Dienstag, 12. Juni 2012

Antiquare - die verlogene Idylle eines Berufs



Alle Monate wieder bringt es Dr. Björn Biester fertig, einen schönen Kulturbericht über hochgeistige Antiquare auszugraben, notfalls irgendwo in der Provinzpresse, aber auch weihevolle Selbstdarstellungen eines unserer Kollegen sind greifbar oder, der Tod verklärt ja immer, es findet sich die Gelegenheit zu einem Nekrolog.

Die Provinzpresse, in Sachen lokaler Kulturberichterstattung oft besser als ihr Ruf, liebt das Antiquariat sehr. Es ist ein Farbtupfer, fast immer ein origineller topos, es macht was her, die Leute lesen sowas gern, besonders wenn sie selbst noch nie in einem Antiquariat waren. Was für ein Unterschied zu den Neubuchhandlungen - über die läßt sich erst bei kundigem Blick für die Details schreiben. Antiquariat dagegen geht immer!

Nun will ich nichts gegen die Kollegen sagen, denen eine junge eifrige Redakteurin in den Laden schneit. Ich habe das im Jahrzehnt meiner Ladenarbeit selbst dreimal erlebt und erinnere mich noch gut daran. Erstens schmeichelt es dem Ego, man fühlt sich gebauchpinselt, zweitens mag ein Werbewert damit verbunden sein und drittens handelt es sich im Zeitalter des Praktikantenunwesens in der Regel um eine hübsche junge Dame, mit der man ein wenig flirten wird.

Schon die Einzelheiten unseres Gewerbes sind für Außenstehende recht kompliziert und bis man einen crash-Kurs für die junge Dame veranstaltet hat, ist die erste Stunde vorbei. Dann wird man sie durch die Räume führen, die bekanntlich (außer bei superpingeligen und in aller Regel unfähigen Sauberkeitsaposteln im Antiquariat, halten zu Gnaden) bis ins WC mit Bücherbergen angefüllt sind, in denen es nach nassem Hund und Kriegspapier riecht. Das ist interessant. Von der Titelaufnahme versteht die Journalistin wenig, um so mehr von der EDV und vom Internet - nur gelingt es nie, ihr die besondere Haltung des Antiquars, seine schwierigen Anforderungen und Wünsche, die er damit verbindet, klarzumachen.

So bleibt es bei der Idylle. Es gibt dann in aller Regel etwas peinliche Brüche in der Biographie des, bei näherem Hinsehen, gar nicht so würdigen alten Herrn, er war vielleicht Stasi-Mitarbeiter, Devisenschieber, im Irrenhaus oder dreimal bankrott, hat 40 Semester ordentlich studiert (das bin dann ich) und es ist doch nix aus ihm geworden. Fast immer muß die Redakteurin, die unter der Hand auch zur Biographin wird, mit weiblichem Takt solche Untiefen umschiffen, denn  der Antiquar darf ja nicht gescheitert sein.

Da kommt dann rasch die "Liebe zu den alten Büchern" oder gar die "Liebe zum Buch" ins Spiel. Solchen Unfug kann man auch in den meisten Blogs der werten Kollegen nachlesen, manche, nicht nur in Berlin, verbreiten eine unerträglich weihevolle Stimmung um sich, das Buch wird zum mystischen Selbstzweck. Kommt dann noch verblasene Esoterik dazu, möglichst noch leicht angebräunt, dann stehen wir je nachdem ergriffen oder peinlich betreten vor dem unerträglichen Weltbild des juchtenledernen, erlesene Typographie exerzierenden Antiquars. Immer noch besser übrigens als jene "kaufmännisch ausgebildeten" Kollegen, die weiter westlich angesiedelt sind und knappe, zynische Texte über ebenso zynische Autoren verfassen.

Nun möchte ich recht verstanden werden: Es gibt wirklich eine Menge sehr eindrucksvoller Persönlichkeiten unter den Antiquaren. Ich durfte auf einer großen Studenten-Rundreise von nun auch schon über 40 Jahren Dutzende davon näher kennenlernen. In "Aus dem Antiquariat" sind manche davon sehr liebevoll und einfühlend geschildert worden. Heute gibt es nur noch wenige Kollegen dieser alten Art, aber sie existieren und sind jedem von uns im direkten Verkehr eine Freude und, wie meine Freundin aus evangelischem Pfarrhaus gesagt hätte, "ein inneres Missionsfest".

Um jene vor 40 Jahren zahlreich, heute eher selten vorhandenen Antiquare geht es also nicht - wir sprechen vom durchschnittlichen Antiquarius, der mit oder ohne Laden, jedenfalls überwiegend am Computer und im Internetversand tätig ist und "alle Gebiete" bearbeitet.

