unfug, ein lächerliches, peinliches Relikt aus Vor-Internetzeiten. Musterbeispiel solcher Idiotie ist der Sammelkatalog, den die unglückliche Genossenschaft der Internet-Antiquare heuer wieder aufgelegt hat. Das Gebilde ist, wie uns das Börsenblatt informiert, nun auch als PDF erhältlich.

Der imposante Sammelband wiegt schwer in der Hand, in der Internetversion ist er, wie alle umfangreichen PDF-Erzeugnisse, eher mühsam zu benutzen. Es kommt den Verantwortlichen für dieses Sammelmonstrum auch weniger auf Augenblickskäufe an, sie hatten von Anfang an anderes im Blick. Neben einer eitlen Selbstdarstellung des Gewerbes sollte eine Art Lagerkatalog geschaffen werden, der dem Kunden einen  t y p i s c h e n  ständigen Überblick  über das deutschsprachige Antiquariat bietet.

Meine Kernkritik: Fast alle der hier gedruckt hineingesetzten, sorgfältig "beschriebenen" Bücher und Graphiken müßten im Internet-Zeitalter gleich beim Lesen mit reichem begleitendem  B i l d m a t e r i a l  versehen sein. Das gilt besonders dann, wenn, wie hier, dediziert bessere Titel, überwiegend versteigerungsfähige, herangezogen werden.

Wie verschnarcht müssen die Väter eines solchen Sammelkatalog sein, wenn sie nicht die Möglichkeiten des Netzes zur Bilddarstellung sehen, blind sind für jene Selbstverständlichkeit des Vorzeigens im Bild, das der Kunde sonst schon bei Seifenschachteln und Bleistiften fordert - und ganz selbstverständlich auch erhält.

Ein Textkatalog, mühsam und verquält mit wenigen Auswahlbildchen geschmückt, ist in seiner umständlichen Beschreibung als Ersatz für reiches gutes Bildmaterial ein Ding des Grauens.

Eine Fachliste, ein Fachkatalog gewöhnlicher, mittlerer Titel ist ohne weiteres gut brauchbar ohne Scans, ohne Fotos. Dies gilt auch für sehr umfangreiche Fachkompendien, wie ich sie vor einigen Tagen hier vorgeschlagen hatte. Aber nie und nimmer ist eine klassische Druckliste in Internetzeiten geeignet für Edelware, schon gar nicht für Sammelkataloge solcher herausgehobener Titel.

Ich weiß schon, welches Vorbild den unseligen Planern vorgeschwebt hat - die dicken Kastaloge der Versteigerer. Hier aber gilt es zu bedenken, daß der Käufer oder sein Agent die Ware in der Vorbesichtigung sehen und prüfen kann und bei den (recht zahlreichen) Fernbietern und denen, die auf Vorbesichtigung verzichten, davon ausgegangen werden darf, daß sie die gewünschten Titel im Einzelfall ausreichend kennen oder sonst Gründe haben, dem Versteigerer blind zu glauben.

Hier aber, bei diesem schrecklich verplanten Monstrum, gibt es keine Besichtigung, keine Versteigerung - die Bilderlosigkeit wird zur Qual, und wer da glaubt, es ergeben sich gerade dann schöne Kontakte durch Anforderung von Scans oder Ladenbesuchen, der kennt nicht die moderne Internetkundschaft - was ich nicht schnell sehen darf, das schiebe ich beiseite.


2.
Das Elend der Antiquariatsmessen

Durch meine böse und, ich gestehe es, zynische Kritik an dem unsäglichen Zopf unseres Messewesens im Antiquariat bin ich noch mehr in Verruf geraten, als es der "Professor Unrat" schon vorher war. Welchen Titel ich übrigens als Auszeichnung empfinde, weil ich das Buch gelesen habe und den Film kenne.

Jene äußerste Peinlichkeit, die über dem Messewesen im Antiquariat lastet, atmet jeder ein, der sich das seltsame Gehabe dort vorurteilslos betrachtet. Verlegen wie Sonntagsschüler stehen die würdigen Herren in ihren Ständen, als seien sie Flohmarktexistenzen oder Vertreter für Massagekissen. Sie lassen sich von den Besuchern begucken, müssen ihren prüfenden Blicken  standhalten, den taktlosen der begleitenden Frauen, den verlegenen der männlichen Kunden, die die Peinlichkeit solidarisch empfinden und sich auf die Ware und die Stiefelspitzen der wie seltene Tiere im  Z o o  ausgestellten Antiquare konzentrieren. Was da an gönnerhafter Bonhommerie seitens der Kunden, an Verlegenheit seitens der gequälten Antiquare stattfindet, tut dem einfühlenden Beobachter in der Seele weh. Glücklich die Antiquare, die das alles kraft solider Dickfelligkeit nicht spüren, aber sie sind in der Minderheit, sind sie nicht?

