Montag, 6. Juli 2009

Unkonventionelle Quellen zur Geschichte des Antiquariats sammeln!



Es gibt keinen Grund, warum die Buchantiquare sich nicht gern mit der Geschichte ihres Gewerbes befassen sollten. Gerade weil und wenn man mehr Ärger, mehr Unregelmäßigkeiten und Abenteuer damit verbindet als mit vielen ruhigeren Berufen, freut man sich doch rückblickend der gehabten Sorgen.

Daß dabei die Geschichte des Antiquariats ihres Nimbus weitgehend entkleidet wird, muß man in Kauf nehmen. Ein Durchblättern älterer Quellen zeigt, wie sehr schon unsere Vorgänger zur Konstruktion und zum Verleih von Heiligenscheinen, Denkmalspodesten und Legendenbüchern neigten. Interessanter psycholgischer Aspekt: In den 20er Jahren und noch mehr vor dem 1.Weltkrieg begegnen wir dann einer - gar nicht unsympathischen - Nüchternheit und Sachlichkeit, was die Selbst- und Rückschau von Antiquaren anbelangt.

Keine Frage, daß mir der streckenweise fürchterlich verlogene Mythos rund um unsere "bedeutenden" Antiquare auf die Nerven geht. Ich war in meiner Studentenzeit ungemein reiselustig und habe mich zwei fröhliche Jahre, um nur ein Beispiel zu nennen, von einem Fern- und Ameisenhandel zwischen Wien, Berlin und Zürich ernährt. Die Preisunterschiede waren damals, vor 45 Jahren, regional noch sehr stark, und wer sich, wie ich das gern auf mich nahm, wochenlang durch Antiquariate z.B. in Wien zu wühlen bereit war, der konnte noch Funde machen. Wobei Wien meistens sehr abgenutzte Bücher hatte, Berlin dagegen damals und noch auf lange Zeit die Traumstadt der alten Bücher war. An gute Sachen, zumal in Bern, seinerzeit ein Geheimtip, gelangte man nur mit Berndeutsch-Kenntnissen, von denen ich mitunter noch heute zehre.

Bei solchen Gelegenheiten lernte ich die meisten der Mythenträger unseres Gewerbes noch kennen. Sie starben reihenweise wenig später, heute lebt keiner mehr. Wer die Herren in ihren Verliesen, Gehäusen, Keller- und Dachbodenfluchten von nahem kennenlernen durfte, der wurde von mancher Illusion befreit (kam dafür aber mit neuen nach Hause). Vor allem die Sexualgeschichte des Antiquariats, sie sollte einmal geschrieben werden. Auch die der übellaunigen, jähzornigen, bestgehaßten und tyrannischen Antiquare, der verlogenen, schmierigen, unzuverlässigen... Und sei es nur, um die unerträglichen Heucheleien, wie sie in unserer Geschichtsschreibung seither üblich geworden sind, zu konterkarieren.

Zu diesem Thema, beschränkt auf Wien und Berlin, nehmen wir als Stichdatum 1965, könnte ich aus dem Stand zwei Stunden reden. Es würde ein unterhaltsamer Vortrag.

Sehen Sie meine Beurteilungen und Wertungen nicht falsch. Ich verdanke jenen alten Herren sehr viel, ohne sie wäre ich nicht das, was ich heute (nicht) bin. Vieles von dem, was mir heute in Sachen "Reform" unseres Gewerbes so am Herzen liegt, auf den Nägeln brennt, war damals noch kaum aktuell, besonders gilt dies für die Fron der Titelaufnahme.

Hilfskräfte, Lagerzeiten, Einkaufsbräuche und Kundenverkehr waren damals völlig anders strukturiert, ich zögere nicht zu sagen: Besser, angenehmer, menschlicher.

Auch fachlich sehr gute Antiquare hatten viel Zeit für Leidenschaften, Verrücktheiten jeder Art, Passionen im besten wie im schlechtesten Sinn. Ihre Lebensqualität war höher.

Aber das alles interessiert heute ja niemanden mehr. Verband, AG und Genossenschaft überbieten sich in Beweihräucherungen ihrer Vorfahren, kehren das wahre Leben der Antiquare, wie ich es - gerade noch - kennenlernen konnte, mit viel Heuchelei unter den Teppich.

Ich glaube nicht, daß die alten Kollegen, die längst aus einem Bücherhimmel auf uns Nachgeborene herabblicken, darüber besoners erfreut wären.

Zurück zum Thema. Während der Börsenverein liebevoll jedes bedruckte Blatt Papier sammelt, das mit Antiquariat zu tun hat *und* bibliographisch greifbar ist, frage ich mich, inwieweit die Überlieferung unseres Gewerbes im Presse- und noch mehr im Bildbereich gesammelt wird. Was in den Zeitungsarchiven schlummert, kann man, nach Investierung weniger Pfund, zum Beispiel im elektronischen Archiv der (Londoner) Times nachsehen. Das Ullstein-Springer-Zeitungsarchiv in Berlin in der Kochstraße muß prallgefüllte Ordner mit Zeitungsausschnitten zum Thema "Antiquare in Berlin" besitzen. Sogar das Ausschnittarchiv des Hamburger Fremdenblatt vor 1945 ist in Teilen noch erhalten. Undsoweiter.

Es scheint mir ein lohnende Aufgabe, ohne Zeitbeschränkung nach rückwärts alles Archiv-, Presse- und Bildmaterial zum Thema "Antiquariat" zu sammeln und natürlich gratis und vollständig im Internet zur Benutzung einzustellen.

Die Antiquare könnten entsprechende Forschungsaufgaben unter sich aufteilen. Ein anregendes Steckenpferd.



Das Photo (rechts unten im Firmenschild lesen wir "Antiquariat") gehört der Schweizer Illustrierten Zeitung, Nr. 34 vom 21.8.1946 (eigener Scan, leider kommt meine Scanqualität im Bloggerbild nicht rüber)