Darf ich es deutlich sagen? Der typische mittlere Antiquar übt einen Beruf aus, der in Wahrheit und Wirklichkeit nur gelegentlich idyllisch, fast nie "geistig" ist, der eine wahre Quälerei darstellt und, wir werden gleich sehen weshalb, nur von Masochisten geliebt werden kann.

Im Kern steht jenes Erlebnis, das viele Außenstehende nicht einmal vom Begriff her kennen, das aber auch hochkarätigen Liebhabern des Antiquariats verblüffend oft unzugänglich bleibt, nämlich das fast absolute  L e s e v e r b o t.

Der Antiquar, man stelle sich das richtig vor, hat es den lieben langen Tag über  damit zu tun, Bücher bibliographisch zu klassifizieren, sie in der Regel aus Katalogen einzukopieren, ihren Zustand zu begutachten und einen angemessenen, konkurrenzfähigen Preis zu finden. Noch ein paar Stichworte, wenns hochkommt - das wars! Und diese absolut verblödende, nur im äußersten Randbereich ein wenig geistvolle Arbeit übt er, was bleibt ihm anderes übrig, den lieben langen Tag aus.

Das ist  F r o n a r b e i t  von der schlimmsten Sorte, zumal dann, wenn auch noch die oft doch recht erholsamen Kundenkontakte weitgehend wegfallen und der heillose Antiquar in einem Ladenwinkel oder im stillen Kämmerlein der Titelaufnahme frönt. Das Packen und Versenden ist im Vergleich dazu eine erholsame und anspruchsvolle Tätigkeit, jedenfalls geht mir das so.

Wir sprachen von Masochismus. Ist es, so frage ich jeden denkenden Menschen, nicht eine schreckliche Selbstquälerei, die interessantesten, wichtigsten Bücher nicht lesen zu dürfen, sie durch rasch durch die eigenen Hände gehen und in andere, fremde Hände gelangen lassen zu müssen? Es ist, ich versichere Ihnen, eine reine  Q u a l. Je interessanter die Titel, desto scheußlicher ist das  L e s e v e r b o t, das jede antiquarische Tätigkeit durchzieht wie ein roter Faden.

Und weil das so ist - jeder Kollege wird es Ihnen unter vier Augen bestätigen -, sehen wir Antiquare die verbreitete Iylle, die Außenstehende um unseren Beruf spinnen, mit der Ratlosigkeit dessen, der es weißgott besser weiß.

Und was wir den Kulturjournalisten der Lokalpresse noch mit süßsaurem Lächeln nachsehen, das mögen wir fürwahr bei denjenigen Fachjournalisten nicht, die unser Gewerbe wirklich kennen. Ich weiß, daß Dr. Biester mit seiner - sonst ganz vorzüglichen - Fachzeitschrift "Aus dem Antiquariat", die wir längst als sein Lebenswerk,  s e i n e  Zeitschrift bezeichnen dürfen, auch diesmal wieder nicht verstehen wird, wovon ich spreche. Er hat es noch nie begreifen wollen. Vor seinem klugen Auge steht das halbe Hundert herausgehobener Spitzenantiquare, die schöne alte Drucke, Buchkunst und Exilliteratur bearbeiten  d ü r f e n.  Er sieht fast nie die anderen neunhundertfünfzig Antiquare, versteht deren fürchterliches Los nicht, er kann es nicht sehen.

Antiquariat ist für 950 von 1000 Kollegen heute scheußliche, ödeste Tagesfron mit kleinen Lichtblicken. Gerade weil Antiquare eine lexikalische Grundbildung brauchen, weil der Altbuchhandel vor allem in Internet zur peinlichen Farce wird, wenn dieses große lexikalische Wissen fehlt - - gerade deshalb leidet der gebüldete Antiquar wie ein Hund zwischen Titelaufnahme und Packtisch.

Wem das Lesen weitgehend verboten ist bei seiner Berufsausübung, der rettet sich um so lieber auf kleine Inseln seines Hobbys, seines Spezialgebiets. Von daher rührt die Tatsache, daß sich in der Lebensbeschreibung fast jedes Kollegen eine Reihe liebenswerter Fachgebiete findet. Aber das ist ein Arbeiten  gegen die Öde, gegen die tiefe Tristesse des Berufs.

Aus dieser Grundfrage ergibt sich alles Weitere - das erstaunliche Desinteresse derer, die die Fron des Berufs nicht kennen, für Datenbankfragen, für Zusammenarbeit mit Bibliotheken, für Strukturiertheit und Organisierung, für Rationalisierung und Zusammenarbeit. Bitte, was wollen die Antiquare denn immer - wo sie doch so einen interessanten Beruf haben!

Den haben sie nur in der Wunsch- und Trugwelt von "Aus dem Antiquariat".

Die Idyllisierung des Antiquariatsgewerbes ist zutiefst verlogen.


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