Die Mühen und Nöte der Buchpräsentation, der (affiger Ausdruck:) händischen (oder gar "taktilen") Betrachtung der Ware sind schon oft erörtert worden. Ich halte auch von daher heute die Messe für überholt. Was die angeblich so nützlichen Kontakte angeht, habe ich seit meinen Frankfurter Beobachtungen meine großen Zweifel. Mein Fazit: Auch hier ist der Nutzen eher gering, er wäre durch andere Veranstaltungen, etwa strukturierte(!) Tagungen mit Fachsitzungen viel besser zu erreichen.


3.
Das Ei des Kolumbus: Visualisierung im Netz

Hier würde ich dies und das zur Bedeutung des Sehens im Antiquariat, zur neuen Rolle des Bilds in psychologischer, also seelenkundlicher Hinsicht geschrieben haben wollen, aber ich soll ja nicht. Also gleich in medias res.

Jeder bessere Titel ab etwa 40 Euro Verkaufswert muß in Zukunft mit etwa 5 sehr guten Scans oder Fotos versehen werden. Die Scans dürfen nur mit hochwertigen Scannern angefertigt werden, dazu taugen auch Gebrauchtgeräte guter Marken. Neupreis um die 2000 Euro, ein gutes Gebrauchtgerät, etwa Epson GT-15000, ist für 400 Euro über Ebay zu erwerben. Ich notiere das, weil die Schusseligkeit vieler Kollegen in solchen praktischen Fragen unerschöpflich ist. Nein, es geht nicht billiger. Ja, den alten Billigscanner müssen Sie wegwerfen. Die entsprechenden Tips für Leute, die Pixelfotos händisch machen wollen, wovon ich herzlich abrate, muß ich mir versagen - billiger wirds auch hier nicht.

Diese 5 Regelscans sind in 3 Minuten erstellt. Das ist zeitlich kalkulierbar, geht doch die Titelaufnahme selbst wesentlich länger.

Man benutzt heute natürlich nur Googles Picasa-Webdienst, um viele tausend Fotos in bester Auflösung fast gratis ins Netz zu stellen. Ich bin immer erstaunt, daß die meisten Kollegen diese Möglichkeiten und Leistungen für "unmöglich" halten. Es gilt da umzudenken - vor fünf Jahren wären diese Bilderdienste zu solchen Preisen und in derart perfekter Auflösung freilich undenkbar gewesen.

Neben die Titelaufnahme tritt also die Fünfergruppe jener kleinen Daumennagelbilder, die sich jeweils bis auf Bildschirmgröße aufziehen lassen, oder - besser - Titrelaufnahme und die schon voll aufgezogenen Bilder werden als Einheit aufgerufen.

Diese Visualisierung unserer besseren Titel führt beim Kunden zu einem wahren  B i l d e r r a u s c h .

4.
Das neue, genossenschaftliche Bildportal der Antiquare

Schon kurzfristig können durch die neue Präsentation drei überholte Darbietungsformen ersetzt werden - der gedruckte Edel-Sammelkatalog, der ILAB-Katalog und die Messen. Das ist unmittelbar einleuchtend, denn alle drei haben es ganz überwiegend mit jenen besseren Titeln ab etwa 40 Euro zu tun, die wir ab sofort mit zusätzlichen 5 Scans versehen wollen.

Sie kennen mich, irgendwo muß der Mulzer doch noch einen Dreh versteckt haben. So ist es.

Wir haben an den jeweils fünf Scans das absolute Urheberrecht. Niemand darf diese Bilder in irgendeiner Weise gewerblich verwenden. Während im privaten Bereich, siehe auch die Bilder dieses Blogs, eine freundliche Grauzone des Bilderausleihens toleriert wird, läuft in der gewerblichen Bildernutzung absolut nichts. Was bedeutet das in unserem Fall?

Wir haben endlich die Waffe gegen die Amazon-Abebooks-ZVAB-Krake in der Hand. Denn nur in unserer eigenen Datenbank, über unser Portal dürfen die Scans verwendet werden!

Nun ist es absolut nicht damit getan, daß etwa die Antiquariat.de-Datenbank, die schon lang mehrere Fotos ermöglicht, ihr Angebot entsprechend erweitert. Auch wenn der Gedanke damals verdienstvoll war, so muß heute die Darbietung der Bilder zusammen mit dem Text ganz anders, viel großzügiger erfolgen. Also nicht anhängen, nicht ausbessern, sondern neu planen.

Auch erfordert die Einbindung des Messewesens und der Edel-Sammelkataloge eine vielfach optimierte Möglichkeit, solche besseren Titel separat abzurufen. Es müssen

*virtuelle Messen und virtuelle Schatz-Schränkchen

eingerichtet werden.

Nun noch ein überraschender Nebeneffekt: Das Portal ist nur genossenschaftlich zu organisieren. Jeder Antiquar bringt ja seine urheberrechtlich geschützten Scans ein. Die Aufrechterhaltung der Rechte ist kompliziert. Auch hier soll ich mich kurz fassen, also sage ich - bitte glauben Sie mir, so läßt sich das fast schon tote Genossenschaftsmodell im Antiquariat neu beleben.




Dank für die Ausleihe des Bänkelsänger-Fotos geht an den Kollegen von billerantik, er besitze die Rechte daran. Bild wird auf  formlose Anforderung hin entfernt.